IMMO
VIEL
IEN
GEMEINWOHL GEMEINSAM GESTALTEN
FORDERUNGEN
UND PROJEKTE
ÜBERBLICK
Einleitung, Kurzfassung, Beirat
Die hier vorliegenden Forderungen für die Verbesserung der Rahmenbedingungen
für eine gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung werden auf dem
Konvent »Immobilien für viele – Gemeinwohl gemeinsam gestalten«
am 3./4. November 2016 in Leipzig erstmalig vorgestellt.
PROLOG S.04
1. Forderung
MEHR BODEN! S.12
2. Forderung
GUTES GELD! S.20
3. Forderung
DER KONVENT WIRD…
… der Politik erläutern, welche Rahmenbedingungen wie verändert werden müssen, damit
gemeinwohlorientierte Projekte in der Immobilienentwicklung mehr und wirksamer werden können.
… die unterschiedlichen Mitgestalter und
Partner der »Immobilien für viele« zusammenholen und zu einem Bündnis verbinden.
… das Wissen, was in den Immovielienprojekten steckt, zugänglich machen, dokumentieren und ein Voneinander-Lernen organisieren.
2
ANDERE FÖRDERUNG! S.26
4. Forderung
PASSENDES RECHT! S.32
5. Forderung
MEHR AUGENHÖHE! S.38
Projekte auf dem Konvent
IMMOVIELIEN S.44
S. 46 Bellevue di Monaco, München // S. 48 Stadtteilzentrum Bonni, Gelsenkirchen // S. 50 Elsebad, Schwerte // S. 52 ExRotaprint, Berlin // S. 54 Gängeviertel, Hamburg // S. 56 Grethergelände, Freiburg // S. 58 HAL Atelierhaus, Leipzig
// S. 60 Handwerkerhof Ottensen, Hamburg // S. 62 Haus der Statistik, Berlin //
S. 64 Kompott, Chemnitz // S. 66 Martini44, Hamburg // S. 68 Menschenskinder, Darmstadt // S. 70 Nachbarschaft Samtweberei, Krefeld // S. 72 Nordbahntrasse, Wuppertal // S. 74 PLATZprojekt, Hannover // S. 76 ps wedding, Berlin //
S. 78 Rohrmeisterei, Schwerte // S. 80 Saline 34, Erfurt // S. 82 Schaubühne Lindenfels, Leipzig // S. 84 Schwabehaus, Dessau // S. 86 Straze, Greifswald //
S. 88 ufaFabrik, Berlin // S. 90 Utopiastadt, Wuppertal // S. 92 WOGENO, München
3
E I N L E I T U N G & K U R Z FA S S U N G
ES IST
AN DER
ZEIT,
... den Protagonisten einer gemeinwohlorientierten Immobilienentwicklung den Rücken zu stärken und ihnen
die vorhandenen Hürden aus dem Weg zu räumen.
4
An die 400 Bürgerbäder, mehr als 100 Projekte des Mietshäuser Syndikats, mehr als 90 Projekte des Programms »Initiative ergreifen – Bürger machen Stadt«, ungezählte unabhängige und selbst verwaltete Kultur- und Nachbarschaftszentren, mehr als 200 registrierte DORV-Läden und nicht zuletzt immer weiterwachsende neue Wohnungsgenossenschaften stellen seit den 1980er Jahren unter Beweis: Gemeinwohlorientiertes Wirtschaften und unternehmerisches
Handeln sind keine Widersprüche, sondern sie sind ganz im
Gegenteil eine wichtige Basis für strukturelle Stabilität und
Verlässlichkeit.
Diese Immobilien für viele von vielen – Immovielien – sind
etwas Besonders: Denn sie bleiben, wenn es kritisch wird,
sie entziehen den Boden, auf dem sie stehen, und sich selbst
der Spekulation, sie verhalten sich zu anderen solidarisch,
sie unterstützen sich gegenseitig und sie suchen beständig
nach einem gesellschaftlichen Nutzen ihres Tuns.
Viele von ihnen werden gerade bewundernd beäugt: Weil sie
es schaffen, auch in überhitzten Märkten günstige Räume
zur Verfügung zu stellen, oder weil sie es schaffen, Infrastrukturen effektiv zu bewirtschaften.
Und obwohl sie ökonomisch stabil und sozial innovativ sind,
haben sie noch lange nicht die besondere Position in der
Stadtentwicklung, die ihnen zusteht. Sie konkurrieren mit internationalen Investoren um Grundstücke, anstatt als wertvoller Partner umworben zu werden, und sie werden von einem Teil der kommunal getragenen Wohnungswirtschaft als
träumerische Exoten behandelt, weil sie das große und regelhafte Geschäft in Unruhe bringen.
Glücklicherweise ist das weder immer noch überall der Fall.
Es gibt sie schon, die positiven Beispiele, wo öffentliche
Hand, öffentlich getragene Wohnungswirtschaft und Immovielienprojekte Hand in Hand gehen.
Es ist an der Zeit, von diesen ›Guten Beispielen‹ zu lernen. Es ist aber auch hohe Zeit, die
Hürden, die den meisten noch im Weg
stehen, wegzuräumen!
Wir, die Partner des Konvents, wollen uns dafür einsetzen,
dass sich die Vergabe von Boden, die Finanzierung durch die
Banken, die Förderung durch die öffentliche Hand, die unternehmensrechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen
und nicht zuletzt das Miteinander von öffentlichen Institutionen und Immovielien verbessert.
Kurz gesagt: Wir brauchen ›Mehr Boden!‹,
›Gutes Geld!‹, ›Andere Förderung!‹, ›Passendes Recht!‹ und ›Mehr Augenhöhe!‹ für
Immovielien.
Diese Forderungen haben wir ein Jahr lang auf Einladung der
Montag Stiftung Urbane Räume und im Dialog mit den Mitdenkern des Konvents erarbeitet. Nun haben wir weitere 100
Mitdenkende aus der öffentlichen Hand, aus Banken, aus
Wohnungsbaugesellschaften, aus Kommunen und nicht zuletzt natürlich aus Immovielienprojekten dafür gewinnen
können, diese Vorschläge auf dem Konvent »Immobilien für
viele – Gemeinwohl gemeinsam gestalten« am 3. und 4. November 2016 in Leipzig kritisch zu diskutieren und gemeinsam aufzuzeigen, was gut läuft, wo es knirscht und was in
Zukunft geändert werden sollte.
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FORDERUNGEN
KURZFASSUNG
2. GUTES GELD!
4. PASSENDES RECHT!
…um die Finanzierung von Immovielien zu verbessern
… und passender steuerlicher Rahmen für Immovielien
► Kooperative Finanzierung handhabbar machen
► Bürgschaftsschirm oder Bürgschaftsbank für Immovielien
► Überprüfung und Anpassung des Kleinanlegerschutzgesetzes und der Wohnimmobilienkreditrichtline
Immovielien werden von den meisten Geschäftsbanken mit spitzen Fingern oder gar nicht finanziert. Sie erfüllen selten die
eingeübten oder vorgeschriebenen Standards und bringen ihr Eigenkapital häufig im Kollektiv und nicht in Form von Eigenund Sachleistungen zusammen. Das angepasste Vermögensanlagegesetz erschwert die gemeinschaftliche Finanzierung zusätzlich. Nur Alternativbanken haben aktuell das nötige Know-how, um Immovielien spezialisiert zu beraten. Hinzu kommt,
dass die normale Finanzierungspraxis die Projekte zwingt, ihre Vorhaben zu einem Zeitpunkt bis zum Ende zu planen, wo
noch nicht klar sein kann, welche abschließende Nutzungsstruktur die für die Zwecke effektivste ist.
Die Länder sollten mit ihren Landesförderbanken über das Thema Wohnen hinaus Bürgschaftsschirme für gemeinwohlorientierte Vorhaben einrichten und eine schrittweise Finanzierung und/oder Risikoabsicherung der Initiativen ermöglichen. Auch
der vereinfachte Zugang zu Krediten von Geschäftsbanken und die Anerkennung von Eigenleistung als Eigenkapital stellen
wichtige Bausteine dar. Und schließlich muss die jüngste Anpassung des Vermögensanlagegesetzes so überarbeitet werden,
dass ein unterstützender Rahmen für kollektiv finanzierte Projekte entsteht und gerade für die kleinen und mittleren, lokal
wirksamen Projekte keine zusätzlichen Hürden aufgebaut werden.
► Besondere steuerliche Stellung für gemeinwohlorientierte Immobilienbewirtschaftung
► Unternehmensform für wirtschaftliches bürgerschaftliches Engagement
Es gibt keine Gesellschaftsform, die das gemeinschaftliche Wirtschaften für das Gemeinwohl befördert. Gemeinwohlorientierte Immobilieninvestoren nutzen häufig organisatorische Formen, die nicht zu ihnen passen, und sie müssen über Umwege
(Denkmalschutz, Völkerverständigung etc.) argumentieren, um die Gemeinnützigkeit zu erlangen.
Zum einen ist es längst Zeit, die Abgabenordnung auf ihre Aktualität hin zu überprüfen und ggf. neue Kriterien für stadtteilund nachbarschaftsbezogene Vorhaben zu entwickeln. Zum anderen sollte die beendete Diskussion über die Einführung der
Kooperativgesellschaft nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine passende Gesellschaftsform für lokale, kooperative, engagierte und gemeinwohlorientierte Projekte weiterhin fehlt.
1. MEHR BODEN!
3. ANDERE FÖRDERUNG!
5. MEHR AUGENHÖHE!
… für eine gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung und Immovielien
… um Investitionen in Immovielien zu erleichtern
… in der Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und Immovielien
► Bodenbevorratung und Vorkaufsrecht stärken
► Boden mit Konzept vergeben
► Förderung des Bodenerwerbs für gemeinwohlorientierte Investitionen
► Einrichtung von zivilgesellschaftlichen Bodenfonds
Die mangelnde Verfügbarkeit von Boden für gemeinwohlorientierte Zwecke ist ein strukturelles Problem. Hinzu kommt, dass
bei Vergaben durch die öffentliche Hand (Bund, Länder, Kommunen) der Preis, die überformularisierte Vergabepraxis, die
teilweise kleinteilig eingeforderten Konzepte und die Vergabegeschwindigkeit den Zugang zu Boden für Immovielien erschweren oder verhindern. Grundsätzlich sollte bei dem wenigen öffentlich zur Verfügung stehenden Boden das Konzept höher gewichtet werden als der Preis, und Gemeinwohlorientierung sollte den Vorzug bekommen. Dafür bräuchte es klare Definitionen, was das Gemeinwohl im Allgemeinen (Bund, Länder) und in diesem Zusammenhang (Kommune) konkret fördert.
Die vorhandenen Vergabeinstrumente müssen weiterentwickelt, so weit wie möglich verschlankt und – wo sinnvoll in Kombination mit dem Erbbaurecht – angewendet werden. Das gilt insbesondere für die Konzeptvergabe in Verbindung mit Anhandgabeverfahren. Und es muss darauf hingearbeitet werden, dass zivilgesellschaftliche und öffentliche Partner gemeinsame,
ggf. auch revolvierende Bodenfonds entwickeln, die gemeinwohlorientierten Zwecken dienen.
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► Förderung von Vorarbeiten
► Förderung von Beratung
► Von guten Förderprogrammen lernen
Immovielien fallen wegen ihrer vieldimensionalen Nutzungsstrukturen und vielfältigen Partner häufig durch vorhandene Förderraster oder müssen mehrere Förderschienen mit verschiedenen Logiken bedienen. Nahezu alle Förderzugänge fordern eine abgeschlossene Planung des Objektes, was einer schrittweisen und damit robusten Entwicklungsstrategie im Weg steht.
Die Städtebauförderung ist in der Regel für private Initiativen nicht zugänglich und die Wohnraumförderung, die häufig von
Immovielien in Anspruch genommen werden könnte, verkompliziert und verteuert wegen der erhöhten Standards das Bauen
im Bestand.
Die vorhandenen Förderprogramme müssen also auf vielen Ebenen angepasst werden. Insbesondere sollten Vorarbeiten zur
Entwicklung von Immovielien gefördert werden, und es sollten »Agenten« zur Verfügung gestellt werden, die Immovielien in
der Entstehungsphase immobilienwirtschaftlich und projektorganisatorisch qualifizieren. Das NRW-Förderprogramm »Initiative ergreifen – Bürger machen Stadt« könnte hierfür Pate stehen.
► Kompetenzaufbau »Kooperative Stadtentwicklung«
► Beratungsstrukturen für Immovielien
► Handbuch »Immobilien für viele«
Viele kommunale Akteure trauen Finanzinvestoren oder Bauträgern mehr Durchsetzungsstärke und mehr Geschwindigkeit zu
als lokalen und kooperativen Initiativen. Der Vorzug, dass Letztere keine oder wenig Rendite erwarten und sich im Allgemeinen nicht zurückziehen, wenn es brenzlig wird, wird kaum gesehen.
Viele Immovielienmacher haben ein prinzipielles Misstrauen gegenüber linearen Verwaltungsstrukturen und politischen Prozessen entwickelt, das nicht immer nur auf eigenen Erfahrungen gründet. Und die Konzentration auf die eigene Sache verdrängt den größeren Kontext – insbesondere das kommunale Abwägungsgebot – aus dem Blickfeld.
Wir müssen das Wissen, das es aus der Kooperation zwischen Immovielien und öffentlichen Händen gibt, in die Ausbildung
der kommenden Stadtmacher bringen, die vorhandenen Beratungsnetzwerke- und Strukturen der Immovielien stärken und
unterstützen und mit einem Handbuch für Immovielienentwickler Qualitäten für eine gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung formulieren.
BEIRAT
ÜBERSICHT
Der Beirat des Konvents »Immobilien für viele – Gemeinwohl gemeinsam gestalten« besteht aus Personen, die in ihrer Funktion oder aus eigener Erfahrung
ein besonderes Interesse, ein besonderes Know-how
oder ein besonderes Netzwerk für eine gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung mitbringen. In die
Forderungen des Konvents sind also die Ideen von
vielen eingeflossen. Abgestimmt und im Detail ausgearbeitet wurde das Forderungenpapier am Ende von
den Partnern des Konvents.
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PARTNER
Benedikt Altrogge (GLS Gemeinschaftsbank eG)
Tobias Behrens (STATTBAU HAMBURG Stadtentwicklungsgesellschaft mbH)
Joachim Boll (startklar.projekt.kommunikation)
Oliver Brügge (Montag Stiftung Urbane Räume gAG)
Frauke Burgdorff (Montag Stiftung Urbane Räume gAG)
Marta Doehler-Behzadi (Internationale Bauausstellung IBA-Thüringen GmbH)
Roman Grabolle (Haus- und WagenRat e. V.)
Christian Huttenloher (Deutscher Verband für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung e. V.)
Wolfgang Kiehle (Kiehle Beratung: Wohnen)
Martin Linne (Deutscher Städtetag | Stadt Krefeld)
Rolf Novy-Huy (Stiftung trias)
Stefan Raetz (Deutscher Städte- und Gemeindebund e. V. | Stadt Rheinbach)
Caroline Rosenthal (Mietshäuser Syndikat GmbH)
Andreas Roters (Netzwerk Bürgerbäder e. V.)
Birgit Schmidt (Wohnbund e. V.)
Peter Schmidt (WOGENO München eG)
Enrico Schönberg (Mietshäuser Syndikat GmbH)
Martin zur Nedden (Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH)
MITDENKER
Jürgen Aring (vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V.)
Kerstin Asher (startklar.projekt.kommunikation)
Henry Beierlorzer (Urbane Nachbarschaft Samtweberei gGmbH)
Daniela Brahm (ExRotaprint gGmbH)
Hans-Michael Brey (BBA – Akademie der Immobilienwirtschaft e. V.)
Torsten Bölting (InWIS Forschung & Beratung GmbH)
Marco Clausen (Prinzessinnengarten | Nomadisch Grün gGmbH)
Constanze Cremer (STATTBAU Stadtentwicklungsgesellschaft mbH, Berlin)
Markus Eltges (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung)
Anna Heilgemeir (Chair for Urban Design and Urbanization Technische Universität Berlin)
Andrej Holm (Humboldt Universität zu Berlin)
Melanie Kloth (NRW.Bank)
Tristan Lannuzel (urbanista – Stadtentwicklung & Kommunikation oHg)
Jochen Mauel (GAG Immobilien AG)
Brigitte Schultz (Stadtbauwelt)
Rolf Weilert (WEG-Damit Hausverwaltung GmbH)
Der Konvent »Immobilien für viele – Gemeinwohl gemeinsam gestalten« ist
auf Einladung der Montag Stiftung Urbane Räume zustande gekommen.
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Nicht bei allen Details der Forderungen herrscht in unserem breit aufgestellten Bündnis Konsens, aber bei nahezu allen! Die
Partner haben um viele Details gerungen und stehen hinter dem gesamten Papier. Die Mitdenker haben in den Beirat – der
zweimal getagt hat – ihre Ideen und Einwände eingebracht. Allen danken wir ausdrücklich und herzlich für diese intensive Zusammenarbeit. Bis hierher. Und vielleicht weiter?!
© Thomas Puschmann
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MEHR
BODEN!
1. FORDERUNG
BODEN
AUF EINEN BLICK
Bodenbevorratung und Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand stärken
Boden mit Konzept vergeben
Förderung des Bodenerwerbs für gemeinwohlorientierte Investitionen
Einrichtung von zivilgesellschaftlichen Bodenfonds
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Die Stiftungen trias und Edith Maryon haben
viel praktische Erfahrung in der Vergabe von
Erbbaurechten, u. a. im Projekt ExRotaprint.
Die Bodeninitiative Basel hat gewirkt: Der
Kanton Basel Stadt darf seit 2016 keinen
Boden mehr »aus der Hand« geben.
Hamburg und München haben jeweils
besonders ausgefeilte Modelle entwickelt,
Boden mit Konzept zu vergeben.
Immovielien sind wertvolle Partner am Immobilien- und Bodenmarkt, weil sie nicht auf Wertsteigerung spekulieren,
weil sie lokal verankert sind und in der Regel auch in
schlechten Zeiten bleiben. Das unterscheidet sie von den
meisten anderen – teilweise sogar von den öffentlichen –
Grundstücks- und Immobilienentwicklern, die die Wertsteigerung im Blick haben, weil ihre Anleger oder der kommunale Haushalt dies einfordern.
Trotz dieser besonderen Stellung ist der Zugang zu Boden für
Immovielien aus verschiedenen Gründen schwierig:
► Grundsätzlich haben die öffentlichen Hände (Kommunen,
Länder, Bund) zu wenig Boden zur Verfügung, den sie unter
besonderen Bedingungen gemeinwohlorientierten Vorhaben
zur Verfügung stellen können.
► Gemeinwohlorientierte Vorhaben sind meistens Spitz auf
Knopf gerechnet. Sie funktionieren durch eine Kombination
aus geringen Mieteinnahmen, geringen Renditen und großem
Engagement. Hohe Preise für den Boden oder die Immobilien
zu zahlen, bedeutet, weniger oder keine Überschüsse für das
gemeinwohlorientierte Engagement zu haben.
► Viele Immovielienprojekte sind schnell in der Umsetzung,
wenn sie zu Anfang ausreichend Zeit gehabt haben, Stabilität
zu entwickeln. Wenn Grundstücke oder Immobilien ausgeschrieben werden, liegt auf der Vergabe gewöhnlich ein Zeitdruck, der eine Beteiligung an der Ausschreibung für kooperative Projekte unmöglich macht.
► Die Macher von Immovielienprojekten sind oft schlecht
vernetzt in die Kommune und in die Immobilienszene und
bekommen so nicht rechtzeitig Informationen, welche
Grundstücke unter welchen Bedingungen zur Vergabe anstehen.
► Konzeptvergaben können selbst für Immovielienprojekte
zu komplex werden und mit so vielen Anforderungen überla-
den sein, dass eine bedarfsorientierte Entwicklung des Projektes nicht möglich ist.
► Kommunen haben in der Regel keine politisch abgestimmten Kriterien, Konzepte oder integrierten Entwicklungsprogramme, um damit einen Begründungszusammenhang für
die bevorzugte Vergabe oder den Zwischenerwerb von
Grundstücken für gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklungen zu schaffen.
Wenn die öffentliche Hand Boden für eine gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung zur Verfügung stellen soll,
muss sie seiner über eine mittel- und langfristige Bodenbevorratungsstrategie habhaft werden und die gemeinwohlorientierte Vergabe mit einem konzeptionellen und kommunalpolitisch verankerten Rahmen und mit Instrumenten unterfüttern. Wie z. B. München mit der sozial gerechten Bodennutzung, dem kommunalen Mietwohnungsbau und der vergünstigten Abgabe von Geschossfläche für Gemeinschaftsnutzungen, Hamburg mit den Konzept- und Anhandgabeverfahren, Tübingen, Freiburg und Köln mit besonderen Vergabeverfahren für Baugruppen, Basel mit der Bodeninitiative
oder Ulm mit der konsequenten Anwendung des Zwischenerwerbs.
Für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung in Kooperation mit Immovielien muss Boden so weit wie möglich der
Spekulation entzogen werden. Insbesondere die Kommunen,
aber auch alle anderen öffentlichen oder öffentlich getragenen Liegenschaftsverwaltungen sowie die Kirchen, Wohlfahrtsverbände und andere gemeinnützig Agierende sollten
Immovielien den Zugang zu passenden Immobilien und
Grundstücken erleichtern.
Die inspirierende Praxis zeigt, dass diese allgemeinen und
die folgenden konkreten Forderungen eine realistische Basis
haben. Sie kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass
bei Vergabe und Zwischenerwerb noch viel Innovationsspielraum vorhanden ist.
13
1. FORDERUNG
BODEN
1.1 BODENBEVORRATUNG
UND VORKAUFSRECHT
STÄRKEN
1.2 BODEN
MIT KONZEPT
VERGEBEN
Eine Gemeinde kann das Vorkaufsrecht nutzen, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies erforderlich macht. Die allgemeine Akklamation des »Wohls«
reicht aber bei gerichtlichen Auseinandersetzungen nicht aus. Es müssen
entweder detaillierte Begründungen geliefert und nachgewiesen werden,
warum ein direkter Verkauf dem Wohl der Allgemeinheit zuwiderliefe oder es
müssen Satzungen bestehen, auf deren Basis der Nutzen für das Allgemeine
Wohl spezifisch beschrieben werden kann.
Die Ausschreibung zur Bebauung oder Umnutzung von öffentlichen Grundstücken und Gebäuden ist so zu gestalten, dass im Rahmen eines KonzeptWettbewerbs alle Investorentypen – und eben auch zivilgesellschaftliche
Gruppen – eine realistische Umsetzungschance erhalten und ein Impuls für
Stadt- und Quartiersentwicklung erwartet werden kann. Nicht der höchste
Marktpreis wäre das Ziel, sondern der möglichst hohe gesellschaftliche Nutzen.
Doch nicht nur die rechtliche Absicherung ist von Bedeutung, auch kommunalinterne Verhandlungen z. B. zwischen Kämmerern und Stadtbauräten über
den Boden als Basis für die Verbesserung der Kommunal- (oder Landes- oder
Bundes-)finanzen einerseits und über den Boden als strategisches Gut für
die langfristige Steuerung der Stadtentwicklung andererseits verhindern die
Ausübung des Vorkaufsrechts mit anschließendem Behalt des Bodens, z. B.
im Erbbaurecht. Denn nur dann, wenn der Boden auch langfristig für die
Stadtentwicklung – und mithin auch für gemeinwohlorientierte Zwecke – gesichert bleibt, lohnen sich aufwendige Vorkaufsrechtsverfahren.
Wenn sich Immovielien für eine Projektentwicklung auf einem öffentlichen
Grundstück organisiert und qualifiziert haben, soll ihnen mit »Anhandgaben« ein verbindlicher Zeitraum eingeräumt werden, ihr Projekt zur Umsetzungsreife zu entwickeln. Die öffentliche Hand schließt in dieser Zeit die
Vermarktung aus und sichert den gemeinwohlorientierten Nutzern für den
Fall der Realisierung einen vorab verhandelten Preis, sinnvollerweise im
Erbbaurecht, zu.
Damit der Boden nicht zur Aufbesserung der Finanzhaushalte weiterverkauft
wird, könnte es sinnvoll sein, den Boden im Neuen Kommunalen Finanzmanagement (Doppik) in einem eigenständigen Haushalt zu veranschlagen,
da der Bodenerwerb gerade keinen Ressourcenverbrauch darstellt und so
eine aktuell verbreitete Konkurrenz einer
Das Allgemeine Wohl sollte sowohl auf Bungemeinwohlorientierten Flächenbevorratung
desebene – als Ergänzung /Anreicherung des
z. B. mit Investitionen in Sozial- oder BilBaugesetzbuches – als auch auf kommunaler
dungsinfrastruktur vermieden wird.
