Briefe zur
Transformation
movum
2/2016
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Zukunf
Stadtökologie
THEORIE
PRAXIS
„ICH FÜHLE MICH WIE IM MÄRCHEN
‚DES KAISERS NEUE KLEIDER‘“
Interview mit Architekt Jan Gehl
UMDENKEN IN NEW YORK:
UNHEILVOLLES MEERESRAUSCHEN
Von Susanne Schwarz
STADT UND UMWELT: EHE, ZWECKGEMEINSCHAFT ODER NEUE PERSPEKTIVE?
Von Ulrich Hatzfeld
WOHNEN IM KOLLEKTIV:
EIN PARADIES MIT ABSTRICHEN
Von Joachim Wille
Coverfoto: © Brooklyn Grange, www.BrooklynGrangeFarm.com
EDITORIAL
movum.info
1
Die europäische Stadt: Ende oder Wende?
Von Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde
Der große Umzug hat längst begonnen. Das 21. Jahrhundert wird
ein Jahrhundert der Städte. Nach Schätzungen der UNO wird
sich die Stadtbevölkerung durch Wachstum, Zuzug und Migration von heute knapp vier auf 6,5 Milliarden Menschen im Jahr
2050 erhöhen. Die Städte spiegeln die Herausforderungen unserer
Gesellschaften wider – und zunehmend auch die planetaren
Grenzen, die in der geologischen Erdepoche des Anthropozäns
überschritten werden.
Der Pfeil auf der Weltklimakonferenz in Paris
gibt die Richtung der Transformation an. Foto: Friederike Meier
Ist die Stadt dabei, sich zu Tode zu siegen? Werden die geballten
sozialen und ökologischen Probleme unregierbarer Metropolen
zum Ground Zero der Moderne? Die Gefahr besteht – durch das
Wachstum der Slums, die Zunahme informeller Beschäftigung,
die Privatisierung des öffentlichen Raums und abgeschottete
kulturelle Parallelwelten. Durch Ausdehnung des städtischen
Raums in die Region, Verdrängung des Wohnens aus den Innenstädten, starken Anstieg der CO2-Emissionen und die forcierte
Konzentration wirtschaftlicher Macht.
Oder können Städte zum Vorreiter der Transformation
werden, wenn sie den sozialen Zusammenhalt bewahren,
die natürlichen Lebensgrundlagen schützen und mehr
Demokratie und Freiheit verwirklichen? In der
Geschichte gingen immer wieder progressive
Impulse von Städten aus. Heute stellt sich
die Frage: Welches Modell von Stadt ist
in der hoch urbanisierten Welt nachhaltig? Und wie muss eine Transformation aussehen, die dieses
Ziel erreicht?
Die europäische Stadt
steht für freie Bürger
und republikanische Tugenden,
für technischen
Fortschritt, für
Bildung
und
Kultur, für Durchlässigkeit, Aufstieg und Integration. Aber sie steht auch
für chaotischen Verkehr, ungezügelten Flächenverbrauch, Müllberge und Klimawandel. Ebenso für die
geballten Folgen sozialer Segregation und
Separation nach Einkommen und ethnischer
Herkunft.
Stadt ist aber nicht gleich Stadt. Polarisierungen gibt
es auch hier. Unter dem ökonomischen Druck der globalisierten Wirtschaft veröden in den alten Industrieregionen die
Innenstädte, werden die Stadtquartiere gentrifiziert, verfällt die
Infrastruktur. In boomenden Zentren übernehmen internationale
Investoren die City, zerlegen sie in immer neue Einkaufsmalls.
Innerstädtisches Wohnen wird zum Luxus. Der städtische
Begründungszusammenhang löst sich auf.
Ist die europäische Stadt „ein überholter Entwurf“, wie der
Sozialwissenschaftler Alain Touraine befürchtet? Wird sie zur
„Stadt ohne Eigenschaften“ – das vermuten Architekten wie Rem
Koolhaas –, überall gleich wie der moderne Flughafen, die Fastfood-Ketten und Premiumautos oder wie Mode und Musik, allerdings je nach Einkommen und sozialer Schicht aufgespalten in
S, M oder XL? Oder kann die „nachhaltige Stadt“ zum Forum
demokratischer Auseinandersetzung werden, das die republikanische Hoheit über die Städte zurückerobert?
Was ist eine nachhaltige Stadt? Dazu gehören Dekarbonisierung der Wirtschaft, Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, Ende
der Dominanz des motorisierten Individualverkehrs, qualitative
Verdichtung der baulichen und räumlichen Quartiere, ökologisches Flächenmanagement, Überwindung von Armut und Abbau
sozial-ökonomischer Disparitäten.
Doch zur urbanen Transformation gehören nicht nur technische Maßnahmen und neuer Städtebau. Wollen wir die Tragfähigkeit unseres Planeten einhalten, müssen wir den urbanen Raum
auch – gegen die globale Ökonomie – für Nachhaltigkeit und
Gerechtigkeit nutzen und dem öffentlichen Wohl die Priorität vor
dem privaten Reichtum einräumen.
In der europäischen Stadt, in der die Ideen von Demokratie
und Fortschritt geboren wurden, müssen die Antworten weit über
den Horizont des neoliberalen Kapitalismus hinausgehen. Bisher
bleibt die Synthese zwischen Ökologie und Baukultur jedoch an
der Oberfläche, auch in Deutschland, wo beides im Bundesumweltministerium vereint ist. Wo bleiben die politischen Konzepte?
Die Gartenstadt, eine grüne Mitte oder grüne Vorstädte
wurzeln in sozialen und ökologischen Ideen. Warum nicht heute
daran anknüpfen, auch damit die urbanen Räume wieder mehr
an Bedeutung gewinnen?
THEORIE
AKTEURE
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2/2016
DREI FRAGEN ZUR STADTÖKOLOGIE
Welche Rolle kommt der Stadtentwicklung im Anthropozän
zu? Brauchen wir – wie zu Beginn des letzten Jahrhunderts –
neue, utopische Ideen von Urbanität?
Kann die Stadt, in der sich soziale und ökologische Probleme
bündeln, zum Vorreiter einer Transformation zur
Nachhaltigkeit werden?
Die Vorstellung vom Anthropozän macht nur Sinn aus einer
globalen evolutorischen Sicht. Dann begann es mit dem
Abschluss der Besiedelung der gesamten Erde durch Menschen –
als einzigem Säugetier – vor etwa 10.000 Jahren und wurde ökologisch bedeutsam mit dem Anstieg der Weltbevölkerung seit 1945
von 2,5 Milliarden auf heute über sieben Milliarden. Die Größe
der Weltbevölkerung macht Urbanisierung – das heißt Leben in
verdichteten Räumen – zu einer global alternativlosen Entwicklung. Utopistische Ideen von Urbanität zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren eine Erscheinung in Europa, wo der Anstieg der
Bevölkerung begann, als erste Antwort auf die siedlungsräumlichen Schäden durch die Industrialisierung. Zu Beginn des 21.
Jahrhunderts sind soziale Ungleichheit überwindende Konzepte
der Urbanisierung dringend erforderlich für Regionen in Asien,
Südamerika und vor allem in Afrika.
Schon immer sind soziale Probleme in Städten eher lösbar
gewesen als in agrarisch-ländlichen Räumen. In Städten werden
soziale Probleme erkannt und bleiben nicht verdeckt – das ist der
dauerhafte Gehalt von Max Webers Erkenntnis, dass Stadtluft
frei macht. Auch ökologische Probleme sind eher in wenig besiedelten Räumen entstanden – etwa die großflächigen Rodungen
seit dem Altertum. Die heutigen globalen ökologischen Probleme – Ressourcenverbrauch, Klimagefährdungen – sind Folge
des Bevölkerungsanstiegs. Urbane Lebensverhältnisse haben seit
mehreren tausend Jahren wissenschaftliche Innovationen möglich
gemacht. Sie müssen heute auf Energie und Ressourcen sparende
Produktionsweisen konzentriert werden.
Das größte Problem urbaner Infrastruktur ist die Energie und
Raum fressende individuelle Mobilität. Sie ist zu verhindern.
Das gilt in den Megastädten außerhalb Europas dringender als
hier. Zur Infrastruktur gehört dann eine Bebauung, die kulturelle
Identität und soziale Konfliktvermeidung ermöglicht.
Utopische Ideen haben immer wichtige Impulse für die Zukunft
der Städte geliefert. Als Beispiel genannt seien die Utopisten, die
Paternalisten oder die Idee der Gartenstadt aus der Zeit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. Solche Impulse brauchen
wir auch jetzt. Angesichts des Zeit- und Handlungsdrucks durch
die drängenden Herausforderungen wie Klimawandel und Klimaanpassung, soziale Segregation, die Integration von Zuwanderern oder die Digitalisierung unseres Lebens brauchen wir aber
genauso konkrete Handlungsstrategien, wenn die notwendige
Transformation der Städte gelingen soll.
Städte waren im Laufe ihrer Geschichte immer die Motoren
gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prozesse. Die Aufgabe,
auch Motor ökologischer Prozesse zu sein, ist verhältnismäßig
neu, aber bewältigbar. Zwar sind sie zum Beispiel durch ihren
Anteil am globalen CO2-Ausstoß wesentliche Mitverursacher der
Erderwärmung, haben aber gleichzeitig erhebliche Potenziale,
unter anderem durch ihre Kompaktheit und Bevölkerungsdichte,
ein wesentlicher Teil der Problemlösung zu sein. Voraussetzung
sind integrierte Konzepte, die ökonomische, ökologische, soziale
und kulturelle Belange miteinander in Beziehung setzen und bei
Zielkonflikten sorgfältig zueinander abwägen.
