ALLTAGSMY
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für Griechenland
2010–2014
215
316
200
Im Ausland
verstecktes
reicher Griechen
Vermögen
(ALDI)
(LIDL, Kaufland)
der Familie
Albrecht
Dieter Schwarz
Vermögen
Vermögen
(Conti)
2014
281
34,8
5
Verteidigungshaushalt
Deutschland
2010–2014
150 (D)
Vermögen
54,7 (EU)
10,6
Staatsschulden
Griechenland
USA 2012
Externe
Kosten
der Kohleverbrennung
in Europa
pro Jahr
103 (D)
Deutschland
Jährliche
Spenden
in den USA
Wahlkampfkosten
Vermögen
der
unteren
50 %
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Rettungspakete
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Vermögen
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Deutschland.
(www.movum.info) sind auf den
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Staatliche
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Erneuerbare
1970–2012
67 (D)
Staatliche
Förderung
Braunkohle
1970–2012
10 (D)
87 (D)
Branntweinsteuer
Gewinn der
aus der Fußball-WM
FIFA
2014
in Deutschland
pro Jahr
Tabaksteuer
3,5 (D)
3,3
Allen Kindern
weltweit
Schulbildung
ermöglichen
Zuteilung
CO 2 -Emissionsberechtig
der
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Jahr
7 (D) Energiesteuerbefrei
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des Kerosins
pro Jahr
Staatliche
Förderung
Steinkohle
1970–2012
311 (D)
8,75 Ausgaben
87 (D)
48 (WELT)
14
58,6 (D)
der reichsten
4.813 Mrd.
10 %
Kosten für
Klimaschutz
bis 2030
(D)
Vermögen
der reichsten
1.627 (D)
31 (D)
Durch Verkehr
verursachte
Gesundheitskosten
Umsatzsteuer
52 (D)
Umweltschädliche
Subventionen
pro Jahr
3,8 (D)
Haushalt
Umweltministerium
0,1 %
85,7 (D)
800 Mrd.
84 (D)
Steuereinnahmen
Deutschland
pro Jahr
278 (D)
Kaffeesteuer
Weltweite
Beseitigung
von Hunger
301 (D)
Gesundheitsausgaben
in Deutschland
pro Jahr
(D)
36 (D)
Aufnahme
von
800.000
Flüchtlingen
in Deutschland
Bankenrettung
in Deutschland
Urlaubsausgaben
der Deutschen
pro Jahr
27
(WELT)
Gesundheitskosten
der Kohleverstromung
6,3 (D)
Brasiliens
zur Fußball-WM
2014
2
Vermögen
Energiesteuer
Lohnsteuer
50 (D)
Staatliche
Förderung
Atomenergie
1970–2012
213 (D)
6 (D) Kostenfreie
Mehrwertsteuerbefr
für internationale
eiung
Flüge pro
Jahr
1
Staatsverschuldung
Deutschland
2.000 (D)
(D)
Kosten des
Klimawandels
bis 2050
Briefe zur
Transformation
movum
Subventionen
erneuerbare
Energien
weltweit
pro Jahr (WELT)
88
Atomkraft
UNO startet privaten Emissionshandel
Die Verringerung der Treibhausgas-Emissionen wird zur Privatsache: Die Vereinten Nationen führen einen „Emissionshandel für alle“
ein und bauen dafür den „United Nations Climate Credit Store“ auf. Über diese Internetplattform können Privatpersonen und Firmen
Emissionszertifikate aus dem Clean Development Mechanism (CDM) kaufen, um so freiwillig ihre Emissionen zu kompensieren. Wer
eine Reise oder seinen Fleischkonsum klimaneutral stellen möchte, kann im „Store“ die Treibhausgas-Belastung berechnen lassen
und für dieselbe Menge Verschmutzungsrechte kaufen. Umweltorganisationen zweifeln aber am Nutzen vieler CDM-Projekte. „Der
Konsument wird da getäuscht“, sagte die WWF-Klimaexpertin Juliette de Grandpré der Süddeutschen Zeitung. (sz.de/1.2641976)
272
(WELT)
4.717 Mrd.
Subventionen
fossile Energien
weltweit
(Welt)
9.300 Mrd.
pro Jahr
4.353 Mrd.
Gesundheitsausgabe
n weltweit
Privates
Vermögen
in Deutschland
(D)
(Welt)
pro Jahr
Ausgabe 8
Oktober 2015
Finanzpolitik
Foto: Fossil Free Tufts
„Divest for Paris“
Die weltweite Divestment-Bewegung fordert Institutionen, Einzelpersonen und Regierungen
dazu auf, ihr Geld noch vor der Pariser Klimakonferenz im Dezember aus dem Geschäft mit
fossilen Brennstoffen abzuziehen. Im September traf sich die Bewegung in der französischen
Hauptstadt zu einem Kongress. „Wer in Paris Taten sehen will, darf nicht die fossile Energiewirtschaft bezahlen“, sagte May Boeve von der Klimaschutzorganisation 350.org, die den Kongress zusammen mit den Europäischen Grünen veranstaltete. Divestment sei schon rein wirtschaftlich geboten. Man spricht von der „Kohlenstoffblase“: Sobald die Staaten ernsthaften
Klimaschutz betreiben, werden Investitionen in die Branche schnell wertlos. Das werde früher
oder später auch passieren, sagte Boeve. (europeangreens.eu/divestconference)
Subventionen
weltweit
pro Jahr
Zivilgesellschaft auf Transformationskurs
Die zivilgesellschaftlichen Bewegungen für ökonomische, ökologische und soziale Alternativen wollen sich gemeinsam für eine
umfassende Transformationsperspektive einsetzen. Ein entsprechender Konvergenzprozess ist bereits im Gang. Das zeigte sich beim
„Solikon 2015“, dem Praxiskongresses für solidarische Ökonomie im September an der TU Berlin. Eine Woche lang ging es dort um
die vielfältigen Formen solidarischer Ökonomie und um konkrete Kooperationsweisen. Die Verfechter der solidarischen Ökonomie
plädieren für ein Wirtschaftssystem, das auf Kooperation statt Konkurrenz beruht. Vorgeschaltet war dem Kongress eine „Wandelwoche“, um bei Projekten Ort zu erkunden, welche Varianten einer solidarischen Ökonomie schon heute funktionieren. (solikon2015.de)
Foto: Fred Meyer | flickr.com
Green Economy? Faire Einkommen!
„Grünes Wachstum“ mit erneuerbaren Energien, mehr Effizienz und einer Dienstleistungsökonomie ist nicht das entscheidende Instrument gegen den Klimawandel. Zu dem Ergebnis kommt
der Chefökonom des Schweizer Research Institute on Organic Agriculture, Ulrich Hoffmann,
in einer Analyse für die UN-Organisation für Handel und Entwicklung UNCTAD. Der oft reduktionistische Green-Growth-Ansatz habe technologische, bevölkerungsdynamische und systemische Zwänge nicht im Blick und könne Scheinlösungen stärken. Die nötige Transformation
beinhalte eine bessere Verteilung von Vermögen und Einkommen, eine Begrenzung der Marktmacht von Wirtschaftsakteuren und eine Kultur der Genügsamkeit. (UNCTAD/OSG/DP/2015/4)
IMPRESSUM
Herausgeber:
Damian Ludewig, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V.;
Michael Müller, Vorsitzender, NaturFreunde Deutschlands e.V.
Christel Schroeder, Lutz Ribbe, EuroNatur Stiftung;
Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender, Deutsche Umweltstiftung;
Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender, BUND e.V.;
Dr. Martin Held, Gesprächskreis Die Transformateure – Akteure der Großen Transformation
Förderhinweis:
DIESES PROJEKT WURDE
GEFÖRDERT VON:
Förderhinweis:
Redaktion:
Chefredaktion: Susanne Götze, Joachim Wille (V.i.S.d.P.)
Redakteure: Matthias Bauer, Sandra Kirchner
DIESES PROJEKT WURDE GEFÖRDERT VON:
Debatte
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THEORIE:
„ICH HALTE NICHTS DAVON,
DIE FLINTE INS KORN ZU WERFEN“
Interview mit Barbara Hendricks
Die Verantwortung für den
Inhalt dieser Veröffentlichung liegt
bei den AutorInnen.
Layout
Alexander Seeberg-Elverfeldt, Entwicklung; Adrien Tasic, Gestaltung; Jennifer Kalisch, Infografik
Dr. Kai Niebert, Fakultät Nachhaltigkeit, Leuphana Universität Lüneburg, Konzeption Infografik
Verlag:
movum erscheint im GutWetter Verlag UG (haftungsbeschränkt)
Marienstraße 19/20, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 24632232, www.gutwetterverlag.de, Geschäftsführer: Marco Eisenack
Registergericht: Amtsgericht Charlottenburg, NR-Nr.: HRB 118470 B. Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste sowie Vervielfältigung auf Datenträgern nur nach Genehmigung des Verlages.
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Coverfoto: Axel Hartmann | flickr.com • Design: Adrien Tasic
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DIE PIONIERE WERDEN DIE GEWINNER SEIN
Von Ernst Ulrich von Weizsäcker
PRAXIS:
DIE 100-MILLIARDEN-DOLLAR-FRAGE
Von Nick Reimer
DAS UNSCHÄTZBARE SCHÄTZEN LERNEN
Von Jörg Staude
GRAFIK:
WO DIE MILLIARDEN WIRKLICH LANDEN
AKTEURE
2
FÖS: Zuordnung der Steuern und
Abgaben auf die Faktoren Arbeit,
Kapital, Umwelt. Berlin 2015
Woher bekommt der Staat sein
Geld? In Deutschland vor allem,
indem Arbeit besteuert wird.
Umweltbelastung durch Steuern in Rechnung zu stellen, spielt
dagegen kaum eine Rolle. So sind
Preise heute weit davon entfernt,
die Wahrheit zu sagen. Der Anteil
der Umweltsteuern am deutschen
Staatsauf kommen ist sogar seit
2003 rückläufig. Der Anteil ist
mittlerweile so niedrig wie vor der
Ökosteuer-Einführung. Das Forum
Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) analysiert jedes Jahr
die Entwicklungen im deutschen
Steuersystem und die Aktivitäten
der Regierung.
Download:
www.foes.de/steuerstruktur
Umweltbundesamt:
Umweltschädliche Subventionen
in Deutschland 2014. Dessau 2014
Alle zwei Jahre untersucht das
Umweltbundesamt (UBA), wie in
Deutschland Subventionen gefördert werden, die Umweltziele
konterkarieren, öffentliche Kassen
belasten und letztlich einer sozialökologischen Transformation im
Wege stehen. Im Jahr 2010 betrugen die umweltschädlichen Subventionen insgesamt mehr als 52 Milliarden Euro – und im Vergleich
zu früher ist kein systematischer Abbau erkennbar. Das UBA
empfiehlt, ihn jetzt in Angriff zu
nehmen. Der UBA-Bericht bietet
die am weitesten ausgearbeitete
Auflistung von Subventionen auf
Bundesebene.
Download:
www.kurzlink.de/uba-subventionen
Ausgabe 8
Greenpeace Energy/FÖS:
Was Strom wirklich kostet.
Hamburg 2015
Nicht alle Kosten der Stromproduktion stehen auf der Stromrechnung: Während die EEG-Umlage
die Förderung erneuerbarer Energien transparent ausweist, bleiben
staatliche Subventionen und finanziell förderliche Rahmenbedingungen für konventionelle Energieträger im Dunkeln. Dabei ist
Öko-Strom schon heute günstiger
als konventioneller, wenn auch die
Kosten für staatliche Förderungen
und für Umwelt- und Klimaschäden
sowie nukleare Risiken einbezogen
werden. Die Studie analysiert, was
konventionelle Energieträger wie
Kohle und Atomkraft die Gesellschaft tatsächlich kosten.
Download: www.foes.de/wasstrom-wirklich-kostet
Michael Carolan: Cheaponomics: Warum billig zu teuer ist.