Ebene – in Form von Satzungen, Entwicklungszielen oder Beschlüssen – so
definiert werden, dass die begründete Ausübung des Vorkaufsrechts einfacher und gerichtsfester wird. Und es sollten Fälle gelungener Ausübung
des Vorkaufsrechts zusammengetragen und dokumentiert werden.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
14
Bei sehr komplexen, ggf. lange brachliegenden Standorten muss potenziellen Nutzern im Rahmen von Moratorien über Zwischen- und Teilnutzung die
zeitlich befristete Möglichkeit gegeben werDie vorhandene gute kommunale Vergabe- den, sich am Standort und als Betreiber zu
praxis sollte anhand von Modell- und For- erproben.
schungsvorhaben des Bundes oder einzelner
Länder handhabbar dokumentiert und so in weiteren Kommunen veran- Der konsequente Einsatz von Konzeptvergakert werden. Besonders wünschenswert wäre, hier ein System des kollegi- ben zum Verkehrswert oder zu einem polialen Lernens zu ermöglichen, in dem kommunale und zivilgesellschaftliche tisch ausgehandelten Preis wird dazu fühAkteure aus ähnlichen Städten zusammenkommen können. Begleitet wer- ren, dass lokale, am Gemeinwohl orientierte
den sollte dieser Austausch von der Entwicklung rechtssicherer Handrei- Anbieter gestärkt werden und als stabile
chungen, die eine verlässliche Grundlage für kommunales Handeln sind. und erreichbare Partner kommunaler Politik
Außerdem muss der Verfahrensrahmen so dargelegt werden, dass er auch einen wichtigen Beitrag zur Stadtentwickvon Immovielienmachern verstanden werden kann.
lung leisten.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
15
1. FORDERUNG
BODEN
1.3 FÖRDERUNG DES
BODENERWERBS FÜR
GEMEINWOHLORIENTIERTE
INVESTITIONEN
1.4 EINRICHTUNG VON
ZIVILGESELLSCHAFTLICHEN
BODENFONDS
Will man die Wirkung der vorgenannten Instrumente für Stadtentwicklung
und Gesellschaft »heben«, ist eine Förderung des Bundes und / oder der Länder sinnvoll, mit der Grundstücke für gemeinwohlorientierte Zwecke für Dritte gesichert werden können. Ob dies mit einem eigenständigen Fördertatbestand im Rahmen der Bund-/Länderprogramme der Städtebauförderung
oder durch eine Anpassung der Verwaltungsvereinbarung durchzusetzen ist,
ist zu prüfen.
Die Bereitstellung von Boden für Immovielienprojekte ist nicht nur eine
staatliche Aufgabe. Auch zivilgesellschaftliches Kapital kann einen spürbar
positiven Beitrag dazu leisten, dass Boden gemeinwohlorientiert entwickelt
und genutzt wird. Die Stiftung trias, die Stiftung Kulturland, die Montag Stiftung Urbane Räume, die Stiftung Edith Maryon, das Mietshäuser Syndikat
und die Regionalwert AG machen es z. B. in Form von Stiftungen, gAGs,
GmbH-Holdings u. ä. vor: Es werden vor Spekulation gesicherte Anlagen getätigt und langfristig bzw. dauerhaft gemeinwohlorientiert verwendet; sei es
über eine gemeinnützige Vermögensanlage, eine besondere GmbH-Konstruktion, das Erbbaurecht oder andere Instrumente. Die vorhandenen treuhänderischen Fonds wachsen beständig. Bei nicht wirtschaftlich arbeitenden
Nutzungen funktionieren sie allerdings nur mit Zustiftungen / Spenden. Speziell beim Wohnen schaffen es sowohl die Stiftung trias als auch das Mietshäuser Syndikat, ausreichend Rücklagen für das Wachstum der Gruppe / der Stiftung / des Fonds zu bilden. Darüber hinaus bieten diese Fonds heute schon
Beratungs- und Wissensressourcen an, die der Realisierung der Projekte zu
Gute kommen.
Die Bindung der Immobilie auf die gemeinnützigen oder gemeinwohlorientierten Ziele muss über ein Erbbaurecht oder andere dauerhaft wirksame Instrumente festgelegt werden. Im Falle des Scheiterns wäre das Grundstück
dann für die Gemeinde gesichert.
Auf diesem Wege müssen auch lokale Bodenfonds gefördert werden, deren
mittelbarer Zweck die Sicherung von Schlüsselgrundstücken für gemeinwohlorientierte Zwecke ist. Diese Fonds sollten revolvierend funktionieren
können, aber nicht müssen. Denn ggf. hat
Anpassung der Städtebauförderung, um den
das Belassen der Überschüsse bei den geErwerb von Grundstücken und den langfristimeinwohlorientierten oder gemeinnützigen
gen Behalt nicht nur für öffentliche, sondern
Nutzungen einen größeren Effekt als die
auch für gemeinwohlorientierte Zwecke zu ermöglichen.
Rückzahlung in die öffentlichen Haushalte.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
Gemeinnützige zivilgesellschaftliche Institutionen können und sollten im Bereich der gemeinwohlorientierten Immobilienentwicklung strategisch als
Partner der öffentlichen Hände auftreten und ihre besondere Befähigung,
über die Erfüllung ihrer Zwecke einen NutZivilgesellschaftliche Akteure sollten ihre zen für die Allgemeinheit zu generieren, einPraxis mit dem Erwerb und der Entwicklung bringen.
von Boden und Immobilien für Immovielien
gemeinschaftlich dokumentieren und so für weitere alternative Fonds Anregungen geben und Vorbild sein.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
16
17
RAUM FÜR
NOTIZEN
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19
GUTES
GELD!
2. FORDERUNG
FINANZIERUNG
AUF EINEN BLICK
Kooperative Finanzierung handhabbar machen
Bürgschaftsschirm oder Bürgschaftsbank für Immovielien
Überprüfung und Anpassung des Kleinanlegerschutzgesetzes und
der Wohnimmobilienkreditrichtlinie
20
Leihen und Schenken sind wichtige
Bausteine für eine solidarische
Stadtgesellschaft.
Der Bürgschaftsschirm des NRW-Finanzministeriums und der NRW.Bank für kleine
Bewohnergenossenschaften ist ein Anfang.
Die Finanzierungspraxis sog. Alternativbanken setzt weniger auf die Lage eines
Objektes und mehr auf die Tragfähigkeit
und Glaubwürdigkeit der Gruppe.
»Lieber 1.000 FreundInnen im Rücken als eine Bank im Nacken.« Dieser inoffizielle Wahlspruch des Mietshäuser Syndikats bringt das schwierige Verhältnis zwischen Immovielien
und den meisten Finanzierern und Finanzierungsformen auf
den Punkt.
Denn Immovielien bedeuten für die Geschäftsbanken in der
Regel: ungewohnte Klientel, keine Reserven in den Vermögenshintergründen, schwierige Immobilien und vor allem
keine klassische Rendite- oder Shareholderorientierung. Und
obwohl Immovielien durchaus eine unternehmerische Kultur
haben und wirtschaftlich handeln, reicht ihnen meist eine
schwarze Null oder die Finanzierung ihres ideellen oder gemeinwohlorientierten Betriebs.
► Da die Projekte auf lokale Bedürfnisse reagieren, handelt
es sich immer wieder aufs Neue um Individualfinanzierungen. Darum haben sich die sogenannten Alternativbanken zu
Spezialanbietern in diesem Segment entwickelt und die lokalen Geschäftsbanken (Genossenschaftsbanken, Sparkassen),
die die Standorte und ihr Entwicklungspotenzial besonders
gut kennen müssten, finanzieren häufig nicht.
► Auch die Förderbanken platzieren ihre Kredite der Wohnungsbauförderung bei kleinen, sehr komplexen Projekten
gewöhnlich im ersten Rang oder fragen hohe Sicherheiten
ab, die die Projekte in der Regel nicht mitbringen können.
Die fehlenden Sicherheiten wiederum verschlechtern die
Ausgangslage der Immovielienprojekte im Vergleich zu größeren Entwicklern und gegenüber den Geschäftsbanken.
► Hinzu kommt, dass die Änderungen im Vermögensanlagegesetz und die neuen Wohnimmobilienkreditrichtlinien gerade in das Thema »Gemeinschaftliche und Crowdfinanzierung« zusätzliche Unsicherheiten hineingebracht und neue
Hürden aufgebaut haben.
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2. FORDERUNG
FINANZIERUNG
2.1 KOOPERATIVE FINANZIERUNG HANDHABBAR
MACHEN
2.2 BÜRGSCHAFTSSCHIRM
ODER BÜRGSCHAFTSBANK
FÜR IMMOVIELIEN
Die bürokratischen Hürden aus verschiedenen Gesetzen, so auch das Kreditwesengesetz (KWG), das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) und die Merkblätter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), ergeben einen Regelungsdschungel, der von Laien aber auch von den finanzierenden
Banken kaum durchschaut werden kann.
Die fehlenden Sicherheiten, die Immovielienprojekte mitbringen, sollten über
Bürgschaftsmodelle abgesichert werden. Hier bietet sich grundsätzlich an,
entweder die Förderbanken mit entsprechenden Sicherheiten auszustatten
oder eigenständige – nicht staatliche – Bürgschaftsmodelle zu entwickeln.
Die NRW.Bank z. B. hat für die Neugründung von und die Investition in Bewohnergenossenschaften ein Förderpaket aufgelegt, in dem sowohl die Aufbauphase begleitet als auch die Bonität in der Gründungsphase über eine
Ausfallbürgschaft des Finanzministeriums NRW erhöht werden kann. Diese
Ausfallbürgschaft kann auch bei Darlehen für die Investition in den Bestand
und für die Neuschaffung von Wohnraum gewährt werden. Damit kann für
das Projekt erreicht werden, dass die NRW.Bank mit ihrer Förderung in den
Nachrang tritt und die mitfinanzierenden Geschäftsbanken den ersten Rang
einnehmen können.
Spätestens nach der Einführung des Kleinanlegerschutzgesetzes zum 1. Januar 2016 sind nun einfache, gut verständliche Finanzierungsmuster notwendig, die den gesetzlichen Anforderungen genügen, gleichzeitig aber einfach
anzuwenden sein müssen.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
Die Stiftung trias entwickelt gerade eine gut
lesbare Handreichung für kooperative und
gemeinwohlorientierte Immobilienfinanzierungen. Auf dieser Basis sollte (von der BaFin oder dem Finanzministerium) ein eigenes Regelwerk zur Finanzierung von Immovielienprojekten aufgebaut werden, das eigene Standards für Immovielienprojekte anwendet.
Für die Mittelstandsförderung wurden in den 1950er Jahren Bürgschaftsbanken in Selbsthilfe durch die Handwerks- und/oder Industrie- und Handelskammern sowie mit weiteren Partnern gegründet. Sie arbeiten unabhängig
von unmittelbarem staatlichen Einfluss, aber – so in Baden-Württemberg –
auf der Basis von Rückbürgschaften von
Die Förderstrategie der NRW.Bank mit dem Bund und Ländern. Die Einrichtung einer eirückabsichernden Finanzministerium auf Im- genen Bürgschaftsbank wäre zu überlegen.
movielien und auf andere Landesförderban- Jedoch ausdrücklich ohne die üblichen hoken ausweiten. Und die Möglichkeiten für eine zivilgesellschaftliche Bürg- hen Gewinnerwartungen für Eigenkapital erschaftsbank für gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung im Rahmen setzende Mittel, aber durchaus dort, wo
eines Forschungs- / Rechercheauftrags eruieren.
machbar, revolvierend.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
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23
RAUM FÜR
NOTIZEN
2. FORDERUNG
FINANZIERUNG
2.3 ÜBERPRÜFUNG UND ANPASSUNG
DES KLEINANLEGERSCHUTZGESETZES
UND DER WOHNIMMOBILIENKREDITRICHTLINE
Im Nachgang der Prokon-Affaire wurde das sogenannte Kleinanlegerschutzgesetz entwickelt und zum 1. Januar 2016 implementiert. Es gibt noch keine
ausgeprägte Praxis mit der Anwendung dieses Gesetzes, aber es zeichnet
sich ab, dass auch einige Immovielienprojekte dadurch prospektpflichtig
werden, die ihre Finanzierung vor allem mit ihrem unmittelbaren, zumeist
persönlich bekannten Umfeld gestalten. Auch die sehr niedrig angesetzte
Begrenzung der Höhe von Privatdarlehen ist gerade bei Immovielienprojekten ein Problem. Beide Bedingungen stellen neue Hürden für Immovielienprojekte auf. Insbesondere erhöhen sie den Verwaltungsaufwand. So wichtig
der Schutz der Kleinanleger gegenüber überregionalen oder internationalen
Anlageprodukten ist, so schwierig ist seine
Wirkung auf dynamische und kooperativ
entwickelte Projekte. Und auch die gerade
verschärfte Wohnimmobilienkreditrichtlinie
scheint neue Hürden für Immovielien aufzubauen.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
24
Evaluation des Kleinanlegerschutzgesetzes
und der Wohnimmobilienkreditrichtlinie ab
2017 und ggf. Nachsteuerung für Immovielienprojekte.
25
3. FORDERUNG
FÖRDERUNG
ANDERE
FÖRDERUNG!
AUF EINEN BLICK
Förderung von Vorarbeiten
Förderung von Beratung
Von guten Förderprogrammen lernen
Das Programm »Initiative ergreifen –
Bürger machen Stadt« hat mehr als
90 Projekte auf den Weg gebracht.
Das Elsebad in Schwerte zeigt, wie sich
städtische Förderung und ehrenamtliches
Engagement gegenseitig stützen können.
Das Jugend.Stadt.Labor des BBSR
organisiert Freiheiten für den
unkomplizierten Start von Projekten.
Immovielien sind durchaus auch ohne Fördermittel sehr erfolgreich. Viele Immovielien verzichten auch wegen komplizierter Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, manchmal auch wegen »überzogener Baustandards«, auf Förderung. Und das obwohl sie in der Regel einen großen Nutzen
für das allgemeine Wohl haben und Denkmäler erhalten,
Raum für alternative Arbeitsplätze zur Verfügung stellen
oder die Daseinsvorsorge der Kommunen mit selbst organisierten Angeboten ergänzen.
Viele Immovielienideen können allerdings trotz tragfähiger
Betriebskonzepte und großem Engagement nicht realisiert
werden, weil in der Anlaufphase sowohl Ressourcen für professionellen Rat in der Vorbereitung als auch Ressourcen für
die notwendigen Investitionen fehlen. Manche bleiben nach
einer guten Startphase auch auf halber Strecke liegen, weil
ihnen in Krisensituationen die gesellschaftlichen Zugänge zu
den Banken, Fördergebern oder Entscheidern fehlen.
Die Hürden, die vor der Förderung zu bewältigen sind und
die mit öffentlicher Förderung entstehen, sind vielfältig.
► Immovielien fallen wegen ihrer vieldimensionalen Nutzungsstrukturen und vielfältigen Partnern häufig durch vorhandene Förderraster oder müssen mehrere Förderschienen
mit verschiedenen Logiken bedienen.
raumförderung, energetische Sanierung, inklusiver Ausbau),
entstehen komplizierte Förderbedingungen und Verwendungsnachweispflichten, die kaum zu bewältigen sind. Denn
anders als die Partner der Wohnungswirtschaft oder kommunale Gesellschaften haben sie gemeinhin keine auf Förderung spezialisierte Abteilungen.
► Nahezu alle Förderzugänge fordern eine abgeschlossene
Planung des betreffenden Objektes. Dies steht einer schrittweisen und damit robusten Entwicklungsstrategie im Weg.
► Gerade die Wohnraumförderung, die häufig von Immovielien in Anspruch genommen werden könnte, hält in vielen
Ländern und Kommunen an starren Vorgaben und Standards
fest, was gerade das Bauen im Bestand zusätzlich verkompliziert und verteuert.
► Die Städtebauförderung ist in der Regel für private Initiativen nicht zugänglich.
Bei dem Ruf nach Förderung ist es grundsätzlich an der Zeit,
die bekannte Fördermittelpolitik »Verlorener Zuschuss« auf
den Prüfstand zu stellen. Teilweise revolvierende Fonds können interessante Alternativen zu bisherigen Fördermittellogiken sein. Mit dem zeitnahen Auslaufen des Solidarpakts
und der europäischen Strukturförderung vor allem im ländlichen Raum braucht es diesbezüglich neue Perspektiven.
► Wenn sie Förderungen kombinieren wollen (z. B. Wohn-
26
27
3. FORDERUNG
FÖRDERUNG
3.1 FÖRDERUNG
VON VORARBEITEN
3.2 FÖRDERUNG
VON BERATUNG
Immovielien sind extrem spezifische Investitionen in komplexe Standorte.
Das heißt, sie lassen sich in aller Regel nicht standardisiert bearbeiten, und
sie brauchen fein durchgearbeitete Lösungen für knifflige Probleme – und
zwar sowohl die städtebaulich-architektonische als auch die immobilienwirtschaftliche Realisierung betreffend. Die dafür notwendigen Vorarbeiten sind
in der Regel weder finanzierungs- noch förderfähig. Das schreckt die meisten privaten Initiativnehmer davon ab, ein Projekt zu beginnen, da sie mit der
Investition in die Vorarbeiten auch ins private wirtschaftliche Risiko gehen.
Vorarbeiten für Immovielienprojekte sollten
entweder im Rahmen des jeweiligen Förderzugangs förderfähig sein oder über einen gesonderten Förderzugang unterstützt werden
können. Wichtig ist, dass die Entwicklungskosten zu großen Teilen (ähnlich der Existenzgründung) über Förderbanken abgesichert sind und das private Risiko minimiert
wird.
28
DIE ERSTEN
SCHRITTE
Ausgewählte Landesförderbanken sollten die
Hürden, die für eine Förderung von Vorarbeiten bestehen, gemeinsam beschreiben. Auf
Bundesebene (BMUB, Bauministerkonferenz) sollte beraten werden, wie
Wohnraum- und Städtebaufördermittel regelhaft für Vorarbeiten gewährt
werden können. Erste Anwendungsfälle sollten im Rahmen des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus geschaffen werden.
Da Immovielienmacher gewöhnlich nur ein oder zwei Mal in ihrem Leben als
Investierende auftreten, brauchen sie Ratgeber, die ähnliche oder vergleichbare Erfahrungen gemacht haben oder sich über zahlreiche Beratungen qualifiziert haben. Die konkrete Bauberatung ist dabei nur ein, aber nicht das
größte Problem. Wichtiger ist die Beratung im Vorfeld. Kann sich das Vorhaben überhaupt ökonomisch tragen? Ist die Markteinschätzung für das Angebot einigermaßen realistisch? Gibt es Wege, die Investitionskosten zu senken? Welche Finanzierungswege und -fallen gibt es?
Für diese Fragen gibt es in unterschiedlichen Konsortien bereits qualifizierte
ehrenamtlich arbeitende (Mietshäuser Syndikat) oder kostenpflichte Ratgeber (Wohnbund, STATTBAU, Ratgebernetzwerk Wohnprojekteportal). Für Immovielien aber – also für Angebote, die Beiträge zur Daseinsvorsorge leisten,
aber wenig privaten Nutzen generieren –
Die Länder sollten entweder im Rahmen ihrer gibt es dieses Angebot nur in NRW.
Engagementstrategien oder in der Städtebauförderung grundsätzlich Mittel für die
konkrete und verbindliche Beratung von Immovielien zur Verfügung stellen
und sich hier die Förderung von Existenzgründungen und wirtschaftlichen
Innovationen zum Vorbild machen. Die Erprobungsphase eines passenden
Beraterpools könnte durchaus im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik oder eines anderen Zugangs der Bundesförderung unterstützt
werden. Ziel sollte ein dauerhaft – auch zivilgesellschaftlich unterstütztes
– Netz für eine »kollegiale« Beratung sein.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
29
RAUM FÜR
NOTIZEN
3. FORDERUNG
FÖRDERUNG
3.3 VON GUTEN FÖRDERPROGRAMMEN LERNEN
Die Förderzugänge, die Immovielien in Anspruch nehmen können, sind prinzipiell zahlreich: Wohnraumförderung, Städtebauförderung (wenn die Kommune mit an Bord ist), energetische Sanierung, Förderungen der ARGE, inklusives oder familiengerechtes Bauen, Förderungen der Aktion Mensch oder des
Familienministeriums u.v.m. Die richtigen und passenden Förderzugänge zu
finden, ist eine eigene Herausforderung, die aber vom Wesentlichen ablenkt:
der Programmierung, Finanzierung und sozialen Entwicklung einer Immovielie. Auch klassische Förderdatenbanken reichen bei der Komplexität der Vorhaben nicht aus.
Für Immovielien ist es notwendig, unterschiedliche Förderzugänge landesseitig zusammenzubinden und – bezogen auf die Städtebauförderung –
den Erwerb und langfristigen Behalt von
Es werden Landesregierungen gesucht, die
Grundstücken auch für gemeinwohlorienInteresse daran haben, das Programm »Inititierte Projekte zu ermöglichen (siehe Fordeative ergreifen – Bürger machen Stadt« als
rung Boden und Vergabe). NRW hat mit dem
Programm »Initiative ergreifen – Bürger ma- Inspiration zu nutzen. Der Bund sollte es den Ländern ermöglichen, dieses
chen Stadt« ein Programm entwickelt, das über eine Anschubförderung oder über die Aufnahme der Kerninhalte von
»Initiative ergreifen« in die Städtebauförderung umzusetzen. Parallel dazu
mehr als 90 Projekte ermöglicht hat.
sollten in den Ländern Agenten gesucht werden, die den Immovielien im
Förderzeitraum und beim Zugang zu den Mitteln zur Seite stehen.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
30
31
4. FORDERUNG
RECHT UND STEUERN
PASSENDES
RECHT!
AUF EINEN BLICK
Besondere steuerliche Stellung für gemeinwohlorientierte Immobilienbewirtschaftung
Unternehmensform für wirtschaftliches bürgerschaftliches Engagement
32
Ob das »kleine g« oder eine gesonderte
Stellung außerhalb der Abgabenordnung
die richtigen Effekte hätte, bleibt zu
diskutieren.
Der Zentralverband der Konsumgenossenschaften e. V. hat zur Einführung einer
Kooperativgesellschaft (haftungsbeschränkt) eine Vorlage entwickelt.
Organisationen, die Immobilien der Spekulation entziehen,
Überschüsse aus der Bewirtschaftung für gemeinnützige
Zwecke verwenden oder Wohn-, Arbeits- und Gemeinschaftsräume zur Kostenmiete bereitstellen, leisten einen
wichtigen Beitrag zu einer chancengerechten Stadtentwicklung. Die besondere kooperative Entwicklung dieser Projekte
wird weder steuerrechtlich noch durch eine besondere
Rechtsform besonders gestellt. Das führt zu folgenden Problemen:
► Die Herstellung oder die Vermietung von Raum für gemeinnützige Zwecke ist kein Tatbestand der Abgabenordnung. Einige Immovielien sind darum nur über Umwege gemeinnützig. Besonders leicht fällt dies, wenn sie ein oder
mehrere denkmalgeschützte Gebäude in ihrem Portfolio haben und die Denkmalpflege in ihrer Satzung verankern. Ist
aber kein Denkmal vorhanden oder Denkmalpflege auch de-
finitiv kein Zweck der Organisation, müssen andere gemeinnützige Zwecke der Abgabenordnung erfüllt und über Projekte belegt werden.
► Kleine kollektive Organisationen, deren Zweck auf eine
wirtschaftliche Tätigkeit ausgerichtet ist (z. B. Immovielien),
brauchen eine haftungsbeschränkte Rechtsform, die kostengünstig und unbürokratisch zu handhaben ist und das demokratische Miteinander fördert. Dafür findet sich weder im
Vereins- und Unternehmensrecht noch im Genossenschaftsrecht passende juristische Formen. Der wirtschaftliche Verein erweist sich in der Genehmigungspraxis als schwierig,
die Genossenschaft hat einen hohen Gründungsaufwand und
bringt hohe Prüfungs- und Verwaltungskosten mit sich,
GmbHs und GbRs sind nur in Sonderkonstruktionen dazu in
der Lage, kooperative und kollektive Prozesse abzubilden.
33
4. FORDERUNG
RECHT UND STEUERN
4.1 BESONDERE STEUERLICHE STELLUNG FÜR GEMEINWOHLORIENTIERTE
IMMOBILIENBEWIRTSCHAFTUNG
Das gemeinwohlorientierte Investieren in und Bewirtschaften von Immobilien
sollte von der Körperschaftssteuer befreit und zuwendungsfähig werden.
Dafür müsste wahrscheinlich ein neuer Gemeinnützigkeitstatbestand in die
Abgabenordnung aufgenommen werden, der
Das Finanzministerium sollte steuerliche
das Herauslösen einer Immobilie aus den
Szenarien entwickeln oder deren Erstellung
spekulativen Kreisläufen der Immobilienunterstützen, damit für ausgewählte Immowirtschaft anerkennt. Es sollte auch ermöglicht werden, steuerlich befreite Rücklagen vielienprojekte geprüft werden kann, welche steuerrechtlichen Voraussetzungen zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit notwendig wären und was
für die Instandhaltung zu bilden.
der Status der Gemeinnützigkeit konkret an Steuerersparnissen zur Folge
hätte.
4.2 UNTERNEHMENSFORM FÜR
WIRTSCHAFTLICHES BÜRGERSCHAFTLICHES ENGAGEMENT
Der Konvent »Immobilien für viele – Gemeinwohl gemeinsam gestalten« unterstützt das in der Regierungskoalition 2013 festgelegte Ziel, eine geeignete
Unternehmensform für wirtschaftliches bürgerschaftliches Engagement zu
schaffen. Er teilt die Auffassung des Bündnisses »Rechtsform für Engagement« und des Zentralverbandes der Konsumgenossenschaften, dass diese
neue Form am schlüssigsten aus dem Genossenschaftsrecht heraus entwickelt werden könnte.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
34
DIE ERSTEN
SCHRITTE
Der Konvent »Immobilien für viele – Gemeinwohl gemeinsam gestalten« unterstützt das
Rechtsformbündnis für Engagement und fordert eine Neubefassung der Landesjustizministerkonferenz mit dessen
Forderungen in der neuen Legislaturperiode.
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RAUM FÜR
NOTIZEN
36
37
5. FORDERUNG
KOMMUNEN UND INITIATIVEN
MEHR
AUGENHÖHE!
AUF EINEN BLICK
Kompetenzaufbau »Kooperative Stadtentwicklung«
Beratungsstrukturen für lmmovielien
Handbuch »Immobilien für viele«
38
Bellevue die Monaco und Gängeviertel
haben es vorgemacht: Augenhöhe entsteht
manchmal nur mit Ironie, Lautstärke,
Trommeln und Trompeten.
Die Initiativen aus den 1980er Jahren – wie
die ufaFabrik in Berlin oder die WOGENO eG
in München – zeigen, wie stabil, verlässlich
und innovativ gemeinwohlorientierte
Immobilienentwicklung sein kann.
ExRotaprint hat geschafft, was sich ein
internationaler Investor nicht zugetraut hat.
Die Projekte Martini44 und Planbude aus
Hamburg zeigen exemplarisch, wie Augenhöhe entsteht und gesichert werden kann.