Ziel muss eine Infrastruktur sein, die unterschiedlichen Systeme
integriert beziehungsweise multifunktional ist. Sie muss resistent
sein und das Ziel der Suffizienz – also Genügsamkeit und Selbstbegrenzung – unterstützen. Sie sollte tendenziell modular aufgebaut sein mit einem nennenswerten Anteil dezentraler Erzeugungseinheiten. Damit verbunden sind wachsende Chancen
kleinräumig differenzierter und somit an lokale Erfordernisse
angepasster, flexibler Strukturen, auch im Eigentümerbereich.
Die Digitalisierung kann eine Unterstützungsfunktion erfüllen,
ohne dass die Privatsphäre der Bewohner und Bewohnerinnen
gefährdet wird.
Wie muss die urbane Infrastruktur der Zukunft aussehen?
Christoph Zöpel war bis 1990 Minister für
Stadtentwicklung in Nordrhein-Westfalen,
danach Bundestagsabgeordneter bis 2005.
Er ist Mitglied im SPD-Bundesvorstand.
Martin zur Nedden ist Professor für Stadtentwicklung und Regionalplanung an der Hochschule für Technik,
Wirtschaft und Kultur Leipzig und Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik in Berlin.
Wolfgang Haber, Martin Held, Markus Vogt
(Hg.): Die Welt im Anthropozän
Erkundungen im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Humanität
oekom Verlag, 2016 München
ISBN 978-3-86581-773-0, 24,95 Euro
Anfang des letzten Jahrzehnts hat der Nobelpreisträger für Chemie, der Mainzer Atmosphärenforscher Paul Crutzen, vorgeschlagen, unsere erdgeschichtliche Epoche nicht länger Holozän zu nennen,
sondern Anthropozän. Die vom Menschen gemachte
Erde bekommt nicht eine modische Neubenennung,
sondern wird mit Anthropozän in eine philosophisch
und geologisch richtige Beschreibung eingeordnet.
Das Buch „Die Welt im Anthropzän“ ist ein Sammelband, herausgegeben von drei anerkannten Vorreitern
der Umweltdebatte. Wolfgang Haber ist der Doyen der wissenschaftlichen Ökologie,
Martin Held nicht nur Mitherausgeber von movum, sondern auch langjähriger Studienleiter der Akademie Tutzing für Nachhaltigkeitsfragen, und Markus Vogt Professor
für Christliche Sozialethik. Sie haben etwas zu sagen, und schon deshalb ist das Buch
über die Tragweite der ökologischen Veränderungen unseres Planeten sehr lesenswert.
Karin-Simone Fuhs, Davide Brocchi, Michael
Maxein & Bernd Draser (Hg.):
Die Geschichte des nachhaltigen Designs
VAS Verlag für Akademische Schriften 2014,
384 Seiten
ISBN 978-3-88864-521-1, 59,00 Euro
In der Umwelt- und Nachhaltigkeitsdebatte ist
viel von Effizienz und Effektivität, aber selten
mal von Schönheit und Ästhetik die Rede. Dieses
Buch könnte helfen, einen Kurswechsel einzuleiten. Auf seinem Titelblatt prangt das Meisterwerk
vom Michael Thonet: No. 214, Stuhl, von 1859. Bis
1930 wurden davon schon 50 Millionen Stück hergestellt. Für Transport und Lagerung gab es eine
geniale Lösung: In eine Kiste mit einem Kubikmeter Volumen passen 36 zerlegte Stühle, die erst an
Ort und Stelle der Nutzung montiert werden. Dieser meistgebaute Stuhl der Welt gilt
vielen als das gelungenste Industrieprodukt des 19. Jahrhunderts. Es wird den ökologischen Ansprüchen an Haltbarkeit, Materialien und Produktionsbedingungen in
hervorragender Weise gerecht – und gilt den Herausgebern des Buches als Symbol
„nachhaltigen Designs“.
Juliet B. Schor: Wahrer Wohlstand
Mit weniger Arbeit besser leben
oekom Verlag, 2016 München
ISBN 978-3-86581-773-8, 19,95 Euro
Juliet B. Schor, Professorin für Soziologie zu Themen
wie Konsumverhalten und Umwelt- und Verbraucherkultur am Boston College, will einen Ausweg aus dem
sich immer schneller drehenden Hamsterrad der Wachstumsabhängigkeit und des alltäglichen Konsumrauschs
aufzeigen. Einerseits beschreibt sie den Bankrott, der
uns droht, wenn es so weitergeht, andererseits macht sie
deutlich, dass veränderte Konsummuster nicht nur zum
Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen beitragen,
sondern auch das befriedigende Gefühl ermöglichen,
selbstbestimmt zu leben. Schon das Nein einer Wissenschaftlerin aus dem Land der unbegrenzten Wachstumsgläubigkeit ist erstaunlich, mehr noch ihre Einordnung des Themas in eine neue
Arbeitskultur. Schor gelingt es, ökologisches und soziales Denken zusammenzuführen. Ihre Botschaft ist eine neue Lebensqualität, mehr Wohlbefinden und in der Konsequenz ein Wohlstand, der mit der Tragfähigkeit unserer Erde vereinbar ist. Besser
leben ohne Mangel, aber auch ohne Überfluss.
NATURFREUNDE
VERBAND FÜR NACHHALTIGKEIT SEIT 1895
Die NaturFreunde Deutschlands sind ein sozial-ökologischer und gesellschaftspolitisch aktiver Verband für Umweltschutz, sanften Tourismus, Sport & Kultur.
Mehr als 70.000 Mitglieder in 630 Ortsgruppen mit rund 400 Naturfreundehäusern engagieren sich ehrenamtlich für die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft.
Wir wollen folgenden Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen und setzen dafür nachhaltige Entwicklung in der Praxis um. Dabei bringen wir Umweltschutz,
soziale Gerechtigkeit und Freizeitkultur miteinander in Einklang und übernehmen Verantwortung in Bündnissen.
www.naturfreunde.de
Die Herausgeber (BUND, Deutsche Umweltstiftung, EuroNatur, FÖS, NaturFreunde und Die Transformateure)
und andere Akteure der Transformation stellen sich an dieser Stelle im Wechsel vor.
movum.info
THEORIE
3
STADT UND UMWELT: EHE,
ZWECKGEMEINSCHAFT ODER
NEUE PERSPEKTIVE?
Die Stadt kann zum Motor der sozial-ökologischen Transformation werden. Das Bündnis zwischen Stadt- und Umweltpolitik
ist für den urbanen Raum die eigene Rettung und für die Umwelt ein zentrales Aktionsfeld.
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EINZELINTERESSEN WERDEN UNTERSCHÄTZT
So hoffnungsvoll derartige Initiativen auch sein mögen, die
Hemmnisse für ein Zusammensehen und -gehen der beiden
Bereiche sind beachtlich. Jenseits aller politischen Rhetorik
und bemühten Suche nach Synergien gibt es erst einmal ganz
„normale“ Widerstände und Widersprüche, die solchen Politikansätzen innewohnen.
Aus der Ökonomie und der Organisationssoziologie wissen
wir, dass die meisten sogenannten Merging-Projekte – also
gemischten Ansätze – negativ verlaufen. Ein Grund ist, dass
Eigenlogiken und Einzelinteressen unterschätzt wurden. Außerdem wird häufig übersehen, dass verschiedene Organisationen
nur dann kooperieren, wenn sie ihre Ziele „allein“ nicht erreichen können. Von daher besteht Klärungsbedarf.
MANGEL AN INITIATIVE, NICHT AN ARGUMENTEN
Auch wenn Stadt- und Umweltpolitik in ihrer bisherigen Praxis
nicht unbedingt nahe Verwandte waren, fehlt es nicht an guten
Argumenten für eine Integration der beiden Handlungsansätze.
Stadtpolitik wird scheitern, wenn sie die Ökologie nicht zu einem
zentralen Kriterium macht, denn Energiewende, Mobilitätswende
und Modernisierung der Infrastruktur werden ohne Umweltbezug
nicht zu schaffen sein. Andererseits muss Umweltpolitik räumlich
werden, um mehr Wirksamkeit zu entwickeln. Städte gehören zu
den Hauptverursachern von Umweltbelastungen – und Städte sind
die richtige Ebene, diese Belastungen zu reduzieren.
Für eine integrierte Sicht spricht auch, dass sich beide Handlungsansätze ganz elementar mit der Gestaltung der Zukunft
befassen, über in weiten Teilen identische Zielgruppen verfügen
und nicht besonders stark ökonomisch ausgerichtet sind. Aber es
reicht nicht, der Trennung von Stadt- und Umweltpolitik durch
wohlfeile Forderungen nach einer Integration zu begegnen.
Notwendig ist:
• fachspezifische Förderungen mehrdimensional aufzustellen.
So könnte bei jeder Fördermaßnahme im Baubereich – für
einen bestimmten Zeitraum – ein ökologischer und ein sozialer Gewinn verlangt werden. Hilfreich sind „einfache Kriterien“
wie: Wie sieht das Projekt in 20 Jahren aus? Wird die Umweltsituation verbessert oder verschlechtert? Führt das Projekt zu
mehr oder weniger Gerechtigkeit?
• eine neue Debattenkultur zu verankern. Dabei geht es nicht
um verfeinerte Ziele oder höhere Ansprüche, sondern um den
Diskurs über Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf der Ebene
von Visionen und Leitbildern.