Oekom, München 2015
Neben „unwahren“ Stromkosten
werden auch viele weitere Güter
und Produkte durch versteckte
Kosten billig gemacht. Der
US-Soziologe Michael Carolan
richtet einen unbequemen Blick auf
diverse Sektoren wie den Autoverkehr oder die Lebensmittelwirtschaft, die auf Kosten von Mensch,
Tier und Umwelt produzieren. Sein
Urteil lautet: „Billig“ ist lediglich
eine Illusion und kommt uns alle
teuer zu stehen. Denn die externen Effekte, soziale wie ökologische, müssen zumeist mit Mitteln
der öffentlichen Hand finanziert
werden. Ein gewichtiges Plädoyer für mehr Preiswahrheit und
eine nachhaltige Finanz- und Wirtschaftspolitik.
FORUM ÖKOLOGISCH-SOZIALE
MARKTWIRTSCHAFT (FÖS)
Das FÖS ist ein überparteilicher und unabhängiger politischer Think-Tank. Wir
verstehen uns als Expertennetzwerk und
sind gegenüber Entscheidungsträgern
und Multiplikatoren sowohl Anstoßgeber
als auch Konsensstifter in der Debatte
um eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft – den thematischen Schwerpunkt
bilden marktwirtschaftliche Instrumente in der Umweltpolitik. Durch
Studien, Konzeptentwicklung, Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit trägt das
FÖS dazu bei, die soziale Marktwirtschaft
zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln.
www.foes.de
Die Herausgeber (BUND, Deutsche Umweltstiftung, EuroNatur, FÖS, NaturFreunde und Die Transformateure)
und andere Akteure der Transformation stellen sich an dieser Stelle im Wechsel vor.
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VERANSTALTUNGEN
9. bis 11. Oktober 2015
Tagung „Wege in die Postwachstumsökonomie.
Perspektiven einer Wirtschaft ohne Wachstum“
Universität Oldenburg
www.voeoe.de/tagungen
23. und 24. Oktober 2015
Konferenz „Grüne städtische Gemeingüter?
Zwischen Aufwertung, Privatisierung,
sozial-ökologischer Transformation und Recht auf Stadt“
Universität Wien
www.greenurbancommons.wordpress.com
24. Oktober 2015
Tagung „,Nachhaltige‘ Stadtentwicklung – hohle Phrase oder
konkretes Handlungsprogramm?“
Evangelisches Forum Annahof, Augsburg
www.petrakellystiftung.de/programm
13. und 14. November 2015
Tutzinger Transformations-Tagung
„Wege zur Transformation“
Evangelische Akademie Tutzing
www.ev-akademie-tutzing.de
movum.info
EDITORIAL
3
Wer die Umwelt zerstört,
wird belohnt
Von Damian Ludewig, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS)
Finanzdebatten haben gerade wieder Konjunktur: Von der Griechenland-Krise über die Diskussion um die Atomrückstellungen
bis zum niedrigen Ölpreis – finanzielle Fragen sind von enormer
Wichtigkeit für unser Leben. Auch die Klimaverhandlungen in
Paris werden wieder zeigen: Ans Eingemachte geht es, wenn es
ums Geld geht. Die Frage nach den Finanzen ist nicht weniger
wichtig als die Frage danach, was wir zu welchen Konditionen
wie produzieren und wer davon wie viel bekommt.
Grund genug, den Finanzfragen eine eigene movum-Ausgabe
zu widmen. Denn es wird weder eine ökologische noch eine
soziale und schon gar keine sozial-ökologische Transformation geben, wenn sie nicht durch grundlegende finanzpolitische
Reformen begleitet und vorangetrieben wird.
Heute wird immer noch derjenige finanziell belohnt, der sich
unökologisch verhält: Ökologische Lebensmittel sind teurer als
Lebensmittel aus Massentierhaltung und industrieller Landwirtschaft. Eine Urlaubsreise mit der Bahn ist meist um ein Vielfaches teurer als eine Flugreise. Die Preise sagen nicht die ökologische Wahrheit. Dadurch bleibt die ökologische Transformation
bisher überwiegend auf Nischen besonderer Zahlungsbereitschaft oder besonderen Engagements begrenzt.
Auch für die soziale Seite der Transformation brauchen wir
eine andere Finanzpolitik. Die massive Ungleichverteilung der
Vermögen und Einkommen in Deutschland ruft nach finanzpolitischen Antworten. Die derzeit diskutierte Reform der
Erbschaftssteuer liefert sie definitiv nicht.
Der Kampf um eine angemessene Entlohnung der menschlichen Arbeitskraft dauert seit mindestens 200 Jahren an – der
Mindestlohn war in diesem Zusammenhang eine späte Errungenschaft in Deutschland. Der Kampf um angemessene Preise für
Naturgüter steht noch ganz am Anfang. Solange weniger als fünf
Prozent der Staatseinnahmen durch Steuern und Abgaben auf
Naturverbrauch erzielt werden, kann es mit einer angemessenen
Bepreisung von Ressourcenausbeutung und Umweltverschmutzung nicht weit her sein. Gleiches gilt für umweltschädliche
Subventionen, die in Deutschland mit jährlich über 50 Milliarden Euro nach wie vor höher sind als die Ausgaben für Umweltschutz. Wie soll da eine ökologische Transformation gelingen?
Beim Vorzeigeprojekt Energiewende ging es in dem Moment
in großen Schritten voran, als finanzielle Anreize gesetzt wurden:
mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wurde eine
Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Quellen eingeführt. Die zweite Säule der Energiewende steht noch aus: die
Reduktion von Treibhausgasen durch die Drosselung der Kohleverstromung und die massive Steigerung der Energieeffizienz.
Dazu wären wiederum Preissignale – etwa durch eine CO2-Steuer
– ein wichtiger Beitrag. Stattdessen sind die Weltmarktpreise für
Rohöl auf einem Tiefststand, die Zertifikate-Preise im EU-Emissionshandel im Keller und der Umweltsteuer-Anteil in Deutschland so hoch wie vor der ökologischen Steuerreform. Wenn aber
Kohle, Heizöl und Benzin so günstig sind wie jetzt, lohnt es sich
kaum in Energieeffizienz zu investieren.
Zum Glück gibt es anderswo Fortschritte: Der Aufwind für
die Divestment-Bewegung lässt hoffen, dass immer mehr Geldanlagen öffentlicher Institutionen aus dem fossilen Sektor abgezogen werden. Alternative Banken gewinnen Marktanteile und
ermöglichen jedem Einzelnen eine persönliche ökologisch-soziale Transformation seiner Geldangelegenheiten. Regionalwährungen öffnen Spielräume jenseits der zinsbasierten ZentralbankWährung und könnten Vorboten einer Geldwende werden.
All diese Beispiele machen deutlich: Die Bevölkerung ist
schon weiter als die Politik. Hoffen wir also, dass sich auch die
Politik bald bewegt, um die vielen Herausforderungen anzugehen
– Gelegenheitsfenster gibt es dafür gerade reichlich!
THEORIE
4
Ausgabe 8
THEORIE
movum.info
5
DIE PIONIERE WERDEN DIE
GEWINNER SEIN
„ICH HALTE NICHTS DAVON,
DIE FLINTE INS KORN ZU
WERFEN“
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I n t e r v i e w: M I C H A E L M Ü L L E R / DA M I A N LU D E W I G
WIE ES GELINGEN KANN, DASS DIE PREISE
DIE ÖKOLOGISCHE WAHRHEIT SAGEN
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks: Mit dem neuen Weltklimavertrag und der Reform des EU-Emissionshandels ist Deutschland auf einem guten
Weg für wirksamen Klimaschutz. Bei den Umweltsteuern und der Subventionspolitik bleibt bis zu einer wirklichen sozial-ökologischen Transformation
hingegen noch einiges zu tun.
D
as Thema Finanzen ist heiß. Der Kopf
schwirrt einem, wen man davon hört,
dass sekündlich Milliarden Euro um
den Globus sausen und dass davon
nur etwa ein Prozent der Bezahlung
von Gütern oder Dienstleistungen
dient. Der größte Teil ist spekulativ:
Finanzwirtschaft pur. Oder auch Kapitalismus pur.
Die Steuerung der Finanzströme gehorcht dem Prinzip höchster Kapitalrendite. Sind in einem Land oder
einem Sektor die Margen niedriger als bei der Konkurrenz, dann wandert das Kapital zur Konkurrenz. So werden
ganze Länder und Industrien erpresst, die Kosten zu drücken.
Praktisch immer zu Lasten sozialer Gerechtigkeit und langfristiger Umweltschonung. Gerechtfertigt wird dieser Kapitalismus
damit, dass das System die Innovation hochpeitscht.
müssen Geldmittel in die Hand genommen werden, die sich
bei den heutigen Kohle-, Öl- und Gaspreisen erst im Laufe
von etwa drei Jahrzehnten amortisieren, – und das ist für
heutige Investoren einfach viel zu lange.
Nun nehmen wir einmal an, unser Staat oder die EU
würden sicherstellen, dass die Preise für fossile Brennstoffe jedes Jahr um sagen wir zweieinhalb Prozent ansteigen würden. Dann würde sich die Amortisationszeit gleich
auf etwa die Hälfte vermindern und Investoren hätten die
angenehme Gewissheit, dass die Kapitalrendite von Jahr
zu Jahr steigt. Analoges würde für die Rentierlichkeit von
Tröpfchenbewässerung in der Landwirtschaft gelten, wenn
man weiß, dass das Wasser langsam immer teurer wird.
Um einigermaßen sicherzustellen, dass ein solcher die Innovation in Richtung Nachhaltigkeit schiebender politischer Schritt
keine unerwünschten sozialen und wirtschaftlichen Nebenwirkungen hat, wird in dem genannten Buch Faktor Fünf ein
Modell entwickelt, das im Kern aus drei Komponenten besteht:
KAPITALISMUS OHNE ÖKOLOGIE
Nach dem Finanzcrash von 2008 gab es für kurze Zeit eine Diskussion darüber, ob dieses Hochpeitschen nicht manchmal zum
Absturz führen könne, und der lange Zeit verstummte Ruf nach
Regulierung wurde wieder hörbar. Unter dem Schlachtruf Occupy Wallstreet entstand sogar so etwas wie ein Bürgeraufstand gegen den Kapitalismus. Die Staaten der Welt machten erstmal die
meisten Geldinstitute, die so viele Werte zerstört hatten, mit Steuergeldern wieder flott und vereinbarten ein paar neue Regulierungen. Und dann konnte das globale Schwirren der Milliarden wieder seinen Lauf nehmen.
Was im Kapitalismus und in der Kapitalismuskritik meistens
zu kurz kommt, ist die ökologische Dimension. Im puren Kapitalismus taucht sie erst auf, wenn Plünderung oder Zerstörung
zu Knappheit von Ressourcen führen. Der Raubbau an Wäldern,
Böden, Fischgründen und Erzadern, die globale Erwärmung und
die Ausrottung von rund hundert Tier- und Pflanzenarten täglich,
das sind Zerstörungen, die uns die künftigen Generationen nicht
verzeihen werden. Natürlich wird der Raubbau gerne als Folge
steigender Konsumbedürfnisse und steigender Bevölkerungszahlen dargestellt. Dann liegt der Schwarze Peter erstmal wieder bei
den vielen Menschen und nicht mehr bei den wenigen Superreichen. Aber wollen wir uns mit dieser Redeweise abspeisen lassen?
FINANZSEITE POSITIV EINBEZIEHEN
Nein, das Verschieben des Schwarzen Peters führt nicht weiter.
Wir müssen mit Lösungen vorankommen, die auch für neun Milliarden Menschen eine zumutbare Lebensführung ermöglichen und
die Finanzseite positiv statt destruktiv einbeziehen.