Auf dem Weg zu einer vielgestaltigen, bunten und friedlichen
Gesellschaft brauchen wir vielfältige Akteure mit Zugängen
zu unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft. Immovielien
können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, ganz besonders
dann, wenn sie bereit sind, strukturelle Verantwortung für
inklusive und weltoffene Kultur-, Nachbarschafts- oder
Sportangebote zu übernehmen.
pe. »Die« sind politisch gesteuert und schaffen es nicht, objektiv zu entscheiden. Und »die« sind ideologisch verbohrt
und wissen alles besser.
Wenn Menschen aus der Verwaltung auf Immovielienentwickler treffen, sollte das also der Beginn interessanter Kooperationen sein. Tatsächlich begegnen sich kommunale Akteure und Immovielienmacher aber oft mit wechselseitigem
Misstrauen.
► Wechselseitiger Unkenntnis über die Motive, das Knowhow und die Notwendigkeiten, in welchem Rahmen der jeweilig andere handelt.
Viele kommunale Akteure trauen »standardisierten« Finanzinvestoren oder Bauträgern mehr Durchsetzungsstärke und
mehr Geschwindigkeit zu als lokalen und kooperativen Initiativen. Der Vorzug, dass Letztere keine oder wenig Rendite
erwarten und in der Regel nicht verschwinden, wenn es
brenzlig wird, wird kaum gesehen.
Viele Immovielienmacher haben ein prinzipielles Misstrauen
gegenüber linearen Verwaltungsstrukturen und politischen
Prozessen entwickelt, das nicht immer nur auf eigenen Erfahrungen gründet. Und die Konzentration auf die eigene Sache verdrängt den größeren Kontext – insbesondere das
kommunale Abwägungsgebot – aus dem Blickfeld.
Das hat zur Folge, dass die einen über die anderen schimpfen und »die« mit ihrem jeweiligen Verhalten an den Pranger
stellen: »Die« sind zu bürokratisch und lassen keine kreativen Entwicklungen zu. »Die« arbeiten doch nur im eigenen
Interesse und organisieren sich Vorteile für die eigene Grup-
Die Schwellen zwischen den beiden Szenen – der kommunalen und der kooperativen – sind dementsprechend hoch und
bestehen konkret aus:
► Unterschiedlichen Verhandlungs- und Entscheidungskulturen.
► Wechselseitiges Misstrauen ob der Motive, Leistungsfähigkeit und Verlässlichkeit des jeweiligen Gegenübers.
Für eine gute Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Initiativen sollten die Partner wohlwollend und im Wissen der
Bedeutung des jeweils anderen für die Nachbarschaft und
die Realisierung der Projekte kooperieren. Dazu sind erstens
eine offene Haltung und gegenseitige, unterstützende Anerkennung notwendig. Zweitens müssen kommunale Akteure
ihre Handlungsspielräume kennen und sich trauen, mit neuen Instrumenten auf neue Herausforderungen zu reagieren.
Und drittens müssen Initiativen zusätzlich zu ihrem hohen
persönlichen Engagement die nötige Ernsthaftigkeit, langfristige Verbindlichkeit und wirtschaftliche Tragfähigkeit mitbringen. Viertens brauchen unkonventionelle Projekte unkonventionelle Unterstützungsstrukturen oder -agenturen,
die zwischen den beiden Parteien vermitteln.
39
5. FORDERUNG
KOMMUNEN UND INITIATIVEN
5.1 KOMPETENZAUFBAU
»KOOPERATIVE STADTENTWICKLUNG«
5.2 BERATUNGSSTRUKTUREN
FÜR IMMOVIELIEN
Die Beispiele guter Kooperationen an der Schnittstelle Kommune – Immovielie sind trotz vieler Unkenrufe zahlreich und haben Tradition. Städte wie
Hamburg, München, Hannover oder Rostock haben immer wieder die Türen
aufgemacht für gemeinschaftlich bewirtschaftete Immobilien. Sicher auch,
weil sich die Zivilgesellschaft das eine oder andere Projekt heftig erstritten
hat.
Immovielienprojekte sind komplex und werden an der Schnittstelle zur öffentlichen Hand in der Regel noch komplexer. Anders als bei klassischen
(Wohn-)Immobilienentwicklern erarbeiten sich lokale Initiativen ihr Wissen
meist im Kontext eines oder weniger Projekte. Das führt häufig zu sehr guten, individuellen Lösungen, die auch als Innovationen für Dritte interessant
sind, aber eben auch zu sehr viel Reibungsverlust.
Andere Städte – wie z. B. Leipzig, Wuppertal, Rheine oder Schwerte – nutzen
ihre kooperative und unternehmerische Kultur schon sehr lange und traditionell relativ selbstverständlich, um krisenhafte Momente der Stadtentwicklung zu bewältigen oder einfach, weil sie es so gewohnt sind.
Es gibt bundesweit eine Vielzahl von Ratgebern und Netzwerken, die auf Förder- und Finanzierungsinstrumente und Fundraising, auf Träger- und Rechtsformen, also im Schwerpunkt auf spezialisierte Sachthemen ausgerichtet
sind. Viel seltener sind Unterstützungen, die sich auf ein Gesamtprojekt und
alle darin liegenden Herausforderungen beziehen.
Das Wissen um eine gelingende kooperative Stadtentwicklung mit neuen
Partnern muss inklusive der dahinterstehenden operativen Lösungen vor allem in den Weiterbildungsnetzwerken der Kommunen und in den Weiterbildungsinstituten der Wohnungswirtschaft aufgebaut werden. Hier gilt es Abschied zu nehmen von den Angeboten, die die »Profis« befähigen, die Zivilgesellschaft einzubinden. Kooperation braucht Augenhöhe. Nur so kann das
riesige Potenzial, das in der lokal engagierDie kommunalen Weiterbildungsträger (z. B.
ten, gemeinwohlorientierten Immobilienentvhw, difu) bieten Fortbildungen oder kollegiwicklung steckt, erschlossen und die strukales Lernen für mehr Kooperation zwischen
turelle Relevanz der vielen Einzelfälle für die
Daseinsvorsorge, das nachbarschaftliche Kommunen und Immovielien an und bedienen sich dabei der vorhandenen
Zusammenleben und die soziale Gerechtig- guten Praxis. Sie werden dafür vom Bund unterstützt.
keit genutzt werden.
Einige engagierte Netzwerke machen es aber seit den 1980er Jahren vor und
bieten gerade in der Start- und Einstiegsphase ehrenamtliche und hauptamtliche Beratungsnetzwerke an. Hinzu kommen lokale Brückenorganisationen
und freie Berater, die teilweise von der öffentlichen Hand mit Moderationsprozessen beauftragt werden, überwiegend aber darauf angewiesen sind, ihr
Honorar aus der Projektentwicklung selbst zu generieren. Das führt unter
anderem dazu, dass sie vor allem in Baugruppen- und Wohnungsbauprojekten Geld verdienen können.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
Intermediäre Beratungsstrukturen können Immovielienprojekte begleiten
und auch die nötige Selbstreflexion einfordern.
Da bei Immovielien die Absicht nicht eine private Rendite, sondern das Gemeinwohl ist, sollten Zugänge zu kostenfreiZivilgesellschaftliche Partner und Bundes- er oder geförderter Beratung geschaffen
bauministerium sollten eruieren, ob es mög- werden, die vor allem regionales Know-how
lich ist, die vorhandenen Beratungsnetzwer- bündeln und dort, wo es fachlich notwendig
ke darin zu unterstützen, gemeinwohlorientierte Wohn- und Nichtwohn- ist, Zugänge zu überregionalem Know-how
projekte mit zivilgesellschaftlicher und öffentlicher Förderung zu beraten.
schaffen können.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
40
41
RAUM FÜR
NOTIZEN
5. FORDERUNG
KOMMUNEN UND INITIATIVEN
5.3 HANDBUCH
»IMMOBILIEN FÜR VIELE«
Die Projekte an der Schnittstelle von gemeinwohlorientierten Akteuren, Immobilienwirtschaft und Kommune greifen auf den größtmöglichen Instrumentenkasten zurück. Es ist beeindruckend, wie hier auf kleinstem Raum unterschiedliche Förderzugänge, unterschiedliche Betreibermodelle, unterschiedliche Nutzungen mit unterschiedlichen Investitionsstrategien kombiniert werden. Das Wissen, das dort entsteht, wird häufig erst im Projekt
sichtbar. Es wäre sehr hilfreich, einige beispielhafte Immovielienprojekte so
zu erzählen und nachvollziehbar zu machen, dass die grundlegenden und
prinzipiellen Verfahren und Instrumente inDie Partner des Konvents wollen – gerne mit
klusive der wichtigsten Erfahrungen und erUnterstützung der öffentlichen Hand – ein
gänzenden Arbeitshilfen nachvollziehbar geHandbuch »Immobilien für viele« entwimacht werden. Ein Leitfaden dazu, an welcher Stelle Immovielien welche Beratung be- ckeln, das den Instrumentenkasten der Immovielienentwicklung sowohl
für Kommunen als auch für Initiativen zugänglich macht und anhand einikommen können, ist wünschenswert.
ger Beispiele die wichtigsten Bedingungen für das Gelingen von Immovielien aufzeigt.
DIE ERSTEN
SCHRITTE
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IMMOVIELIEN
PROJEKTE
Lernen Sie von der Energie und dem
Engement einiger vieler, für die wir auf
diesem Konvent denken.
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Bellevue di Monaco, München
Stadtteilzentrum Bonni, Gelsenkirchen
Elsebad, Schwerte
ExRotaprint, Berlin
Gängeviertel, Hamburg
Grethergelände, Freiburg
HAL Atelierhaus, Leipzig
Handwerkerhof Ottensen, Hamburg
Haus der Statistik, Berlin
Kompott, Chemnitz
Martini44, Hamburg
Menschenskinder, Darmstadt
Nachbarschaft Samtweberei, Krefeld
Nordbahntrasse, Wuppertal
PLATZprojekt, Hannover
ps wedding, Berlin
Rohrmeisterei, Schwerte
Saline 34, Erfurt
Schaubühne Lindenfels, Leipzig
Schwabehaus, Dessau
Straze, Greifswald
ufaFabrik, Berlin
Utopiastadt, Wuppertal
WOGENO, München
45
BELLEVUE DI MONACO
MÜNCHEN
© Axel Öland
Das Bellevue di Monaco liegt im Glockenbachviertel, einem
der begehrtesten Wohn- und Ausgehviertel Münchens. Trotz
der entsprechend hohen Mietpreise wohnen hier viele Familien. In direkter Nähe zu den drei Häusern des Bellevue di
Monaco liegt die Glockenbachwerkstatt (www.glockenbachwerkstatt.de), ein vor etwa 30 Jahren aus einer Bürgerinitiative gegründetes Bürgerhaus mit Kindertagesstätte, die
stark mit der Entstehung des Bellevue verwoben ist.
Als die Stadt München im Jahr 2011 den Bolzplatz auf dem
Grundstück der Glockenbachwerkstatt bebauen will, macht
sich der prominente Konzertveranstalter und Kulturmanager
Till Hofmann – auch engagierter Vater, dessen Kinder die
Kindertagesstätte besuchten – für den Erhalt stark. Er ist
gut vernetzt in die Münchner Kulturszene und Gesellschaft,
hat Kontakte zur Politik und Verwaltung und kennt viele Personen des öffentlichen Lebens in München.
Besonders interessant für den Konvent, weil… die Macher es geschafft haben, in der hochpreisigen Münchner Innenstadt gemeinsam mit
der Kommune bezahlbare Mieten und engagierte Nachbarschaftsarbeit
auf die Beine zu stellen. Und weil das Projekt zeigt, wie wichtig die Kommunikation nach außen, Unterstützung aus dem öffentlichen Leben und
die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit für das Gelingen von Immovielien
sind.
Ort
München
Initiator/Träger
Bellevue di Monaco eG
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Wohnen, Begegnen, Beraten, Unterstützung von geflüchteten Menschen
Projektphasen
2015 Gründung der Sozialgenossenschaft
Projektgröße
Gesamtgelände 8.000 qm
Müllerstraße 6: 8 Wohnungen für bis zu 16 junge Erwachsene von 18–25 Jahren in 2er WGs
Müllerstraße 4: 6 Wohnungen für Familien und Alleinerziehende
Müllerstraße 2: Kulturraum für Veranstaltungen, Büros etc. auf 2 Etagen
Internet
www.bellevuedimonaco.de
46
So ist es für ihn kein Problem, auf dem Bolzplatz ein Fußballspiel mit Sebastian Schweinsteiger zu organisieren. Damit
hat der Protest in der Öffentlichkeit die notwendige Aufmerksamkeit erhalten – und der Bolzplatz kann bleiben.
2013 werden die Häuser des heutigen Bellevue di Monaco
zum Politikum, weil sie leerstehen und viele Menschen dies
angesichts des knappen Wohnungsmarktes als Skandal
empfinden. Wortführer dieses Protestes sind wieder Prominente der Stadt. Die zentrale Botschaft: Es gibt kaum günstigen Wohnraum für arme und / oder geflüchtete Menschen im
Stadtkern, sie werden an den Stadtrand verdrängt. Die Macher präsentieren ihre Forderungen medienwirksam der Öffentlichkeit bzw. den Verantwortlichen der Stadt München
und zeigen auf, dass ein Erhalt der Häuser möglich und ein
Neubau um ein Vielfaches teurer als die Instandsetzung
wäre.
Daraufhin nimmt der Stadtrat den Beschluss, zwei der drei
Häuser abzureißen, parteiübergreifend zurück. Die Initiatoren entwickeln anschließend gemeinsam das Wohn- und
Kulturprojekt »Bellevue di Monaco« als Sozialgenossenschaft. Die Häuser an der Müllerstraße werden nicht abgerissen, sondern im Erbbaurecht von der Stadt München vergeben. Im Januar 2016 erteilt der Stadtrat der Vergabe an
Bellevue di Monaco eG den Zuschlag.
Alle Flächen der Gebäude, die dafür zugelassen sind, sollen
als Wohnraum für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
und für Familien oder alleinerziehende Geflüchtete umgebaut werden. Außerdem soll ein Begegnungszentrum mit einem Info-Café als offener Treffpunkt für die Nachbarschaft
entstehen und Beratung und Information für (neuankommende) Flüchtlinge wie auch konkrete Lebenshilfe angeboten werden. Der Cafébetrieb wird gemeinsam mit Flüchtlingen organisiert und umgesetzt.
Die Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco wird im März
2015 mit Unterstützung der WOGENO eG gegründet. Mittlerweile zählt sie 340 Mitglieder aus völlig unterschiedlichen
gesellschaftlichen Kreisen. Die Geschäftsanteile bilden das
Eigenkapital der Genossenschaft und werden in die Sanierung und Ausstattung der Räumlichkeiten investiert. Mitglied werden können private Personen ebenso wie Verbände,
andere Unternehmen und Firmen. Zusätzlich zur Einlage wird
ein einmaliges Beitrittsgeld erhoben, das zur Deckung der
laufenden Kosten verwendet wird. Dieses beträgt für natürliche Personen 50 Euro, für gemeinnützige Verbände und Organisationen 250 Euro und für andere Personengesellschaften und juristische Personen 1.000 Euro. Die anderen Einnahmen der Sozialgenossenschaft aus Eintrittsgeldern,
Spenden und Zuschüssen kommen der Jugendhilfe, Beratung
sowie Kunstprojekten und dem Kulturprogramm unter dem
Dach des Willkommenszentrums in der Müllerstraße zugute.
Das Bellevue di Monaco kann auch durch Spenden und ehrenamtliche Mitarbeit unterstützt werden. Im laufenden Betrieb werden Mieteinnahmen für die über das Jugendamt
vermittelten Bewohner eingenommen. Der an die Stadt zu
entrichtende jährliche Pachtzins, der für den 40-jährigen
Erbbaurechtsvertrag gezahlt werden muss, wird u. a. durch
diese Mieteinnahmen refinanziert.
HÜRDEN
Augenhöhe und Vertrauen: Trotz der großen Rückendeckung von Personen aus dem öffentlichen Leben waren die Akteure ständig mit Zweifeln und Kritik konfrontiert. Sie fordern mehr Vertrauen in Bürgerinitiativen von Stadtverwaltung und Politik.
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STADTTEILZENTRUM BONNI – LEBEN IN HASSEL
GELSENKIRCHEN-HASSEL
© Peter Liedtke
Besonders interessant für den Konvent, weil… sehr unterschiedliche Partner sehr eng zusammengearbeitet haben und ein evangelisches
Gemeindezentrum mit Jugendhaus in Gelsenkirchen zum Stadtteilzentrum
und dann von einer Bürgerstiftung gesichert, um- und ausgebaut wurde.
Die Kirchenimmobilie wird der Bürgerstiftung in einem Dauernutzungsvertrag überlassen. Diese bisher einmalige rechtliche Konstruktion erforderte
viel juristischen Sachverstand und zähe Verhandlungen.
Ort
Gelsenkirchen-Hassel
Initiator/Träger
Bürgerstiftung Leben in Hassel
www.bonni.org
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Jugendzentrum, Gastronomie, Stadtteilzentrum,
Beratungsangebote, Theater, Sport, Fahrradwerkstatt
Projektphasen
2008 Start Gründung eines Vereins, 2011 Gründung der Bürgerstiftung, Gründung der Stadtteilzentrum gGmbH, 2013–2015 Um- und Neubau, seit Oktober 2015 in Betrieb, Außenanlagen und Kirche werden noch weiter gebaut.
Projektgröße
Nutzfläche Gemeindezentrum: 2.180 m², Nutzfläche Außenbereich: 5.000 m²
Internet
www.lebeninhassel.de
48
Ausgangslage war ein evangelisches, teilhabeorientiertes
Gemeindezentrum aus den 1960er Jahren, das aufgrund der
schwindenden Finanzen der Landeskirche geschlossen werden sollte. Schon in den 1990er Jahren wurde darum eine
Zukunftsvision entwickelt, mit professioneller Unterstützung
und viel Ehrenamt wurden neue Netzwerke und Strukturen
aufgebaut (Zukunftswerkstätten). Die Leitidee war, ein Ort
der Mitwirkung zu werden, in dem Engagement, Integration,
Partizipation, interkulturelle Teilhabe und Offenheit Platz finden. Das Ergebnis ist die Bürgerstiftung Leben in Hassel. Sie
wird im September 2011 nicht nur aus der Bürgerschaft, sondern auch von den Religionsgemeinschaften und vielen Akteuren aus der lokalen Wirtschaft gegründet. Im Kuratorium
sind außerdem der Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen (qua Amt: derzeit Frank Baranowski) und im 15-köpfigen Beirat ist u. a. der Soziologieprofessor Dr. Klaus Strohmeier vertreten.
Dem breit aufgestellten Gremium ist es gelungen, die Handelnden vor Ort dabei zu unterstützen, dass das Förderprogramm »Initiative ergreifen« des Landes NRW Fördermittel
in Höhe von 3,7 Millionen Euro für den Um- und Neubau des
Zentrums zur Verfügung gestellt hat. So konnte mit zusätzlichem Anteil durch die Stadt Gelsenkirchen und mit einem Eigenanteil das ca. 4,5 Millionen Euro teure neue Stadtteilzentrum Bonni im Herbst 2015 eröffnet werden.
In dem langen Prozess ist es gelungen, mehr als 20 Ehrenamtler strukturell und aktiv einzubinden. Kontinuierliches
Ehrenamt von den Nutzern des Bonni und vielen weiteren
Stadtteilbewohnern hat dann insgesamt 4.000 Stunden Eigenleistung als Muskelhypothek-Beitrag der Bürgerstiftung
zur Finanzierung erbracht.
Zentrale Bausteine im Bonni, das von der Stadtteilzentrum
gGmbH geführt wird, sind die Küche als Integrationsbetrieb
mit sechs Mitarbeitern und die Fahrradwerkstatt als UG und
Meisterbetrieb. Besonders hierbei ist, dass das örtlich ansässige BP-Werk, das auch einen Platz im Beirat der Bürgerstiftung inne hat, einen festen Vertrag mit der Fahrradwerkstatt zur Wartung der Werksräder abgeschlossen hat.
Das garantiert Stabilität für den Betrieb und Geld für die Bewirtschaftung des Bonni, ganz so, wie der Cateringbetrieb
der Küche für regelmäßige Einnahmen sorgt.
Auch die Mietverträge mit anderen Nutzern und das Management der Veranstaltungsräume inklusive eines gut ausgestatteten kleinen Theaterraums für darstellende Künste,
Konzerte, Lesungen oder Diskussionsveranstaltungen bringt
Leben und teilweise Geld ins Bonni. Bei allen Angeboten ist
die Schwelle zur Nutzung bewusst niedrig gesetzt. Schließlich sollen sich möglichst viele Nachbarn hier wohl fühlen.
Stabile Basis des Bonni ist immer noch die Jugendarbeit, die
in diesem Stadtteil eine besonders stabilisierende Wirkung
hat. Der Jugendbereich wird direkt von der Bürgerstiftung –
als Kerngeschäft und eigentlicher Anlass des Projektes – geführt. Das bietet Vorteile für Spender und Förderakquise und
eine gewisse Unabhängigkeit von der gGmbH.
HÜRDEN
Recht, Finanzierung und Augenhöhe: Die Verhandlungen mit
der Landeskirche zum Übertrag von Grundstück und Gebäuden haben sehr lange gedauert, da eine neue Rechtskonstruktion erarbeitet werden musste. Die Bürgerstiftung wurde
nur zögerlich als juristischer Partner akzeptiert. Von ihr wurden viele Sicherheiten gefordert, Stadt und Kirche wollten
ihr Risiko minimieren. Hilfreich war hier dann der Zufall, dass
der Fachanwalt der Landeskirche das Thema so innovativ
und spannend fand, dass er sich in die Thematik intensiv
»reingefuchst« hat.
Förderung: Die Akteure sind zu Langstreckenläufern gegen
Widerstände geworden. Die bürokratischen Hürden, die vor
der wichtigen Förderung durch Soziale Stadt und Initiative
ergreifen standen, haben Energie von der inhaltlichen Arbeit
gezogen und insbesondere die mit dem Bau mit öffentlichen
Mitteln verbundenen Ausschreibungs- und Vergaberegelungen waren – so sehen es einige, aber natürlich nicht alle –
unnötig kompliziert.
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ELSEBAD – DAS BÜRGERBAD SCHWERTE
SCHWERTE
© Thomas Wild
Seit den 1990er Jahren wurden 320 Bäder in Deutschland
geschlossen, 580 sind von der Schließung bedroht. Auch in
Schwerte wurden Bäder geschlossen, darunter das Freibad
Elsetal. Bürger der Stadt haben daraufhin den Elsetal e. V.
gegründet und sich dagegen gewehrt. 860 Fördervereinsmitglieder und 130 Ehrenamtliche betreiben seit 1997
das Freibad und retten so, wie über 300 weitere Bürgerbäder in Deutschland, eine kommunale Infrastruktur.
Im Dezember 1996 entschied sich der Rat der Stadt Schwerte
für die Wiedereröffnung des Elsebades, mit Bewilligung eines Baukostenzuschusses von 850.000 DM und eines jährlichen Betriebskostenzuschusses von 100.000 DM unter Voraussetzung der Bewilligung von Landesmitteln (337.000
DM). Ehrenamtliche planten das neue Gebäude und leisteten
umfangreiche Arbeit bei der Wiedererrichtung des Bades.
Weitere Partner (z. B. Sparkasse und Schwerter Stadtwerke,
Firmen und viele Einzelpersonen) bezuschussten Geräte und
Gebäude.
Die Ehrenamtlichen arbeiten an der Kasse, in den Grünanlagen, beim Mülldienst, bei Bau- und Reparaturarbeiten, in der
Geschäftsleitung des Badbetriebes, an der Gestaltung von
Zeitschriften und Broschüren. Sie alle leisten eine »Arbeitsspende« von über 6000 Stunden im Jahr; das entspricht einem materiellen Wert von fast 80.000 Euro. Nur der
Schwimmmeister und ein Fachangestellter sind als betriebsverantwortliche Mitarbeiter fest angestellt.
Besonders interessant für den Konvent, weil… es eines der ersten
Bürgerbäder in Deutschland ist und hier bewiesen wird, dass Bürgerengagement eine städtische Infrastruktur aufrechterhalten und mitfinanzieren kann.
Ort
Schwerte
Initiator/Träger
Förderverein Bürgerbad Elsetal e. V., Elsebad-Betriebs-GmbH
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Schwimmbad
Projektphasen
etabliert; 1997 Umbau
Projektgröße
Nutzfläche: ca. 4 ha, überbaute Fläche: ca. 3.810 m²
Internet
www.elsebad.de
www.buergerbaeder.de
50
Für den laufenden Betrieb des Bürgerbades muss der Förderverein insgesamt über 20.000 Euro pro Jahr aufbringen.
Es gibt eine vertragliche Vereinbarung über einen jährlichen
Betriebskostenzuschuss von aktuell 60.000 Euro der Stadt
Schwerte an das Bürgerbad Elsetal. Dieser Vertrag hat eine
Laufzeit bis 2049 und knüpft an den 1998 geschlossenen Erbbaurechtsvertrag für das Gelände an. Für Investitionen zum
Erhalt und zur Verbesserung der baulichen Substanz und der
technischen Anlagen sowie zum Ausgleich von Mindereinnahmen bei schlechtem Wetter sind Spenden notwendig.
Diese betragen jährlich rund 35.000 Euro. Der Förderverein
erwirtschaftete dadurch und durch Mitgliedsbeiträge in der
Vergangenheit immer einen Puffer, um auch unvorhergesehene Ausgaben, wie z. B. die Reparatur der technischen Anlagen nach einem Hochwasser stemmen zu können.
Die gemeinnützige Elsebad-Betriebs-GmbH und der Förderverein Bürgerbad Elsetal e. V. sind zwei voneinander getrennte juristische Personen. Gemeinsam bilden sie das Elsebad. Die gemeinnützige Elsebad-Betriebs-GmbH wird als
Bauträger und Betreiber des neuen Elsebades gegründet.