• systematisch nach Innovationen zu suchen. Neue Sichtweisen
entstehen selten im „Kernbereich“, sondern in der Überschreitung von Grenzen der Fachdisziplinen. Sowohl der Umweltauch der Stadtbereich verfügen über ein breites (und vermutlich
einmaliges) Spektrum an universitären und außeruniversitären Forschungs- und Managementeinrichtungen, die in einer
Forschungsdekade in einen wettbewerblichen Zusammenhang
gestellt werden können – für eine systematische Suche nach
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Zweitens unterscheiden sich Umwelt- und Stadtpolitik in ihrer kulturellen Orientierung. Das betrifft
sowohl ihre ideengeschichtliche Herkunft als
auch ihr Maßnahmen- und Instrumentenverständnis (besonders das Verhältnis
zum Ordnungsrecht) und den Grad
der Verwissenschaftlichung. Hinzu
kommen Vorbehalte zwischen
Sozial-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften.
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das
gewichtigste
Kooperationshemmnis dürfte
der selbstbewusste Anspruch
beider Bereiche sein, zu
einer holistischen Gesamtsteuerung der Gesellschaft
berufen zu sein. Dabei
verfolgt die Umweltpolitik
die Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Einhaltung
der planetaren Grenzen, die
Stadtpolitik tritt mit dem
Konzept des Interessenausgleichs im Raum („planerische Abwägung“) auf. Für die
eine ist Ökologie ein Ziel unter
anderen (ökonomischen, kulturellen und sozialen) Belangen, für
die andere ist sie die unverhandelbare Voraussetzung für alle wichtigen
Entscheidungen. So kann zuweilen der
Eindruck entstehen, dass der eine Handlungsbereich den anderen zu instrumentalisieren sucht.
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ie politischen und gesellschaftlichen Erschütterungen dieser Tage haben es vielleicht etwas verdeckt: Die Bereiche „Stadt“
und „Umwelt“ haben sich in den letzten
Jahren erstaunlich dynamisiert und stark
an allgemeinpolitischer Bedeutung gewonnen. Stadtpolitiker, Stadtwissenschaftler
und Stadtplaner stellen verunsichert fest, dass die Veränderung
von Städten, Landschaften und urbanen Lebensstilen immer öfter ins Zentrum politischer Analysen rücken und zu zentralen
Handlungsebenen werden.
Die Vereinten Nationen verabschiedeten die „Agenda 2030“,
die ausdrücklich eine inklusive, sichere, widerstandsfähige und
nachhaltige Gestaltung der Städte fordert. Im Oktober 2016 findet
in Ecuadors Hauptstadt Quito die UN-Konferenz Habitat III statt,
um sich auf eine „New Urban Agenda“ zu verständigen. Das
Bundesforschungsministerium organisiert ein „Wissenschaftsjahr
Stadt“ und gibt dafür reichlich Forschungsgelder. Die Förderprogramme zur energetischen Erneuerung von Städten verdreifachen
sich in kurzer Zeit, ebenso das Förderprogramm „Soziale Stadt“.
Smart-City-Diskussionen faszinieren die Jugend, ängstigen
die Älteren und beflügeln eine Infrastrukturdebatte. Fragen des
städtischen Wohnens und der sozialen Interdependenzen schaffen
es auf die vorderen Seiten der Zeitungen. Debatten um Gentrifizierung und soziale Segregation verbinden sich mit denen zur
Integration von Zugewanderten. „Wem gehört die Stadt“, fragen
neue Bürgerbewegungen und fordern eine lokale Demokratie.
Kurz: Die Stadt wird wieder zum öffentlichen Thema.
Ähnlich dynamisch entwickelt sich die Umweltpolitik. Die
Agenda 2030-Beschlüsse werden gegenwärtig auf europäischer,
nationaler, regionaler und kommunaler Ebene konkretisiert.
Auch die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung zielt
auf konkrete, qualitativ messbare Indikatoren. Vertreter aller
UN-Staaten verständigten sich Anfang Dezember 2015 in Paris
auf ein neues, anspruchsvolles Weltklimaabkommen. Vom Ende
der fossilen Ära, der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad
und einer generellen Dekarbonisierung ist die Rede.
Programme des Forschungsministeriums zielen auf die Erhaltung der Biodiversität, die Einbeziehung des Konsums in die
Umweltpolitik und eine Ausweitung von Öko-Labeln. Ein integriertes Umweltprogramm soll die Handlungserfordernisse bis
zum Jahr 2030 benennen. Die deutsche G20-Präsidentschaft will
die G7-Beschlüsse vor allem im Umweltsektor weiterentwickeln.
Nun liegt die Frage nahe, wie sich diese beiden Dynamiken zueinander verhalten oder gar miteinander verbinden
lassen. Kommt es zur ökologischen Stadtpolitik, die im Sinne
der Nachhaltigkeit natürlich auch einen Schwerpunkt auf das
Soziale legt? Ansätze dafür gibt es nicht nur durch die Zusammenführung der Politikbereiche in einem Bundesministerium.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale
Umweltfragen analysiert die „transformative Kraft der Städte“.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen rückt den städtischen
Flächenverbrauch und den demografischen Wandel in den Blick.
Bundesweite Diskussionsprozesse wie „Grün in der Stadt“ oder
„Umweltgerechtigkeit in der sozialen Stadt“ verbinden die raumbezogene Politik mit Nachhaltigkeit.
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Verbindungen zu Ökonomie und Technologie (Digitalisierung),
sozialer Integration, Energiewende und Mobilitätswende.
• mit neuen Kooperationsformen und Formaten zu experimentieren. So könnte man etwa die Internationale Bauausstellung
und die Bundesgartenschau im Hinblick auf Inklusion und neue
Formen der direkten Demokratie weiterdenken.
• Städte zu Motoren einer sozial-ökologischen Transformation zu
machen. Es geht darum, die Wirtlichkeit und Lebensqualität der
europäischen Stadt durch mehr Demokratie, soziale Empathie
und ökologische Verträglichkeit zu bewahren.
Die Verbindung von Stadt- und Umweltpolitik kann zu einem
großen gestalterischen Projekt werden, zumal die eher egalitären
Aspekte des städtischen Lebens gute soziologische und physikalische Voraussetzungen für den schonenden Umgang mit
natürlichen Ressourcen und die Verminderung des CO2-Ausstoßes bieten. Im gemeinsamen Interesse liegt es, den Herausforderungen – soziale Gerechtigkeit, Energiewende, neue Mobilitätsformen, Schutz der Biodiversität und des Klimas – mit einer
ganzheitlichen Vision des menschlichen Fortschritts gerecht zu
werden. Dafür muss dem öffentlichen Wohl die Priorität eingeräumt werden.
Fest steht: Kooperationen entstehen vor allem in kleinen
Projekten. Sie müssen wachsen. Wir haben keine Zeit mehr zu
verlieren. Es lohnt sich anzufangen.
Ulrich Hatzfeld leitet die Unterabteilung
Grundsatzangelegenheiten und planungsrelevante Rechtsetzung im Bundesumweltministerium. Rund 20 Jahre lang war er
selbstständiger Stadtplaner.
THEORIE
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2/2016
„ES GEHT UM KLUGES BAUEN“
Der Bausektor muss zur Kreislaufwirtschaft finden, fordert Professorin Lamia Messari-Becker.
Wohnen und Stadtentwicklung müssen sozial und ökologisch neu gedacht werden.
I n t e r v i e w: SUSA N N E G Ö T Z E & JOAC H I M W I L L E
Frau Messari-Becker, was kann man als Bauingenieurin für
die Umwelt tun?
Lamia Messari-Becker: Einiges: Vom schonenden Umgang mit
den Ressourcen Fläche, Material und Energie über erneuerbare
Energieversorgung, schadstofffreie Baustoffe, abfallminimierte
Konstruktionen, vorausschauende Raumentwicklung und eine
Balance zwischen grüner und bebauter Fläche bis hin zu integrierten Nachhaltigkeitskonzepten. Die gebaute Umwelt bestimmt
die Qualität der Lebensräume mit. Als Bauingenieurin fühle ich
mich einer umweltbewussten und identitätsstiftenden Baukultur
verpflichtet und bringe mein Wissen in die Planung und Umsetzung von Projekten und in die Politikberatung ein.
Welchen Anteil hat der Sektor Bauen an den Umwelt- und
Klimaproblemen?
Bauen steht weltweit für etwa 40 Prozent des Energieverbrauchs und des Ausstoßes klimaschädlicher Gase, 50 Prozent
des Ressourcenverbrauchs, 50 Prozent des Abfallaufkommens
und sogar 70 Prozent des Flächenverbrauchs. Daraus resultieren
eine große Bedeutung und freilich auch eine besondere Verantwortung.
Was genau ist für Sie "ökologisch wohnen"?
Diese Umschreibung ist zu eng. Es geht beim Wohnen um
das Zuhause und um soziokulturelle Aspekte. Stichworte sind
flächeneffiziente und durchdachte Grundrisse, schadstofffreie
Baustoffe, energieeffiziente und wartungsarme Gebäudehülle
und -technik. Die infrastrukturelle Einbindung ist aber ebenfalls
wichtig. Sonst kommt es zu mehr Individualverkehr und damit nur
zur Verschiebung des Energieverbrauchs vom Gebäude auf die
Straße. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sieht die Bilanz schlagartig anders aus. Und am Ende identifizieren sich Menschen nur
dann mit ihrem Umfeld, wenn es lebenswert ist.
Ökologisch bauen ist schön, aber teuer.
Ja und nein. Es kommt auf die Betrachtungsgrenze an. Bauwerke
haben ja einen Lebenszyklus, vom Rohstoffabbau über
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Herstellung, Betrieb, Umsetzung bis zum Abbruch. So kann
Mehraufwand bei Dämmung und Technik niedrige Energiekosten im Betrieb sichern, aber je nach Lebensdauer der Bauteile
die Öko-Bilanz und die Wirtschaftlichkeit maßgeblich verschieben. Fakt ist: In den letzten 15 Jahren sind die Kosten der Gebäudetechnik um etwa 45 Prozent gestiegen.