Gewiss muss auch das Thema Bevölkerungsentwicklung
wieder auf die politische Tagesordnung gehoben werden. Es ist
ja nicht zu übersehen, dass die gegenwärtigen Flüchtlingsströme
praktisch ausschließlich aus Ländern kommen, in denen eine
Bevölkerungszunahme stattfindet, wie sie in den OECD-Ländern
längst überwunden ist. Die Bevölkerungsdynamik ist einer der
Auslöser für die territorialen, ethnischen und religiösen Kriege
und Bürgerkriege unserer Tage.
Im Zentrum meiner Überlegungen steht hier aber das, was man
heute tun kann, um die Dynamik des Raubbaus zu bremsen und
schließlich zu stoppen. Das ist eine große, eine säkulare Aufgabe
für uns demokratische Gesellschaften und für die Völkerfamilie.
Ich halte die Aufgaben für lösbar. Und wieder werden die Finanzen ins Spiel kommen, diesmal aber positiv.
Die demokratischen Gesellschaften der wohlhabenden
Länder haben es seit den 1970er Jahren geschafft, das vormals
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bedrückende Problem der lokalen Verschmutzung von Gewässern,
Luft und Böden zu bremsen, teilweise sogar zu lösen. Das Volk
ließ sich die krank machenden Verschmutzungen nicht mehr gefallen, und in demokratischen Wahlen wurden Regierungen gebildet,
die auf die Umweltkrise mit drastischen Gesetzen antworteten.
Bei Schadstoffen war in der Regel das Ordnungsrecht die richtige Antwort: Gesundheitsschädigende Emissionen musste man
einfach mit Grenzwerten verbieten. Und mit Luftfiltern und Klärwerken konnte man die Emissionen „am Ende der Röhre“ relativ rasch kontrollieren. Heute jedoch geht es beim Klima, den
Wäldern, den Meeren und den Mineralien um das Umlenken der
ganzen Wirtschaft. Es geht um die starke Steigerung der Effizienz
der Nutzung von Energie, Wasser und Mineralien und zusätzlich
um die Dekarbonisierung und den Naturschutz. Mit Ordnungsrecht kann man viel verbieten und wenig steuern. Aber was hat
man dann für Eingriffsinstrumente in der Hand?
In einer Wirtschaft, die auf die Steuerungskräfte des Geldes
setzt, muss man in erster Linie dafür sorgen, dass „die Preise
die ökologische Wahrheit sagen“. Zwar wird man nie präzise
wissen, was diese Wahrheit ist, aber eine aktive Verteuerung
des Verbrauchs von fossilen Brennstoffen, von Wasser und von
knappen Mineralien bringt uns auf jeden Fall der ökologischen
Wahrheit näher. Die eigentliche politische Frage ist, wie man das
bewerkstelligen kann, ohne dabei soziale oder ökonomische Schäden anzurichten.
Die ökologische Steuerreform, von der rot-grünen Bundesregierung 1999 eingeführt, hat eindeutig mehr Nutzen gestiftet als
Schaden angerichtet. Sie hat rund eine Viertelmillion Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen, hauptsächlich durch die Absenkung der Lohnnebenkosten. Und die sozialen Auswirkungen
durch teureres Benzin, Gas und Strom blieben sehr überschaubar.
MODELL FÜR DIE EFFIZIENZREVOLUTION
Für die politische Akzeptanz eines Preisinstruments ist es entscheidend, dass sich das Bewusstsein verbreitet, dass eine riesige Erhöhung der Ressourcenproduktivität technisch möglich ist.
Dies haben wir in dem gemeinsam mit einem australischen Team
verfassten Buch Faktor Fünf nachgewiesen. Die Verfünffachung
der Ressourcenproduktivität scheitert nicht an der technischen
Machbarkeit, sondern an der mageren Rentabilität. Um etwa einen Altbau auf Passivhausstandard mit Solardach umzurüsten,
1. Die Anhebung der Preise soll im Gleichklang mit den gemessenen durchschnittlichen Effizienzsteigerungen des Vorjahres
geschehen. Wenn die deutsche Autoflotte 2015 um 1,4 Prozent
spriteffizienter wird, steigt der Spritpreis 2016 um 1,4 Prozent an.
2. Um soziale Verwerfungen zu vermeiden, soll ein Sozialrabatt
oder eine entsprechende Anhebung der Transferzahlungen erwogen werden.
3. Um eine Abwanderung von Industrien zu vermeiden, ist erstens die Preissteigerung mit dem Effizienzfortschritt nützlich
(und dies kann für besonders gefährdete Branchen gesondert
behandelt werden), und zweitens könnte der Fiskus die aus gefährdeten Branchen erhobenen Steuern an die Branche zurücküberweisen, zum Beispiel proportional zu den Vollarbeitsplätzen der jeweiligen Firmen.
VORREITER WERDEN BELOHNT
Natürlich wird trotzdem gemosert werden. Das ist allzu menschlich. Aber eine starke Hand des Staates und ein dialogisches Einbeziehen der Betroffenen können den Konsens sehr verbreitern.
Vor allem die Perspektive, dass sich das Hochtechnologieland
Deutschland durch ein solches System an die Spitze der Wettbewerbsfähigkeit katapultiert, kann den Konsens zementieren.
Dass sich der Fortschritt aller Länder im Laufe der kommenden Jahrzehnte in der Hauptsache an der Ressourcenproduktivität
bemisst, ist politisch alles andere als selbstverständlich. Aber von
Ostasien und Europa ausgehend nimmt die Einsicht zu, dass es
auf Dauer gar keine Alternative gibt. Und der Vorteil ist, dass es
für einen Welterfolg gar nicht nötig ist, dass alle Länder von vornherein mitmachen. Wenn deutsche, französische, japanische und
chinesische Produkte und Dienstleistungen systematisch weniger
Energie, Wasser und Mineralien verbrauchen als die konkurrierenden Angebote aus den USA oder Australien, dann haben wir
die first mover advantages, die Pioniervorteile, auf unserer Seite.
Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Naturwissenschaftler und war u.a. Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie,
Mitglied des Deutschen Bundestages und ist
seit 2012 Ko-Präsident des Club of Rome.
Frau Hendricks, wir stehen kurz vor einem historischen Moment
in der weltweiten Umweltpolitik: Auf der UN-Klimakonferenz in
Paris könnte das erste wirklich globale Klimaabkommen abgeschlossen werden. Damit einher geht das Versprechen über
Hilfen von 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Was tut Deutschland,
damit vom Klimawandel betroffenen Ländern geholfen wird?
Barbara Hendricks: Wir wollen in Paris einen neuen, ambitionierten Klimavertrag beschließen, dem alle Länder zustimmen
und der 2020 in Kraft tritt. Der Vertrag muss drei Eigenschaften
haben: dynamisch, modern und fair. Dynamisch, weil er einen
eingebauten Mechanismus haben soll, um die Ambitionen der
einzelnen Länder weiterzuentwickeln. Modern, weil er die Spaltung in Industrie- und Entwicklungsländer überwindet. Und fair,
weil er die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Kapazitäten der Länder angemessen berücksichtigt und weil er Ländern,
die Bedarf haben, Unterstützung bei der Anpassung an den Klimawandel und der Minderung der Treibhausgase zusichert.
Die angesprochenen 100 Milliarden US-Dollar sind bereits seit
dem Klimagipfel in Kopenhagen auf dem Tisch. Von deutscher
Seite haben wir einen Beschluss zur Verdopplung der Klimafinanzierung bis 2020. Dies hat auch andere Staaten ermutigt.
Wir gehen davon aus, dass noch weitere Staaten vor Paris
ihre Finanzzusagen aufstocken werden.
Im Gespräch sind bei den Klimaverhandlungen auch Finanzierungsinstrumente zur Bepreisung wertvoller Naturgüter wie
Wald – ist eine Monetarisierung von Natur die Lösung?
Wälder leisten einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz; sie speichern Kohlenstoff und stabilisieren das Klimasystem. Doch um
Wälder in Entwicklungsländern besser zu schützen, muss dies
in Einklang mit den Bedürfnissen der dort lebenden Menschen
gebracht werden. Unter der Klimarahmenkonvention sind Regelungen zur Reduzierung von Emissionen aus Entwaldung und
Walddegradierung erarbeitet worden. Diese Regeln ermöglichen
auch ergebnisorientierte Zahlungen für vermiedene Entwaldung.
Entwicklungsländer können damit ihre Wälder effektiver und
nachhaltiger bewirtschaften.
Die ökonomischen Aspekte beim Schutz von Natur und Biodiversität sind wichtig. Es geht darum, die verborgenen Werte und
Leistungen der Natur aufzuzeigen und zu bewerten.
In dem dafür geschaffenen Green Climate Fund
sind bisher nur zehn Milliarden Euro – wie will
man die Hilfen bis 2020 aufstocken?
Das Wörtchen „nur“ finde ich bei dieser
Summe eher unpassend. Immerhin ist der
Green Climate Fund mit dieser Erstkapitalisierung von über zehn Milliarden Dollar
für die ersten vier Jahre schon handlungsfähig. Damit ist der GCF der größte
multilaterale Klimafonds! Das ist ein
klares Signal des Vertrauens in die neuen
Strukturen – sowohl der traditionellen
Geberstaaten als auch der Entwicklungsländer, denn auch diese haben einen
finanziellen Beitrag zum Green Climate
Fund geleistet. Für November steht die
erste Projektauswahl an.
Sie haben bei der CO2-Bepreisung bisher
vor allem auf den Emissionshandel gesetzt.
Allerdings sind die Preise nach wie vor im
Keller, weil zu viele Zertifikate auf dem Markt
sind. Ist es da nicht doch an der Zeit, über
alternative Instrumente nachzudenken?
Alternativen zum Emissionshandel haben den Nachteil, dass sie zu volkswirtschaftlich höheren Kosten
führen. Der Emissionshandel ist das zentrale Klimaschutzinstrument der EU, und das nicht ohne Grund. Natürlich ist
jedes Instrument immer nur so gut, wie man es ausgestaltet. Ich
halte nichts davon, die Flinte ins Korn zu werfen, wenn sich Probleme und Widerstände zeigen.
Beim Emissionshandel haben wir schon viel gelernt und verbessert. Auf EU-Ebene haben wir die Marktstabilitätsreserve eingeführt, die die bestehenden Überschüsse im Markt Schritt für
Schritt abbauen wird. Für die anspruchsvolle Ausgestaltung
dieser Reform war die ambitionierte Position Deutschlands in den
Verhandlungen ein wichtiger Faktor. Jetzt verhandeln wir schon
die europäischen Regeln für die Zeit nach 2020. Dafür haben wir
uns wieder viel vorgenommen.
Erfolgsgeschichte. Sie zeigt die Lenkungswirkung marktbasierter Instrumente. Umweltkosten stärker einzupreisen, um damit
den Faktor Arbeit zu entlasten, ist und bleibt richtig.
Wahr ist aber auch, dass der Anteil der Umweltsteuern am Gesamtsteueraufkommen seit Jahren sinkt. Steuern sind und bleiben in
Umweltfragen ein wichtiges Instrument, für dessen Nutzung es
aber politische Mehrheiten geben muss.
Wie hoch sind die umweltschädlichen Subventionen in Deutschland? Bei dem, was die Bundesregierung im Subventionsbericht
vorlegt, und dem, was das Umweltbundesamt errechnet hat,
klaffen die Zahlen weit auseinander. Warum schafft es die
Regierung nicht, kohärente Zahlen vorzulegen?
Weder in der finanzwissenschaftlichen Literatur noch in der Praxis
ist der Begriff „Subvention“ einheitlich definiert. Im Mittelpunkt
des Subventionsberichts der Bundesregierung, den wir im August
im Kabinett beschlossen haben, stehen gemäß gesetzlicher Grundlage Finanzhilfen und Steuervergünstigungen. Das Umweltbundesamt fasst den Begriff der Steuervergünstigung in seiner Studie
zu umweltschädlichen Subventionen breiter und rückt – aufgrund
seines spezifischen Auftrags – die Umweltschädlichkeit von
Subventionen in den Mittelpunkt. Die Berichte haben also
unterschiedliche Ziele.