Hauptgesellschafter mit mindestens 75,1 % der Anteile ist
der Förderverein Elsetal e. V. Die gGmbH verantwortet den
Wiederaufbau des Elsebades und ist für den Betrieb und alle
direkt damit zusammenhängenden Bereiche zuständig. Die
Sicherheit der Badegäste wie des Personals liegt ebenso in
ihrer Verantwortung wie die Wartung von Technik und Gebäuden. Die gGmbH ist auch Anstellungsträger bei allen
nicht-ehrenamtlichen Arbeitsverhältnissen. Sie ist als Partner für alle Verträge verantwortlich, die das Grundstück und
seine Nutzung betreffen.
Der Förderverein Bürgerbad Elsetal e. V. hat heute 860 Mitglieder. Ursprünglich war er die treibende Kraft für die Bemühungen um die Wiederinbetriebnahme des Elsebades. Als
der Startschuss für die Baumaßnahmen fällt, wandeln sich
die Aufgaben des Vereins: Er wird Bauherr der von der gemeinnützigen Elsebad-Betriebs-GmbH durchgeführten Baumaßnahme. Die Investition beläuft sich auf über 2 Millionen
DM. Seit Badbetriebsbeginn kümmert er sich um den Erhalt
des Bades, die Sicherung des laufenden Betriebes, die Öffentlichkeitsarbeit, die Sicherung der finanziellen Unterstützung und die Förderung der ehrenamtlichen Arbeit.
Das Bürgerbad steht in intensivem Kontakt zu Sportvereinen
aus der Umgebung. Gemeinsam bauen und nutzen sie Sportflächen und tauschen sich aus.
HÜRDEN
Kommunikation mit der Kommune: In der Anfangsphase
gab es kritische Stimmen und Skepsis vonseiten der Kommune. Erst durch das andauernde und breite ehrenamtliche Engagement und den Nachweis, dass das bürgerschaftliche
Projekt auch finanziell erfolgreich wirtschaftet, wurde die
Betriebskonzeption auch von der Verwaltung als tragfähig
akzeptiert.
Recht: Eine eindeutig passende Rechtsform für das Bürgerbad gibt es nicht. Nur durch das Zusammenspiel aus GmbH
und Förderverein gelang der Aufbau und kann der Betrieb
gewährleistet werden.
Finanzierung: Es war entscheidend, dass Land und Kommune einen erheblichen Anteil (knapp 60 %) der Sanierungskosten übernommen haben haben. Die Finanzierung der Sanierung – wie es in anderen Bürgerbädern der Fall ist – wäre
eine Überforderung gewesen.
51
ExRotaprint
BERLIN-WEDDING
© ExRotaprint gGmbH / Michael Kuchinke-Hofer 2007
Besonders interessant für den Konvent, weil… das Projekt ohne
öffentliche Förderung auskommt, alle Belange der Sanierung, Finanzierung
und Vermietung selbst verantwortet und mit der Kombination aus Erbbaurecht und Gemeinnützigkeit einen Ort mit günstigen Mieten für alle gesellschaftlichen Gruppen schafft.
Ort
Nach dem Konkurs der ehemaligen Druckmaschinenfabrik
Rotaprint ging das Gelände mit seinen denkmalgeschützten
Gebäuden in den Besitz des Bezirks Wedding über. Dieser
übergab es an den Liegenschaftsfonds des Landes Berlin,
der einen Verkauf zum Höchstpreis beabsichtigte. 2005 organisierten sich die Mieter auf dem Gelände in dem Verein
ExRotaprint e. V., um in Kaufverhandlungen mit dem Liegenschaftsfonds zu treten und ihre lokalen Interessen durchzusetzen. Nach einem gescheiterten Paketverkauf von 45 Immobilien an einen isländischen Investor, der auch das Rotaprint-Gelände beinhalten sollte, kann der ExRotaprint e. V.
das Gelände zu dem günstigen Preis, der für das »Isländische Paket« festgesetzt war und der unter Bodenwert lag,
kaufen. Um diesen günstigen Kaufpreis gegen zukünftige
Spekulation abzusichern, entscheidet sich ExRotaprint für
ein Erbbaurecht mit den Stiftungen trias und Edith Maryon.
Für die Übernahme des Geländes beschließt der Verein die
Gründung der gemeinnützigen GmbH ExRotaprint. Für
640.000 Euro erwerben die Stiftungen 2007 das Grundstück
und unterzeichnen gleichzeitig einen Erbbaurechtsvertrag
für 99 Jahre mit der ExRotaprint gGmbH. Die Gebäude gehen
in den Besitz der ExRotaprint gGmbH. Für die Nutzung des
Bodens zahlt ExRotaprint einen jährlichen Erbbauzins von
10 % der Nettokaltmieten. Über den Grundstückserwerb hinaus finanziert der Erbbauzins auf lange Sicht weitere Projekte der Stiftungen.
Berlin-Wedding
Initiator/Träger
ExRotaprint gGmbH
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Gewerbe, Kultur, Soziales
Projektphasen
seit 2007 von gemeinnütziger GmbH bewirtschaftet,
2016 Sanierung der Gebäude zur Hälfte abgeschlossen
Projektgröße
10 Gewerbegebäude, 1 Wohngebäude; der Gewerbehof besteht aus 10.000 m²
vermietbarer Fläche in 11 Häusern, Gesamtgröße des Geländes: 8.400 m²
Internet
www.exrotaprint.de
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Dass eine ehemalige Fabrik in Berlin nicht zwangsläufig eine
Brutstätte der Gentrifizierung sein muss, zeigt das Projekt
ExRotaprint. Von Anfang an lenken die Projektmacher den
Blick auf die Menschen, die im Viertel leben. Als Mieter werden bewusst Projekte ausgewählt, die in den Kiez wirken:
Hier wird Deutsch für Migranten unterrichtet, werden Alphabetisierungskurse angeboten, bekommen Arbeitslosenprojekte Raum für Beratung und Fortbildung. Das Erdgeschoss
wird vorrangig an produzierendes Gewerbe wie Metall-,
Holz- und Rahmenbau, Gebäudereinigung und eine Siebdruckerei vermietet, das Arbeits- und Ausbildungsplätze garantiert.
Durch das Erbbaurecht wird das Gelände langfristig der Bodenspekulation entzogen. Zudem ist in dem Erbbaurechtsvertrag die Vermietung an gewerbliche, kulturelle und soziale Nutzungen zu gleichen Teilen festgeschrieben. Die von
Mietern gegründete gemeinnützige GmbH ExRotaprint verantwortet die Bewirtschaftung des Geländes in allen Aspekten, einzig der Weiterverkauf ist ausgeschlossen. Die ExRotaprint gGmbH hat 10 Gesellschafter, die meisten davon sind
Mieter auf dem Gelände. Weiterer Gesellschafter ist der Ver-
ein aller Mieter, der RotaClub e. V., über den sich alle Mieter
beteiligen können. Die gemeinnützige GmbH muss Überschüsse aus der Vermietung für die gemeinnützigen Zwecke
– den Erhalt des Baudenkmals Rotaprint Fabrik und die Förderung von Kunst und Kultur – verwenden. Der gemeinnützige Status gewährleistet, dass Profite nicht an die Gesellschafter abfließen, sondern für die Sanierung des Baudenkmals und für Kunst und Kultur eingesetzt werden.
Die gGmbH ist Bauherr, sorgt für die Finanzierung der Sanierung, übernimmt die Projektentwicklung und Projektsteuerung sowie die Vermietung und Verwaltung des ExRotaprint-Geländes. Die Sanierung des Komplexes erfolgt
Schritt für Schritt und mit einem Baukredit, ohne öffentliche
Förderung, mit wenig Eigenkapital und den Einnahmen aus
den günstigen Mieten, die derzeit zwischen 3,00–4,80 Euro
je nach Nutzung und Ausbaustandard der Räume liegen. Insgesamt betragen die Mieteinnahmen derzeit ca. 380.000
Euro netto kalt jährlich. Die gesamte Sanierung wird ca.
4 Millionen Euro kosten, bisher wurden ca. 2 Millionen Euro
investiert. Die ExRotaprint gGmbH hat einen Baukredit über
2,25 Millionen Euro mit unbegrenzter Laufzeit bei der
Schweizer Pensionskasse CoOpera (Sammelstiftung PUK)
aufgenommen, die ihre Einlagen ausschließlich in nachhaltigen Projekten anlegt.
Zur Übernahme des Geländes war ein Startkapital von ca.
60.000 Euro notwendig, das die Gesellschafter in unterschiedlich hohen Anteilen einbrachten.
In der Startphase 2005–2007 waren zur Durchsetzung des
Verkaufs an die Mieterinitiative intensive Öffentlichkeitsarbeit, gezielte Pressearbeit und stetige Kommunikation mit
Politik und Verwaltung notwendig. Der ExRotaprint e. V.
setzte künstlerische Strategien gezielt ein, um einerseits Inhalte und Ziele zu vermitteln und andererseits soziale, integrative und politische Anliegen zu befördern.
HÜRDEN
Augenhöhe: Der Liegenschaftsfonds Berlin nahm die Mieterinitiative als Investor und Käufer des Geländes nicht ernst.
Erst nach intensiver Presse- und Öffentlichkeitsarbeit setzten sich einzelne Personen aus Politik und Verwaltung (vor
allem solche mit direktem Bezug zum Bezirk) für das Projekt
ein.
Recht: Die Gemeinnützigkeit der GmbH wird im Kern durch
den Denkmalstatus der Gebäude ermöglicht.
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GÄNGEVIERTEL
HAMBURG
© Franziska Holz
Besonders interessant für den Konvent, weil… die andauernde
Transformation des Gängeviertels ein Lehrbeispiel für experimentelle
und partizipative Stadtentwicklung bietet. Die Initiative hat bewiesen,
dass gute Kommunikation der Anfang eines erfolgreichen Projektes ist
und die Nutzungsmischung in dieser Dichte ihresgleichen suchten.
Ort
Hamburg
Initiator/Träger
Gängeviertel e. V., Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG
(Verwaltung der bisher sanierten Häuser)
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Wohnen und Atelierwohnen, gewerbliche Räume mit
kulturellem und kulturpolitischem Schwerpunkt
Projektphasen
2009–2010 Inbesitznahme und Verhandlungsbeginn, seit 2012 Sanierung
Projektgröße
Wohnfläche: 12 Häuser mit 5.050 m², Gewerbefläche im EG: 1.070 m², Soziokulturelles
Zentrum: 1.735 m², 3 Innenhöfe/Passagen und Brachfläche: ca. 1.500 m²
Internet
www.das-gaengeviertel.info
www.gaengeviertel-eg.de
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Die 13 historischen Häuser entlang der Straßen Valentinskamp, Caffamacherreihe und Speckstraße in der Hamburger
Neustadt sind zwischen 100 und 350 Jahre alt. Die größtenteils denkmalgeschützten Gebäude stehen in der Tradition
der sogenannten Gängeviertel – der mittelalterlichen Arbeiterwohnquartiere Hamburgs – und gehören heute zu den
letzten, weitgehend authentisch erhaltenen Gebäudeensembles in der City. Die zum Teil denkmalgeschützten Gebäude
bilden das letzte der sogenannten »Gängeviertel«. Mit dem
Erhalt des Ensembles und der Öffnung vieler Räume für die
Bürger entsteht hier seit 2009 im doppelten Sinne Stadt zum
»Anfassen«.
Den Zuschlag für das sanierungsbedürftige Gängeviertel im
bis 2009 in Hamburg üblichen Höchstpreisverfahren erhält
ein niederländischer Investor. Ohne die Einmischung der Initiative »Komm in die Gänge« wäre das Quartier zum Großteil
abgerissen worden. Im Sommer 2009 bespielt die Initiative
die leerstehenden Häuser ein Wochenende lang. Möglichst
viele Menschen sollen erfahren, welche potenziellen Freiräume auf dem Spiel stehen. Schon in den ersten Tagen besuchen Tausende das Viertel und die Freie und Hansestadt
Hamburg erklärt ihre Bereitschaft zu verhandeln. Nach fünf
Monaten intensiver fachlicher und politischer Debatten entschließt sich die Stadt noch im Dezember 2009 zur Rückabwicklung des Kaufvertrags. Im Januar 2010 wird mit dem
Verein Gängeviertel e. V. eine erste Rahmenvereinbarung zur
Kooperation getroffen.
Hinter dem Programm und der Botschaft einer »kulturellen
Inbesitznahme« steckt eine professionell arbeitende Gruppe
von Künstlern und Kulturschaffenden, die sich tief in die
stadtpolitische Szene hinein vernetzt haben. Die historischen Gebäudestrukturen sollen erhalten, öffentliche und
gemeinschaftsorientierte Nutzungen zur Verfügung gestellt
und ein wirtschaftlicher, teilhabeorientierter Betrieb ermöglicht werden. Die unsanierten Gebäude werden trotz des
schlechten baulichen Zustands als Ateliers und für öffentliche Angebote genutzt. Als Ergänzung zum Verein Gängeviertel e. V. wurde 2010 / 2011 die Gängeviertel Genossenschaft
eG als Mietergenossenschaft gegründet.
Obwohl die Verhandlungen mit der Stadt noch nicht abgeschlossen sind, wird 2014 mit der dringend notwendigen Sanierung des Viertels begonnen. Die Stadt erteilt zunächst einen Sanierungsauftrag für drei Häuser im ersten Bauabschnitt. Die Initiative richtet eine Baukommission ein, die im
Sanierungsprozess ihre Interessen gegenüber der städtischen Verwaltung und anderen Prozessbeteiligen vertreten
soll. Zwischen 2012 und 2014 finden vier öffentliche Bausymposien statt. Gleichzeitig verhandelt die Genossenschaft um
die Übernahme der Gebäude als Generalmieterin nach der
Sanierung.
2015 ziehen die Mieter des ersten sanierten Gebäudes ein.
Die Sanierungskosten hat bisher die Stadt übernommen, ergänzt durch mehrere Förderprogramme. Die Förderung wird
über die Mieten in den so entstandenen Sozialwohnungen
weitergereicht. Trotzdem wird die Abhängigkeit von der
Stadt als Eigentümer von vielen Aktiven kritisch gesehen. Als
Alternative werden aktuell Möglichkeiten zur Übernahme in
Eigentum erwogen. Seit 2015 gilt daher ein Bau- und Planungsstop.
2012 hat die UNESCO das Gängeviertel als Ort der besonderen kulturellen Vielfalt ausgezeichnet. Es gibt Läden für
Kunst und Kleingewerbe, Gastronomie, Galerien und Veranstaltungsräume, eine Bürogemeinschaft, eine Fahrradwerkstatt, einen Umsonst-Laden und ein soziokulturelles Zentrum. Diese Vielfalt konnte insbesondere auf den sehr günstigen unsanierten Flächen entstehen. Ob und wie diese Nutzungsstruktur nach der Sanierung erhalten bleiben kann, ist
noch offen.
Für das Gängeviertel engagieren sich vor allem Menschen,
die von der Möglichkeit profitieren, die dortigen Räume zu
nutzen. Die Entscheidungsstruktur der Initiative ist entsprechend der Vision des Mitgestaltens ein demokratisches Plenum aller Nutzer. Das Gängeviertel hat innerhalb kurzer Zeit
ein lebendiges, selbstverwaltetes Quartier geschaffen und
Meilensteine im Bereich der Projektkommunikation und der
Beteiligung an Bau- und Sanierungsprozessen gesetzt. Gemeinsam stehen Stadt und Projekt nun vor der Herausforderung, die Sanierung voranzutreiben und wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten ohne die Vision des Quartiers zu verlieren.
HÜRDEN
Augenhöhe: Trotz Kooperationsvereinbarung mit der Stadt
Hamburg muss eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe immer
wieder deutlich eingefordert werden.
Recht: Die Genossenschaft ist für neue Projekte zunächst
sehr aufwendig und teuer. Zudem ist das Genossenschaftsrecht eher auf große, rein wohnwirtschaftliche Genossenschaften ausgerichtet.
Förderung: Wenn das Projekt selber Empfänger von Fördermitteln sein könnte, wäre die Stadt nicht in der Verantwortung, die Sanierung selbst umzusetzen und es gäbe weniger
Kommunikations- und Qualitätsverluste an den Schnittstellen.
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GRETHERGELÄNDE
FREIBURG
© Susanne Küppers
Das als grüne Hofanlage ausgebaute Grethergelände auf
dem Areal der früheren Eisengießerei Grether & Cie. war
1980 das erste Projekt des heutigen Mietshäuser Syndikats.
Aktuell leben hier 100 Mieter in inzwischen drei sanierten
Gebäude-Einheiten (Grether West, Grether Ost und Grether
Süd). Für eine Miete von 6,0 Euro/m² wird gearbeitet, soziales Engagement geleistet und in Wohngemeinschaften gelebt. Für alle Wohnungen gilt das Prinzip »Eine Person – ein
Raum«. Bad und Wohnküche werden geteilt. Das Grethergelände liegt im Freiburger Stadtteil Im Grün. Hier liegt die
Nettokaltmiete bei gegenwärtig 10,0 Euro/m² und mehr.
Besonders interessant für den Konvent, weil… das Projekt die
Basis für eine neue Organisation – das Mietshäuser Syndikat – geschaffen
hat und die Immobilien dauerhaft der Spekulation entzieht. Und weil es
immer wieder Pionierarbeit in Fragen der Finanzierung und der Beratung
von weiteren Projekten leistet.
Ort
Freiburg
Initiator/Träger
Grether West GmbH, Grether Süd GmbH, Grether Ost GmbH
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Wohnen, Arbeiten, soziales Engagement, Nachbarschaft
Projektphasen
etabliert, seit 1980
Projektgröße
Vier historische Gebäudeteile, drei Neubauten, zwei Höfe, Parkplätze und Freigelände;
Wohnraum: 2.776 m², Gewerbefläche: 2.257 m², ca. 4.000 qm Grundstück
Internet
www.grether.syndikat.org
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Neben den Wohnungen und den Gewerberäumen, in denen
unter anderem eine Druckerei, ein Antiklager, eine Yogaschule, ein Café, ein alternativer Radiosender, zwei Kitas und
ein Onlinehandel für fair gehandelte Kleidung beheimatet
sind, sind viele Räume bis heute an soziale, ehrenamtliche
Projekte vermietet, die ohne die günstige Miete keine Chance hätten, innenstadtnah zu arbeiten. Regelmäßig finden
Hoffeste, Infoveranstaltungen und Lesungen statt. Das
selbstverwaltete, nicht kommerziell betriebene Strandcafe
ist im Stadtteil bestens bekannt und gut besucht.
Bereits in den 1970er Jahren wurde das Lagerhaus der alten
Eisengießerei vom ersten Freiburger Alternativprojekt – dem
Gebrauchtwarenlager – genutzt. Die aktive Freiburger Hausbesetzerbewegung war sicher mit ein Grund dafür, dass Anfang der 1980er Jahr das gesamte, inzwischen städtische
Gelände vor dem Abriss bewahrt werden konnte. Um das
Areal für günstigen Wohnraum und alternative Kultur- und
Arbeitsprojekte zu erhalten, gründeten sich damals Vereine
und Initiativen, die nach langen Kämpfen und zähen Verhandlungen die gesamte Fabrik samt Altlasten von der Stadt
erwarben. Den Anfang machte der in Eigenregie gestemmte
Umbau der alten Maschinenhalle in Wohn- und Gewerbeeinheiten. 1987 konnte für knapp 240.000 DM ein Erbbaurecht
von der Stadt erworben werden. Die Erbpacht betrug damals
28.896 DM im Jahr. Derzeit sind es rund 20.000 Euro. So
entstanden auf dem 1.000 m² großen Grundstück die ersten
848 m² Wohnraum für 35 Menschen sowie 780 m² Gewerberaum. Die Kosten des Umbaus: insgesamt 1,5 Millionen Euro; finanziert durch private Darlehen (Direktkredite) von damals 500.000 DM, Bankkrediten, Wohnbaufördermitteln für
einige Sozialwohnungen – und mit viel Muskelhypothek.
Entstanden sind bis heute insgesamt 2.776 m² Wohn- und
2.257 m² Gewerberaum. Mit der Grether Ost GmbH, der
Grether West GmbH und der Grether Süd GmbH sind es heute drei Hausprojekte, die alle unter dem Dach des Mietshäuser Syndikats organisiert sind. Konkret heißt das: Jede der
drei Hausbesitz GmbHs hat zwei Gesellschafter, den Hausverein der Mieter und das Mietshäuser Syndikat, dem inzwischen bundesweit 113 nicht renditeorientierte Wohn- und
mischgenutzte Projekte angehören. Alle mit dem gleichen
Ziel: Immobilien dem spekulativen Immobilienmarkt dauerhaft zu entziehen und zu günstigen Mieten anzubieten.
Grether West erwirtschaftet seit Jahren Überschüsse und
unterstützt damit auch andere Syndikatsprojekte.
Der Finanzierungsmix in den weiteren Bauabschnitten und
die Selbstverwaltung durch die Mieter macht es bis heute
möglich, dass auf dem »Grether« fürs Wohnen im Schnitt nur
250 Euro Nettokaltmiete pro Person anfallen. Darin enthalten ist auch ein Solidarzuschlag von 10 % für das Mietshäuser Syndikat.
HÜRDEN
Augenhöhe: Die Verhandlungen mit der Kommune waren zäh
und lang, den Initiatoren wurde das Projekt anfänglich nicht
zugetraut.
Finanzierung: Das Vermögensanlagegesetz, dessen Novellierung in seiner ursprünglichen Form eine Bedrohung für
viele Projekte und Initiativen gewesen wäre, wurde auch
durch den großen Einsatz von ehrenamtlichen Mitarbeitern
des Mietshäuser Syndikats so verändert, dass die Annahme
von Direktkrediten für die Projekte weiter möglich ist.
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HAL ATELIERHAUS
LEIPZIG
© Ari Malewitsch
Seit 2013 arbeitet der Verein Helden wider Willen e. V. in und
mit zwei Gründerzeithäusern im Leipziger Osten. Gleich von
Anfang an betreiben die Aktiven des Vereins sowohl die Sanierung der Häuser als auch inhaltliche Arbeit. Eins der Häuser bietet Raum für Wohnungen zum Selbstausbau. Das
zweite Haus stellt vor allem Projektflächen zur Verfügung,
die Schritt für Schritt bezogen werden: Ateliers, Vereinsräume, Gästewohnungen für Künstler mit und ohne Arbeitsstipendium, die »Honorary Kitchen« als Gemeinschaftsformat
für die Projektgemeinschaft und die Nachbarschaft. Dazu
kommt der Hof als Treffpunkt.
Das HAL (hybrid art lab) soll ein finanziell unabhängig agierendes, nachbarschaftlich orientiertes, international ausgerichtetes Begegnungszentrum werden. Es ist auch als Antwort auf die prekäre Förderpraxis im Kunst- und Kulturbetrieb konzipiert. Mit der Immobilie als Grundlage soll es eine
finanzielle und institutionelle Eigenständigkeit bieten. Kernbausteine sollen das Honorary Hotel und die HAL (hybrid art
lab) Residency sein: Das Honorary Hotel soll Gäste mit mehr
und solche mit weniger Geld zusammenbringen. In der Residenz können Menschen aus aller Welt für einige Monate leben und arbeiten und darüber mit den Menschen im Quartier
in Kontakt treten. Angestrebt ist, mit Partnern Arbeits- und
Aufenthaltsstipendien zu vergeben.
Bereits jetzt gibt es erste, über Projektförderungen finanzierte Stipendien und Platz für sechs Gäste in den Gästewohnungen.
Besonders interessant für den Konvent, weil… sich das Projekt
intensiv der Nachbarschaftsarbeit widmet und dies mit dem Austausch
in einer internationalen Kunst- und Kulturszene verbindet.
Ort
Leipzig
Initiator/Träger
Helden wider Willen e. V.
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Coworking, Projekträume, Artist-in-Residence, Wohnen
Projektphasen
seit 2011 Verhandlung; seit 2013 Erbbaurechtsvertrag,
seit 2014 Nutzung und parallel Ausbau
Projektgröße
Nutzfläche: 1.260 m², davon Wohnfläche: 910 m², Projektfläche: 350 m²
Internet
www.baumit.weebly.com, www.HonoraryHotel.net,
www.facebook.com/HALeipzig, wwwfacebook.com/HonoraryHotel
58
In den Häusern finden sich vielfältige künstlerischer und
nachbarschaftlicher Projekte und Aktionen: Vom internationalen help* Festival über die Stadtteilplattform LeipzigerEcken.de, das Saturday Museum im ehemaligen Außenklo
auf halber Treppe und der Nachbarschafts-Sommerschule
hin zum gemeinsamen Basteln mit den Kinder aus den umliegenden Häusern und der Asyl-Gemeinschaftsunterkunft in
der Umgebung. Der Helden wider Willen e. V. arbeitet bereits seit 2005 an der Schnittstelle zwischen Kunst und Gemeinschaft, zunächst im Leipziger Westen. Hier hat der Verein aber angesichts der Aufwertung des Viertels Schwierigkeiten, dauerhaft nutzbare Räume zu halten. 2011 beginnen
die Verhandlungen einer Handvoll Akteure aus dem Kulturbereich mit der kommunalen Wohnungsgesellschaft LWB
GmbH um insgesamt sieben Häuser in einem Wohnblock im
Leipziger Osten. Die LWB will die Immobilien zunächst meistbietend verwerten. Die Verhandlungen um die Übernahme
der Immobilien im Erbbaurecht stocken jedoch, weil die Ziele beider Seiten nur schwer vereinbar scheinen und weil sie
keine gemeinsame Sprache finden.
Zwei der Häuser sind heute die Räume des HAL Atelierhauses. Der 2013 unterschriebene Erbbaurechtsvertrag ermöglicht einen niedrigschwelligen Einstieg ins Projekt. Die im
Vertrag vereinbarte Verstetigungsoption (Kauf) nimmt der
Verein schon 2014 für das erste Haus in Anspruch. Ein Bankkredit in Höhe von 197.500 Euro finanziert Kauf und Ausbau
des ersten Hauses. Langfristig wird dieser durch die Mieten
der Bewohner und Projekte zurückgezahlt.