Geht das auch anders?
Es muss! Hochenergieeffizienter Neubau hat teils technische
Grenzen. Ab einer bestimmten Wärmedämmstärke wird die
Befestigung schwierig. In wenigen Jahren könnten aber neue,
leistungsfähigere Materialien mit gleicher Dicke mehr erreichen.
Eine Pause der Verschärfung von Vorschriften wäre ganz sinnvoll.
Aber dann käme man ja bei den Klimaschutzzielen nicht weiter?
Doch. Die Neubaurate beträgt nur drei Prozent. Die Herausforderung ist der Bestand mit 90 Prozent des CO2-Ausstoßes im
Gebäudebereich. Energetische Sanierungen sind nicht per se
wirtschaftlich und rechtlich nicht durchsetzbar. Wir brauchen
daher dringend auch Lösungen auf Cluster- und Stadtquartiersebene.
Sollten die energiesparsamen oder sogar Plus-Energie-Häuser,
die mehr Energie produzieren, als sie benötigen, Standard
werden? Kritiker warnen vor dem „Dämm-Wahn“.
Pilotprojekte zeigen, dass diese Standards auch im Bestand
möglich sind. Gelingt es uns als die Ingenieurnation, diese
Standards auch in die Breite zu bringen, sie finanziell für die
Menschen tragbar zu gestalten? Das ist hier die zentrale Frage.
Bauen ist extrem ressourcenintensiv. Wie könnte man den
Verbrauch von Sand, Kies, Stahl et cetera senken? Was halten
Sie von einer Ressourcen-Steuer?
Klar ist: Der Bausektor muss zu einer ressourceneffizienten
Kreislaufwirtschaft finden. Das ist eine ökologische Notwendigkeit und ökonomische Vernunft. Ob eine Ressourcensteuer das
Richtige ist, kann ich noch nicht abschließend beurteilen. Wir
sollten aber bestehende Potenziale nutzen, zum Beispiel Recycling und hierfür Rahmenbedingungen schaffen.
Konkrete Beispiele?
Die erste Richtlinie zum Einsatz von Beton mit rezykliertem
Zuschlag stammt aus Deutschland. Warum bleibt sein Einsatz
pilothaft? Die Zulassungsverfahren für die Betriebe und
somit die breitflächige Lieferung sind erschwert. Kommt
der Transport zur Bilanz hinzu, bleibt vom ökologischen und ökonomischen Mehrwert wenig übrig.
Den Sandverbrauch kann man durch alternative
Baustoffe, Glasrecycling und strengere Abbauregulierung senken. Auch Bauschutt, der größte
Deponieanteil, ist zu reduzieren.
Wie soll das gehen?
Wir müssen einen möglichst sortenreinen
Rückbau ermöglichen, zum Beispiel durch
Bauteile mit reversiblen Verbindungen. Eine
technische Aufgabe, die uns angesichts des
internationalen Baubedarfs als Exportnation
auch stärken kann.
Klingt nach Gebäuden, die man leicht wieder
auseinandernehmen kann?
Das macht uns die Automobilindustrie seit
Jahren erfolgreich vor. Es geht um kluges Bauen.
Wie sehen Sie als Bauexpertin die Architektur
und Stadtplanung von Großstädten wie Berlin,
Hamburg oder Frankfurt? Welche Fehler wurden
begangen, was lief gut?
Positiv im internationalen Vergleich: Deutsche Städte
haben eine hohe Qualität in Sachen Versorgung, Infrastruktur, Bildungs- und Kulturangebote.
Natürlich gab es auch Fehlentwicklungen. Sozial nicht
durchmischte Wohngebiete entwickelten sich zu Sozialbrennpunkten. Büroviertel werden abends und am Wochenende zu
„toten“ Quartieren. Auch in Sinne der Infrastruktureffizienz
muss man sie durch andere Nutzungen beleben. Im Rausch des
Wachstums entstanden auch Gebiete, die ästhetisch gesehen
eine kurze Halbwertszeit haben. Zu viel Versiegelung führt zu
Hitzeinseln, ein Gesundheitsrisiko. Aber aus Fehlern kann man
lernen und sie im Zuge des Wandels korrigieren.
Bedarf es also einer gründlichen Transformation in den
Städten?
Ja, absolut und auch im ländlichen Raum. Es ist keine einfache
Aufgabe, wenn nicht die Aufgabe unserer Zeit.
Wie kann sie gelingen?
Die Transformation betrifft alle Lebensbereiche und geht mit
Veränderungen einher, die die Menschen auch emotional ansprechen. Ihr Gelingen verlangt nach intensivem Dialog in der Gesellschaft, ressortübergreifender Haltung in der Politik und neuen
Strukturen bei der Umsetzung. Es verlangt nach der Einsicht,
dass unser Wohlstand nur dann aufrechtzuerhalten ist, wenn wir
innerhalb der ökologischen Belastungsgrenzen agieren.
Wie kann man verschmutzte, graue und laute Städte zu einer
ökologischen Transformation führen?
Luftverschmutzung hat unter anderem mit Verkehr zu tun. Integrierte Mobilitätskonzepte, die neben Geschwindigkeitsbegrenzungen und Plaketten auch Carsharing und E-Mobilität aufnehmen, würden helfen. Der innerstädtische Lärm wird nebenbei
gemindert. Sozial benachteiligte Quartiere sind oft verwahrlost,
weil Menschen mit ihnen mehr Frust als Identität verbinden. Eine
breit aufgefasste Integration ist daher dringender denn je. Für
mehr grüne Flächen lohnt es, in „Flächenqualität“ zu denken.
Wo fängt man da an?
Da gibt es kein Rezept. Einige Metropolen gehen teils dazu
über, Grundstücke zurückzukaufen, um bestimmten Entwicklungen im Bereich Wohnen, Verkehr oder Umwelt entgegenzuwirken und Gestaltungsräume zu gewinnen. Dazu müssen wir
die Kommunen stärken. Auch wäre eine Reform des Baurechts
hilfreich, um dem Wandel gerecht zu werden.
Nachverdichten hieße aber mehr Flächenverbrauch und
weniger Grün?
Nicht unbedingt. Aufstockungen kosten uns keine grünen
Flächen. Bereits bebaute Flächen werden nur besser und effizienter genutzt.
In vielen Städten herrscht Wohnungsnot: Sind die sozialen
Probleme nicht drängender als ökologische Baumaterialien?
Wir brauchen beides: Einerseits Umwelt- und Klimaschutz und
andererseits bezahlbaren Wohnraum als Grundlage einer gesunden sozialen Entwicklung und Teilhabe. Als Ingenieurnation
müssen wir darauf auch technisch reagieren, etwa durch kostengünstigen Systembau.
Ein zentrales Problem ist, dass wir immer mehr Wohnfläche
beanspruchen – auch wegen des Trends zum Single-Wohnen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es 15 Quadratmeter pro
Kopf, heute sind es 45.
Und das macht paradoxerweise aus Energieeffizienzbemühungen
fast ein Nullsummenspiel.
Braucht es neue Wohnformen, um das zu ändern?
Städte könnten durchaus Vorgaben formulieren, gepaart mit
neuen Wohnmischungen und Wohnformen, und auch den sozialen Wohnungsbau stärken. Ein Blick ins Ausland: Die Niederländer wohnen auf weniger Fläche pro Person, keinesfalls schlechter, sondern durchdachter und effizienter.
Lamia Messari-Becker ist Bauingenieurin,
Professorin an der Universität Siegen und seit
2016 Mitglied des Sachverständigenrates der
Bundesregierung für Umweltfragen.
movum.info
THEORIE
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„ICH FÜHLE MICH WIE IM MÄRCHEN
‚DES KAISERS NEUE KLEIDER‘“
Statt in stinkenden, entfremdeten Städten zu leben, könnte sich die Menschheit so viel cleverer organisieren, findet Jan Gehl.
Der dänische Architekt entwickelt seit fünfzig Jahren soziale und ökologische Stadtplanung.
I n t e r vi e w: SUSA N N E G Ö T Z E & JOAC H I M W I L L E
Wie können denn Städte besser organisiert werden?
Städte sollten nicht nur für den Verkehr oder um den Verkehr
herum geplant werden. Es muss darum gehen, dass sie gute
Orte zum Leben und Arbeiten sind. Diese Orte sollten dann
mit Mobilität durchflochten werden – aber in einer sensiblen
Art und Weise, die den Verkehr nicht in den Vordergrund rückt.
Venedig ist beispielsweise ein sehr gutes Modell für eine Stadt der
Zukunft: Exzellente Kieze für Fußgänger und Fahrradfahrer, die
mit einem intelligenten und modernen öffentlichen Nahverkehr
verbunden sind und wo man sein Fahrrad umsonst in Bussen und
Schiffen mitnehmen kann. Ich bin sicher, dass wir in den nächsten
Können Sie als Architekt auch etwas gegen die Gentrifizierung
tun und verhindern, dass Menschen mit niedrigen Einkommen
aus den Stadtzentren verdrängt werden?
Wenn man die Wohnumgebung der Menschen attraktiver macht,
kommen meistens gut verdienende Leute auf den Geschmack
und verdrängen nach und nach die alteingesessenen Mieter mit
geringeren Einkommen. Das ist eine ernste Sache und eine nicht
zu akzeptierende Entwicklung. Aber mit den Verbesserungen in
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Was heißt es für Sie, Gebäude und öffentliche Räume
für die Bedürfnisse der Menschen zu planen?