Immerhin prüft die Bundesregierung mit dem neuen
Subventionsbericht erstmals die Nachhaltigkeit. So
werden auch die Umweltbelange mehr und mehr
in die Subventionspolitik des Bundes integriert.
Das lässt sich auch an den neu gewährten
Subventionen ablesen: Vier der sieben neuen
Maßnahmen zielen vor allem auf ökologische Wirkungen ab, nämlich Klimaschutz,
Ressourcenschonung und erneuerbare
Energien.
Viele Staaten, auch große Unternehmen
fordern
mittlerweile
einen
weltweiten Preis für den KohlendioxidAusstoß durch eine CO2-Steuer. Wäre
mit Blick auf die Klimakonferenz in Paris
der Vorschlag für eine europäische
CO2-Steuer nicht ein gutes Signal?
Selbstverständlich unterstützen wir die
Ansätze für eine CO2-Bepreisung in vielen
Ländern der Erde. Aber mit der Forderung
nach einem weltweiten CO2-Preis durch eine
CO2-Steuer machen Sie in meinen Augen den
zweiten Schritt vor dem ersten. Denn zunächst
einmal benötigen wir eine internationale Vereinbarung über das zukünftige Klimaregime. Wenn Sie
hierzu von allen Staaten die Einführung einer globalen CO2-Steuer fordern, werden Sie voraussichtlich wenig
Erfolg haben.
Foto:
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fl ick r.com • D e sig n: Ad ri
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Sie waren 1999 im Bundesfinanzministerium verantwortlich für
das Gesetz zur ökologischen Steuerreform. Wie bewerten Sie
heute das Gesetz und die gemachten Erfahrungen? Ist die damalige Formel „Ökosteuer ist ein Gewinnerthema“ noch richtig?
Entlasten Ökosteuern wirklich die Umwelt und schaffen Arbeit?
Das Gesetz zur ökologischen Steuerreform ist eine
Barbara Hendricks ist SPD-Politikerin
und Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.
THEORIE
6
Ausgabe 8
movum.info
THEORIE
7
VON DER ENERGIEWENDE ZUR
GELDWENDE
DIE ZUKUNFT ZUM NULLTARIF
Te x t : R E I N H A R D L O S K E
Te x t : M E C H T H I L D S C H RO O T E N
PLÄDOYER FÜR EINE GANZHEITLICHE
ALTERNATIVE GELDBEWEGUNG
KEINE GELDVERMEHRUNG AUS DEM NICHTS
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Fünftens: Geldhäuser sollen eher dezentrale und kundennahe und nicht anonyme, intransparente und durch ihre
schiere Größe mächtige Institutionen sein. Obergrenzen
für die Größe von Banken werden für notwendig gehalten. Vor allem die Trennung von Privatkundengeschäft
und Investmentbanking wird von vielen als zwingend
notwendig betrachtet.
Sechstens: Die Schöpfung des Geldes, die heute ganz
überwiegend über die (Kreditvergabe der) Geschäftsbanken stattfindet, soll neu gestaltet werden, um sie
(wieder) besser steuern zu können. Die in diesem
Zusammenhang diskutierten Ansätze, etwa die Vollgeldreform oder das 100-Prozent-MindestreserveKonzept („100 % money“), sind derzeit ganz oben auf
der Agenda der kritischen Gelddebatte, freilich ohne
dass es schon zu einem Konsens über die angemessene
Form der Rückkopplung der „Geldproduktion“ an öffentliche Interessen gekommen wäre. Die Geldschöpfungsfrage
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So entstanden nach und nach Konzepte für die Energiewende (1980), die Agrarwende (1987), die Chemiewende (1992), die
Verkehrswende (1994), die Waldwende (1994), die Wasserwende (1995) und schließlich die Ressourcenwende (1997). Ganz allmählich entstand so auch ein Bild von einem „zukunftsfähigen
Deutschland“ (1995), einem „Sustainable Europe“ (1996), gar einer „solaren Weltwirtschaft“ (1999). Man lernte wegen des globalen Charakters von Umweltproblemen wie dem Klimawandel oder
dem Biodiversitätsschwund zunehmend international zu denken
und zu argumentieren. Und vor allem lernte man, die Ökologiefrage mit anderen gesellschaftlichen Fragen systematisch zu verknüpfen, etwa mit denjenigen nach globaler Gerechtigkeit oder
nachhaltigem Wirtschaften.
Als jedoch Ende 2007 die Finanz- und Staatsschuldenkrise
aufflammte und den Banken alsbald eine Kernschmelze drohte,
war die Ökologiebewegung trotz ihrer vielfach bewiesenen
„Verknüpfungskompetenz“ eigentümlich sprachlos. Man war
angesichts der plötzlichen und totalen Dominanz von Finanzfragen auf der politischen Agenda nachgerade entsetzt: Hatte nicht
erst 2006 der Report des ehemaligen Chefökonomen der Weltbank, Sir Nicholas Stern, unter großer politischer Zustimmung
gezeigt, dass Klimaschutz eine profitable Sache sein kann? Hatten
nicht erst 2007 Al Gore und das UN-Klimawissenschaftlergremium IPCC den Friedensnobelpreis erhalten? Und hatte sich in
Deutschland nicht eben erst die Bildzeitung zur obersten Klimaschutzinstanz aufgeschwungen und uns täglich in großen
Lettern zum Handeln aufgefordert? Alles schien
plötzlich wie verflogen und so blieb nur noch die
Sprache der Defensive: „Wenn das Klima eine
Bank wäre, wäre es längst gerettet!“
Hu l le
KONZEPTE FÜR ALLES – AUSSER FÜRS FINANZSYSTEM
Erst ganz allmählich beginnen nun Teile der Ökologiebewegung,
ihre „Verknüpfungskompetenz“ auch auf Finanz- und Geldfragen
auszurichten und können dabei auf durchaus reichhaltige Vorarbeiten zurückgreifen, die bis in die Zeit der Ökobank-Gründung
(1984) zurückreichen.
Will man in der sprachlichen Wende-Analogie bleiben, so
stellt sich natürlich die Frage, was eine nachhaltigkeitsorientierte
„Geldwende“ heute auszeichnen könnte. Welche Ideen, Orientierungen und Konzepte könnten die Protagonisten einer solchen
Wende zusammenhalten? Ich sehe bei denjenigen, die sich für
einen sozial-ökologisch verantwortlichen Umgang mit Geld oder
(weitergehend) für eine neue Geldordnung einsetzen, bei Unterschieden im Detail folgende Gemeinsamkeiten:
Erstens: Geld wird als soziales und ökologisches Gestaltungsmittel gesehen, mit dem man in der realen Welt das „Richtige“
ermöglichen, also transformative Kraft entwickeln kann. Geld soll
Mittel zum Zweck sein, nicht Selbstzweck. Sein „Selbstlauf“ ist
deshalb zu begrenzen oder besser noch zu beenden. So soll etwa
die „Volatilität“ von Geldgeschäften, die einzig der spekulativen
Renditeerzielung dienen, durch Instrumente wie die Finanztransaktionssteuer begrenzt werden.
Zweitens: Geld soll Gestaltungsmittel in den Händen vieler,
nicht Machtmittel in den Händen weniger sein, es soll Zugänge
zur Teilhabe schaffen, nicht Ausschlüsse produzieren. Die demokratiefeindliche Konzentration des Geldes beziehungsweise der
Geldvermögen soll durch Steuergerechtigkeit abgebaut werden.
Drittens: Im Umgang mit Geld soll größtmögliche Transparenz
herrschen. Ziel ist es, dass die Bank auf die Kundenfrage „Was
machst du eigentlich mit meinem Geld?“ zukünftig Rechenschaft
ablegen kann und muss. Umgekehrt ausgedrückt: Die Kunden
sollen ihrer Bank sagen können (oder dies im Gespräch mit der
Bank entwickeln können), wofür sie ihr eingelegtes Geld verwendet sehen möchten, mindestens von der Grundausrichtung her. Die
Anleger sollen erkennen können, welche gesellschaftliche Wirksamkeit ihr Geld entfaltet.
Viertens: Geld soll vom Meister zum Diener der Gesellschaft
und der Realwirtschaft werden, einer nachhaltig operierenden Gesellschaft und einer nachhaltig operierenden Wirtschaft.
Entsprechend sollen bei der Kreditvergabe neben den traditionellen Bonitätskriterien auch Kriterien angelegt werden wie „gesellschaftlicher Nutzen“ oder „Nutzen für den Naturhaushalt“. Dies
könnte beispielsweise Energie- und Bodengenossenschaften zum
Vorteil gereichen, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben haben.
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D
ie moderne Ökologiebewegung ist in den
siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts
aus Kämpfen gegen Fehlentwicklungen hervorgegangen: gegen Atomkraft und Luftverschmutzung, Landschaftszerstörung,
-zerschneidung und -zersiedlung, Gifte in
Böden, Nahrung und Gewässern, Artenschwund, Müllberge und Agroindustrie, gegen Konsumismus,
Gigantismus und Wachstumsfetischismus. Schritt für Schritt und
manchmal von ihr selbst unbemerkt hat sich die Ökologiebewegung in den achtziger und neunziger Jahren dann vom bloßen
„Nein danke!“ entfernt und sich der Arbeit an Alternativen zum
„Weiter so“ zugewandt.
ist aus sozial-ökologischer Perspektive deshalb so bedeutend,
weil die Schrankenlosigkeit der privaten „Geldvermehrung aus
dem Nichts“ nicht nur Inflationsgefahren und „Fehlinvestitionen“
heraufbeschwört, sondern – über den Zins- und Zinseszinsmechanismus – auch einen ungemeinen Wachstumsdruck auf die Realwirtschaft ausübt und somit erhebliche Negativfolgen für die natürlichen Lebensgrundlagen nach sich ziehen kann.
Siebtens: Komplementärwahrungen wie das Regionalgeld
werden von ihren Protagonisten für bedeutsame Instrumente zur
Stärkung regionaler Binnenökonomien gehalten, was auch positive sozial-ökologische Effekte zur Folge habe: Schließung regionaler Produktions- und Verantwortungskreisläufe, verringerte
Transportbedarfe, De-Globalisierung, verbesserte Resilienz.
Andere sehen solche Regionalexperimente als zwar interessanten, aber in der Summe wenig wirksamen Ansatz für eine neue
Geldordnung, halten ihn mindestens einstweilen gewissermaßen
für eine „Nische in der Nische“.
ALTERNATIVE „GELDBEWEGUNG“ SINNVOLL?
Achtens: Spekulativer Umgang mit Land und Nahrungsmitteln
wird für unmoralisch gehalten und soll durch angemessene Regulierung begrenzt werden. Das bloße Wetten auf zukünftige Nahrungsmittelpreise etwa soll untersagt oder stark eingeschränkt
werden; Immobilienpreiszuwächse sollen gedeckelt und als
„leistungsloses Einkommen“ steuerlich ganz oder teilweise abgeschöpft werden. Im Raum steht auch der Vorschlag , das Eigentum an Boden in der Verfassung eines Landes zukünftig nicht nur
einer „Sozialpflichtigkeit“, sondern auch einer „Umweltpflichtigkeit“ zu unterwerfen, was dem spekulativen Umgang mit Land
eine deutliche Grenze setzen würde.
Neuntens: Zur Wiederherstellung staatlicher Handlungsfähigkeit und zur Forderung von gesellschaftlichem Zusammenhalt werden auch Schuldenstreichungen als prinzipiell vernünftig
betrachtet. Das Konzept, Schuldenstreichungen an die Einhaltung
ökologischer Ziele zu binden („debt-for-nature swaps“), wie es
von US-amerikanischen und europäischen Umweltorganisationen während der lateinamerikanischen Schuldenkrise der 1980er
Jahre entwickelt wurde, ist bis heute freilich in den Kinderschuhen steckengeblieben.