Gleich 2014 hilft ein Förderprojekt der Bundeskulturstiftung
im Fonds »Neue Länder – Förderung bürgerschaftlichen Engagements« in Höhe von ca. 30.000 Euro beim Start. Dazu
kommen Fördermittel für Projekte in und um die Häuser,
u. a. für einen Spielplatzbau, Workshops und andere Aktionen. So gut das ist, so schwierig ist oft der Zwiespalt zwischen den Fristen der Fördermittelgeber und den Abläufen
im Projekt: »Die Häuser sind noch nicht fertig und dann führen wir in Bauhosen die UN-Delegation durch.«
Von 2015–2017 ist das Projekt unter dem Titel »Honorary Hotel und HAL Residency – Ein Netzwerk unterstützt Städte«
Pilotprojekt der »Nationalen Stadtentwicklungspolitik« des
Bundesbauministeriums. Die auf drei Jahre gestreckte Fördersumme von 100.000 Euro ermöglicht eine gewisse Planbarkeit. Der Austausch mit anderen Akteuren im Forschungsprogramm hilft auch bei der alltäglichen Arbeit. Gerade der experimentelle Ansatz entspricht dem Charakter
des HAL Atelierhauses »Wir sind unser eigenes Forschungsprojekt«.
Wertvoll, aber nur schwer bezifferbar ist die praktische Unterstützung durch Sympathisanten des Vereins und durch
Fachleute, etwa durch die Leipziger KulturPaten gUG.
HÜRDEN
Förderung: Die Gleichzeitigkeit von Sanierungsbeginn und
inhaltlicher Arbeit stellt das Projekt in der Startphase vor
große Herausforderungen. Hier wäre eine sukzessive Förderung von Baumaßnahmen hilfreich.
Finanzierung und Recht: Die schwierigen Konditionen des
Erbbaurechtsvertrags (Heimfall ohne Entschädigung für Investitionen) machten es schwer, eine Bank für die Baufinanzierung zu finden. Letztlich wurde der Kauf durch eine Bank
ermöglicht, zu der durch eine Projektvorfinanzierung schon
ein Kontakt und genug Vertrauen bestand.
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HANDWERKERHOF OTTENSEN
HAMBURG-OTTENSEN
2013 kauft ein Zusammenschluss mehrerer Handwerkerbetriebe das Grundstück in Hamburg-Ottensen, tritt dem Mietshäuser Syndikat bei und baut einen neuen Gewerbehof, der
seit 2015 in Betrieb ist.
© Mona Gennies
Besonders interessant für den Konvent, weil… die Projektmacher
durch die Beteiligung des Mietshäuser Syndikats an der GmbH bezahlbare
Mieten für Gewerbe generieren und die Handwerksbetriebe so vor dem
Verdrängungsdruck schützen, der es ihnen in Hamburg schwer macht,
kostengünstige Räume für ihre Arbeit zu finden.
Ort
Hamburg-Ottensen
Initiator/Träger
Handwerkerhof Ottensen Verwaltungs GmbH
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Gewerbe
Projektphasen
etabliert; 2011 Gründung, seit 2015 in Betrieb
Projektgröße
Gewerbefläche: 1.410 m², Grundstücksgröße: 1.080 m²
Internet
www.handwerkerhof-ottensen.de
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Trägergesellschaft des Projekts ist die Handwerkerhof Ottensen Verwaltungs GmbH mit zwei Gesellschaftern, dem
Verein Handwerkerhof Ottensen e. V. (Alle Nutzer sind Mitglieder im Verein) und dem Mietshäuser Syndikat, einem
bundesweiten Solidarverbund, der derzeit 113 Projekte und
ca. 20 Projektinitiativen umfasst, von denen der überwiegende Teil Wohnprojekte sind. Monatlich zahlen alle Projekte
Solidarbeiträge ein, um die nächsten Projekte mit GmbH-Beteiligung zu gründen. Im Gegenzug bietet das Mietshäuser
Syndikat einen regen Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer zwischen den Projekten und mit ca. 50 ehrenamtlichen Beratern an. Außerdem leistet es eine Starthilfe bei Gebäudekauf und Projektanfang. Die bereits bestehenden Projekte entscheiden, welche neuen Wohn- und Baugruppen in
den Unternehmerverbund aufgenommen werden. Innerhalb
der Handwerkerhof Ottensen Verwaltungs GmbH übernimmt
das Mietshäuser Syndikat eine Wächterfunktion: Der Handwerkerhof Ottensen e. V. darf das Gebäude und den Boden
nicht weiterveräußern oder ungeprüft zusätzlich beleihen, er
darf keine belastenden Zukäufe tätigen und Mieten dürfen
nicht unberechtigt steigen. Der Handwerkerhof Ottensen
e. V., zweiter Gesellschafter der GmbH, führt die Verwaltung
und regelt geschäftsführend und ehrenamtlich die täglichen
Belange. Steuerrechtlich gehören dem Verein 51 % der Anteile, dem Mietshäuser Syndikat 49 %. Reell haben aber jeweils beide Gesellschafter eine Stimme und bei Grundsatzfragen wie einer Satzungsänderung kann kein Gesellschafter
den anderen überstimmen und eine Entscheidung alleine
treffen.
Ersparnisse direkt und ohne Umweg über eine Bank bei der
Handwerkerhof Ottensen GmbH anlegen. Der ideale Direktkredit liegt bei 5.000–10.000 Euro. So können die Gesellschafter Rückzahlungen durch Umverteilungen möglich machen, ohne dabei in Schwierigkeiten zu geraten. Der Eigenanteil, der für den Kredit bei der GLS Bank notwendig ist,
liegt bei ca. 30 %. Die GLS Bank rechnet Direktkredite als Eigenanteil an. Zusätzlich bringen die beiden Gesellschafter
der GmbH Anteile mit. Die Mieteinnahmen dienen der Tilgung des Bankkredits. Die Nettokaltmiete für die Gewerberäume beträgt 8,61 Euro, die Büromiete im dritten Obergeschoss 13,62 Euro. Durch die Mieteinnahmen soll kein Gewinn erzielt werden. Neben der Rückzahlung von Zinsen und
Tilgungen bildet die Gesellschaft lediglich Rücklagen für Sanierungen und eventuelle Mietausfälle. Als Mitglied beim
Mietshäuser Syndikat zahlt der Verein Handwerkerhof Ottensen e. V. einen Solidarbeitrag an diesen. Er beträgt anfangs
10 Cent/m² und steigt jährlich um 0,5 % der Vorjahreskaltmiete (der Mietpreis steigt jedoch inklusive des Solibeitrages
nicht über 80% der ortsüblichen Miete). Außerdem zahlt jeder Hausverein einmalig 250 Euro Einlage an das Mietshäuser Syndikat.
Die Johann Daniel Laewetz-Stiftung begleitete als Intermediär den Bauprozess mit ihrem Know-how und an der Schnittstelle zur Verwaltung.
Der Zusammenschluss mehrerer Betriebe verbessert deren
Marktpräsenz. Die Zusammenarbeit in einem Haus führt zu
Synergien und die Betriebe erledigen Aufträge gemeinsam.
Es gibt eine Gemeinschaftsküche und einige Betriebe teilen
sich Werkstätten und Geräte. Gemeinschafts-WCs sparen
Raum und reduzieren so die Miete.
Das Grundstück, auf dem der Handwerkerhof steht, lag vorher brach, war in städtischer Hand und wurde von der LIG
(Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen der Freien und Hansestadt Hamburg) verwaltet. Die Idee
für den Handwerkerhof kam im richtigen Moment. Die Stadt
hat auf Basis des Konzepts das Grundstück im Rahmen einer
Anhandgabe vergeben.
HÜRDEN
Finanzierung: Wie bei fast jeder Immovielie gestaltete sich
die Finanzierung schwierig und die Suche nach Direktkrediten war ein langer Prozess.
Das Gesamtvolumen des Projekts beläuft sich auf 2,9 Millionen Euro. Davon sind ca. 226.800 Euro (210 Euro/m²) netto
Grundstückskosten. 2,2 Millionen Euro haben sich die Handwerker als Kredit von der GLS Bank geliehen, den Rest durch
zinsgünstige Privatkredite aufgebracht. Menschen, die das
Projekt kennen und unterstützenswert finden, können ihre
Augenhöhe: Bei der Kommunikation mit der Verwaltung
hängt das Gelingen des Projektes oder einzelner Schritte
vom Engagement und der Kompromissbereitschaft einzelner
Personen ab. Eine ämterübergreifende kommunale Praxis,
die die projektbezogene Arbeitsweise gewöhnt ist, muss
noch weiterentwickelt werden.
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HAUS DER STATISTIK
BERLIN
© raumlaborberlin
Besonders interessant für den Konvent, weil… die Immobilie der
öffentlichen Hand gehört und die Möglichkeit besteht, sie für ein gemeinwohlorientiertes und inklusives Projekt zur Verfügung zu stellen. Mit der
herausragenden Lage und Größe der Immobilie könnte mit dem Haus der
Statistik ein Leuchtturm für nachhaltige Urbanisierung und Inklusionskultur entstehen.
Ort
Berlin-Mitte
Initiator/Träger
Initiative Haus der Statistik
Schwerpunkt/Hauptnutzung
geplant sind 35 % integratives/gemeinschaftliches Wohnen, 25 % Kunst und Produktion,
20 % Kultur und Begegnung, 20 % Bildung
Projektphasen
2015 Gründung und Konzeptentwicklung, 2016 erste Gespräche mit dem Senat,
Erarbeitung eines Finanzierungskonzepts
Projektgröße
Nutzfläche im Bestand: 46.000 m² Nutzfläche im Bestand, erweiterbar um bis zu 50.000 m²
Neubau
Internet
62
www.hausderstatistik.org
Seit 2008 steht der große, sanierungsbedüftige und in Stahlbeton-Skelettbauweise errichtete Plattenbaukomplex am
nordöstlichen Ende des Alexanderplatzes leer. Ab 1970 beherbergte das sogenannte Haus der Statistik die Zentralverwaltung für Statistik der DDR. Nach der Wiedervereinigung
zog das Statistische Bundesamt ein, wenn auch nur mit einer
Außenstelle. Eigentümer des Gebäudekomplexes sind die
Liegenschaftsverwaltung des Bundes (BImA) und das Land
Berlin.
Kunstprojekte. Zeitgleich entwickelt eine Kerngruppe des
Bündnisses eine Rechtskonstruktion für Kauf und Bewirtschaftung des Objekts, um den Berliner Finanzsenator für
das Vorhaben zu gewinnen. Im April konstituieren sich einige
Bündnispartner unter dem Dach einer vorhandenen Genossenschaft: ZKB ZUsammenKUNFT Berlin eG – Genossenschaft für Stadtentwicklung. Sie soll auch künftigen Berliner
Initiativen als Partnerin für die Entwicklung von gemeinwohlorientierten Immobilien zur Verfügung stehen.
Bereits 1993 findet ein internationaler städtebaulicher Wettbewerb zur Neugestaltung des Alexanderplatzes statt. Der
Siegerentwurf sieht ein kronenartiges Hochhausensemble
vor. Berlin kann sich jedoch die Umsetzung dieses Masterplans nicht leisten. Das Haus der Statistik sollte abgerissen
und das Grundstück meistbietend verkauft werden. Mit Blick
auf die wachsende Stadt und den geringen Bestand an verbleibenden Grundstücken hat sich seit 2010 die Liegenschaftspolitik des Landes geändert.
Im Sommer 2016 begannen mit der Akademie Haus der Statistik und dem Modellprojekt ZUsammenKUNFT aus unterschiedlichen Quellen geförderte Angebote aus dem Bündnisumfeld. Im Rahmen der Akademie sind Berliner Initiativen
eingeladen, ihre Arbeit im öffentlichen Raum rund um den
Alexanderplatz zu vermitteln. In dem Modellprojekt ZUsammenKUNFT wird auf zwei Hochhausetagen Nahe des Potsdamer Platzes das integrative Miteinander von Künstlern und
geflüchteten »Neu-Berlinern« zwei Jahre lang erprobt.
Im Rahmen eines öffentlichen Workshop-Verfahrens zur
Überarbeitung des Masterplans für den Alexanderplatz werden einige Stadtpioniere und Initiativen auf das Haus der
Statistik aufmerksam. Schon länger kämpfen sie für mehr
bezahlbare Flächen für soziale und kulturelle Nutzungen in
der Innenstadt. Innerhalb weniger Wochen bildet sich im
Herbst 2015 ein Bündnis, das in einer stadtweiten Kampagne
die Berliner dazu aufruft, für die 40.000 m² Fläche am
»Alex« eigene Visionen zu entwickeln. Innerhalb kurzer Zeit
hat das Bündnis auch einen eigenen Vorschlag ausgearbeitet
und tritt damit an den Bezirk Mitte heran. Angesichts der
2015 drängenden Frage der Flüchtlingsunterbringung schlägt
das Konzept vor, temporäre Wohnnutzung für Geflüchtete
mit Flächen für soziale und kreative Nutzungen zu verbinden.
Die verschiedenen Nutzergruppen sollen nicht nebeneinander, sondern soweit möglich gemeinsam agieren.
Mit dem Bündnis zur Umnutzung des Hauses präsentieren
wichtige Akteure der alternativen Stadtentwicklung in Berlin
ihre Professionalität und Schlagkraft. Die Größe und damit
der Kostenrahmen bleiben jedoch eine Herausforderung.
Die Kommunalpolitik in Mitte ist schnell überzeugt, doch der
Berliner Senat hält sich zurück. Noch im Frühjahr 2015 hatte
das Land abgelehnt, das Haus der Statistik als Unterkunft
für Flüchtlinge herzurichten. Der Standort wird für die Unterbringung von Verwaltungen favorisiert. Um den Druck auf
den Senat zu erhöhen, stellt das Bündnis sein Konzept im Dezember 2015 öffentlich vor. Die Umnutzung bzw. Sanierung
ist mit 50 Millionen Euro nur halb so teuer, wie ein Neubau
wäre.
Im Januar und im März 2016 organisiert das Bündnis zwei
große Vernetzungsratschläge. Es kommen hunderte Interessierte aus Vereinen und Initiativen der ganzen Stadt. Aus
dem Bündnis entstehen Förderanträge für Bildungs- und
Das Haus der Statistik zeigt exemplarisch, was ein Projekt
von vielen für viele bedeutet. Initiatorin: Allianz bedrohter
Berliner Atelierhäuser (AbBA); Gründer: Zentrum für Kunst
und Urbanistik (ZK/U), Atelierbauftragter Berlin, bbk Kulturwerk, Initiative Stadt Neudenken, Raumlabor Berlin, Martinswerk e. V., Belius Stiftung, Stiftung Zukunft Berlin, Schlesische 27, CUCULA e. V., Gyalpa e. V., Open Berlin e. V., Die
Zusammenarbeiter; Unterstützer der ersten Stunde: Christian Hanke (Bezirksbürgermeister von Berlin Mitte), Bezirksverordnetenversammlung von Berlin Mitte (SPD, Bündnis 90/
Die Grünen, Die Linke, Piratenpartei, CDU)
HÜRDEN
Boden und Vergabe: Die geteilten Eigentumsverhältnisse
zwischen Bund und Land sind problematisch. Insbesondere
der Bund zeigt noch keine Bereitschaft: Das Potenzial einer
gemeinwohlorientierten Immobilienentwicklung im Herzen
der Stadt schlägt sich noch nicht in entsprechenden Grundstücksvergaben nieder.
Augenhöhe: Die Kommunikation mit und über die BImA ist
immer wieder problematisch, da die Initiative ihre Legitimation überwiegend aus dem kommunalen Umfeld bezieht. Der
regionale Diskurs um einzelne Immobilien muss durch einen
bundesweiten ergänzt werden.
63
KOMPOTT
CHEMNITZ
© Thomas Puschmann
Besonders interessant für den Konvent, weil… das Projekt Kompott ein Experiment mit gleichberechtigter Beteiligung aller Nutzer wagt
und damit von vielen für viele entwickelt wird. Mit dem Schwerpunkt auf
Wohnen leistet es einen Beitrag zur aktuellen Debatte, ob und
wie Wohnen als gemeinnützig anerkannt werden soll.
Ort
Chemnitz
Initiator/Träger
GmbH Alternatives Wohn- und Kulturprojekt Kompott,
Bunte Grütze e. V. (Hausverein und Gesellschafter der GmbH)
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Wohnen mit gemeinnützigen Projekträumen, Garten
Projektphasen
2007–2010 Objektsuche, 2010–2015 Mietverhältnis, Anfang 2016 Ankauf
Projektgröße
Nutzfläche: 3.050 m²; 4 nebeneinanderliegende Wohnhäuser mit Ladenzeile,
davon langfristig ca. ⅔ Wohnen, ⅓ Projektfläche
Internet
www.kompott.cc
64
Das Projekt hieß im ursprünglichen Konzept »experimentelles Karree«, und in der Tat standen nach der Wende ganze
Karrees leer in Chemnitz. Die Stadt Chemnitz hat den Besetzern das Objekt nach einigen Verhandlungen zunächst für
drei Jahre mietfrei überlassen. Nach nun fünf Jahren haben
die Initiatoren den Beweis geführt, inzwischen bewiesen,
dass aus Fallobst leckeres Kompott werden kann.
»Free for all & all for free« steht auf dem Banner, mit dem die
Initiative Eberhard Weber 2007 ein ehemaliges Redaktionsgebäude in der von allgemeinem Leerstand geprägten Stadt
kurzerhand besetzt. Den Besetzern gelingt es daraufhin, mit
der städtischen Gesellschaft Kommunale Grundstücks- und
Gebäudewirtschaftsgesellschaft (GGG) einen Nutzungsvertrag für ein Haus in der Reitbahnstraße 84 auszuhandeln. Ein
Umsonstladen und eine Fahrradwerkstatt entstehen. Die
Projekte und die Stimmung in der »Reba 84« treffen den
Nerv vieler junger Menschen in Chemnitz. Sie haben Ideen,
für die es weiteren Raum braucht. Gemeinsam mit Partnern
wie dem Studentenwerk und einem Künstlerbund wird ein
Konzept für ein »experimentelles Karree« entwickelt. Finanziert werden soll das Karree mit Mitteln aus dem Europäischen Fond für regionale Entwicklung (EFRE). Obwohl der
Stadtrat die Idee unterstützt, zeigt sich die städtische Wohnungsgesellschaft zunächst nicht kooperativ. Schon 2008
wird klar: Es wird keinen langfristigen Nutzungsvertrag für
die Reba 84 geben, 2010 wird der bestehende Vertrag gekündigt. Ohne einen Standort hat der Fördermittelantrag
keine Chance.
Doch die Initiative gibt nicht auf. Mit Hilfe einer Strategie aus
professioneller Öffentlichkeitsarbeit und politischer Kritik
gewinnt sie Verbündete in Politik und Verwaltung, schließlich
sogar die Oberbürgermeisterin. So finden sich noch im selben Jahr vier nebeneinanderliegende Häuser in der Leipziger
Straße, die der Initiative zunächst drei Jahre mietfrei zur
Verfügung gestellt werden. Die Finanzierung der für den
Wiederbezug notwendigen Sanierungsmaßnahmen in Höhe
von 240.000 Euro erfolgt zur einen Hälfte durch die Stadt
und zur anderen über das Bundesförderprogramm »Jugend
belebt Leerstand«. Das Geld fließt hauptsächlich in Materialien. Die meiste Arbeit erfolgt unentgeltlich durch die Nutzer. Auch der Eigentümer beteiligt sich in der Überlassungsphase mit knapp 65.000 Euro. Wie angedacht entstehen
zwischen 2010 und 2015 viele nicht kommerzielle Räumen
mit Veranstaltungsangeboten: Lese-Café, Umsonst-Laden,
Konzertraum und Tonstudio, Kunst-Laden und Holz-Werk-
statt und der Nachbarschafts-Garten mit Obstbäumen. Für
die verschiedenen Projekte und Räume finden sich Arbeitsgruppen. Abstimmungen und wichtige Entscheidung trifft
das Organisationsplenum, welches allen offensteht. Die Arbeit in den Projekten und die Koordination erfolgt ehrenamtlich.
Mit dem Kauf Anfang 2016 geht die Verantwortung vollständig an die Nutzer über. Der Kaufpreis von 70.000 Euro sowie
weitere Sanierungskosten müssen nun über die Miete für
Wohn- und Projekträume gewährleistet werden. Der partizipative und basisdemokratische Ansatz des Projekts geht
durch die neue Rechtsform nicht verloren. Die GmbH als
neue Besitzerin dient nur als formale Hülle. Das Plenum trifft
weiterhin alle Entscheidungen. Die dauerhafte Absicherung
als »Hausprojekt« soll über eine Beteiligung des Mietshäuser
Syndikats an der GmbH erfolgen.
Das Kompott versteht sich als ein Projekt zum Selbermachen
mit möglichst niedrigschwelligen Angeboten. Für Menschen
in Gemeinschaftsunterkünften sind der Internetzugang und
die Großküche nützlich. Gemeinsam im Garten zu arbeiten
oder ein Kleidertausch sind auch für die Nachbarschaft interessant, die sonst mit »linker« Kultur wenig gemeinsam hat.
Wer Lust hat etwas zu organisieren, kann es einfach tun. Und
vielleicht kann dies auch mit dazu beitragen, die Bindung an
den Wohnort und an das Quartier zu stärken. Mit seinem
Verständnis und den Ansprüchen an Selbstverwaltung und
Offenheit stößt das Kompott aber auch an eigene Grenzen
und an die Grenzen von Stadtpolitik und Gesellschaft.
HÜRDEN
Augenhöhe: Bei der Vergabe von Immobilien hat die Stadt
Chemnitz einen maßgeblichen Einfluss auf ihre eigene Wohnungsgesellschaft. Dass dieser erst nach drei Jahren wirklich genutzt wird, zeigt, wie schwer es Initiativen haben,
wenn sie mit ihrem Ansatz nicht in die Denk- und Arbeitsweise von Verwaltungen passen.
Finanzierung und Förderung: Für die Chemnitzer waren
niedrige Immobilienpreise am Ende ausschlaggebend für die
Kaufentscheidung. Das Doppelziel Unterstützung von Projekträumen durch Mieteinnahmen und niedriges Mietniveau für
einkommensschwache Gruppen wäre in Wachstumsregionen
mit spekulativen Märkten beinahe unmöglich zu erreichen.
65
MARTINI44
HAMBURG-EPPENDORF
© Mona Gennies
Martini44 ist ein Zusammenschluss von acht Vereinen, Institutionen und der Genossenschaft Bauverein der Elbgemeinden eG (BVE). Diese haben sich als Bieter zusammengetan
und das im Rahmen einer Konzeptausschreibung der Finanzbehörde der Stadt Hamburg zum Verkauf stehende Grundstück des ehemaligen Krankenhauses Bethanien in Eppendorf erworben. Dort wird ein Neubau errichtet, in dem das
sozialkulturelle Zentrum Martini44 entstehen soll. Teil des
eingereichten Konzeptes war der Erhalt der historischen Fassade.
Besonders interessant für den Konvent, weil… die Stadt Hamburg
das Grundstück über eine Konzeptausschreibung vergeben hat und so
einen Ort für die Nachbarschaft und bezahlbares Wohnen ermöglicht.
Ort
Hamburg-Eppendorf
Initiator/Träger
Bauverein der Elbgemeinden eG (BVE) mit dem Netzwerk Martinierleben
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Wohnen, Kultur, Soziales
Projektphasen
2006 Beginn der Hochbauarbeiten und Gründung des Netzwerkes,
2011 Konzepterarbeitung, 2015 Beginn der Bauarbeiten
Projektgröße
ca. 10.000 m² (Grundstück)
Internet
www.martini44.de
66
In der Konzeptvergabe zählte das Konzept 70 %, der Preis
30 %. Durch ein Punktesystem wurde die Transparenz bei
der Vergabe gewährleistet. Vorgegeben wurden wohnungspolitische Ziele (28 P), Nutzungsmischung (28 P), sozialpolitische, städtebauliche und energetische Ziele (14 P). Der BVE
gewann die Ausschreibung insbesondere durch die Kooperation mit den Partnern aus dem Netzwerk Martinierleben.
wieder bezahlbare Wohnungen, was zu einem bunten und
gemischten Quartier beiträgt. Denn auf dem Grundstück
werden 80 öffentlich geförderte Wohnungen gebaut.
Der laufende Prozess wird von der STATTBAU Hamburg betreut, einer Stadtentwicklungsgesellschaft, die bereits Erfahrung mit Immovielien hat und als Intermediär zwischen
Stadt und Projektmachern vermittelt.
Vermieter ist der BVE. Hauptmieter des Neubaus sind das
Kulturhaus Eppendorf (mit einigen Vereinen als Untermieter),
die Hamburgische Brücke e. V. und die Baugemeinschaft
»Martinis«.
Durch dieses Netzwerk, in dem Kulturzentrum, Sozialträger,
Baugemeinschaft, Kindergarten, Kirchengemeinde und mehrere Altenstifte zusammenarbeiten, ist der Zusammenhalt im
Quartier mit seinen über 600 Stiftswohnungen in den letzten
Jahren merklich gewachsen. Es gibt nicht nur das Projekt
Martini44, das ein Raumpool für verschiedene Nachbarschaftsaktivitäten werden soll, sondern schon jetzt wird sich
gegenseitig mit Räumen und ehrenamtlicher Arbeit unterstützt. Ein gemeinsames Leitbild »Generationen gemeinsam
in Eppendorf« wird entwickelt, das die Themen demographischer Wandel und Barrierefreiheit in Eppendorf thematisiert.
HÜRDEN
Boden: Schon 2009 hatte der Hamburger Senat beschlossen, Wohnungsbaugrundstücke verstärkt nach Konzeptqualität und nicht mehr nach Höchstpreis-Verfahren zu veräußert. Es hat jedoch noch drei Jahre gedauert, bis dieser Beschluss wirklich umgesetzt wurde. Im Fall von Martini44
musste einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden, bis
die Finanzbehörde Anfang 2012 Hamburgs erste umfangreiche Konzeptausschreibung durchführte. Da die Stadt in den
letzten 20 Jahren viel »Tafelsilber« verkauft hat, gibt es zu
wenige Grundstücke für innovative Projekte.