Wenn ich auf die 50 Jahre zurückblicke, in denen ich
geforscht, Bücher geschrieben und Projekte geleitet habe,
um weltweit Städte lebenswerter zu machen, fühle ich mich fast
ein bisschen wie der kleine Junge in Hans Christian Andersens
Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Der Junge spricht die von
allen ignorierte, aber offensichtliche Tatsache aus, dass der Kaiser
mächtig stolz, aber nackt herumläuft. Das ist keine wissenschaftliche Erkenntnis, sondern ganz einfach gesunder Menschenverstand. All die Nachteile der überholten Stadtplanung wurden
bisher übersehen – doch nun werden sie langsam offensichtlich.
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Haben Privatautos in Städten eine Zukunft?
Ich glaube, die großen Tage von privaten Autos
in Städten sind vorbei. Die Idee der Mobilität,
jeden mit vier Gummirädern auszustatten, war
eine gute Strategie für den Wilden Westen vor
hundert Jahren. Aber in modernen Großstädten mit bis zu 20 Millionen Menschen hat sich
gezeigt, dass dies überhaupt keine gute Idee
ist. Staus, lange Wartezeiten, verschmutzte
Luft, Ressourcenverschwendung, Klimabelastung und Gesundheitsprobleme sind der Beweis
dafür, dass vier Gummiräder für jeden keine gute
Mobilitätsstrategie für Städte im 21. Jahrhundert
ist. Die Menschheit könnte sich so viel cleverer
organisieren.
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Was haben Sie mit dieser Einsicht angefangen?
Uns war klar, dass es dringend notwendig ist, Wissen darüber
zusammenzutragen, wie Menschen auf ihre physische Umgebung
reagieren, und dass dies für die Lebensqualität entscheidend ist.
Das gab es vorher nicht. Das war ein richtiger Neuanfang.
Zuerst gingen wir 1965 nach Italien, um uns anzuschauen, wie
Italiener die Piazze oder großen Plätze nutzen. Später habe ich
als Forscher und Dozent an der Architekturschule in Kopenhagen systematisch erforscht, wie Menschen Städte benutzen und
wie Räume, Strukturen, Details und Größenverhältnisse dieses
Verhalten beeinflussen. Gute Architektur und gute Städte sind
eine Frage von gelungener Interaktion zwischen Form und Leben.
Aber das Leben wurde in den 1960er Jahren so gut wie gar nicht
untersucht. Deshalb widme ich mich dieser Frage nun seit gut
50 Jahren.
Jahren viele Verbesserungen im Nahverkehr erleben werden
– auch weil dieser Sektor in den meisten Städten total
unterentwickelt ist.
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Herr Gehl, Ihre Architekten-Karriere begann damit, dass Sie
auf italienischen Piazze Menschen beobachteten. Was hat Sie
damals bewegt?
Jan Gehl: Als frischgebackener Architekt habe ich 1960 zusammen mit meiner Frau viel darüber diskutiert, wie man Hausprojekte aufbaut und die nötige Stadtinfrastruktur plant. Damals
dominierte noch die Ideologie moderner Architektur und die
Obsession für motorisierte Mobilität. All das alte Wissen über
ein gutes Wohnumfeld und lebenswerte Städte wurde einfach
zugunsten dieser Modernität weggeworfen. In der Stadt- und
Verkehrsplanung regierten die Technokraten. Die Menschen, die
in diesen Umgebungen wohnen mussten, wurden von der Stadtplanung komplett übersehen.
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den Stadtteilen aufzuhören, damit die Kieze möglichst unattraktiv bleiben, ist auch keine Lösung. Das Wissen, wie man Städte
lebenswert macht, ist da. Wir müssen es anwenden und gleichzeitig auf die Politik einwirken, damit diese auch sozial verträgliche Mieten garantiert. Gentrifizierung ist kein Umweltproblem,
sondern ein politisches Problem.
Jan Gehl arbeitet an Stadtentwicklungskonzepten in der ganzen Welt. Der
dänische Architekt und Stadtplaner ist
emeritierter Professor der Königlichen
Dänischen Kunstakademie.
DIE TRANSFORMATIVE KRAFT DER STÄDTE
Die Gestaltungsmacht von Städten und Stadtgesellschaften stärker zu nutzen ist eine große Chance für die Wende zur Nachhaltigkeit
– und gleichzeitig die Grundlage für die Entwicklung von lebenswerten Städten für alle.
Te x t : G E S A S C H Ö N E B E RG & I N G E PAU L I N I
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ebenswerte Städte“ kennt die Mehrheit der Stadtbewohner nicht. Städte sind besonders stark von
den gesellschaftlichen Schieflagen einer sich weltweit verschärfenden sozial-ökonomischen Ungleichheit betroffen. Auf der anderen Seite tragen
sie selbst massiv zu den globalen Umweltveränderungen bei.
Die Wucht der aktuellen Urbanisierungsdynamik bringt große
Herausforderungen mit sich – allein durch die Notwendigkeit,
in den kommenden drei Dekaden für voraussichtlich weitere
2,5 Milliarden Menschen städtischen Wohnraum zu schaffen.
Geschähe dies wie bisher mit Beton und Stahl, könnten allein
die bei deren Herstellung bis 2050 freigesetzten Treibhausgase
das für das 1,5-Grad-Ziel noch verfügbare weltweite Emissionsbudget nahezu aufbrauchen.
Daneben müssen bestehende Stadtstrukturen umgebaut
werden, besonders die energieintensiven, meist am Automobilverkehr orientieren Städte. Zudem leben schon heute über 850
Millionen Menschen in prekären, inadäquaten Wohnverhältnissen. Wenn sich die urbane Entwicklung in dieser Form fortsetzt,
könnte ihre Zahl um ein bis zwei Milliarden steigen.
Der globale Umbau der Städte zur Nachhaltigkeit muss die
Vielfalt der städtischen Erscheinungsformen berücksichtigen.
Gleichzeitig sollten die Entwicklungspfade aber einem gemeinsamen „normativen Kompass“ folgen.
Dieser muss zum einen den planetaren Leitplanken wie dem
1,5-Grad-Ziel oder den Ressourcengrenzen gerecht werden sowie
lokale Umweltprobleme lösen. Zum anderen ist eine umfassende
Inklusion aller Stadtbewohner zu gewährleisten. Diese muss
neben den universellen Mindeststandards der substanziellen
Teilhabe auch die politische und ökonomische Teilhabe sichern.
Darüber hinaus sollten wesentliche Voraussetzungen für
menschliche Lebensqualität wie Solidarität, Identität, Zugehörigkeit und die Einbindung in soziale Netzwerke beachtet und die
„Eigenart“ jeder Stadt und jedes Stadtquartiers gefördert werden.
Für die Transformation zur Nachhaltigkeit müssen Städte ihre
inkrementellen Handlungsansätze („Schritt für Schritt“) durch
systemische Strategien ersetzen, um die gesamte Stadt, das
Umland sowie regionale Städteverbünde strategisch langfristig
zu entwickeln. Sie sollten an den größten potenziellen Hebelwirkungen für die Transformation ansetzen, etwa bei der urbanen
Flächennutzung, der städtischen Kreislaufwirtschaft oder der
Armutsbekämpfung. Vernetzt angewandt, lassen sich so Pfadabhängigkeiten in Richtung Nachhaltigkeit verändern.
STÄDTE HANDLUNGSFÄHIG MACHEN FÜR DEN WANDEL
Für die Umsetzung solcher transformativen, systemischen Handlungskonzepte braucht es ein Umdenken samt Perspektivwechsel.
So sollten informelle Entwicklungsprozesse und ihre Ursachen
anerkannt, neue Allianzen gefunden und neue VerantwortungsArchitekturen entwickelt werden. Das betrifft die globalen, regionalen und die lokalen Lenkungsstrukturen gleichermaßen. Vor
allem Städte und Stadtgesellschaften müssen aber ausreichend
handlungsfähig werden, damit sie ihre Kraft für eine nachhaltige Entwicklung entfalten können.
Dabei wird sich speziell die Frage (neu) stellen: Wem gehört
die Stadt? Oder: Wem sollte sie gehören? Die Klage über die
Dominanz der privaten Immobilienwirtschaft und ihren profitgetriebenen Einfluss auf die Gestaltung von Städten sollte abgelöst
werden durch Diskussionen zu den Ansätzen, die das Gemeinwohl (wieder) stärker in den Vordergrund rücken.
VORHANDENE MÖGLICHKEITEN NUTZEN UND AUSWEITEN
Es gibt dafür zahlreiche Ansatzpunkte – zum Beispiel neue
Formen gemeinschaftlichen Eigentums, die das Gemeinwohl in
städtischen Lebensräumen fördern. Oder transnationale Netzwerke wie Shack Dwellers International, die die Möglichkeiten
staatenübergreifender globaler Lenkung und gemeinschaftlicher
Finanzierung erproben. Auch Bauwesen und Stadtplanung stellen
schon heute vielfältige ressourcenschonende Alternativen bereit,
etwa den Bau mit Lehm, Holz und anderen natürlichen Baumaterialien, eingebettet in energieeffiziente und bewohnerfreundliche Stadtquartiere.
Diese gemeinsame Gestaltungsmacht von Städten und Stadtgesellschaften stärker zu nutzen ist eine große Chance für die Transformation zur Nachhaltigkeit – und gleichzeitig die Grundlage
für die Entwicklung von inklusiven und lebenswerten Städten.