Fazit: In der kritischen und nachhaltigkeitsorientierten Geldund Finanzcommunity existiert zweifellos ein großer Fundus an
gemeinsamen Wertvorstellungen bezüglich einer Ordnung, in der
Geld eine dienende, nicht herrschende Rolle einnehmen soll. Ob
dieser Vorrat freilich groß genug ist, um aus Protagonisten von
Geldschöpfungsreform und Komplementärwährungen, Ethikinvestment und Bürgergeld, Energie- und Bodengenossenschaften, wirksamer Bankenregulierung und Schuldenstreichung für
Schwache ein „Ganzes“ entstehen zu lassen, das sich als „alternative Geldbewegung“ bezeichnen ließe – oder ob es nicht doch
eher so ist, dass die entsprechenden Initiativen und Menschen
Teil einer größeren Bewegung in Richtung Nachhaltigkeit, Teilhabe und Gerechtigkeit sind, die „Geldfrage“ also immer nur als
eingebetteter Teilaspekt umfassenderer Überlegungen und Ziele
wichtig wird –, da scheint ein abschließendes Urteil noch nicht
möglich zu sein.
Reinhard Loske ist seit 2013 Professor für
Nachhaltigkeit und Transformationsdynamik
an der Universität Witten/Herdecke. Zuvor
war er Grünen-Bundestagsabgeordneter und
Umweltsenator in Bremen.
WIE NIEDRIGZINS UND UMWELTZERSTÖRUNG ZUSAMMENHÄNGEN
W
as wurde nicht schon alles über den
Zusammenhang zwischen Zins, Wirtschaftswachstum und Umwelt gesagt.
Einige sehen im Zins die Wurzel des
Bösen – steht der Zins doch für ungezügeltes und oft sinnloses Wirtschaftswachstum. Zugleich wird Wirtschaftswachstum oft als Hauptursache für Umweltzerstörung
ausgemacht. In einer solchen Argumentationskette wird die Gier
nach hohen Renditen als Grundübel festgestellt. Die Kosten, die
der meist kurzfristigen Gier nach Rendite gegenüberstehen, fallen
erst langfristig an und destabilisieren Umwelt und Gesellschaft.
Gefordert wird daher oft ein Zins von Null. Die Gedanken
Renditestreben und Umweltzerstörung
wurden durch die Nullzinspolitik
nicht gestoppt.
des „Freiwirtschaftlers“ Silvio Gesell und anderen Verfechtern
der Nullzins-Idee finden derzeit viele Anhänger. Vielfach wird in
dem Zins von Null eine Maßnahme gesehen, mit der die Renditegier mit all ihren negativen Auswüchsen gestoppt werden kann.
Tatsächlich liegt heute in zahlreichen Industrienationen der
Nominalzins auf historisch niedrigstem Niveau – vielfach bei
nahezu Null. Renditestreben und Umweltzerstörung wurden
durch diese Nullzinspolitik aber nicht gestoppt. Auch kommt es
bislang nicht zu einer nennenswerten Umverteilung von „oben“
nach „unten“, die erwarteten durchschlagenden Verteilungseffekte
bleiben aus.
Das liegt auch daran, dass sich die Renditegier nicht einfach
abschaffen lässt, sie hat die Neigung sich auf andere Felder zu
verlagern. Inzwischen brummt zum Beispiel in Deutschland der
Immobilienmarkt, hier befeuern die Anleger durch eine wachsende Nachfrage die Preise und steigern damit den Wert ihrer
Vermögen. Sie können so leicht einen höheren Ertrag als den
sicheren Anlagezins von etwa null Prozent erzielen.
LEBENSZEIT UND UMWELT BLEIBEN RANDNOTIZ
Instabilität und rasche Veränderungen sind in den letzten zehn Jahren zur ökonomischen und gesellschaftlichen Normalität geworden. Wir sind im Finanzmarktkapitalismus angelangt, und da hat
sich einiges verschoben. Interessanterweise tritt dieser „verdauerten“ Krise niemand mit einem Konzept entgegen, das auf die Krisenursachen blickt. Eine der Krisenursachen ist der Umgang mit
der Zeit, besonders der Lebenszeit, eine andere ist der verschwenderische Umgang mit der Umwelt. Beides sind Fragen, die bis heute in den Krisenbewältigungsstrategien kaum eine Rolle spielen.
Stattdessen erleben einfache Standard-Ansätze der Ökonomie
eine Renaissance. In lehrbuchmäßige modellökonomische Darstellungen fließt die Umweltnutzung und -zerstörung bestenfalls teilweise ein. Das gleiche gilt für die Lebenszeit. Gemeinsam ist den
Mainstream-Gedankengebäuden, dass im Zins ein Mittel gesehen wird, das der Zukunft – oder besser gesagt dem zeitlichen
Verschieben von Aktivitäten – einen Preis gibt.
Dabei ist Zins ist nicht gleich Zins. Der Leitzins ist nicht gleich
dem Zins, der auf dem Markt für einen Kredit zu zahlen ist. Auch
unterscheiden sich Nominalzins und Realzins, aber letztendlich
geht es bei den Zinsen immer um zukünftige Zahlungen.
Entsprechend der Modellannahmen kurbelt ein niedriger Zins
die Konjunktur an. Mit Zinssenkungen und einem dauerhaft
niedrigen Zinsniveau sollen Anreize
geschaffen werden, den für morgen und
übermorgen geplanten Konsum, aber
auch die geplante Investition ins Heute
zu verlegen. Umweltaspekte werden bei
dieser zeitlichen Verschiebung weitgehend ausgeblendet. Die Zukunft ist
gewissermaßen zum Preis von Null zu
haben.
Zugegeben, die Gedankengebäude
rund um die Nullzinspolitik sind hier stark
vereinfacht dargestellt. Um den Zusammenhang zwischen Zins und Umweltzerstörung zu fassen, ist es offenbar notwendig,
einen systematischeren Blick in unsere Wirtschaftsform zu wagen. Der Soziologe Niklas
Luhmann hat das Geld zum Kommunikationsmittel
in unserer komplexen Gesellschaft erklärt. Damit geht
er weit über die Lehrbuchweisheiten der Wirtschaftswissenschaften hinaus, die in ihren Mittelpunkt das renditeorientierte Unternehmen, die nutzenmaximierenden privaten Haushalte und den bei Marktversagen einschreitenden Staat
gestellt haben.
In einem solchen Setting hat der Unternehmenssektor einen
gewaltigen Vorteil – er kann sein Ziel in Geldeinheiten quantifizieren. Dabei gilt in der Regel der gesellschaftliche Konsens:
Je größer die Zahl, desto besser. Das gilt auch bei den Renditen,
denn je höher die Rendite, desto „besser“ und wettbewerbsfähiger
ist das Unternehmen und desto mehr bekommen die sogenannten
Shareholder, die Aktionäre. Im finanzmarktorientierten Kapitalismus ist das eine Grundregel – ein Common Sense.
DIE UMWELT ALS WARE: WAS KOSTET GUTE LUFT?
Die Nutzenmaximierung der privaten Haushalte und die Verhinderung von Marktversagen durch den Staat sind dagegen wesentlich anspruchsvollere Aufgaben als die Renditemaximierung der
Unternehmen. Wie lassen sich maximaler Nutzen und Marktversagen erkennen? Hierfür Indikatoren zu entwickeln ist noch nicht
gelungen. Denn weder der private Nutzen noch das Marktversagen
lassen sich so einfach auf Geldeinheiten abbilden.
Auch Umwelt und Umweltzerstörung lassen sich nicht so leicht
in adäquate Zahlen fassen. Sie fallen mehr oder minder unter den
Begriff Marktversagen. Für wichtige Umweltgüter gibt es bislang
keine Preise – was kostet gute Luft? In der Vergangenheit wurden
solche Güter oft als öffentliche Güter betrachtet – Privateigentum
war nicht vorgesehen. Daher können Märkte, Marktmechanismen
und Preise für solche Güter höchstens künstlich geschaffen werden. Ein typischer Fall von Marktversagen – der nach dem Lehrbuch den Staat auf den Plan rufen müsste. Doch auch der sieht sich
oft nicht imstande, hier korrigierend einzugreifen. Im renditeorientierten Finanzmarktkapitalismus ordnen sich viele Staaten der
Zielfunktion der Unternehmen unter.
Wenn also Geld als Kommunikationsmittel fungiert, dann
werden in der renditeorientierte Wirtschaft ganze Bereiche aus
der Kommunikation ausgeklammert – nämlich all die Bereiche,
die sich nicht so ohne Weiteres auf Geld und Zins abbilden lassen.
Das bringt uns zurück zu Luhmanns Kommunikations-Sichtweise. Sie ermöglicht es, den Zusammenhang zwischen Geldwirtschaft und Umweltzerstörung besser zu begreifen. Der finanzmarktorientierte Kapitalismus setzt auf Zahlen – Geld, Renditen
und andere quantifizierbare Größen. Sie lassen sich leicht kommunizieren. Daten für Umweltindikatoren sind bislang knapp und
es gibt nur wenig Hoffnung, dass sich dies in der nahen Zukunft
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Rei me r • D e sig n: Adr ie n Ta si
ändern wird. Umweltdaten sind oft sperrig und lassen sich in der
Regel deutlich weniger elegant als die bekannten Standardindikatoren darstellen. Hier kommen wir an die Grenzen der geldwirtschaftlichen Kommunikation.
Die katastrophale Datenlage erschwert auch den Vergleich
von Umweltzuständen über die Zeit; noch schwieriger ist der
Vergleich über staatliche Grenzen hinweg. Solange aber hier nur
wenig quantifiziert wird, ist es schwierig, Entwicklungen tatsächlich in Zahlen zu fassen.
Damit wird auch der Zins weitgehend irrelevant für solche
Untersuchungen. Bislang lässt sich weder feststellen, dass die
Umweltzerstörung in Zeiten hoher Zinsen abnimmt, noch, dass
dies etwa in Niedrigzinsphasen gilt. Das lässt die Datenlage
einfach nicht zu. Fehlende Daten müssen im Informationszeital-
Die Problemlösung wird in die Zukunft
verlagert – und so dürften die Kosten
deutlich steigen.
ter nicht sein. Doch es gibt offenbar kein nennenswertes Interesse
an solchen Indikatoren.
Das mangelnde Interesse an der systematischen Erfassung von
Umweltzuständen und Umweltzerstörung hilft natürlich nicht die
zukünftigen Kosten zu vermeiden. Die Problemlösung wird so in
die Zukunft verlagert – die Kosten dürften deutlich steigen.
Mechthild Schrooten arbeitete im DIW
Berlin, Abteilung "Weltwirtschaft". Sie ist
Professorin für Volkswirtschaftslehre mit
den Schwerpunkten Geld und Internationale
Wirtschaft an der Hochschule Bremen.
THEORIE
8
Te x t : K A I S C H L E G E L M I L C H
Te x t : A N S E L M G Ö R R E S , B J Ö R N K L U S M A N N
SUBVENTIONSSUCHT LENKT VERHALTEN
IN DIE FALSCHE RICHTUNG
Subventionen sind Teil traditioneller Wirtschaftspolitik, um beispielsweise Energierohstoffe oder öffentliche Einrichtungen wie
Theater bei der wirtschaftlichen Entwicklung zu fördern. Dabei
spielen ökonomische, soziale oder kulturelle Gründe eine Rolle.
Vor allem im wirtschaftlichen Kontext werden bei der Förderung
negative Effekte auf Klima und Umwelt meist ignoriert.
Dabei sind solche Subventionen in vielerlei Hinsicht schädlich:
Sie verstoßen gegen das Verursacherprinzip, denn Produzenten
oder Konsumenten tragen nicht die vollständigen Kosten ihres
Handelns, sondern bürden den Fehlbetrag der Gesellschaft auf. Im
Fall umweltschädlicher Subventionen zahlt die Gesellschaft nicht
nur die Subvention an sich, sie muss auch die damit einhergehenden Umwelt- und Gesundheitsschäden tragen und Beeinträchtigungen in Kauf nehmen, weil womöglich keine umweltfreundlichere Technologie entwickelt wurde.