Durch die Zusammenarbeit mit der größten Wohnungsbau-Genossenschaft Hamburgs bekommt der ansonsten
stark von Gentrifizierung betroffene Stadtteil Eppendorf
Förderung: Für die Koordination der Quartiersarbeit gibt es
außerhalb von Sanierungsgebieten keine Möglichkeit der
Förderung von Personalkosten.
67
MENSCHENSKINDER
DARMSTADT
© HauptwegNebenwege / Heinrich Völkel
Besonders interessant für den Konvent, weil… das Projekt zeigt,
wie soziale Infrastruktur in Stadtquartieren umgestaltet werden kann,
um Teilhabechancen und Erfahrung von Selbstwirksamkeit in Familien
zu fördern. Die Organisation und die Immobilie werden mit der Kultur
eines ganzheitlichen Menschenbildes entwickelt.
Ort
Darmstadt-Kranichstein
Initiator/Träger
Menschenskinder – Werkstatt für Familienkultur e. V. (gemeinnütziger Verein)
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Familienwerkstatt/Familienberatung
Projektphasen
2006–2012 Gründungsphase, 2012–2015 Umzug, Professionalisierung
und Ausbau der Kita, ab 2016 Ausbau der Räumlichkeiten
Projektgröße
Aktuell zwei von drei Gebäuden eines ehemaligen Seminarzentrums: Familienwerkstatt:
100 m², Kita: 550 m², ab 2017 zusätzlich 220 m² des ehemaligen Hallenschwimmbads
Internet
www.menschenskinder-darmstadt.de
68
In dem »Haus für alle« können sich seit 2012 Kinder und Familien des Stadtteils Darmstadt Kranichstein begegnen. Ziel
des Vereins Menschenskinder – Werkstatt für Familienkultur
e. V. ist, mit den Angeboten Barrieren abzubauen und zu einer selbstbestimmten, gemeinsamen Gestaltung der jeweiligen Lebensentwürfe beizutragen.
Mit der Vereinsgründung 2006 wollen die ca. 20 engagierten
Mitglieder zunächst einen offenen Begegnungsraum für Eltern ins Leben rufen. Die stark nachgefragte Schreibaby-Ambulanz bringt ab 2008 eine kleine Lawine ins Rollen. 2009
lässt sich der Verein als freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe anerkennen. Zwischen 2009 und 2012 werden kontinuierlich weitere Projekte und Allianzen aufgebaut. 2012
wird die Kita Menschenskinder genehmigt. Mit dem Besitzer
eines ehemaligen Schulungszentrums aus den 1970er Jahren
wird daraufhin ein Mietvertrag über 15 Jahre für das Hausmeisterhaus und das Seminargebäude abgeschlossen. Die
offenen Räume der Familienwerkstatt werden in Selbstleistung durch den Verein hergerichtet. Die Umbaumaßnahmen
für eine inklusive Kita für 60 Kinder in den Seminarräumen
übernimmt der Besitzer und legt sie auf die Miete um. Die
Stadt fördert den laufenden Kitabetrieb ab 2013 zu
100 %. Die Kita ist so für alle Einkommensschichten offen.
2014 ist das erste richtige Betriebsjahr der Kita. Die ursprünglich rein ehrenamtliche Struktur des Vereins hat sich
professionalisiert. Es arbeiten 20 festangestellte Kräfte sowie viele Honorarkräfte mit an der Vision eines ganzheitlichen Ortes der Begegnung. Für die vielen offenen Formate
und regelmäßigen Angebote in den Bereichen Familienbildung, Prävention, Krisenbegleitung, Kreativität etc. reichen
die 100 m² provisorische Familienwerkstatt nicht aus. Dringende Aufgabe ist nun die Umgestaltung des ehemaligen
Hallenbads in einen Bewegungsraum, ein Familien-Café und
eine Forscher-Werkstatt. Alle Räume sollen barrierefrei zugänglich werden. Um die Angebote günstig oder kostenfrei
gestalten zu können, müssen die Sanierungskosten gering
bleiben. Anders als bei der Kita übernimmt der Verein die
Regie selbst. Ein Großteil der Kosten für den geplanten Umbau (2016/2017) soll über die Spenden der Darmstädter
Kampagne »Echo hilft« gedeckt werden. Es fließen außerdem Eigenmittel des Vereins sowie erhebliche bauliche Eigenleistungen durch Vereinsmitglieder und Unterstützende
in das Projekt. Gut laufende bzw. geförderte Angebote sollen
mittelfristig Miete an den Verein zahlen, um die langfristige
Stabilität des gesamten Projekts zu gewährleisten.
Menschenskinder will in Kranichstein mehr als nur ein öffentlich gefördertes Angebot sein. Als ›soziales Gelenk‹ wollen sie ebenso Unterschiede und Gegensätze im Stadtteil
verbinden: zwischen Generationen und zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Mit ihrer Immovielie bilden sie außerdem auch baulich das Verbindungsglied zwischen den Stadträumen Hoch- und Reihenhaussiedlung. In der stärkeren Einbindung von Kita-Eltern liegen dabei auch in der Nachbarschaft noch unerschlossene Potenziale.
Der rote Faden der Akzeptanz und Selbstermächtigung der
Nutzer bezieht sich auch auf die Angestellten und Aktiven im
Projekt. Die demokratische Entscheidungsstruktur des Vereins trägt dazu bei, das hohe Engagement zu erhalten. Mit
der Möglichkeit der gemeinsamen beständigen Weiterentwicklung des Projekts kann auf Bedarfe aller »Menschenskinder« reagiert werden.
HÜRDEN
Finanzierung: Zugang zu investiver Förderung würde dem
Projekt ermöglichen, schneller auf Optionen zu reagieren
und sich mit verlässlichen Bedingungen weiterentwickeln zu
können.
Augenhöhe: Insbesondere die immobilienwirtschaftliche Seite des Projektes, aber auch das Thema Wachstum der Organisation können von professioneller Beratung profitieren.
69
NACHBARSCHAFT SAMTWEBEREI
KREFELD
© Urbane Nachbarschaft Samtweberei gGmbH
Die Idee ist, gleichzeitig in Steine und Menschen zu investieren und in einem Stadtteil mit besonderen kulturellen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen einen immobilienwirtschaftlichen Impuls für ein besseres Miteinander zu
setzen. Das Konzept für diese Idee wurde von der Stadt Krefeld und der Montag Stiftung Urbane Räume mit den Mitteln
der Carl Richard Montag Förderstiftung entwickelt.
Für die Umsetzung wird 2014 die Urbane Nachbarschaft
Samtweberei gGmbH (UNS) gegründet. Diese gemeinnützige
Gesellschaft entwickelt und bewirtschaftet die Immobilie Alte Samtweberei, um zum einen Mittel für die Gemeinwesenarbeit zu erwirtschaften und zum anderen über die Nutzungen in der Immobilie soziale, ökonomische und kulturelle Impulse im Stadtteil zu setzen.
Besonders interessant für den Konvent, weil… die Stadt
Krefeld das Grundstück im Erbbaurecht vergeben hat und eine gGmbH
die Überschüsse aus der Bewirtschaftung in die Gemeinwesenarbeit
investieren wird.
Ort
Krefeld Samtweberviertel
Initiator/Träger
Urbane Nachbarschaft Samtweberei gGmbH (UNS)
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Wohnen, Büros, öffentlicher Platz mit Dach
Projektphasen
2013–2014 Gründungsphase, seit 2014 Umbau- und Stabilisierungsphase
und erste Inbetriebnahme, bis 2017 Bau- und Sanierungsmaßnahmen
Projektgröße
Gesamtnutzfläche Gebäude: 4.650 m² (2.900 Wohnen, 1.750 Arbeiten),
Nutzfläche Shedhalle (öffentlicher Platz und Parkplätze): 3.500 qm
Internet
www.samtweberviertel.de
70
Die Stadt Krefeld bleibt Eigentümer des Grundstücks und sie
hat die Alte Samtweberei im Erbbaurecht an die gGmbH vergeben. Die UNS zahlt keinen Erbbauzins, solange sie gemeinnützig tätig ist. So kann sie in Zukunft über die Immobilie
60.000 Euro im Jahr erwirtschaften, die dem Stadtteil zur
Verfügung gestellt werden. Die Vergabe der 60.000 Euro
wird von einem Viertelsrat begleitet, der ehrenamtlich für
die inhaltliche Ausrichtung der Gemeinwesenarbeit zuständig ist und dabei von den Mitarbeitern der UNS begleitet
wird. Mit den Mitteln werden schon heute kleine Bürgerprojekte und größere Aktivitäten finanziert, die bei den Bedürfnissen der Menschen im Viertel ansetzen. Dazu gehören
Sprachfortbildungen, Formularhilfe, Kunst- und Kulturworkshops, Gestaltungsprojekte im öffentlichen Raum.
Die Immobilie besteht aus fünf Bausteinen. Dem Pionierhaus,
in dem kleine Unternehmen für sehr günstige Mieten wirtschaften können. Dem Torhaus, in dem Dienstleister mittlerer Größe ihren Geschäften nachgehen. Dem Denkmal, in
dem gerade 37 geförderte und frei finanzierte Wohnungen
für am gemeinschaftlichen Wohnen interessierte Mieter gebaut werden. Der Shedhalle, die 2017 zu einem »Platz mit
Dach« umgebaut wird und den Menschen aus dem Stadtteil
und der Samtweberei gemeinschaftlich nutzen können, so-
wie dem Nachbarschaftswohnzimmer, das ebenfalls 2017
gebaut und wahrscheinlich von einem Verein betrieben werden wird.
Alle Mieter verpflichten sich, sich für den Stadtteil zu engagieren. Die Pionierhausmieter zahlen günstige Mieten (3 Euro/m² Nettokaltmiete) und sind per Mietvertrag verpflichtet,
je gemieteten Quadratmeter pro Jahr eine Stunde gemeinnützige Arbeit für das Gemeinwesen zu leisten. Das sind z. B.
die Gestaltung von Flyern für Stadtteilaktivitäten, die Redaktion und die Gestaltung der Stadtteilzeitung, Kreativworkshops für Kinder, Vorlesestunden im Kindergarten etc. Über
die gesamte Immobilie werden ca. 2.500 »Viertelstunden«
für den Stadtteil zusammenkommen.
Die ursprüngliche Absicht war, die Alte Samtweberei Schritt
für Schritt an Akteure aus dem Stadtteil oder an die Mieter
zu übergeben. Es stellt sich aber heraus, dass die Übernahmen von Verantwortung für den Betrieb der gesamten Immobilie eine Überforderung ist. Die Stiftung hat sich deshalb
entschieden, die Immobilie zu behalten und die Immobilienverwaltung entsprechend der Ziele der UNS so zu gestalten,
dass die maximale Energie in soziale Prozesse und in das
kulturelle Miteinander investiert werden kann.
HÜRDEN
Förderung: Der Fördermix aus Wohnraum- und Städtebauförderung ist sehr unterstützend, aber auch sehr komplex
und wäre von Anfängern im Immobiliengeschäft wahrscheinlich nicht zu bewältigen.
Finanzierung: Die lokalen Geschäftsbanken haben sich dagegen entschieden, das Projekt zu finanzieren. Wahrscheinlich weil ihnen das Lagerisiko zu groß war. Das Projekt wurde
von der GLS Bank finanziert. Ohne das »Initialkapital« der
Stiftung (1 Million Euro) und den Erlass des Erbbauzinses
durch die Stadt wäre das Projekt nicht wirtschaftlich tragfähig entwickelbar.
71
NORDBAHNTRASSE
WUPPERTAL
© Stein
Besonders interessant für den Konvent, weil… die Nordbahntrasse durch einen ganzen Blumenstrauß an Finanzierung und Förderung
realisiert werden konnte: den zweiten Arbeitsmarkt, große Spendenbereitschaft, Muskelhypotheken, Engagement von Unternehmen, Schulen,
Streckenpaten etc. Und weil die Trasse exemplarisch für viele kooperativ
entwickelte Verkehrswege steht.
Ort
Wuppertal
Initiator/Träger
WUPPERTALBEWEGUNG e. V.
Schwerpunkt/Hauptnutzung
autofreier flacher Fuß-, Rad- und Freizeitweg auf ehemaliger Bahntrasse, Ort der Begegnung
Projektphasen
2006–2009 Gründungsphase, 2010–2015 Umbauphase, ab 2010 Betrieb
Projektgröße
22 km lang, 4–6 m breit, 32 Millionen Euro Kosten
Internet
www.wuppertalbewegung.de
72
Die Nordbahntrasse befindet sich auf einem 22 km langen
Teilstück einer ehemaligen Bahnstrecke der Rheinischen Eisenbahngesellschaft zwischen Düsseldorf und Dortmund. Im
Norden Wuppertals verläuft die Trasse in direkter Nähe zu
den Ballungszentren Vohwinkel, Elberfeld und Barmen.
Nachdem 1999 der letzte Zug auf den Gleisen fuhr, hatte die
Natur Zeit, um die Nordbahntrasse in Besitz zu nehmen.
Carsten Gerhardt (Initiatior der WUPPERTALBEWEGUNG
e. V.), hatte 2006 die Idee, die Trasse wieder zugänglich zu
machen. Das Ergebnis ist ein 22 km langer gepflasterter, in
den innerstädtischen Bereichen insgesamt 6 m breiter Fuß-,
Rad- und Skatingweg mit Anschluss an die überregionalen
Radverkehrsnetze, der sich in kürzester Zeit als Ort für Freizeit und Begegnung etabliert hat.
Wuppertal ist aufgrund seiner Lage eng und hügelig, Fahrradfahren ist ein mühseliges Geschäft. Der 2006 gegründete
Verein WUPPERTALBEWEGUNG e. V. wollte dies ändern. Den
Auftakt machten mehrere hundert Bürger und Unternehmen,
die die Trasse ehrenamtlich gereinigt und entholzt haben.
Ohne öffentliche Flankierung war das Projekt aber nicht zu
stemmen. Da die Stadt Wuppertal angesichts der angespannten Haushaltslage keine finanzielle Unterstützung leisten kann, stellt der Verein Anträge auf unterschiedlichste
Fördermittel von Land und EU und wirbt zur Finanzierung des
Eigenanteils von 2,5 Millionen Euro Spenden bei lokalen Unternehmen und Bürgern ein. 2008 steht die Finanzierung.
So kann der Verein die Trasse der bahneigenen Projektentwicklungsgesellschaft für rund 2,2 Millionen Euro abkaufen.
Eigentümer wird jedoch die Stadt Wuppertal, die nach Fertigstellung die Trasse als öffentlich städtischen Weg übernimmt. Für den Umbau und zur Abwicklung der Förderung
gründet WUPPERTALBEWEGUNG e. V. zudem die Wuppertaler Nordbahntrassen GmbH. In wenigen Wochen baut diese
mit zwei Wuppertaler Unternehmen und dem zweiten Arbeitsmarkt die ersten 2 km, die bereits 2010 eröffnet werden.
Konflikte zwischen Verein und Stadt – u. a. zu Förderbedingungen und Vergaberecht – veranlassen die Kommune den
Ausbau aller weiteren vier Abschnitte selbst durchzuführen.
Die Finanzierung des Eigenanteils der gesamten Trasse wird
aber weiterhin durch die WUPPERTALBEWEGUNG getragen,
die den Umbau konstruktiv kritisch begleitet.
Zu den 32 Millionen Euro Gesamtkosten, von denen 21 Millionen Euro durch Fördergelder von Land, Bund und EU gedeckt
werden, steuert der Verein 2,3 Millionen Euro bei. Das gelingt nur durch die einzigartige Spendenbereitschaft der Bürger und Wuppertaler Unternehmen. Die größte Einzelspende
in Höhe von 1 Million Euro wird von der Dr. Werner JackstädtStiftung zur Verfügung gestellt. Nicht nur die finanzielle Bereitschaft, sondern auch die zahlreichen Mitbauaktionen zeigen, wie sehr eine Freizeittrasse und Verbindung zwischen
den Stadtteilen gebraucht wird.
Am 19. Dezember 2014 wird die gesamte Nordbahntrasse offiziell eingeweiht, jedoch schon vorher intensiv genutzt.
Mittlerweile ist sie beliebtes Naherholungsgebiet und sozialer Treffpunkt mit zahlreichen kulturellen Aktivitäten wie
beispielsweise dem Trassenfest mit bis zu 50.000 Besuchern. 100.000 Menschen, viele Schulen und Arbeitsplätze
werden durch die Nordbahntrasse verbunden, soziale Projekte, Restaurants, Cafés und Veranstaltungszentren haben
sich hier angesiedelt. Alte Bahnhofsgebäude – wie auch der
Mirker Bahnhof als Utopiastadt – werden umgenutzt und eine Parcours-Anlage sowie eine ehrenamtlich betriebene
Draisinenstrecke gebaut.
Die größte Anerkennung für das breite bürgerschaftliche Engagement der Wuppertalbewegung, für ihre Begeisterung,
Phantasie und Eigeninitiative sowie ihre Fähigkeit, Menschen
zu mobilisieren, ist die intensive Nutzung: Laut Prognosen
werden hier in den kommenden 30 Jahren knapp 90 Millionen Radfahrer und Fußgänger unterwegs sein. Und: Auch
WUPPERTALBEWEGUNG e. V. ist nicht zu bremsen, er plant
derzeit den Weiterbau an der Schwarzbachtrasse.
HÜRDEN
Augenhöhe: Es kam in dem Projekt immer wieder zu Schnittstellenproblemen zwischen den unterschiedlichen Kulturen
der (eher ergebnisorientierten) Bürgerinitiative und der (eher
regelorientierten) Stadt. Diese wurden verstärkt durch finanzielle Restriktionen einer Stadt im Nothaushalt.
73
PLATZprojekt
HANNOVER
© Frauke Burgdorff
Das PLATZprojekt ist ein Containerdorf in einem Gewerbegebiet am Rande des Stadtteils Hannover-Linden. Seit 2013
wächst hier ein alternativer demokratischer und wirtschaftlicher Raum, in dem sich Menschen mit ihren Ideen ausprobieren können, ohne teuer mieten oder investieren zu müssen. Ein Denkort über alternatives Wirtschaften findet sich
auf dem PLATZ genauso wie ein Massagesalon, eine (Lasten-)
Fahrradmanufaktur, eine Kinderbetreuung, und eine kleine
Pizzeria, eine offene Werkstatt und Ateliers.
Besonders interessant für den Konvent, weil… junge Menschen
in einem Gewerbegebiet mit Unterstützung des Bundes (Jugend.Stadt.
Labor) und Rückendeckung der Stadt gemeinschaftlich öffentliche Räume
organisieren und neue Wirtschaftsweisen ausprobieren. Und weil die Idee
der schnellen prozessoffenen Entwicklung dem Projekt Flügel verliehen
hat.
Ort
Hannover-Linden
Initiator/Träger
PlatzProjekt e.V.
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Kultur, Gewerbe
Projektphasen
2013 Konzeptions- und Aufbauphase, Gründung des Vereins PlatzProjekt e. V.;
Pachtvertrag mit der Metro-Gruppe, 2014 Förderzusage Jugend.Stadt.Labor
Projektgröße
ca. 20 Container
Internet
www.platzprojekt.de
74
Begonnen hat das Projekt mit dem Aufbau einer Skateranlage auf dem Nachbargrundstück, die ohne öffentliche Mittel
mit viel Eigenarbeit – in vielen sogenannten »Builder Jams« –
aufgebaut wurde. Die Jams waren und sind ein wichtiges
Format, gemeinsam mit viel Lust am Machen voranzukommen. Die Gründer der Skateranlage haben zusammen mit
anderen Akteuren das in der Nachbarschaft liegende Grundstück der Metro-Gruppe besetzt, um dort Menschen die
Möglichkeit zu geben, ihre gemeinwohlorientierten oder einfach nur experimentellen Ideen umzusetzen. Für das Grundstück wurde mit der Metro-Gruppe mittlerweile ein Null-Euro-Pachtvertrag mit 6-monatiger Kündigungsfrist geschlossen.
Das PLATZprojekt will Raum für diese Experimente schaffen
und herausfinden, welche Spielregeln und Rahmenbedingungen passend sind, um eine solche Gemeinschaft aufzubauen und zusammenzuhalten. Das Thema Doocracy spielt
dabei eine große Rolle: Entscheidungen werden vor Ort und
aus dem Handeln heraus getroffen.
Die Container werden von den Ideengebern jeweils selber
organisiert, für nicht gemeinnützige Projekte fallen 60 Euro
Miete pro Monat und die Gebühren für Strom und Wasser an.
Wer Teil des Projektes werden kann und wie gemeinsam gelebt wird, entscheidet das Plenum in regelmäßigen Sitzungen. Die Spielregeln dürfen und sollen immer wieder so angepasst werden, dass sie zum jeweiligen Projekt passen.
Das PLATZprojekt wurde von 2014 bis 2016 maßgeblich von
der Plattform Jugend.Stadt.Labor – ein Programm des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung – als Modellvorhaben mit Geld, Know-how und Glaubwürdigkeit unterstützt. Die 120.000 Euro Förderung konnten für den Prozess, aber auch für den Ausbau der Infrastruktur eingesetzt
werden. Die PLATZprojekt-Macher haben von Anfang an einen offenen und konstruktiven Dialog mit der Stadt gepflegt
und dort gute Ansprechpartner gefunden, die die Vorschriften so einsetzen, dass eine Entwicklung vor Ort möglich ist.
HÜRDEN
Boden: Das Grundstück musste erkämpft werden, was aber
– verglichen mit anderen Projekten – relativ einfach gelang.
Aber es ist nicht klar, wo die ehrenamtlich investierte Zeit in
den Aufbau der Infrastruktur (Wasser, Strom etc.) verbleibt,
wenn das Grundstück nicht mehr weiter genutzt werden
kann? Wer wird dann die Investition verwerten?
75
PS WEDDING
BERLIN
© ps wedding
Besonders interessant für den Konvent, weil… das Projekt durch
die Kooperation eines Non-Profit-Trägers mit Berlins größter landeseigener Wohnungsbaugesellschaft ein Pilotprojekt mit Signalkraft wäre. Mit
den geplanten Wohnungen und dem soziokulturellen Zentrum würde ein
architektonisch spannender Bestand so umgenutzt und ergänzt, dass er
den Menschen in der Nachbarschaft wieder zugutekäme.
Ort
Berlin-Wedding
Initiator/Träger
ps wedding e. V.
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Wohnen, soziokulturelle Nutzungen, Community-Garten
Projektphasen
2012 / 2013 Konzepterstellung, lokale Akteure und der Bezirk Mitte werden als Unterstützer
gewonnen, seit März 2015 Kooperation mit landeseigener Wohnungsbaugesellschaft degewo
Projektgröße
ca. 350 Wohnungen in Neubau und Bestand nach Umbau,
3.200 m² soziale, kulturelle und öffentliche Nutzungen
Internet
www.pswedding.de
76
Seit 2011 steht das ehemalige Diesterweg-Gymnasium leer.
Das in den 1970er Jahren errichtete Gebäude wurde nach
den Ideen eines offenen Schulkonzepts entwickelt und sah
eine Vernetzung von Schule und öffentlichem Raum vor.
Nach heutigen Vorgaben bedeutet die großzügige Planung
von damals, dass eine wirtschaftliche Nutzung als Schule
nicht mehr gegeben ist. 2012 gründet sich die Initiative ps
wedding, die den für Berlin einzigartigen Gebäudekomplex
mit dem futuristischen Architekturstil erhalten will. Aus
Sicht der Initiative ist das Schulgebäude für das umliegende
Brunnenviertel identitätsprägend und sollte deshalb wieder
Nutzungen für die Nachbarschaft bereitstellen. Zentraler
Bestandteil des Vorhabens sind ca. 350 bezahlbare Wohnungen. Dazu sollen die Obergeschosse des Schulgebäudes umgebaut sowie drei Neubauten errichtet werden. Das Erdgeschoss der Schule ist als soziokulturelles Zentrum geplant.
Die Initiatoren haben bereits Erfahrung mit gemeinwohlorientierten Bauprojekten und können den Bezirk mit ihrem
Konzept überzeugen. Sie legen ein Finanzierungskonzept für
den Kauf nach dem Non-Profit-Modell des Mietshäuser Syndikats vor. Schon Anfang 2013 erhält das Projekt positive Signale, und es wird mit der Erarbeitung eines entsprechenden
Bebauungsplans zur Umwidmung der Liegenschaft begonnen.
2012 beschließt der Berliner Senat neue Richtlinien für seine
Liegenschaftspolitik. Alle dem Land und Bezirk verbliebenen
Grundstücke werden neu bewertet. Damit wurden faktisch
Verkäufe, auch solche im Sinne der bezirklichen Stadtentwicklung, vorübergehend gestoppt. Wegen des eklatanten
Mangels an Sozialwohnungen beschließt der Senat zudem
geeignete Liegenschaften direkt an landeseigene Wohnungsbaugesellschaften zu vergeben. Daraufhin tritt die Initiative
ps wedding eigeninitiativ an eine Gesellschaft heran. Aufgrund einer möglichen Konkurrenzsituation zwischen den
verschiedenen Gesellschaften entscheidet die Senatsverwaltung, dass mit der lokalen Gesellschaft verhandelt werden soll. Seit 2015 kooperieren ps wedding und degewo und
planen, das Vorhaben auf Grundlage des Konzepts von ps
wedding gemeinsam umzusetzen. Die Liegenschaft soll zunächst an die Wohnungsbaugesellschaft übertragen werden,
die anschließend einen Erbbaurechtsvertrag mit ps wedding
über die Hälfte des Grundstücks abschließt.
Die aktuelle Planung sieht vor, das Schulgebäude mit den
auffallenden orangen Paneelen zu sanieren und umzubauen.