Gesa Schöneberg und Inge Paulini sind ständige Mitglieder
des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung für
Globale Umweltveränderungen (WBGU)
PRAXIS
6
2/2016
Foto: © Brooklyn Grange, www.BrooklynGrangeFarm.com
UNHEILVOLLES MEERESRAUSCHEN
Seit der Hurrikan „Sandy“ die Küstenstadt New York traf, ist Stadtökologie mehr als nur eine fixe Idee von ein paar Stadthippies.
Sie ist die einzige Chance die US-Metropole längerfristig zu schützen. Gezwungenermaßen werden ihre Bewohner nun zu ökologischen Vorreitern.
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T E X T: S U S A N N E S C H WA R Z
EIN AUSTERNBETT FÜR DIE JAMAICA BAY
In der Jamaica Bay, die sich entlang der Stadtteile Brooklyn und
Queens erstreckt, will man im Sinne der Stadtökologie zum
Beispiel Austern ansiedeln. Die Tiere kamen in der Bucht früher
einmal vor, die Population starb allerdings wegen Überfischung
vor Jahrzehnten aus.
Was nach einer beliebigen Maßnahme klingt, gliedert sich in
ein großes Ganzes ein. Austern filtern Wasser, sie verbessern so
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die Qualität des kühlen – und im Falle von New York dreckigen –
Nasses. Vor allem aber formieren sie sich zu Gebilden, die Riffen
ähneln. Perspektivisch, so der Gedanke, sollen sie so einmal
Wellen brechen können. Die Angst vor meterhohen Wellenmonstern, wie „Sandy“ sie 2012 ausgelöste, sitzt tief. „Das Austernbett wird mehrere Zwecke erfüllen“, sagt denn auch New Yorks
Bürgermeister Bill de Blasio. „Es ist ein kleiner, aber notwendiger Schritt, um unsere Stadt nachhaltiger und widerstandsfähiger zu machen.“
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ie Stadt, die niemals schläft, ist vor vier Jahren aufgewacht. Hurrikan „Sandy“ tobte
über dem Beton-Dschungel, der New York
heißt. Die Metropole an der US-Ostküste
ist ein einziger urbaner Mythos. Sie steht
für die Verheißung des großen Geldes an
der Wall Street, Kronleuchter und Hochkultur an der Upper East Side, verruchte Gangsterbanden, Freiraum für Subkulturen, unvergleichlichen Käsekuchen. Für eines
steht sie nicht: Naturverbundenheit. „Sandy“ gab den letzten Impuls dazu, dass New York das ändern will.
Die Natur war einstmals sogar ein wichtiger Grund, aus dem
niederländische Kaufleute die Gegend Anfang des 17. Jahrhunderts besiedelten. Allein schon die Mündung des Hudson River
in den Atlantik sprach als natürlicher Hafen für sich. Es folgten
vier Jahrhunderte Kultivierung. Manhattan, lange der Kern New
Yorks, wurde mit seinen rautenförmig angeordneten Straßen und
durchgeplanten Häuserblöcken zum Sinnbild stadtplanerischer
Perfektion.
Aber die Natur schlägt zurück. „Sandy“ ist nur einer von
mehreren Stürmen, die New York und seine inzwischen fünf
Stadtteile in den vergangenen Jahren in Schockstarre versetzt
haben. Zudem steht die Stadt quasi auf einer Höhe mit dem
Meeresspiegel. Dass dieser steigt, und wenn nur um einige Zentimeter, stellt sie vor eine riesige Herausforderung.
New York hat dem Klimawandel deshalb den Kampf angesagt, will sich anpassen. In der Verwaltung scheint sich aus der
Geschichte der Stadt heraus ein Prinzip durchgesetzt zu haben:
Nicht mehr gegen die Natur arbeiten, sondern mit ihr. Mit klassischem Naturschutz hat das oft nicht viel zu tun, denn an vielen
Stellen ist Natur schlicht nicht mehr vorhanden. Es geht darum,
sie künstlich wieder zu erschaffen.
Dächer sind in den meisten Städten ungenutzte Flächen –
die Brooklyn Farm macht vor, wie Dächer zu Äckern werden können.
Anfang September wurden nun 50.000 Austern in der Bucht
ausgesetzt. Bis das Wirkung zeigt, wird es noch dauern. Noch
überleben die ausgesetzten Austern nicht einfach so. Sie müssen
erst mal auf einer Porzellanschicht thronen, die aus den Teilen
von 5.000 alten Toiletten gebaut wurde.
Zusätzlich zu den Austern ist der Bau von künstlichen Inseln
im Meer vor Manhattan geplant, auf denen sich Ökosysteme
entwickeln sollen, wie sie in der Natur vorkommen. Die Stadt
bewirbt die Idee zwar bisher hauptsächlich als touristische
Attraktion, die Inseln sollen aber so angeordnet sein, dass sie
einerseits Wellen brechen und andererseits Wasser in gewünschte
Bahnen lenken.
ÖKOLANDBAU AUF DEN DÄCHERN NEW YORKS
Es sind aber nicht nur die Umweltbeauftragten der Stadtverwaltung, die New York ökologisch entwickeln wollen, sondern auch
die Bürger. Anastasia Cole Plakias ist eine echte New Yorkerin.
Die freie Fotografin und Autorin ist im West Village in Manhattan
aufgewachsen, mittlerweile lebt sie in einem Szene-Viertel Brooklyns. Ihre Liebe zu gutem Essen hat sie dazu gebracht, gemeinsam
mit dem Ingenieur Ben Flanner einen Bio-Stadtbauernhof aufzubauen. Die beiden bauen ihr Gemüse nicht im Hinterhof, im nahen
Park oder gar in kleinen Blumenkästen an – sondern auf New
Yorker Dächern.
Schnell ging es um mehr als um frisches Gemüse. „Wir
machen aus Steindächern Landschaften und helfen unserer Stadt,
Niederschläge aufzufangen und sich abzukühlen“, sagt Plakias.
Nicht nur Gemüse wird angebaut, sondern auch andere Pflanzen.
Manche sind nur dazu da, den eigentlichen Garten vor Wind zu
schützen oder auf andere Art und Weise ein gesundes Ökosystem zu schaffen.
Seit sieben Jahren arbeiten Flanner und Plakias mit weiteren Freunden an dem Garten. Ein Haus in Brooklyn diente als
Experimentierfläche. Um aus dem Dach einen richtigen Acker zu
machen, waren Tonnen von Erde nötig. Erst mal musste das Team
prüfen, ob das Dach die Last überhaupt tragen würde.
Mittlerweile ist ihr Projekt „Brooklyn Grange“, zu Deutsch
„Brooklyn-Farm“, vom Hobby zum Unternehmen geworden.
Ein zweites Dach, diesmal in Queens, ist als Anbaufläche hinzugekommen. Die Ernte verkaufen Plakias und ihre Kollegen auf
Wochenmärkten in der Gegend.
Die Economist-Mediengruppe ist in einer Studie zu dem
Ergebnis gekommen, dass New York unter den Großstädten in
Kanada und den USA bereits die umweltfreundlichste nach San
Francisco und Vancouver ist. Das hat allerdings wenig mit den
jüngsten Finessen zu tun, sondern ironischerweise vor allem mit
der durchgeplanten Bauwut, die ansonsten Quell einigen ökologischen Übels ist: Die New Yorker leben dicht an dicht und brauchen deshalb vergleichsweise wenig Infrastruktur. Schutz vor der
nächsten großen Sturmwelle bietet das leider nicht.
PRAXIS
movum.info
7
DIE ZUKUNFT: GRÜNE SCHWARMSTÄDTE?
Mehr Grünflächen in der Stadt zu schaffen ist ein Weg, um den Klimaveränderungen zu begegnen. Bei künftigen Temperaturspitzen
jenseits der 40 Grad reicht das aber bei Weitem nicht aus, sagt Professor Wolfgang Wende vom Leibniz-Institut für Ökologische Raumentwicklung.
I n t e r vi e w: JÖRG STAU DE
Starkregen im Mai, Hitzewellen im September: 2016 gilt als Jahr
der Wetterextreme. Herr Wende, steigt jetzt das Interesse an
Ihrer Arbeit?
Wolfgang Wende: Uns als Wissenschaftler überraschen die
Wetterextreme ja nicht mehr. Die Prognosen für den Klimawandel lassen die Zunahme von Starkregen gerade im Sommer erkennen. Dass wir darauf reagieren und wissenschaftliche Konzepte
liefern müssen, wissen wir schon seit einigen Jahren. Den
entscheidenden Impuls dazu erhielt unser in Dresden ansässiges
Leibniz-Institut durch die große Elbeflut 2002. Seitdem sind wir
intensiv unterwegs auf diesem Terrain.
Und hört man Ihnen zu?
In der Tat: In den letzten Jahren hört man uns intensiver zu. Ob
die Politik dann auch wirklich so handelt, ist noch mal eine ganz
andere Frage.
Erschwert der Trend zur Urbanisierung nicht die Anpassung an
den Klimawandel?
Zunächst ist die Frage, ob es diesen Trend wirklich gibt. Darauf
kann man nicht mit „Ja“ oder „Nein“ antworten. Tatsächlich
haben die Zuzugsraten aus den ländlichen Regionen in die Städte
zugenommen. Viele Jüngere zieht es in städtische Ballungsräume.
Den Trend kann man bundesweit erkennen und er spiegelt sich
gerade im Wachstum der Schwarmstädte wider...
... Schwarmstädte?
... das sind Orte, wo junge Leute hinziehen, vor allem auch in
die Universitätsstädte. Die besondere Attraktivität entsteht, weil
man eben weiß, dass dort gleichaltrige, junge Menschen leben.
Gleichwohl ist der Trend zum Einfamilienhaus im Grünen ist
noch immer ungebrochen.