Umweltschädliche Subventionen verschlingen nicht nur
Unsummen, sie machen auch süchtig: Durch stets neue Ausnahmen setzt ein Gewöhnungseffekt ein und Subventionen werden
gar zum rechtmäßigen Besitzstand erklärt.
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NEUER ANLAUF FÜR
ÖKOLOGISCH WAHRE PREISE
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THEORIE
movum.info
UMWELTSCHÄDLICHE
SUBVENTIONEN VEREITELN
WIRKSAMEN UMWELTSCHUTZ
er konsequente Abbau umweltschädlicher
Subventionen stellt einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg einer ökologischen
Transformation der Wirtschaftswelt dar.
Davon sind wir noch weit entfernt: Laut
Umweltbundesamt leistet sich Deutschland
Jahr für Jahr umweltschädliche Subventionen von rund 52 Milliarden Euro – diese Unsumme entspricht
etwa einem Sechstel des gesamten Bundeshaushalts. Damit wird
mal mehr und mal weniger explizit in Kauf genommen, dass Wirtschaftsweise und Verbraucherverhalten in die falsche, Klima und
Umwelt schädigende, Richtung gelenkt werden.
Statt Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung finanziell zu unterstützen, sollte besser nachhaltiges Wirtschaften gefördert werden. Die Bundesregierung steht in der Pflicht, Subventionen nicht nur auf Nachhaltigkeit zu prüfen, sondern auch mit
einem langfristig angelegten Subventionsabbau zu beginnen.
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Steuern und Abgaben müssen an anderer Stelle unnötig hoch sein,
um diese Subventionen zu finanzieren. Bei der Energiewende
beispielsweise müssen Haushalte und nicht-privilegierte Unternehmen die Industrieausnahmen schultern – über eine höhere EEGUmlage. Umweltschädliche Subventionen führen somit dazu, dass
politisch eigentlich gewolltes Verhalten von Konsumenten und
Unternehmen oft künstlich teurer oder unrentabel wird.
Umweltschutz wird spätestens dann konterkariert, wenn die
umweltschädlichen Subventionen die Ausgaben für die Umwelt
übersteigen. Gaben Staat und Unternehmen im Jahr 2010 gemeinsam rund 35 Milliarden Euro für den Umweltschutz aus, sind die
umweltschädlichen Subventionen von rund 42 Milliarden Euro
im Jahr 2006 auf 52 Milliarden Euro im Jahr 2010 angewachsen. Damit nicht genug, liegen die Kosten der finanziellen Förderung in den einzelnen Bereichen noch höher: In der Land- und
Forstwirtschaft ist die Quantifizierung von Subventionen in vielen
Fällen nicht möglich, Subventionen der Bundesländer werden vom
Umweltbundesamt bislang nicht erfasst und Exportgarantien für
den Bau von Atom- und Kohlekraftwerken im Ausland werden
zwar als umweltschädigend aufgeführt, aber nicht beziffert.
WIDERSINNIGE SUBVENTIONEN BEHINDERN ÖKOLOGISCHSOZIALE TRANSFORMATION
Rund 90 Prozent der umweltschädlichen Subventionen entfallen
auf die Bereiche Energiebereitstellung und -nutzung sowie Verkehr. Mit jährlich fast 25 Milliarden Euro macht der Verkehrssektor dabei den Großteil der Subventionen aus: Zahlreiche steuerliche Vorteile des Flugverkehrs summieren sich auf über zehn
Milliarden Euro und sorgen weiterhin dafür, dass ein Kurzstreckenflug oft günstiger ist als die klimafreundlichere Reise mit
der Bahn.
Vom Dienst- und Firmenwagenprivileg profitieren diejenigen am stärksten, die sich besonders häufig neue Autos zulegen,
die sich besonders spritfressende Autos kaufen, die besonders
viele Kilometer fahren und die das höchste Einkommen haben.
Eines der Steuerschlupflöcher: Wer einen Dienstwagen hat, muss
monatlich nur pauschal ein Prozent des Neuwerts versteuern, egal
wie viel er fährt. Das ist viel zu wenig. Die Folge: Ein Porsche
Cayenne, der als Dienstwagen gekauft, aber privat genutzt wird,
ist billiger als ein privat gekaufter VW Polo.
Die Entfernungspauschale schluckt fünf Milliarden Euro und
setzt Anreize zu weiten Arbeitswegen. Somit steigt nicht nur das
allgemeine Verkehrsaufkommen, auch Klimawandel und Umweltverschmutzung werden befördert, die Landschaft wird auf Kosten
der Biodiversität stärker zersiedelt. Außerdem profitieren nur
diejenigen, die auch Steuern zahlen, was die Regelung nicht
nur unökologisch, sondern auch sozial ungerecht macht.
Die Energiesteuervergünstigung für Dieselkraftstoff
– rund sieben Milliarden Euro – wurde einst eingeführt,
um Nutzfahrzeuge im Transportsektor zu unterstützen.
Obwohl dieses Ziel längst erreicht ist und heutzutage
genauso viele Pkw mit Dieselkraftstoff unterwegs sind,
wird die Subventionierung fortgeführt. Der immense
Steuervorteil beträgt 18 Cent pro Liter und ist ökologisch nicht zu rechtfertigen, da Diesel klimaschädlicher als Benzin ist.
In ähnlich großem Maßstab gefördert wird im Energiebereich: über 21 Milliarden Euro. Dort gibt es zahlreiche milliardenschwere Subventionen bei der Energie- und Stromsteuer oder der EEG-Umlage. Das zeigt
sich beispielsweise bei der Ausweitung von Industrieausnahmen beim Erneuerbare-Energien-Gesetz. Mittlerweile
können 90 Prozent aller Industriebranchen Ausnahmen bei
der EEG-Umlage beantragen, ganz gleich ob sie im starken internationalen Wettbewerb stehen oder nicht. Damit werden besonders
ineffiziente Unternehmen finanziell belohnt, effiziente Unternehmen hingegen bestraft. Ebenso profitieren solche Unternehmen,
die am Emissionshandel teilnehmen und Verschmutzungsrechten erwerben müssen. Der Staat verzichtete auf rund sechs Milliarden Euro, da ebenjene Zertifikate zu Beginn kostenlos zugeteilt wurden.
POLITISCHER MUT FÜR LANGFRISTIGEN
AUSSTIEGSPLAN GEFRAGT
Auf der politischen Weltbühne wurden bislang viele Absichtsbekundungen ausgetauscht, wie umweltschädliche Subventionen abgebaut werden sollen: im Kyoto-Protokoll, bei den G20Beschlüssen 2009 in Pittsburgh, der EU-2020 Strategie für die
„Leitinitiative ressourcenschonendes Europa“ und im Abschlussdokument der Rio+20-Konferenz. Ebenso wenig mangelt es auf
der internationalen Ebene an Fürsprechern für den Subventionsabbau: IWF, Weltbank, OECD oder EU-Kommission, allesamt
fordern sie den Abbau umweltschädlicher Subventionen oder legen ihn zumindest nahe. Im neuen Subventionsbericht der Bundesregierung wird zwar erstmalig eine Nachhaltigkeitsprüfung
vorgenommen. Dennoch hat die Bundesregierung nicht vor, wenigstens bei den größten umweltschädlichen Subventionen grundlegendende Änderungen vorzunehmen. Eine Nachhaltigkeitsprüfung ist ein wichtiger Fortschritt gegenüber früheren Berichten,
doch ohne wirkliche Änderungsabsichten bleibt die Prüfung nur
Symbolpolitik.
Das Ziel der Bundesregierung sollte nicht sein, lediglich das
Subventionsvolumen abzuschätzen und zu überprüfen, sondern
konkrete Maßnahmen einzuleiten: Die genannten Beispiele illustrieren, wie wenig zielgerichtet die bestehenden Maßnahmen sind,
und zeigen, dass sie nicht einmal dann in Frage gestellt werden,
wenn der Zweck längst erfüllt ist. Das EEG kann als Beispiel
dienen, wie sich die Förderpolitik besser ausrichten lässt: So
wurde die Laufzeit der Förderung auf 20 Jahre begrenzt und die
Fördersätze wurden degressiv gestaltet.
An einem Abbau umweltschädlicher Subventionen führt kein
Weg vorbei: Ein langfristiger Ausstiegsplan würde helfen, allen
Beteiligten die nötige Zeit zu geben, damit sie sich auf die unbequemen Schritte einstellen können. Unterm Strich wird viel politischer Mut nötig sein, um diese Maßnahmen einzuleiten und
umweltschädliche Subventionen nach und nach zurückzuführen.
Umso wichtiger ist es, sich bietende Gelegenheitsfenster zu
nutzen: Die aktuelle Haushaltslage des Bundes ist derzeit sehr
komfortabel, gleichzeitig ist fossile Energie billig wie lange nicht.
Umweltschädliche Subventionen im Kraftstoffbereich sollten nun
systematisch abgebaut werden. Das eröffnet dem Staat neue Handlungsspielräume bei künftigen Haushaltsengpässen, zur Rückzahlung des Schuldenberges von über 2.000 Milliarden Euro, der
Förderung von Energieeffizienz oder der Infrastruktur-Finanzierung. Staaten wie Ägypten, Indien, Indonesien und Malaysia
haben diese Chance bereits ergriffen und Einsparungen zwischen
rund vier und 20 Milliarden US-Dollar erzielt.
Kai Schlegelmilch, Mitgründer und
stellvertretender Vorsitzender des
Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS).
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or mehr als 15 Jahren wurde in Deutschland eine ökologische Steuerreform durchgeführt – aus heutiger Sicht ein erster Erfolg
auf dem Weg zu einer ökologisch-sozialen
Marktwirtschaft. Energieverbrauch wurde
teurer, die Kosten für Arbeit geringer. Doch
die Fortschritte werden seit der letzten Reformstufe vor fast 13 Jahren aufgezehrt. Der Anteil der Umweltsteuern am gesamten deutschen Steueraufkommen ist auf das Niveau der Zeit vor Einführung der Ökosteuer zurückgefallen. Grund
ist vor allem die schleichende Abwertung der Umweltsteuern durch
die Inflation. Hinzu treten die Probleme um die gerade niedrigen
Rohölpreise und den darniederliegenden CO2-Emissionshandel.
Im Ergebnis haben der Verbrauch endlicher Ressourcen und der
Ausstoß von Kohlendioxid nach wie vor keinen wahren Preis, weil
zentrale Instrumente für das Erreichen der umwelt- und klimapolitischen Ziele wirkungslos geworden sind. Höchste Zeit, sich
der Erfahrungen mit der ökologischen Steuerreform zu besinnen
und einen neuen Anlauf für ökologisch wahre Preise zu wagen.
DER EINSTIEG
IN DIE ÖKOLOGISIERUNG DES STEUERSYSTEMS
In den 1990er Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass in einer
Marktwirtschaft falsche Anreize gegeben werden, wenn Energie
und Rohstoffe zu billig sind. Der geistige Vater der Ökosteuer,
der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger, und weitere
Akteure wie das heutige Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) verhalfen dem Konzept der ökologischen Steuerreform zum Durchbruch. „Kilowattstunden arbeitslos machen,
nicht Menschen“ – damit brachte das FÖS-Gründungsmitglied
Ernst Ulrich von Weizsäcker die Idee der Öko-Steuerreform auf
den Punkt.
Vor der Bundestagswahl 1998 bestand über Parteigrenzen
hinweg Einigkeit darüber – in fast allen Wahlprogrammen war
die Diagnose zu lesen. Unterschiede bestanden in der Frage, wie
die Reform ausgestaltet werden solle. Das FÖS hatte vorgeschlagen, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, um Jobs zu schaffen, und dies durch höhere Energiesteuern zu finanzieren.
Der Anteil von Umweltsteuern an den
Staatseinnahmen lag 2003 bei sechs
Prozent – heute befinden wir uns wieder
unter dem Vor-Ökosteuer-Niveau auf
4,9 Prozent.