Während die beiden oberen Stockwerke für Wohnen umgenutzt werden, bleibt das Erdgeschoss mit 3.200 m² komplett
anderen Nutzungen vorbehalten. Die ehemalige Stadtteilbibliothek soll, wenn möglich, wieder als solche genutzt und
durch begleitende Angebote ergänzt werden. Daran anschließend sind ein Stadtteilcafé, Räume für Erwachsenenbildung und Jugendprogramme sowie Flächen für Büros,
Ausstellungen und Archiv geplant. Auch eine Kita für 100
Kinder ist vorgesehen. Für die verschiedenen Nutzungen,
einschließlich eines Nachbarschaftsgartens, wurden bereits
lokale Kooperationspartner gewonnen.
Die rechtliche Absicherung gegen eine etwaige gewinnorientierte Verwertung erfolgt durch die Regularien des Erbbaurechtsvertrags sowie das Modell des Mietshäuser Syndikats.
Auch die inhaltlichen und sozialen Zielsetzungen des Projekts werden vertraglich festgeschrieben. Es ist geplant,
dass die zukünftige Bewohnerschaft die Struktur des Brunnenviertels – über zwei Drittel der Bewohner haben einen
Migrationshintergrund – widerspiegelt. Mindestens ein Drittel der Wohnungen sind zudem für Sozialmieter vorgesehen.
Um den lokalen Bedürfnissen gerecht zu werden, plant ps
wedding nach Klärung der Grundstücksvergabe ein Vor-OrtBüro einzurichten und die Nachbarn in die Planung mit einzubinden. In Anlehnung an das US-amerikanische Community-Land-Trust-Modell sollen Repräsentanten der Nachbarschaft auch langfristig an der inhaltlichen Ausrichtung und
Weiterentwicklung des Projekts beteiligt sein.
Bei Umsetzung schafft dieses Projekt nicht nur ein dauerhaft
gesichertes Nachbarschaftszentrum und dringend benötigten Wohnraum, sondern auch einen Präzedenzfall für kooperative gemeinwohlorientierte Entwicklung auf städtischen
Liegenschaften.
HÜRDEN
Augenhöhe: Es hat sich gezeigt, dass bei größeren Vorhaben
Modelle für Kooperationen mit kommunalen Gesellschaften
besonders wichtig sind.
Förderung: Kommunale Verwaltungen haben oft nicht die
Ressourcen, selbst Entwicklungen anzustoßen. Die Initiatoren haben jahrelang unentgeltlich professionelle Projektentwicklung für eine öffentliche Liegenschaft geleistet. Hier besteht eine Lücke in der Förderlandschaft.
77
ROHRMEISTEREI
SCHWERTE
© Peter Liedtke
Am Beginn des Vorhabens kamen verschiedene Bedürfnisse
zusammen: das denkmalgeschützte ehemaligen Trinkwasserpumpwerk sollte erhalten werden, und es fehlten Räume
für die Kulturarbeit. Die vorläufige Behandlung des Projekts
als »Geschäft der laufenden Verwaltung«, d. h. ohne Einbezug des Stadtrates, der einen Abriss und Neubau wollte, und
die Möglichkeit der direkten Verhandlung mit dem Bürgermeister führten, über einen günstigen Mietvertrag, schließlich zu einem Erbbaurechtsvertrag. Partner des zinsfreien
Erbbaurechtsvertrags wird die 2001 neugegründete Bürgerstiftung Rohrmeisterei Schwerte. Die Bürgerstiftung ist zu
diesem Zeitpunkt eine der ersten in NRW. Mit dieser gemeinnützigen Rechtsform wird das Engagement der Bürger von
Schwerte im Projekt bereits vor Beginn der Baumaßnahmen
zementiert.
Besonders interessant für den Konvent, weil… die Rohrmeisterei
zeigt, dass Immovielien mit der richtigen Förder-, Finanzierungs- und Nutzungsmischung nach der Anfangsinvestition langfristig selbsttragend sein
können, der Kommune Kosten ersparen und ein wichtiger Entwicklungsimpuls für eine Region sein können. Und weil es gelungen ist, zunächst
ohne Rechtsform oder Konzept ein marodes Denkmal zu retten, aus
dem dann ein hoch effizienter Kulturbetrieb erwachsen ist.
Ort
Schwerte
Initiator/Träger
Bürgerstiftung Rohrmeisterei Schwerte
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Kulturbetrieb, Gastronomie und Veranstaltungsmanagement, Landschaftspark
Projektphasen
etabliert; seit 1999 Veranstaltungen, 2002–2003 erster Umbau, 2007–2015 weiterer Ausbau
Projektgröße
Landschaftspark und Grundstück: 1,8 ha, überbaute Fläche: 1.700 m²,
davon Gastronomie: 350 m² und Veranstaltungsräume: 930 m²
Internet
www.rohrmeisterei-schwerte.de
78
Die Anschubfinanzierung durch das NRW-Förderprogramm
»Initiative ergreifen« einschließlich der Begleitung durch die
Projektkoordinationsagentur erweist sich in dieser Phase als
besonders hilfreich. Ebenso die Unterstützungsleistung von
einflussreichen Fürsprechern. So konnte nur ein Jahr nach
Stiftungsgründung bereits mit den ersten Baumaßnahmen
begonnen werden. Das Grundkonzept sah vor, dass ein wirtschaftlicher Gastronomiebetrieb den defizitären Kulturbetrieb subventioniert. Als Antragsteller zur Finanzierung über
ein öffentliches Förderprogramm musste die Stadt Schwerte
den Plänen zustimmen. Zu 70 % wird der Umbau durch das
NRW-Ministerium für Städtebau, Wohnen, Kultur und Sport
finanziert. Die verbleibenden 30 % Eigenanteil der Stiftung
wurden durch Spenden, Veranstaltungserlöse, Nachlässe,
Eigenleistungen und Patenschaften erbracht. Insgesamt
wurden so 5,4 Millionen Euro investiert. Der Gastronomiebereich wird zusätzlich mit einem Darlehen der örtlichen Sparkasse ausgebaut.
Das Konzept der Querfinanzierung geht auf, die Einnahmen
steigen rasch und die Veranstaltungsräumlichkeiten werden
auch für kommerzielle Veranstaltungen nachgefragt. So
bleibt die Nutzung durch gemeinnützige Träger mietfrei.
2007 werden die Räumlichkeiten erweitert. Im Rahmen der
Kulturhauptstadt Ruhr 2010 kann die Gestaltung des Grundstücks gefördert werden. Der Eigenanteil wird wieder von
Unterstützern aufgebracht: Die Entscheidung zur weiteren
Qualifizierung des Gastronomiebereichs (2014 / 20015) bringt
mit der GLS Bank und Sponsoren aus der lokalen Wirtschaft
wieder neue Partner. Hier zeigt sich die Stärke der Standbeine Gastronomie und Veranstaltungsmanagement, wo inzwischen 50 Mitarbeiter angestellt sind und 30 junge Menschen
ausgebildet wurden.
Mit über 150 Veranstaltungen im Jahr und mehr als 150.000
Besuchern im Kultur- und Gastronomiebereich beweist die
Rohrmeisterei, dass Immovielien keine Nischenprojekte bleiben müssen. Der Projektaufbau zeigt, wie Engagement in
verschiedenen Bereichen über die jeweilig passende Rechtsform sinnvoll ineinandergreift. Selbst die ›Geldmaschine‹
Gastronomie erfüllt die Voraussetzungen für einen gemeinnützigen Zweckbetrieb durch Qualifizierungen für Langzeitarbeitslose und Ausbildungsplätze für am Arbeitsmarkt benachteiligte Jugendliche. Die Stiftung bietet Projekte mit Behinderten und nicht behinderten Menschen an und führt kulturell vielfältige Gruppen zusammen. Die Proberäume und
die Bühne werden von 15 verschiedenen Gruppen aus
Schwerte genutzt. Ein weiterer Ausbau der Kapazitäten ist in
Planung. Inzwischen haben sich weitere Vereine auf dem Gelände angesiedelt. Die Bürgerstiftung engagiert sich zusätzlich für die Entwicklung in der Schwerter Innenstadt im Projekt »Rund um St. Viktor« und wird so noch mehr zum Motor
für Nachbarschaft und Stadtentwicklung.
HÜRDEN
Finanzierung: Auch dieses Projekt ist für Banken erklärungsbedürftiger als andere und stieß auf Finanzierungsvorbehalte bei den Geschäftsbanken.
Förderung: Die Komplexität der Förderanträge hat seit Beginn des Projektes enorm zugenommen und bindet in neuen
Projekten von »Initiative ergreifen« zunehmend Ressourcen.
Zudem hat aus Sicht der Rohrmeisterei die Risikobereitschaft der Fördergeber abgenommen.
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SALINE 34
ERFURT
© Jörn Luft
Besonders interessant für den Konvent, weil… die jungen Nutzer
durch das sehr niedrige Nutzungsentgelt und die langfristige Perspektive
die Entwicklung ihrer Unternehmungen und ihr Engagement für die Stadt
nicht nur zwischenzeitlich, sondern längerfristig miteinander verbinden
können.
Ort
Erfurt-Nord
Initiator/Träger
Plattform e. V.
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Gebäudesanierung mit Jugendlichen. Gemeinschaftswerkstatt – Siebdruck, Seminarräume,
Ateliers, Büroräume, Gemeinschaftsküche, Ladenlokal als offenes Wohnzimmer
Projektphasen
seit 2011 Umbau und Instandsetzung
Projektgröße
Nutzfläche gründerzeitliches Eckgebäude: ca. 1.000 m², stark sanierungsbedürftig
Internet
www.saline34.de
old.ladebalken.info/phase2
www.werft34.de
80
Im Projekt Saline 34 nutzen junge Menschen ein früher einmal zum Abriss freigegebenes städtisches Eckhaus, um neue
eigene Freiräume und Entwicklungsmöglichkeiten aufzubauen. Auf allen vier Etagen bauen sich Jugendliche, Studenten
und junge Startups aus der kreativen Szene ihre zukünftigen
Arbeitsorte aus. Es entstehen Workshop-Angebote, offene
Werkstätten, vielfältige Veranstaltungen sowie ein offenes
Wohnzimmer, wodurch die Bildungslandschaft für junge
Menschen in diesem Teil der Stadt spürbar erweitert wird.
Das prominente Eckgebäude liegt in der Nähe des Nordbahnhofs innerhalb des Programmgebietes »Soziale Stadt«
(www.sozialestadt-erfurt.de) und ist zu einer Art Drehscheibe für Ermöglichungskultur geworden.
Das gründerzeitliche Eckgebäude mit Ladenlokal aus der
Zeit um 1920 wurde durch den niedrigschwelligen Umbau mit
Jugendlichen ab 2011 vor dem Verfall gerettet. Hierfür konnten die Akteure eine Anschubfinanzierung in Höhe von
120.000 Euro aus dem Forschungsprogramm »Experimenteller Wohnungs- und Städtebau« (ExWoSt) Forschungsfeld
»Jugend belebt Leerstand« akquirieren; alle weiteren Kosten
wurden durch Spenden und Eigenarbeit selbst getragen. Es
wird ein guter Kontakt zu den zuständigen Verwaltungsstellen gepflegt. Dem Projekt wird seitens der Politik und Kommune allerdings nur zugestimmt, weil keine städtische Mittel
dafür in Anspruch genommen werden. Erst 2017 ist geplant,
aus Mitteln der Sozialen Stadt Kellergewölbe und Dachstuhl
des Hauses zu sanieren und das Dach mit weiteren Nutzungsräumen auszubauen, wofür die Stadt einen Eigenanteil
von 30 % aufbringen muss.
Vorläufer für das Projekt Saline 34 waren Aktivitäten aus
dem Jugendbeteiligungsprogramm »Ladebalken«, ebenfalls
von Plattform e. V. durchgeführt und ebenfalls Teil eines
ExWoSt-Forschungsprojekts, das von 2009 bis 2010 lief. Die
Projektinitiatoren von Plattform e. V. und zahlreiche aktive,
kreative Jugendliche waren also bereits motiviert und geübt
darin, gemeinsam ein verbindliches Engagement einzugehen.
Diese Belebung von Gebäude und Quartier fand in zwei Phasen und immer auch parallel zum Umbau statt. In der ersten
Phase wurden Nutzungskonzepte von jugendlichen Projektgruppen und Initiativen gesammelt und ausgewählt. In der
zweiten Phase sollten auf 50 % der Raumfläche langfristige
Projekte gestartet werden. Die verbleibende Fläche sollte
durch Projektausschreibungen temporär an Jugendgruppen
vergeben werden, um auch kurzfristige Gestaltungs- und Betriebsideen umsetzen zu können. Analog erhielten die Jugendgruppen hierbei fachliche und materielle Unterstützung
von den Projektinitiatoren des Plattform e. V.
Die Nutzung des Hauses konnte dann mit der »Werft 34« als
Existenzgründungsprogramm bzw. Gründerlabor für junge
Kreative über eine dreijährige Förderung der Schweizer Drosos Stiftung gesichert werden. Dabei verbesserten sich Einkommenssituation und Arbeitsbedingungen der Gründungsinitiativen, konnte preisgünstiger und inspirierender Raum
gesichert, sowie ein Kulturwandel durch öffentliche Anerkennung, mehr Teilhabe und kollaboratives Wirtschaften von
soziokulturellen Akteuren erreicht werden.
Die mehrjährige niederschwellige Instandsetzung des Gebäudes ist gemeinsam mit den Jugendlichen gelungen, und
es konnten sehr schnell für alle Räume Nutzer gefunden werden. Es zeigte sich, dass das Interesse an einer dauerhaften
Nutzung wesentlich höher ist als an einer temporären. Daher
wird nun das ganze Gebäude an Dauernutzer für eine geringe
Nutzungsgebühr von (1,80 Euro/m²) vermietet. Die Nachfrage ist weiterhin groß.
Nach der arbeitsintensiven Instandsetzung konzentrieren
sich die Akteure nun insbesondere darauf, die Hausgemeinschaft zu bilden und sich im Viertel und Erfurter Norden weiter zu verankern. Die Nutzer gründen deshalb einen eigenen
Verein, der die Trägerschaft des Objekts übernehmen will.
Der Erfurter Norden ist ein stigmatisierter Stadtteil, der es
nur schwer schafft, sein Image zu verbessern. In den letzten
Jahren sind dort bereits mehrere Projekte entstanden, die
das negative Image positiv verändert haben. Die Saline 34 ist
ein wichtiger Teil davon.
Aufgrund ihrer Größe und vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten ist die Saline 34 ein besonderes Beispiel dafür, wie ein
Jugendprojekt zu einem wichtigen Kristallisationskern für
weitere Entwicklungen im Viertel werden kann.
HÜRDEN
Augenhöhe: Die Stadt Erfurt stellt das Gebäude bisher nur
über jährlich verlängerte Verträge zur Verfügung. Von einem
Verkauf an die Nutzer wurde bisher abgesehen. Aus Sicht der
Kommune existiert noch kein belastbares Konzept, wie die
Kosten und Risiken von Kauf und Sanierung durch die Nutzer
bewältigt werden könnten. Im Rahmen der Sanierung des
Gebäudes durch Städtebaumittel ist eine langfristige Zweckbindung geplant, wodurch das Haus dann dauerhaft der
Nutzergemeinschaft zur Verfügung stehen soll.
81
SCHAUBÜHNE LINDENFELS
LEIPZIG
© Verena Maas
Besonders interessant für den Konvent, weil… die zum Erwerb
der Immobilie und für die Trägerschaft des Produktionshauses gewählte Rechtsform, eine gemeinnützige Aktiengesellschaft (gAG) ist und die
Schaubühne als Aktientheater bis 2014 der einzige Kulturbetrieb Deutschlands in dieser Rechtsform war.
Ort
Leipzig-Lindenau
Initiator/Träger
Schaubühne Lindenfels gAG
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Produktions- und Aufführungsort mit einem interdisziplinären Gesamtkonzept:
Theater, Kino, Gastronomiebetrieb
Projektphasen
etabliert; seit 1993 Nutzung des Gebäudes, 1993–1995 erster Umbau,
ab 1994 Veranstaltungen
Projektgröße
Gesamtfläche des Gebäudes: 1.000 m², Theatersaal: 600 m², Kinosaal: 115 m²,
Gastronomie: 200 m²
Internet
www.schaubuehne.com
82
Mit Gründung der gemeinnützigen Aktiengesellschaft (gAG)
zum Erwerb der Immobile und als Träger des Produktionshauses startet 2005 ein Experiment von kulturpolitischer,
gesellschaftlicher und ökonomischer Relevanz. Ziel war es,
die Immobilie durch die gemeinnützige Aktiengesellschaft
vom Markt zu nehmen und in die Hände vieler zu bringen. Die
Aktionäre und Miteigentümer unterstützen durch den Erwerb von Anteilsscheinen nicht nur aktiv das Theater und
das Filmkunsthaus Schaubühne, sondern auch die Arbeit
Leipziger Künstler, da die »künstlerischen Wertpapiere« in limitierter Auflage von ortsansässigen Künstlern gestaltet
werden. Inzwischen zählt das erste deutsche Aktientheater
1.182 Aktionäre mit 4.631 Anteilen (Stand Januar 2015). Die
gemeinnützige Aktiengesellschaft besteht aus Vorstand,
Aufsichtsrat und der jährlich stattfindenden Aktionärshauptversammlung. Der Aufsichtsrat als Vertretung der Gesellschaft berät und kontrolliert den Vorstand. Dem Vorstand obliegt die operative Geschäftsführung. Er wird vom
Aufsichtsrat gewählt und ist ihm gegenüber berichtspflichtig. Neben den Kosten, die die gAG aus eigenen Mitteln aufbringt, wird ein großer Teil der Gesamtkosten aus Fördermitteln der Stadt Leipzig, des Freistaates Sachsen und der EU
gedeckt.
Perspektiven, die sich speziell mit gesellschaftlichen Themen und Fragestellungen der künstlerischen Produktion
auseinandersetzen. Das Gründerteam der Schaubühne bietet zwar ein hohes Identifikationspotenzial für deren Mitstreiter, allerdings bleibt die nachhaltige Bindung der Aktionäre und anderen Akteure eine wichtige und schwierige Aufgabe, um den Fortbestand der Schaubühne auch langfristig
zu sichern.
Dem Verein für internationale Theatererkundungen ist es gelungen, das marode, undichte Gebäude wieder in einen
spielfähigen Zustand zu versetzen und mit eigenem Ensemble Theater zu machen. Und das obwohl der auf zwölf Jahre
laufende Mietvertrag keinerlei Renovierungspflichten des Eigentümers enthielt. Dass der Theaterbetrieb mit eigenem
Ensemble wirtschaftlich nicht tragfähig war, wurde schnell
nach Start des Projektes klar. Das Programm wurde breiter
aufgestellt und um Programmkino und Restaurantbetrieb ergänzt.
Im September 1994 eröffnet die Schaubühne Lindenfels ihre
erste Saison im historischen Ballhaus und Kino. Inzwischen
hat sie sich zu einem Imagefaktor für die Stadt entwickelt
und stellt trotz ihrer Gemeinnützigkeit einen bedeutenden
wirtschaftlichen Impuls dar. Sie ist in verschiedenen Netzwerken überregional verankert und fungiert als ein zentraler
Ort für die Entwicklung des Leipzigers Westens als kulturell
geprägtem Quartier.
HÜRDEN
Förderung und Finanzierung: Ein strukturelles Problem bildet nach wie vor die Eigenkapitalschwäche und damit verbunden die Abhängigkeit von institutioneller Förderung
durch die Kommune. Jährlich neue haushaltspolitische Verhandlungen lassen kaum Planungssicherheit zu. Hinzu
kommt, dass traditionelle Fördermuster und die neue Form
dieser »professionellen Privatinitiative« häufig in Widerspruch zueinander standen und die Kommunikation zwischen Akteuren und Stadt erschwerten.
Programmatische Schwerpunkte sind neben Theater- und Eigenproduktionen Tanz, Performance, Filmkunst, Musik, Literatur und neue Medien. Die Schaubühne konzipiert und realisiert ebenfalls Projekte im öffentlichen Raum wie das »Westend Festival« oder das Festival »Resonanzen«, aber auch
Augenhöhe: Die Schaubühne als Image- und Wirtschaftsfaktor für den Stadtteil hat auch einen Beitrag dazu geleistet,
dass das Quartier für viele Menschen aus anderen Stadtteilen attraktiv und »wohnenswert« ist, mit allen gewollten und
ungewollten Folgen.
83
SCHWABEHAUS
DESSAU
© Holger Schmidt
Das Schwabehaus in Dessau liegt in der Dessauer Neustadt
und ist um 1820 auf Basis einer »Konzeptausschreibung«
entstanden. Der Herzog von Anhalt-Dessau schrieb das
Grundstück mit der Frage an die Bewerber aus, ob sie in der
Lage seien, an dieser Stelle ein Haus zu errichten, das der
Stadt Dessau zur Ehre gereiche. Der Gewinner des Bewerbungsverfahrens bekam für sein Bauvorhaben einen Baukostenzuschuss von 12 % und 100 Taler für Bauziegel.
Das Haus wurde zum Wohnen und als Gasthaus genutzt. Ab
den 1980er Jahren steht es bis auf die beiden Gewerbeeinheiten leer, wird unter Denkmalschutz gestellt, kann aber
nicht saniert werden. Nach der Wende wird das Haus von
der Erbengemeinschaft an einen privaten Bauträger verkauft. Die Gemeinde hat ihr denkmalbegründetes Vorkaufsrecht nicht eingesetzt, weil sie hofft, dass der Bauträger das
Haus sanieren würde. Das Gegenteil tritt jedoch ein: zunehmender Verfall und ein anschließender Abrissantrag im Jahr
1996. Als öffentlich wird, dass dem stattgegeben werden
soll, hat sich eine politische Allianz gebildet, die dies verhindern will. Die Sanierungsfähigkeit des Hauses wird nachgewiesen, aber es findet sich kein Investor, der eine denkmalgerechte Sanierung durchführen will. Die Politik setzt eine
letzte Frist von sechs Wochen, in der ein Sanierungskonzept
vorgelegt werden sollte, bevor sie den Abriss genehmigen
will.
Besonders interessant für den Konvent, weil… sich bürgerschaftliches Engagement gegen kommunale Vorbehalte durchgesetzt hat und
drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden konnten: Denkmäler
gerettet, Kulturangebot entwickelt und wirtschaftlich tragfähigen Betrieb
gesichert. Außerdem konnte das Schwabehaus im Rahmen des Modellvorhabens »Initiative ergreifen« des Bundes um die Alte Bäckerei erweitert
werden.
Ort
Dessau
Initiator/Träger
Schwabehaus e. V.
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Vereins- und Kulturhaus mit gemeinnützigen und wirtschaftlichen Nutzungen
Projektphasen
etabliert und wirtschaftlich tragfähig
Projektgröße
zwei 2-stöckige kleine Stadthäuser (Schwabehaus und Alte Bäckerei) in Dessau,
zusammen 760 m² Nutzfläche
Internet
www.schwabehaus.de
84
13 Bürger der Stadt Dessau, teilweise mit politischem Amt,
haben sich daraufhin zusammengetan und innerhalb kürzester Zeit den Schwabehaus e. V. gegründet, der in den verbleibenden vier Wochen ein Sanierungskonzept für das wissentlich dem Verfall preisgegebene Objekt vorlegt. Dieses wird –
nach der ersten Zurückweisung durch den Oberbürgermeister – schlussendlich vom Stadtrat als tragfähig akzeptiert.
Insgesamt hat die Sanierung des Hauses ohne Grundstückskosten 2,1 Millionen DM gekostet. Etwa 25 % aller Kosten
sind durch den Verein getragen worden, 75 % der Kosten
können als Zuschüsse akquiriert werden. Die Gesamtfinanzierung des Projektes besteht aus 11 einzelnen Finanzierungsbausteinen mit den damit zusammenhängenden Förderrichtlinien, Anträgen, Verwendungsnachweisen. Essentiell für die Finanzierung sind die Bürgen (Bürger der Stadt und
weitere Interessierte, die das fehlende Eigenkapital gegenüber der GLS Bank mit Bürgschaften zwischen 500 und
5.000 Euro abgesichert haben). Die Sanierung selber kann
im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und mit
viel praktischer Unterstützung der Vereinsmitglieder bewältigt werden.
Das gemischte Finanzierungskonzept beinhaltet vor allem:
► Kredit, refinanziert durch Mieteinnahmen
► Sicherung der Gewerbemieten auch während der Bauzeit
► geförderte Beschäftigungsmaßnahmen (Vergabe-ABM)
► Eigenleistungen der Mitglieder (Subbotniks, Verwaltung
und Organisation, Sach- und Geldspenden)
► Material- und Geldspenden
► zweckgebundene Direktförderung diverser Institutionen
(Lotto-Toto Sachsen-Anhalt, Land Sachsen-Anhalt,
Stadt Dessau)
Das Haus wird so umgebaut, dass neben einem Restaurant,
einem Schusterladen sowie zwei Veranstaltungsräumen im
Erdgeschoss in der ersten Etage Büroräume entstehen, die
Vereinen zu vergünstigten Konditionen vermietet werden.
Anfang der 2000er Jahre ist das Schwabehaus fertig gestellt
und der Verein hat immer noch Kraft genug, dass Nachbarhaus – die Bäckerei – im Erbbaurecht von der Erbengemeinschaft zu erwerben. Dabei wird sie maßgeblich von dem Modellvorhaben »Initiative ergreifen« der Nationalen Stadtentwicklungspolitik unterstützt. Auch hier sind mittlerweile
feste – teilweise kommerzielle, teilweise gemeinnützige –
Mieter eingezogen. Das Vorhaben kostet 560.000 Euro, die
Kosten werden zu 80 % über Stadtumbau-Fördermittel und
die restlichen 20 % durch Eigenleistungen, Spenden oder eine Kreditaufnahme gedeckt.
Teilweise direkt zitiert aus www.schwabehaus.de
HÜRDEN
Augenhöhe: Der Verein wurde als weniger vertrauenswürdig
eingeschätzt als der das Gebäude verfallen lassende Bauträger.