Es kommt einiges auf die Städte zu: Bauboom, der Autoverkehr
soll raus aus der Innenstadt, zur Klimaanpassung müssen aber
auch Flächen freigehalten und sogar neue Freiflächen geschaffen werden.
Mit der Innenentwicklung der Städte, die ja vom Baugesetzbuch
auch so gewollt ist, lastet schon jetzt ein erhöhter Abwägungsdruck
auf den Kommunen, wenn sie Flächen revitalisieren wollen. In
vielen Städten gibt es ein Potenzial an freien Flächen, an Brachen
und Altindustrie- oder Bahnanlagen. Die kann man wieder bebauen
– bevor man das tut, sollte man aber sehen, ob diese Flächen nicht
auch als grüne Infrastruktur dienen können. Da haben wir in der
Tat das Problem, dass in der Abwägung das Grün meist hinten
runterfällt und man bei der Verwertung ökonomischen Interessen den Vorzug gibt. Unser Institut überlegt, welche Brachflächen wirklich bebaut werden sollen und welche als grüner Park
oder als Hochwasser-Retentionsfläche genutzt werden können.
Wie soll man sich das vorstellen: Sind zehn Bäume mehr wert
als ein Bürohaus?
Parks und Grün steigern die Wertschöpfung. So weisen Quartiere mit mehr grüner Ausstattung höhere Bodenwertpreise auf.
Das schlägt sich dann in Mieten und Verkaufspreisen für Immobilien nieder. So einfach kann man nicht sagen: Grün kostet nur.
Im Gegenteil. Einige Städte wie München operieren inzwischen
mit grünen Richtwerten und sagen zum Beispiel, pro Einwohner
brauchen wir fünf, sechs oder sieben Quadratmeter Grünfläche.
Das kann auch sogenanntes vertikales Grün sein, also begrünte
Fassaden oder Dächer. Ist der politische Wille da, lässt sich schon
einiges machen.
Hat sich die Einsicht, dass unterlassene Klimaanpassung teurer
kommt als Vorsorge, schon durchgesetzt?
Bei der Botschaft, dass eine unterlassene Klimaanpassung langfristig teurer kommt, geht es nicht nur um Hochwasservorsorge,
sondern auch um eine Überwärmung der Stadt als Hitzeinsel. Im
Sommer 2015 hatten wir Ereignisse, wo die Marke von 40 Grad
Celsius geknackt wurde. Die Sterberate von geschwächtenund
alten Menschen steigt in solchen Hitzephasen. Dann stelle man
sich vor, zu den 40 Grad kommen noch einmal zwei bis vier Grad
durch den Klimawandel hinzu – darauf müssen wir uns wirklich vorbereiten.
Die Langversion des Interviews finden Sie auf movum.info.
Wolfgang Wende ist Professor für Siedlungsentwicklung an der TU Dresden.
Seit 2010 leitet er den Forschungsbereich
Wandel und Management von
Landschaften im Leibniz-Institut für
Ökologische Raumentwicklung.
DIE MOOSWAND SOLL'S RICHTEN
Autos haben Stuttgart reich gemacht, jetzt vergiften Feinstaub und Stickoxide die Stadtluft. Das Graue Zackenmützenmoos soll Linderung bringen.
Te x t: SA N D R A K I RC H N E R
ALTE BÄUME ABGEHOLZT
In Versuchen haben sich Moose als gute Feinstaubfänger und
-zersetzer erwiesen. Im Gegensatz zu anderen Pflanzen haben
Moose keine Wurzeln. Sie sind darauf angewiesen, Wasser und
Nährstoffe aus der Luft und dem Regenwasser zu ziehen. Genau
das soll die Moose zum optimalen Luftfilter machen: FeinstaubPartikel bleiben an der Oberfläche der Moose hängen und werden
Foto: Green City Solutions | Oslophototour | CityTree | Oslo2
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m 18. September war es so weit. Zum 19. Mal
in diesem Jahr überstieg der gemessene Wert
für den Schadstoff Stickstoffdioxid (NO2) den
erlaubten Grenzwert am Stuttgarter Neckartor. Dabei darf der europaweite Höchstwert
von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft
nur 18 Mal pro Jahr überschritten werden.
219 Mikrogramm hatte die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg an jenem Septembersonntag gemessen
Wer die Verkehrskreuzung am Neckartor als Deutschlands
schmutzigste Straße bezeichnet, tut der Bundesstraße 14 nicht
unrecht. Rund 70.000 Autos schieben sich täglich im Durchschnitt durch Stuttgarts Innenstadt, aus ihren Auspuffrohren
entweichen Stickoxide und Feinstaub in rauen Mengen. Auswertungen von Navigationsdaten ergaben, dass Autofahrer in keiner
anderen deutschen Großstadt so häufig im Stau stehen.
Die Kessellage der Stadt verschärft das Problem zusätzlich:
Die Emissionen der Autos halten sich besonders im Winter lange,
dann werden die Grenzwerte regelmäßig überschritten. Nirgends
sonst in Deutschland fallen die Messwerte von Stickstoffdioxid
und Feinstaub so hoch aus.
Das zu ändern hat sich Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz
Kuhn (Grüne) auf die Fahnen geschrieben. Zu Beginn seiner
Amtszeit kündigte Kuhn an, dass der „konventionelle Autoverkehr“ in der Daimler-Metropole mittelfristig um ein Fünftel
zurückgehen soll. Dabei wächst das Verkehrsaufkommen in der
Region stetig. Nach Jahren der Untätigkeit und einer autofreundlichen Politik suchen die Kommunalpolitiker jetzt nach Lösungen, auch um drohenden Strafzahlungen an die EU zu entgehen.
Das Graue Zackenmützenmoos soll der feinstaubgeplagten
Stadt nun Linderung verschaffen: An der B14, entlang der Cannstatter Straße, soll eine 100 Meter lange moosbegrünte Wand
errichtet werden. Spätestens im kommenden Frühjahr soll die
Pilotanlage stehen, eigentlich sollte sie schon ab Oktober dieses
Jahres die Luft am Neckartor filtern. Auf 400 Quadratmetern
sollen künftig die Moose wachsen.
Mooswand in Oslo: Ein größeres Modell soll bald in Stuttgarts Innenstadt stehen.
dann Schritt für Schritt vom Moos aufgelöst und aufgenommen.
390.000 Euro lässt sich die Stadt das Pilotvorhaben kosten, an
dem die Universität Stuttgart beteiligt ist.
Sinnvoll für die lokale Senkung der Feinstaubemissionen mag
die Mooswand allemal sein. Doch manchem Stuttgarter stößt es
bitter auf, dass der Mittlere Schlossgarten für das BahnhofsMegaprojekt Stuttgart S21 abgeholzt wurde und jetzt eine teure
Mooswand hersoll, deren Wirksamkeit sich erst noch erweisen
muss. Auch am Rosensteinpark oder im Killesbergpark wurden
Bäume gefällt, wie die Bürgerinitiative Neckartor dokumentiert
hat. Neupflanzungen könnten die Filterfunktion alter Bäume
kaum ersetzen, dazu seien die jungen Bäumchen schlicht noch
nicht in der Lage.
Ökologen wollen deshalb verhindern, dass die schädlichen
Emissionen überhaupt in die Luft gepustet werden. Die Deutsche
Umwelthilfe fordert einen schnelleren Ausbau des öffentlichen
Nahverkehrs und eine umweltfreundliche Taxiflotte. Auf stark
befahrenen Straßen soll es Geschwindigkeitsbeschränkungen
geben und ein generelles Lkw-Fahrverbot. Damit ließen sich die
Emissionen Stuttgarts schnell senken, das Einhalten der zulässigen Werte für Feinstaub und Stickstoffdioxid wäre gesichert.
Bislang begnügt sich die Stadt mit Aufrufen zu freiwilligem
Autoverzicht. Wenn sich andeutet, dass die schädlichen Emissionen bei bestimmten Wetterlagen in die Höhe schnellen, sollen die
Pendler der Region ihre Autos stehen lassen. Gefruchtet haben
die Appelle bislang aber wenig.
PRAXIS
8
2/2016
EIN PARADIES MIT ABSTRICHEN
Im Mehrgenerationenhaus begegnen sich Alt und Jung, der Manager und die Hartz-IV-Empfängerin leben Tür an Tür.
Doch nicht für alle ist die Wohnform ideal – sie erfordert Engagement und Sinn für Basisdemokratie.
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ch hatte eine schöne Wohnung“, erzählt Margret Simon. Das war nicht das Problem. Doch die alleinstehende Darmstädterin, vom Ehemann getrennt, gerade
Rentnerin geworden, überlegte: „Willst du so weitermachen? Oder eher nicht?“ Das Ergebnis: Eher nicht. Das
war im Jahr 2002.
Heute lebt Margret Simon im „Wohnsinn 2“, einem
großen Mehrgenerationen-Wohnprojekt in der südhessischen
Universitätsstadt. Damals hatte die heute 80-Jährige von „Wohnsinn 1“ gehört, dem ersten Bauabschnitt mit 39 Wohnungen, der
2003 fertiggestellt wurde. „Ich ging da hin, und die Atmosphäre
hat mir gleich gut gefallen“, sagt die agile Seniorin, die sich
unter anderem um die „Wohnsinn“-Homepage kümmert. Margret
Simon hatte Glück. Noch während der Bauphase war in „Wohnsinn 1“ zufällig eine Zwei-Zimmer-Wohnung zur Zwischenmiete frei geworden. Nach Fertigstellung konnte sie einziehen
und begann gleich intensiv, eine Planungsgruppe für das Nachfolgeprojekt „Wohnsinn 2“ mitaufzubauen, in dem weitere 34
Wohnungen entstanden. Inzwischen leben rund 150 Menschen in
der U-förmig gebauten Anlage mit ihren vier Stockwerken, davon
40 Kinder. „Wohnsinn 1“ war eines der ersten Mehrgenerationenprojekte in Deutschland, von denen es heute rund 2.000 gibt.