Die rot-grüne Bundesregierung hat dies von 1999 bis 2003 mit
Abstrichen umgesetzt. Am 1. April 1999 trat die ökologische Steuerreform in Kraft. Der Steuersatz auf Mineralöl stieg zunächst um
sechs und der auf Heizöl um vier Pfennige. Für eine Kilowattstunde Erdgas waren 0,32 Pfennige und für eine Kilowattstunde Strom
zwei Pfennige mehr zu bezahlen. In den Folgejahren wurden die
Steuern auf Energie in weiteren vier Stufen leicht angehoben –
die Rentenversicherungsbeiträge und somit die Lohnnebenkosten konnten dadurch um 1,7 Prozent niedriger gehalten werden,
die Sozialversicherungsbeiträge wurden gegen den Trend stabilisiert und gesenkt.
Mehrere Studien wiesen nach, dass die Ökosteuer als Innovationsantrieb wirkt und zu 250.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen
führte. Zudem sind die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2010 durch
die Ökosteuer-Reform um bis zu drei Prozent zurückgegangen. Der
Absatz von Benzin und Diesel sank erstmals in der Nachkriegszeit über mehrere Jahre in Folge. Im öffentlichen Verkehr stiegen –
ebenfalls erstmals seit Jahrzehnten – seit 1999 die Fahrgastzahlen
wieder an und die Idee des Carsharing begann sich zu etablieren.
„DURCHBRUCH MIT SCHÖNHEITSFEHLERN“
Den vereinbarten Einstieg in die ökologische Steuerreform nannte
das FÖS damals einen „Durchbruch mit Schönheitsfehlern“. Letzteres aus mehreren Gründen: Die Befreiung der energieintensiven Branchen von der Energiesteuer auf Heizöl, Gas und Strom
war zwar eine für Unternehmen im internationalen Wettbewerb
notwendige Maßnahme. Diese Ausnahmeregelung war allerdings
zeitlich nicht befristet und wurde in der Folge kaum irgendwo
zurückgefahren. Im Gegenteil, die Vielzahl der verschiedenen
Ausnahmeregelungen bei Stromsteuer, EEG-Umlage und Netznutzungsentgelten erhöhte den Spielraum für Unternehmen, ihre
Produktion mit Blick auf die Ausnahmeregeln zu optimieren.
Immerhin wurden die Ausnahmen zuletzt teilweise an die Einführung von Energiemanagement-Systemen gebunden.
Derzeit kostet ein Liter Heizöl nur noch
60 bis 70 Cent statt 90 bis 100 Cent. Die
Steuer auf Heizöl von sechs Cent macht
sich kaum bemerkbar. Sie liegt weit unter
dem europäischen Durchschnitt von
knapp 18 Cent.
Bei der Kraftstoffbesteuerung fehlte der Einstieg in den Abbau
der Dieselbevorzugung. Der Steuervorteil beträgt etwa 18 Cent
pro Liter und ist ökologisch nicht zu rechtfertigen. Die Stromsteuer blieb blind für die Art der Stromerzeugung und macht keinen
Unterschied zwischen Braunkohle und Windenergie. Eine frühzeitige Festlegung auf weitere Reformstufen blieb aus, mit negativen Folgen für Investitionssicherheit in Industrie und Haushalten.
Die Umweltsteuern nicht an einen Inflationsausgleich gekoppelt
zu haben war ein Fehler. Denn als Mengensteuer reduziert sich die
Lenkungswirkung Jahr für Jahr. Insgesamt entgingen dem Staatshaushalt durch die „kalte Regression“ bei den Umweltsteuern seit
2003 real rund 44 Milliarden Euro an Einnahmen. Der Anteil
von Umweltsteuern an den Staatseinnahmen lag 2003 bei sechs
Prozent – heute befinden wir uns wieder unter dem Vor-ÖkosteuerNiveau bei 4,9 Prozent. Deutschland sollte dem Beispiel anderer
Länder folgen und seine Umweltsteuern indexieren, also an einen
Preisindex binden, um diesen Trend zu brechen.
Trotz dieser Kritik stellt die Ökosteuer den Einstieg in die
Ökologisierung des Steuersystems dar – damit wurde erstmals
in der deutschen Geschichte die Lenkungskraft des Abgabensystems systematisch in den Dienst beschäftigungs- und umweltpolitischer Verbesserungen gestellt. Die Idee hat auch einstige Kritiker
überzeugt. Keine der nachfolgenden Regierungen hat die Reform
revidiert. Sie wurde sogar weiterentwickelt: So hat die schwarzgelbe Bundesregierung 2010 FÖS-Vorschläge für eine ökologische
Haushaltskonsolidierung aufgegriffen und die Ökosteuer-Ausnahmen für die Industrie reduziert sowie den Luftverkehr und Kernbrennstoffe in die Umweltbesteuerung einbezogen.
ES WIRD ZEIT FÜR DEN NÄCHSTEN SCHRITT
Der Staat steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die nun,
wie in den 1990er Jahren, einen neuen Anlauf zur Einführung
ökologisch wahrer
Preise erfordern. Die
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Krise der öffentlichen
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n Ju a n | flick r.com • D esign:
Haushalte ist heute in Deutschland ein wenig aus dem Blick geraten, doch strukturell besteht
das Problem in ganz Europa fort. Und ein großer Schuldenberg
will auch abgetragen werden.
Auch das Ausmaß der drohenden Klimakrise ist längst noch
nicht in den Köpfen der Menschen angekommen. Auch der demografische Wandel fordert hierzulande erneut eine grundsätzliche
Umgestaltung der Einnahmen des Staates. Wenn immer weniger arbeitende Menschen mit den Steuern und Abgaben auf ihre
Arbeitskraft den Investitionsstau bei der Infrastruktur auflösen
und das wachsende Gesundheits- und Pflegesystem finanzieren
sollen, wird deutlich, dass sich etwas ändern muss. Der Verbrauch
von Ressourcen, die Verschmutzung der Umweltgüter und die
Belastung des Klimas müssen endlich ehrliche Preise bekommen.
Der historisch niedrige Weltmarktpreis für Rohöl und seine
Schwankung von Jahr zu Jahr zerstört Investitionssicherheit für
alle effizienzorientierten Unternehmen und Haushalte. Ein gutes
Beispiel für die heutigen Probleme liefert die Besteuerung von
Heizöl. Derzeit kostet ein Liter Heizöl nur noch 60 bis 70 Cent
statt wie noch vor wenigen Jahren 90 bis 100 Cent. Die Steuer
auf Heizöl von sechs Cent macht sich kaum bemerkbar. Sie liegt
weit unter dem europäischen Durchschnitt von knapp 18 Cent.
Würde man die Steuer verdoppeln und die Hälfte der Differenz
zum EU-Durchschnitt aufheben, würde das für die Verbraucher
immer noch deutlich niedrigere Heizölpreise als in den Vorjahren
bedeuten. Es würde aber Mehreinnahmen von fast drei Milliarden
Euro bringen, mit denen die notwendige Förderung der Gebäudesanierung und ein angemessener sozialer Ausgleich finanziert
werden könnten.
Es ist an der Zeit, das Instrument wiederzubeleben, mit dem
Deutschland gute Erfahrungen gesammelt hat. Sinnvoll ausgestaltete ökonomische Instrumente der Umweltpolitik sind wirksam,
innovationsfördernd und effizient. Mit keinem anderen Instrument
lassen sich ökologische Zukunftsfähigkeit, ökonomische Wettbewerbsfähigkeit und soziale Ausgewogenheit leichter vereinbaren.
Anselm Görres,
Mitgründer und Vorsitzender des Forums
Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) und
von Green Budget Europe (GBE).
Björn Klusmann,
Geschäftsführer des Forums
Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft.
ALLTAGSMYTHEN, SEID ENTZAUBERT:
Rettungspakete für Griechenland
2010–2014
Im Ausland verstecktes Vermögen
reicher Griechen
Vermögen Dieter Schwarz (LIDL, Kaufland)
103 (D)
14,5
150 (D)
17,6
54,7 (EU)
Vermögen der Familie Albrecht (ALDI)
Verteidigungshaushalt
Deutschland
2010–2014
34,8
5
Vermögen der Familien Quandt (BMW)
Wahlkampfkosten USA 2012
281
Staatliche
Förderung
Erneuerbare
1970–2012
31
Vermögen der Familie Schaeffler (Conti)
Jährliche Spenden
in den USA
Externe Kosten
der Kohleverbrennung
in Europa pro Jahr
„Ist es nicht zu teuer, die vielen Flüchtlinge bei uns aufzunehmen?“
„In die Förderung erneuerbarer Energien ist schon viel zu viel Geld
geflossen.“ „Klimaschutz können wir uns nicht leisten.“ Wir haben
einmal nachgerechnet und die Zahlen ins Verhältnis gesetzt, um mit
solchen Alltagsmythen aufzuräumen.
200
10,6
Umsatz Amazon Deutschland 2014
M O V U M AU S G A B E 8 " F I N A N Z P O L I T I K " , W W W. M O V U M . I N F O
Vermögen der
unteren 50 %
316
Staatsschulden
Griechenland
WO DIE MILLIARDEN
WIRKLICH LANDEN
Konzeption: K A I N I E B E R T
Umsetzung: KALISCHDESIGN.DE
215
213 (D)
67 (D)
10 (D)
Staatliche
Förderung
Braunkohle
1970–2012
87 (D)
50 (D)
Staatliche Förderung
Steinkohle 1970–2012
27
(WELT)
87 (D)
Urlaubsausgaben
der Deutschen
pro Jahr
48 (WELT)
Weltweite Beseitigung
von Hunger
Gesundheitskosten
der Kohleverstromung
311 (D)
6,3 (D)
Quellenangabe:
Die Quellen für diese Infografik sind auf den jeweiligen Feldern in der
PDF-Version (www.movum.info) verlinkt.
Branntweinsteuer in Deutschland pro Jahr
3,5 (D)
7 (D) Energiesteuerbefreiung
3,3
8,75 Ausgaben Brasiliens
Lohnsteuer
Umsatzsteuer
Vermögen der reichsten 0,1 %
4.813 Mrd. (D)
1.627 (D)
85,7 (D)
Staatsverschuldung
Deutschland
84 (D)
2.000 (D)
1
9.300 Mrd. (D)
Privates Vermögen
in Deutschland
88
(WELT)
Subventionen
Atomkraft weltweit pro Jahr
800 Mrd. (D)
(D)
278 (D)
Subventionen
erneuerbare Energien
weltweit pro Jahr
272
(WELT)
4.717 Mrd. (Welt)
Subventionen
fossile Energien weltweit pro Jahr
Haushalt
Umweltministerium
zur Fußball-WM 2014
Steuereinnahmen
Deutschland pro Jahr
Kaffeesteuer
3,8 (D)
Kosten für Klimaschutz
bis 2030
36 (D)
Energiesteuer
Umweltschädliche
Subventionen pro Jahr
31 (D)
des Kerosins pro Jahr
Vermögen der reichsten 10 %
2
14
Tabaksteuer
Gesundheitsausgaben
in Deutschland
pro Jahr
Durch Verkehr
verursachte
Gesundheitskosten
58,6 (D)
CO 2 -Emissionsberechtigungen pro Jahr
Gewinn der FIFA
aus der Fußball-WM 2014
301 (D)
52 (D)
6 (D) Kostenfreie Zuteilung der
Mehrwertsteuerbefreiung
für internationale Flüge pro Jahr
Bankenrettung
in Deutschland
Staatliche Förderung
Atomenergie
1970–2012
Allen Kindern
weltweit
Schulbildung
ermöglichen
Alle Zahlenangaben auf dieser Seite sind in Milliarden Euro.
Alle Zahlen beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf auf die Bundesrepublik Deutschland.
Aufnahme von
800.000 Flüchtlingen
in Deutschland
4.353 Mrd. (Welt)
Gesundheitsausgaben weltweit pro Jahr
Kosten des
Klimawandels
bis 2050
12
PRAXIS
Ausgabe 8
PRAXIS
movum.info
13
MÜNSTER WIRD DEUTSCHLANDS ERSTE
DIVESTMENT-STADT
Die US-amerikanische Bewegung zum Abzug von Geldern aus fossilen Energiegeschäften kommt in deutschen Kommunen an.