Förderung: Die gesamte Konzeption des Projektes wurde ehrenamtlich gewährleistet und wäre wahrscheinlich ohne den
professionellen Hintergrund einiger Vereinsmitglieder in der
Kürze der Zeit nicht machbar gewesen. Die wichtige, aber
überaus komplexe Förderung der Investition erforderte einen großen bürokratischen Nachweis-Aufwand.
Finanzierung: Die lokalen Geschäftsbanken waren zunächst
nicht bereit, das Projekt zu finanzieren. Beim zweiten Projekt
erfolgte eine unkomplizierte Finanzierung der Stadtsparkasse.
85
STRAZE
GREIFSWALD
© Romy Plonus
Besonders interessant für den Konvent, weil… die Initiative zur
Wiederbelebung des ehemaligen Greifswalder Konzerthauses Zum Greif
zeigt, dass kollektiv organisierte Immobilienentwicklung Baudenkmäler
retten kann. In der Projektfinanzierung und -umsetzung sind interessante
Ansätze aus der solidarischen Ökonomie nachzuvollziehen.
Ort
Greifswald
Initiator/Träger
Kultur- und Initiativenhaus Greifswald e. V.
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Veranstaltungsräume, Seminar- und Werkstattbereich, Gastronomie, Wohnen
Projektphasen
2008 / 2009 Konzepterstellung, 2013 Kauf, seit Sommer 2016 Sanierung
Projektgröße
Gesamtfläche Gebäude: 3.400 m², davon ca. 1.000 m² Wohnen, ca. 2.400 m² für
gewerbliche und gemeinnützige Projekte; Gesamtfläche Außenbereich: 8.430 m²
Internet
www.straze.de
86
2007 verkauft die Universität Greifswald das ehemalige Konzert- und Gesellschaftshaus in der Stralsunder Str. 10/11. Der
denkmalgeschützte spätklassizistische Saal wurde lange als
Turnhalle genutzt. Zuletzt wohnten im früheren Hoteltrakt
des Hauses Studenten. Der neue Eigentümer erwog verschiedene Nutzungen, doch die Sanierungskosten für das
teilweise marode Haus wären enorm gewesen. Immer wieder
bringt der Eigentümer das Gespräch auf einen möglichen
Abriss. Gegen den Abriss formiert sich im Frühjahr 2008 eine
Bürgerinitiative. Über eine Ausstellung zur Geschichte des
Hauses versucht sie, die Bedeutung der Immobilie für die
Stadt und Region kenntlich zu machen.
Gleichzeitig entschließt sich ein befreundeter Kreis von Menschen in verschiedenen Initiativen dazu, ein Projekthaus in
Greifswald zu gründen. Utopie ist ein überregional wirkender
Freiraum für Kultur- und Bildungsarbeit, der gleichzeitig lokal verwurzelt ist. Das Wissen um die fast vergessene Immobilie in der Stralsunder Str. 10/11 lässt die Pläne des neu gegründeten Vereins Kultur und Initiativenhaus Greifswald konkret werden. Erste Kaufangebote werden zunächst von Eigentümer und Stadt begrüßt, führen aber nicht zu ernsthaften Verhandlungen. Um dem drohenden Abriss weiter entgegenzuwirken, entscheidet sich der Verein 2009 zu einer öffentlichen Vorstellung eines Konzepts einschließlich der
Wiedererschließung von Saal und Bühnenraum. Auf der Veranstaltung bekräftigten die GLS Bank und die Stiftung NordSüd-Brücken ihre Absicht, in das Vorhaben zu investieren.
Im April 2012 erlässt das Denkmalamt ein Abrissverbot. Im
Herbst 2012 willigen Stadt und Eigentümer in den Verkauf an
die Initiative ein. Im Dezember 2013 wird der Kaufvertrag für
das Haus und das ca. 8.500 m² große Grundstück unterzeichnet. Neuer Eigentümer wird die eigens gegründete
Stralsunder Str. 10 GmbH. Die rechtliche Organisation sieht
eine gemeinsame Verwaltung der Initiative mit dem Mietshäuser Syndikat vor. So soll die dauerhafte Nutzung durch
ein selbstorganisiertes Kollektiv sichergestellt werden.
gelmäßig Events auf dem Gelände. Ende 2015 wird der Bauantrag für die Straze eingereicht. Geplant ist die Sanierung
des ehemaligen Hoteltrakts und Ausbau des Dachgeschosses zu Wohnraum. Die Sanierung der öffentlichen Räume inklusive Saal und Umbau für Gastronomie folgen in einem
weiteren Bauabschnitt. Die Teilabsicherung des Projekts
durch Wohnraum ist für die Initiative nicht nur eine finanzielle Entscheidung. Viele der zum Teil seit Jahrzehnten befreundeten Aktiven sehen Vorteile in der engen Verzahnung von
Wohnen und Arbeiten: für sich persönlich und für die Stabilität des Gesamtvorhabens.
Zwei Jahre nehmen sich die Aktiven der neu getauften »Straze« Zeit, ein bedarfsorientiertes Konzept für die Sanierung
und Bewirtschaftung der über 3.000 m² Nutzfläche des Gebäudes zu erstellen. Zentral waren die Fragen, wie viel Kosten durch bauliche Eigenleistung gespart werden können
und wie die denkmalgerechte Sanierung und Nutzung des
Saals funktionieren kann. Zu diesem Zwecke wurden Beispielprojekte in der ganzen Bundesrepublik besucht. Neben
der Planung fanden in großen gemeinsamen Arbeitseinsätzen Aufräumarbeiten und Maßnahmen zur Sicherung statt.
Um Unterstützer und künftige Nutzer zu werben sowie die
Nachbarschaft einzubeziehen, veranstaltete die Initiative re-
HÜRDEN
Kommunikation mit der Kommune: Erst den jahrelangen
Einsatz der Initiative nahm die Kommune als Beweis für die
Ernsthaftigkeit des Vorhabens an. Die Wartezeit ging nicht
zuletzt auch zu Lasten der Immobilie, die durch Leerstand
weiter verfiel.
Um bezahlbare Flächen für Seminarräume, Bibliothek und
Werkstätten zu gewährleisten, war die Initiative auf Förderprogramme sowie Spenden und andere solidarische Finanzierungen angewiesen. Die Saalnutzung, mit dem proportional größten Flächen- und Kostenanteil der öffentlichen Räume stellt dabei das größte Risiko dar. Querfinanzierung und
Synergie-Effekte sollen Nutzungen mit unterschiedlichen
Budgets ermöglichen. Als künftiger Generalmieter hat der
gemeinnützige Verein Kultur und Initiativenhaus Greifswald
bereits mehrere erfolgreiche Fördermittelanträge gestellt.
Neben den im Mietshäuser Syndikat üblichen Nachrangdarlehen stehen auch Mittel durch Leih- und Schenkgemeinschaften zur Verfügung. Die nötige Vorfinanzierung der über
Jahre fließenden Kleinbeträge organisiert die GLS Bank.
Mit der Straze wird das letzte Gesellschafts- und Konzerthaus seiner Art in Vorpommern erhalten und neu definiert.
Das offene Nutzungskonzept für großzügige Innen- und Außenflächen will Begegnungen und soziale Innovationen ermöglichen. Im Sommer 2016 hat der Sanierungsprozess mit
einem solidarischen Einsatz von über 100 Wandergesellen
aus ganz Deutschland begonnen. Die Herausforderung ist
nun, die kollektive Energie während des Sanierungsprozesses aufrechtzuerhalten.
Förderung: Während des Vorlaufs mussten auch dringend
notwendige Planungs- und Kommunikationsmaßnahmen ehrenamtlich erfolgen. Hier hätte sich die Initiative Unterstützung in Form von Finanzmitteln, Netzwerken und Beratung
gewünscht, wie es sie z. B. in NRW bereits gibt.
87
ufaFABRIK
BERLIN
© ufaFabrik
Eine ehemalige Besetzergruppe professionalisiert ihr Engagement und sichert heute die soziale Daseinsfürsorge im
Quartier.
Besonders interessant für den Konvent, weil… die ufaFabrik schon
seit mehr als 35 Jahren Immovielie und ein wichtiger sozialer Träger im
Bezirk ist. Das mit einer Besetzung gestartete Projekt kann Vorbild für
zinslose Darlehen, Erbbaurecht und Kommunikation mit Politik und Nachbarschaft sein. Die Gruppe der ufaFabrik hat sich so weit professionalisiert, dass sie Aktive für ihre Arbeit bezahlen kann.
Ort
Berlin-Tempelhof
Initiator/Träger
ufaFabrik Berlin e. V.
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Kultur, Arbeiten, Wohnen, Schule
Projektphasen
etabliert; 1979 Besetzung und erster Mietvertrag, 1986 Pachtvertrag
Projektgröße
Gesamtfläche: 18.500 ha, Nutzfläche: 7 Gebäude mit ca. 7.000 m²
Internet
www.ufafabrik.de
88
Ausgangspunkt war das leerstehende, vom Abriss bedrohte
Ex-Kopierwerk der Ufa Film Aktiengesellschaft sowie das dazugehörige Gelände in Berlin-Tempelhof. Ein Stadtteil, in
dem es in den 1970er Jahren kaum Kulturangebote gab. Verhandlungen mit dem Eigentümer über die Bereitstellung der
Flächen und Gebäude erwiesen sich als schwerfällig. 1979
besetzt eine Gruppe das Gelände. Sie vermittelt die Besetzung erfolgreich als »friedliche Inbetriebnahme«, indem sie
das zuvor verschlossene Gelände erstmals der interessierten Nachbarschaft zugänglich macht. Innerhalb von nur drei
Wochen sammelt die Gruppe 30.000 Unterschriften für das
Projekt. In zahlreichen Einzelgesprächen können die Projektmacher die Politik fraktionsübergreifend für ihr Vorhaben
gewinnen. 1986 erwirbt das Land Berlin das Gelände, um es
der Gruppe in einem Erbbaurechtsvertrag mit 35 Jahren
Laufzeit zu verpachten.
Heute kommen auf dem Gelände mit Alt- und Neubauten aus
den 1930er, 1950er und 1990er sowie 2010er Jahren ganz unterschiedliche Gruppen aus dem Viertel zusammen, und es
gibt einen Bioladen, ein Gästehaus, eine Freie Schule, einen
Spielplatz, einen Kinderbauernhof, ein Café und ein Restaurant, Theatersäle und Salons, Ateliers, eine Sommerbühne,
Proberäume, eine Musikschule mit Tonstudio, einen Tanzraum, einen Zirkus, das Nachbarschaftszentrum, eine Bäckerei und Seminarräume.
Sämtliche Bauaufgaben hat die Gruppe in Eigenarbeit durchgeführt. In der Anfangszeit hat sie dafür Privatdarlehen in
Höhe von 360.000 DM aufgenommen, eine damals noch
sehr neue Idee. Mitte der 1980er Jahre zwingen steuerliche
Gründe die ufaFabrik-Macher das bisherige gemeinsame
Wirtschaften aufzugeben. Sie gründen einen Dachverein und
zahlreiche Einzelbetriebe, die sich selbst finanzieren und
Miete an den Trägerverein zahlen. Dachorganisation, Erbbaurechtsnehmer und Eigentümer der Gebäude ist der Verein ufaFabrik Berlin. Mitglieder sind alle auf dem Gelände
wohnenden Personen. Der Verein betreibt das Gästehaus
und tritt gegenüber den eigenständigen Organisationen als
Vermieter auf. Heute existiert ein Geflecht von insgesamt 13
voneinander unabhängigen Organisationen, die jedoch eng
kooperieren. Es arbeiten über 200 Menschen auf dem Gelände. Die 40 hier lebenden Personen werden für ihr Engagement Geld erhalten und Miete und Grundkosten (Kostgeld)
an den Dachverein zahlen. Die Verhandlungen über eine Anpassung der Höhe des Erbpachtzinses stehen in 2018 an. Die
Projektmacher rechnen angelehnt an die Preissteigerungen
im Mietspiegel mit einer Erhöhung.
HÜRDEN
Finanzierung: Die ufaFabrik hätte heute einen deutlich größeren finanziellen Spielraum, wenn sie das Gelände damals
nicht gepachtet, sondern gekauft hätte. Durch eine Anpassung an den Mietspiegel droht eine Erhöhung der Pacht.
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UTOPIASTADT
WUPPERTAL
© Verena Maas
Besonders interessant für den Konvent, weil… es Utopiastadt
gelungen ist, ihre Immovielie durch eine breite Mischung von Geldern
und einer Förderung durch das NRW-Programm Initiative ergreifen zu
finanzieren.
Ort
Wuppertal
Initiator/Träger
»clownfisch« (Beate B. Blaschczok und Christian Hampe GbR), später Utopiastadt gGmbh,
Förderverein Utopiastadt e. V.
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Kultur, Coworking, Werkstatt, Gastronomie, Garten
Projektphasen
2011 Inbetriebnahme, ab Mitte 2017 Umbau
Projektgröße
Nutzungsfläche derzeit: ca. 1.000 m², Gesamtfläche Bahnhofsgebäude: 2.000 m²,
Außenbereich: weitere ca. 2.000 m²
Internet
www.utopiastadt.de
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Eigentlich ist Utopiastadt unmöglich, aber weil 150 ehrenamtlich Engagierte selber mit anpacken, zwei Initiatoren ihr
privates Geld in das Projekt gesteckt haben, 270.000 Euro
über Kleinspenden gesammelt wurden und es motivierte
Mitarbeiter bei der Stadt Wuppertal, vor allem der Wirtschaftsförderung, gibt, die sehr unterstützend wirken, funktioniert es eben doch.
Für die Idee des Projektes ist das denkmalgeschützte und
leerstehende Bahnhofsgebäude ideal. Die Sparkasse, Vorbesitzerin des Gebäudes samt Grundstück, konnte keinen passenden »klassischen« Investor finden. Gut für die Utopisten:
Ihre Ideen stießen auf fruchtbaren Boden, und es wurde ein
vierjähriges Moratorium verhandelt. Die Stadtsparkasse
spendet den Bahnhof unter folgenden Bedingungen an die
gemeinnützige Organisation Utopiastadt: Erfolgreicher Start
des Projekts, Fördermittelakquise für den Umbau und die
Rückzahlung der Instandhaltungsgelder, die die Sparkasse
vorfinanziert hat. Die Erhaltungs- und Instandsetzungskosten können auch durch Eigenleistung erbracht werden.
Die Aussicht auf die Übertragung des Grundstücks hat die
Utopisten kreativ gemacht. Etwa 150 Ehrenamtliche arbeiten
an der Instandsetzung mit. Auf einer Fundraisingplattform
sammeln sie mit der Kampagne »1 m2 – Wir kaufen uns die
Stadt zurück« weitere knapp 40.000 Euro. Auch die lokale
Dr. Werner Jackstädt-Stiftung stellt 200.000 Euro Spenden
in Aussicht, wenn auch das NRW Landesprogramm »Initiative ergreifen« Utopiastadt fördert. Durch die Spende sichert
die Utopiastadt gGmbH ihren Eigenanteil für die Förderung.
Das Schwierigste in dem Prozess ist, die Zusage für die Förderung zu bekommen. Es sind zahlreiche Gespräche notwendig. Doch die Devise: »Alle an einen Tisch, und geht nicht
gibt’s nicht« führt zu einer Förderung über das NRW-Förderprogramm »Initiative ergreifen« in Höhe von 3 Millionen Euro. Weitere knapp 10 % Eigenanteil trägt die Stadt Wuppertal. Auch in der Finanzierung ihrer Projekte zeigt sich die
Utopiastadt kreativ. Das eigene Bio-Bier »Bärtig Bräu« ist mit
einem Quartierfonds verbunden, der aus Einnahmen des Bieres gespeist wird und unter anderem Workshops im Bereich
Urban Gardening und Kochen oder manchmal auch einfach
Mülleimer finanziert.
Von Anfang an hat Utopiastadt Unterstützer und Förderer in
der Verwaltung (z. B. bei der Wirtschaftsförderung und bei
der Stadtentwicklung). Inzwischen nimmt auch die Stadtspitze die Wirkung von Utopiastadt wahr und schätzt sie
wert.
Im Forum: Mirke, einem Quartiersforum, das reihum in den
verschiedenen Initiativen des Viertels stattfindet und das die
Utopisten mitgegründet haben, tauschen sich die Engagier-
ten des Viertels aus. Die Mitwirkung an zahlreichen Projekten in und um Wuppertal zeigt die große Präsenz der Utopisten auf vielen Ebenen: Es gibt eine Suchmaschine für Wuppertal, einen offenen Haushalt, StadtWiki und das FabLab.
Utopiastadt ist ein Stadtlabor für Utopien, in dem visionäre
Ideen und gesellschaftspolitische Haltungen konkretisiert
und realisiert werden. Initiativen, Projekte und Agenturen,
die sich mit neuen Programmen und Ideen zu Kultur, bürgerschaftlichem Engagement, Selbstorganisation, Stadtentwicklung, urbaner Ökonomie und Ökologie, politischer und
kultureller Mitgestaltung und Kreativwirtschaft beschäftigen, kommen zusammen. Coworking-, Agentur- und Atelierräume, eine Tanzschule, das Café Hutmacher, in dem regelmäßig Veranstaltungen im Bereich Musik, Literatur und
Kunst stattfinden, eine Werkstatt, ein kostenloser Fahrradverleih und ein öffentlich zugänglicher Garten sind Teil von
Utopiastadt. In Kooperation mit anderen Akteuren gibt es
regelmäßig Projekte mit Kindern und Jugendlichen aus der
Nachbarschaft.
Um diese Angebote weiterhin zu leisten und zu verstetigen,
steht zunächst der Aus- und Umbau des Bahnhofs im Fokus.
Aber auch die angrenzenden Flächen sollen im Geist der Ursprungsidee weiterentwickelt werden. Diese Flächen gehören Aurelis. Alle Partner (Stadt, Utopiastadt, Aurelis) verhandeln gerade über einen guten Weg, die unterschiedlichen
Interessen zu einem guten, gemeinsam getragenen Projekt
zu verbinden.
HÜRDEN
Förderung: Die Projekt- und die Förderwelt passen nicht gut
zusammen. Die Antragstellung war eine extreme Bastelei.
Auch die Schnittstellen zwischen Kommune und Land tragen
nicht zur Vereinfachung bei. Hier tut Vereinfachung und Harmonisierung Not, damit gemeinwohlorientierte Energien
nicht unnötig verbraucht werden. Und: Gerade in Projekten
mit vielen Ehrenamtlichen ist es wichtig, Anerkennung und
Zuspruch zu geben. Dafür ist es sinnvoll, wenn soziale Kümmerer in der Anlaufphase gefördert werden.
Finanzierung: Das Engagement ist und war finanziell
Selbstausbeutung für die Initiatoren des Projektes, die zeitweise auch privat gehaftet und Kredite für das Projekt aufgenommen haben. Damit Immovielien nicht unter diesen extremen Druck geraten, ist eine Entlastung von den finanziellen
Risiken notwendig.
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WOGENO MÜNCHEN MIT DANKLSALON
MÜNCHEN
© WOGENO eG
Die WOGENO ist vor 23 Jahren aus einer Initiative gegen
Mietwucher, der SOWIESO, entstanden. Am härtesten Immobilienmarkt in Deutschland ist die WOGENO heute geschätzt,
anerkannt und erfolgreich am Münchener Wohnungsmarkt
positioniert. Sie hat eine rasante Entwicklungsgeschichte
und ist auf 520 Wohnungen in 23 Jahren gewachsen. Das
hätte keiner der elf engagierten »Überzeugungstäter« gedacht, die 1993 mit Gründung der »Genossenschaft für
selbstverwaltetes ökologisches und soziales Wohnen« ein
Zeichen gegen Spekulation und Mietwucher in München gesetzt haben. Nach zwei Jahren waren es schon 150 Mitglieder und erst dann kamen die ersten beiden Bestandsobjekte
in den Besitz der Genossenschaft.
Besonders interessant für den Konvent, weil… die WOGENO München eG Überschüsse für das Gemeinwohl in Form von Nachbarschaftsläden, Wohnraum für besondere Zielgruppen, ökologischer Mobilität für den
Stadtteil und vielem mehr verwendet.
Ort
München
Initiator/Träger
WOGENO München eG Genossenschaft für
selbstverwaltetes ökologisches und soziales Wohnen
Schwerpunkt/Hauptnutzung
Wohnen, Nachbarschaft
Projektphasen
etabliert
Projektgröße
20 Gebäude, ca. 520 Wohnungen, 3 Quartiersläden
Internet
www.wogeno.de
www.danklsalon.wogeno.de
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Die günstigen Mieten im Bestand und Neubau kann die WOGENO durch die Pflichtanteile, die sowohl Bewohner als auch
Solidargenossen einzahlen, erzielen, da so die Eigenkapitalbasis mit 40 % sehr hoch gehalten wird. Durch die derzeit
niedrigen Bankenzinsen gibt es mittlerweile ein hohes Interesse von Anlegern an der WOGENO (Dividende ca. 4 %).
Die WOGENO ist als Dachgenossenschaft für Hausprojekte
konzipiert, d. h. die Selbstverwaltung ist Programm. Denn
durch Selbstverwaltung der einzelnen Hausprojekte, durch
Eigenleistungen an Haus und Garten, durch Sharing von
Werkzeugen und Fahrzeugen und gegenseitige Hilfe können
die monatlichen Wohnkosten reduziert werden.
Die Motivation der Genossen hat sich ebenfalls in den 23
Jahren grundsätzlich geändert: Damals waren es Solidargenossen, die kaum Interesse am eigenen Wohnen hatten,
heute sind es fast 4.000 Genossen, von denen aber ein Drittel noch auf Wohnungen warten. Es gibt also viel zu tun und
mit einem geschätzten Immobilienvermögen von 100 Millionen Euro sind Gelder vorhanden. Aber: Grund und Boden ist
in München kaum verfügbar, ein Haus »im Vorbeigehen kaufen« in München fast unmöglich.
Und noch zwei Besonderheiten zeichnen die WOGENO aus –
sie ist ökologisch und sozial: Ökologisch durch energetische
Sanierung, alternative Energiekonzepte mit Solarenergie, eigene Kraft-Wärme-Erzeugung, Dach- und Hofbegrünungen
sowie Mobilitätsangebote mit u. a. Carsharing, E-Bikes und
Radstationen. Sozial durch die Kooperation mit Behindertenselbsthilfeverein, Obdachloseninitiative, Jugendwohnprojekt, Beschäftigungsinitiative und Waldorfschule, mit denen
jeweils eigene Projekte entwickelt wurden.
Interessant ist auch die inzwischen gute Kooperation mit der
Stadtverwaltung: Die Veränderungen der städtischen Vergabepraxis konnten durch Beratung und der erfolgreichen Konzepte der WOGENO und durch Mitwirkung der GIMA München eG erreicht werden.
Die GIMA (genossenschaftliche Immobilienagentur), die von
den Aktiven der WOGENO mit inzwischen 23 Partnern aus
anderen Genossenschaften gegründet wurde, ist Ansprechpartnerin für verkaufswillige Eigentümer von Immobilien
oder Grundstücken. Als Zusammenschluss verschiedener
Genossenschaften können so auch bei größeren Transaktionen und Konzeptausschreibungen Gebote abgegeben werden. Die GIMA ist eine wichtige Partnerin und Beraterin der
Stadt München, wenn es um Vergabeverfahren von Grundstücken geht.
HÜRDEN
Augenhöhe: Anfangs wurde die WOGENO weder von Stadtverwaltung noch von anderen Wohnungsgenossenschaften
ernst genommen.
Boden: Es gibt fast keine bezahlbaren Lagen mehr auf dem
Münchener Wohnungsmarkt, die das Wachstum der Idee ermöglichen.
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IMPRESSUM
Diese Publikation ist anlässlich des Konvents »Immobilien
für viele – Gemeinwohl gemeinsam gestalten« am 3. /4 .
November 2016 in Leipzig entstanden.
Die Forderungen sind das Ergebnis eines einjährigen Arbeitsprozesses, an dem auf Einladung der und im Dialog mit der
Montag Stiftung Urbane Räume 15 Partner und zahlreiche Mitdenker mitgewirkt haben. Wir danken allen Partnern und
Mitdenkern sowie den Immovielien-Projekten für Ihre Unterstützung.
Bonn/Leipzig im November 2016
Herausgeber
Montag Stiftung Urbane Räume gAG
Adenauerallee 127
53113 Bonn
Vorstände
Oliver Brügge, Frauke Burgdorff
Konventteam
Frauke Burgdorff, Jörn Luft, Miriam Pflüger,
Mona Gennies, Sven Focken-Kremer, Mathis Lepel
Kontakt
Jörn Luft
j.luft@montag-stiftungen.de
Telefon +49 (0) 228 26716 476
www.montag-stiftungen.de/mur
Redaktion
Frauke Burgdorff, Jörn Luft
Grafik
sspformfaktor, Caspar Wündrich, Köln
Lektorat
7Silben, Tanja Jentsch, Bottrop
Druck
Buersche Druck und Medien GmbH, Bottrop
Papier
Enviro Top, Recyclingpapier aus 100 % Altpapier,
CO2 neutral produziert (FSC, Blauer Engel, EU Ecolabel)
Die Publikation steht online zum Download zur Verfügung unter: www.montag-stiftungen.de/konvent
Hinweise
Zum Zwecke der besseren Lesbarkeit wird auf geschlechtsspezifische Formulierungen verzichtet. Selbstverständlich beziehen sich alle gewählten personenbezogenen Bezeichnungen auf alle Geschlechter.
Diese Lizenz erlaubt Ihnen, dieses Werk zu verbreiten, zu bearbeiten, zu verbessern und darauf aufzubauen, auch
kommerziell, solange die Urheber des Originals, also die Herausgeber, genannt werden und die auf deren Werk / Inhalt basierenden neuen Werke unter denselben Bedingungen veröffentlicht werden (Creative Commons Lizenzmodell ATTRIBUTION
SHARE ALIKE). Ausdrücklich nicht unter dieses Lizenzmodell fallen alle Bilder und Abbildungen.
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www.montag-stiftungen.de/konvent