Tatsächlich könnte die Altersspanne der Menschen, die im
„Wohnsinn“ leben, kaum größer sein. Der jüngste Bewohner ist
knapp zwei Monate, der älteste 81. Jede „Partei“ hat eine eigene,
abgeschlossene Wohnung, doch die Trennung der Generationen
ist aufgehoben. Und man begegnet sich nicht nur auf dem Flur
und im Treppenhaus. Eine großzügige Ausstattung mit Gemeinschaftsräumen lädt dazu ein, etwas gemeinsam zu tun. Die
Bewohner tauschen sich aus über Carsharing und neuerdings auch
E-Bike-Sharing, machen Englisch-Konversation, spielen Doppelkopf, es gibt eine Sauna-AG, ein Café und eine Kneipe.
Die Initiatoren des Wohnmodells, die 1998 dafür eine Genossenschaft gründeten, hatten hohe Ansprüche. Man wollte eine
ausgewogene Mischung aus Jungen und Alten, Familien und
Alleinerziehenden, Gutbetuchten, Mittelklasse und ärmeren
Bewohnern; mindestens zehn Prozent sollten Behinderte sein,
ebenfalls zehn Prozent Menschen mit Migrationshintergrund.
Foto: WohnSinn eG
Hausprojekt für mehrere Generationen in Darmstadt: Wer nicht allein wohnen will, muss auch die Basisdemokratie aushalten.
Gemeinsame Entscheidungen fallen bis heute streng basisdemokratisch; im Haus-Plenum, das sich alle 14 Tage oder monatlich
trifft, haben alle Bewohner ab 16 Stimmrecht.
DAS KONZEPT HAT FUNKTIONIERT
„Viele von den Gründern sind Alt-68er“, sagt „Wohnsinn 2“-Bewohnerin Barbara Kienitz-Vollmer, 65, „da liegt das
im Blut“. Damals sei in dieser aus der Studienzeit WG-erfahrenen Szene viel über neue Wohnformen debattiert worden. „Wir
wussten, die Großfamilie ist tot und die Gefahr der Vereinzelung
wächst. Dagegen musste man etwas tun.“ Es habe etwas Neues
gebraucht, das die Vorteile der Großfamilie hat, aber nicht ihre
Nachteile. Das Konzept war dann schnell gefunden: das Mehrgenerationenwohnen.
Viele von den Ur-Ideen wurden eingelöst. Nicht nur Jung
und Alt wohnen miteinander unter einem Dach, auch eine gute
soziale Durchmischung ist erreicht. Das Spektrum reicht von
der Ex-Obdachlosen, die Hartz IV bezieht, bis zum Manager.
Etwa ein Drittel der Wohnungen zum Beispiel in „Wohnsinn 2“
NACHRICHTEN
Wetterextreme können jeden Ort treffen
Tagelanger Regen über Süddeutschland und Flutkatastrophen in mehreren Kommunen – das war
die Bilanz des Tiefdruckgebiets „Elvira“ Ende Mai. In Zukunft werden sich solche „hochdramatischen Wetterlagen“ mit Überflutungen, Hitzewellen oder lokalen Anomalien wie Tornados häufen,
warnt nun der Deutsche Wetterdienst (DWD). „Wir müssen uns auf die Folgen einer wärmeren Welt
einstellen – Ereignisse wie Starkregen können an jedem beliebigen Ort in Deutschland auftreten“,
sagte DWD-Vizepräsident Paul Becker im September in Berlin. Städte, Gemeinden und Bürger
dürften dabei auch nicht immer nur auf den Staat warten, so Becker. „Jeder ist für die Anpassung
an die neuen Wetterrisiken mitverantwortlich.“ (dwd.de)
Herausgeber:
Reiner Hoffmann, Deutscher Gewerkschaftsbund
Prof. Dr. Kai Niebert, Deutscher Naturschutzring e.V.
Damian Ludewig, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V.
Michael Müller, Vorsitzender, NaturFreunde Deutschlands e.V.
Christel Schroeder, Lutz Ribbe, EuroNatur Stiftung
Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender, Deutsche Umweltstiftung
Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender, BUND e.V.
Dr. Martin Held, Gesprächskreis Die Transformateure
– Akteure der Großen Transformation
Foto: Technisches Hilfswerk
Städte können viel für Ressourcenschonung tun
Finanzielle Anreize zum Umziehen in kleinere Wohnungen, obligatorische Stellplätze für Fahrräder
statt Autos, öffentliche Ausschreibungen nach sozialen und ökologischen Kriterien: Städte haben
schon heute viele Möglichkeiten, den Verbrauch von Flächen, Energie und Material zu verringern.
Das ergab eine Studie des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie. „Kommunale Suffizienzpolitik: Strategische Perspektiven für Städte, Länder und Bund“ heißt die Ausarbeitung im Auftrag
des Umweltverbandes BUND. Konkrete Beispiele für die Bereiche Wohnen, Verkehr und öffentliches Beschaffungswesen sollen zeigen, über welche Instrumente Politiker aller Ebenen verfügen, um
Weichen für ein ressourcenschonendes Leben zu stellen. (kurzlink.de/stadtlandglueck)
Foto: Naphat Pradubsri
sind Sozialwohnungen, die Miete kostet knapp sieben Euro pro
Quadratmeter; ein Drittel ist frei finanziert, hier sind rund zehn
Euro fällig.
Ein besonderer Vorteil: Die Nebenkosten liegen sehr niedrig.
Erstens, weil das Haus als energiesparendes „Passivhaus“ gebaut
wurde, folglich kaum Heizung gebraucht wird. Und zweitens
wegen der von den Bewohnern erbrachten Leistungen, die sonst an
eine Hausverwaltung oder Handwerker vergeben werden müssten.
Ist „Wohnsinn“ also ein reines Wohnparadies? Das nun doch
nicht. Wer dort leben will, muss bereit sein, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. Das heißt auch, zum Beispiel Plenumssitzungen zu ertragen, in denen die Höhe des anzuschaffenden
Sofas für den Gemeinschaftsraum ein abendfüllendes Thema
sein kann. Basisdemokratie funktioniert nun einmal nicht ohne
gewisse Ausdauer und Zähigkeit, und das ist offenbar nicht jedermanns Sache. „Das Mehrgenerationenwohnen ist wirklich kein
Modell für alle“, urteilt die 59-jährige Ellen Ried, die seit 2008 in
der Anlage lebt. Auch ist die Fluktuation höher als erwartet. Eine
junge Familie zum Beispiel ist schnell wieder ausgezogen. „Die
dachten, gemeinsam wohnen bedeutet laufend Party machen.“
IMPRESSUM
Oslo macht Schluss mit Verkehrspolitik für Autos
Die seit einem Jahr in Norwegens Hauptstadt regierende rot-rot-grüne Koalition hat ehrgeizige Ziele zur Senkung der TreibhausgasEmissionen beschlossen. Bis 2020 soll der CO2-Ausstoß um 50 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden, bis 2030 sogar um 95 Prozent.
Wichtigster Ansatzpunkt der Klimapläne ist die städtische Mobilität. Bislang verursacht der motorisierte Verkehr 63 Prozent der
Emissionen Oslos. Schon 2019 sollen im Zentrum der Stadt nur noch Fahrzeuge ohne Schadstoffausstoß fahren. „Wir wollen, dass
Fußgänger, Radfahrer und der öffentliche Nahverkehr Priorität genießen vor dem Autoverkehr“, heißt es aus der Stadtverwaltung.
Damit soll zudem die Luftverschmutzung verringert und die Lebensqualität in der Stadt erhöht werden.
Einkommen schlägt Umweltbewusstsein
Das Einkommen beeinflusst den Energie- und Ressourcenverbrauch viel stärker als das Umweltbewusstsein. Das hat eine Studie des
Umweltbundesamtes (UBA) ergeben. Über die persönliche CO2-Bilanz der Bundesbürger entscheiden demnach vor allem die Größe
und der Heizbedarf der Wohnung sowie die Nutzung von Flugzeug und Auto. Auch der Fleischkonsum spielt eine Rolle. Das Überraschende: Ob jemand sich selbst für umweltbewusst hält oder nicht, ist dabei egal, es kommt nur auf das Einkommen an. „Menschen aus
einfacheren Milieus, die sich selbst am wenigsten sparsam beim Ressourcenschutz einschätzen und die ein eher geringeres Umweltbewusstsein haben, belasten die Umwelt am wenigsten“, stellten die UBA-Forscher fest. (UBA-Texte 39/2016)
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17. bis 20. Oktober 2016
3. UN-Konferenz für Wohnen und
nachhaltige Stadtentwicklung –
HABITAT III
Quito (Ecuador)
www.habitat3.org
20. Oktober 2016
FÖS-Konferenz: Landwirtschaft der
Zukunft: Zwischen freien Märkten und
ökologischen Herausforderungen
Dietrich-Bonhoeffer-Haus, Berlin
www.foes.de
4. bis 6. November 2016
Utopikon – Die Utopie-ÖkonomieKonferenz: Wege und Herausforderungen in eine geldfreiere Gesellschaft
Forum Factory, Berlin
www.utopikon.de
7. bis 18. November 2016
Klimakonferenz der Vereinten
Nationen (COP 22)
Marrakesch (Marokko)
www.unfccc.int