Te x t: F R I E D E R I K E M E I E R U N D SA N D R A K I RC H N E R
Foto: wandersmann | pixelio.de
Stein des Anstoßes in Münster sind zwei Investmentfonds. Rund zehn Millionen Euro Rücklagen für die Pensionen der Beamten der Stadt sind
unter anderem bei RWE und bei dem österreichischen Ölkonzern OMV angelegt.
Solange es RWE gutging, profitierten auch
Städte, Landkreise und Sparkassen von der
hohen Dividende, die der Konzern jährlich
ausschüttete. Doch mittlerweile ist der Aktienpreis von RWE stark gefallen, im vergangenen Jahr hat der Energiekonzern nur noch eine
symbolische Dividende von einem Euro je Aktie
gezahlt – und auch nur auf Druck der Kommunen. Bundesweit betreibt RWE mehr als ein
Dutzend Kohlekraftwerke, neben Eon gilt der
Kohleriese als größter Kohlendioxid-Emittent
in der EU. 164 Millionen Tonnen des Treibhausgases hat RWE 2013 freigesetzt.
Laut aktuellem Antrag sollen in Münster
künftig keine Beteiligungen an Unternehmen
mehr möglich sein, die „Atomenergie erzeugen
oder auf nicht nachhaltige und klimaschädliche
Energien setzen“. Auch Fracking, Militärwaffen
und Kinderarbeit wären in Zukunft als Optionen
für Investments ausgeschlossen. Insgesamt geht
Münster könnte noch die erste deutsche Divestment-Stadt werden
es um 22,6 Millionen Euro aus den Pensionsfonds der Stadtbeamten.
VOR EINEM BESCHLUSS WIRD NOCH TAKTIERT
Anfangs habe sich die Verwaltung quergestellt,
erzählt Thomas Marczinkowski von den Münsteraner Grünen, als sich Sozialdemokraten und
Grüne im September vor einem Jahr darauf geeinigt hatten, die städtischen Gelder aus klimaschädlichen Investitionen zurückzuziehen. RotGrün regiert im Münsteraner Stadtrat nur mit
einer Minderheit. „Um die absolute Mehrheit zu
erreichen, müssen wir im Rat vier weitere Stimmen organisieren“, erläutert Marczinkowski.
– und das mit einem CDU-Bürgermeister.
Eigentlich sollte im September endgültig
entschieden werden. Eine entsprechende Vorlage
der Verwaltung lag dem Finanzausschuss des
Stadtrats zum Beschluss vor – doch die CDUFraktion sah noch „Beratungsbedarf“. So wurde
der Beschluss auf Anfang November vertagt.
Die grüne Ratsfraktion vermutet strategische
Gründe: Am Sonntag nach der Sitzung war in
Münster Oberbürgermeisterwahl. Vielleicht, so
spekulieren die Grünen, wollte die CDU dem
Vorhaben von SPD und Grünen so kurz vor der
Wahl keinen Erfolg bescheren. Damit könnten
sie richtig liegen: CDU-Bürgermeister Markus
Lewe wurde im ersten Wahlgang mit 50,6
Prozent der Stimmen wiedergewählt.
Schon 17 verschiedene Emissionshandelssysteme gibt es auf der Welt, 2016 will China landesweit mit CO2-Zertifikaten handeln. Eine CO2-Steuer halten
Experten für sinnvoller, aber illusorisch.
Das TEEB-Projekt will aus der Monetarisierung von Naturkapital Argumente für den Schutz der Lebensgrundlagen ziehen, ohne der Natur Preisschilder
zu verpassen. Einen "wahren Preis" für die Natur gibt es ohnehin nicht.
T e x t : E VA M A H N K E U N D S U S A N N E G Ö T Z E
„nicht auf die ‚Gläubigen‘, sondern auf die ‚Ungläubigen‘, die auf
Natur keinen Wert legen, weil sie ihre Leistungen nicht schätzen
oder in ihre Entscheidungen nicht einbeziehen wollen“.
Den Vorwurf, per TEEB sollten überall Preise an die Bäume
geklebt werden, lässt Hansjürgens aber nicht gelten. Bei dem
Ansatz gehe es „nicht allein um Preise, sondern im Kern darum,
Verursachern und Entscheidungsträgern Signale zu übermitteln, wie sie zu handeln haben“, sagt er. Das könne ein höherer
CO2-Preis sein, in der Landwirtschaft aber auch eine Verschärfung der sogenannten „guten fachlichen Praxis“, also eine rechtliche Maßnahme.
Auch Nabu-Experte Hopf sieht den Sinn von TEEB nicht darin,
„Preisschilder an Ökosysteme zu heften“. Klassische Schutzbegründungen wie der „Eigenwert der Natur“, die „Bewahrung der
Schöpfung“ und die Verantwortung für nachfolgende Generationen „dürfen und sollen nicht ersetzt werden“. Entscheidend sei
vielmehr, aus der Monetarisierung des Naturkapitals zusätzliche
Argumente zu ziehen.
INTENSIVLANDWIRTSCHAFT AM PRANGER
Wie kann das praktisch aussehen? Der Artenschutzreport des
Bundesamts für Naturschutz zum Beispiel sieht die intensive
Landwirtschaft an vorderster Stelle bei den Ursachen für das
Verschwinden der Arten. In der Agrarförderung müsse es
deswegen eine Umschichtung geben, fordert Hopf: weg von
reinen Flächenprämien, hin zur Förderung von Maßnahmen,
die bestimmten Tier- und Pflanzenarten zugutekommen, wie
dem Anlegen blühender Ackerrandstreifen.
Auch Hansjürgens kritisiert, dass durch die intensive
Agrarwirtschaft bestimmte Ökosystem- und Regulierungsleistungen wie auch biologische Vielfalt verloren gehen.
„Dazu kommen die schädlichen Wirkungen aufs Grundwasser und die Gewässerhaushalte. Das wird in der deutschen und
europäischen Agrarpolitik bisher viel zu wenig berücksichtigt.“ Welchen ökonomischen Wert Ackerrandstreifen gerade
an Gewässern aber nun konkret haben, da musste das TEEBTeam doch intensiv nach Daten suchen.
Fündig wurde man bei einer niedersächsischen Studie: „Der
Nutzen eines fünf Meter breiten Gewässerrandstreifens, der
nicht bewirtschaftet und gedüngt werden darf, ist fast doppelt
so hoch wie die Kosten für Pflegemaßnahmen und Einkommensverzicht“, fasst der TEEB-Chef die Ergebnisse zusammen. Er zumindest ist sich sicher: Würde dieses ökonomische
Argument in der Politik berücksichtigt, könnte das die Agrarwirtschaft ökologischer machen. Da der Schutz der Fläche
dem Bauern selbst nichts einbringt und es sich hier um einen
gesamtgesellschaftlichen Nutzen handelt, müssten die Ackerrandstreifen belohnt werden.
Das TEEB-Konzept reiht sich in die Idee ein, dass sich
viele Umwelt-Probleme leichter lösen ließen, wenn die Preise
die ökologische Wahrheit sagten. Hansjürgens sieht allerdings
auch das mit Skepsis. Einen „wahren“ Preis, meint er, werde es
in dem Sinne nicht geben. Dieser hänge immer auch von gesellschaftlichen Bewertungen ab, die man den Naturgütern gebe.
„Wenn wir den Verlust von Ökosystemleistungen beklagen, ist
allein schon das eine gesellschaftliche Bewertung. Auch hinter
einem CO2-Preis steht letztlich eine ethische Bewertung“, sagt
Hansjürgens – was wiederum für die Begrenztheit der ökonomischen Betrachtung von Natur spricht.
Apropos CO2-Preis: Zuletzt haben sich die TEEB-Experten
intensiv die Diskussionen um eine CO2-Bepreisung angesehen,
das Ganze nachgerechnet und kommen jetzt auf eine Spannbreite
von 80 bis 120 Euro, die der Ausstoß einer Tonne CO2 kosten
müsste, will man wirklich alle Schadenskosten abbilden. Das ist
mindestens das 20-Fache des derzeitigen Börsenpreises. Ob dieses
„Zusatzargument“ die Entscheider beim kommenden Klimagipfel in Paris beeindruckt?
F
reiwillige Abkommen und der
Emissionshandel sind der falsche Weg in die grüne Ökonomie“, erklärte der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler
Joseph Stiglitz im Juni auf dem
„
Klimaforschungskongress in Paris. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank
plädiert für cross-border taxes, eine grenzüberschreitende Besteuerung von CO2. Damit ist er
jedoch ziemlich allein. Unter der Hand glaubt
niemand daran: Eine internationale CO2-Steuer
zu fordern sei zwar löblich, ihre politischen
Chancen seien jedoch gleich null, meinen die
meisten Klimapolitiker.
Ein Grund dafür ist, dass sich mit dem KyotoProtokoll ein marktbasiertes Klimaschutzinstrument durchgesetzt hat: der Emissionshandel.
Bisher gibt es weltweit 17 marktbasierte Klimaschutzsysteme, die den Gesamtausstoß an Treibhausgasen für bestimmte Sektoren deckeln, den
Besitz von Zertifikaten für den Ausstoß von
Treibhausgasen vorschreiben und den Teilnehmern erlauben, diese Rechte frei zu handeln.
Foto: Señor Codo | flickr.com
Te x t: J Ö RG S TAU D E
D
RWE SCHWÄCHELT, KOMMUNEN ZWEIFELN
EXPORTSCHLAGER EMISSIONSHANDEL
DAS UNSCHÄTZBARE SCHÄTZEN LERNEN
er Wolf erobert Deutschland, von Ost nach
West. Auch wenn hier und da ein Schaf gerissen wird, steigert der Wolf das Naturkapital Deutschlands, könnte man meinen. Für
Professor Bernd Hansjürgens, Studienleiter
des Projekts „Naturkapital Deutschland“, ist
der Wiedereinzug des grauen Räubers eher
ein Beispiel, an dem man die Begrenztheit einer ökonomischen
Betrachtung ablesen kann.
Die Ausbreitung des Wolfs zeige, sagt Hansjürgens, dass
Naturgebiete heute besser vernetzt sind und es Rückzugsräume
gibt. Davon einen ökonomischen Nutzen abschätzen zu wollen
greife viel zu kurz. „Gerade beim Wolf lassen sich keine Zahlen
ableiten.“ Der Umweltökonom wehrt sich dagegen, der heimgekehrten Art eine „ökonomische Perspektive überzustülpen“.
Genau darin besteht aber eigentlich das „Geschäft“, um das es
bei Hansjürgens‘ TEEB-Projekt geht. TEEB ist die Abkürzung für
„The Economics of Ecosystems and Biodiversity“. Dieses internationale Vorhaben, das in einer ersten Phase von 2007 bis 2010 lief,
wollte den Wert der Natur sichtbar machen. Der deutsche Ableger nennt sich auch „TEEB DE“ und befindet sich mittlerweile in
der dritten Phase.
„Natur ist eigentlich immer unschätzbar wertvoll“, betont
TEEB-Chef Hansjürgens. Anders gesagt: Der Verlust ist in Geld
eigentlich nicht zu messen, wenn eine Art ausstirbt. Dennoch
passiert das nahezu täglich. Fast 28 Prozent der Wirbeltierarten
in Deutschland – Säugetiere, Vögel, Fische, Amphibien und Reptilien – sind in ihrem Bestand gefährdet, warnt der jüngste Artenschutzbericht des Bundesamts für Naturschutz.
Auch für Till Hopf vom Naturschutzbund Nabu ist es ein „trauriger Fakt“, dass der Wert der Natur bisher in vielen Entscheidungsprozessen „nur unzureichend berücksichtigt wird“. TEEB
könne dazu beitragen, diesen Aspekt stärker einzubeziehen. Das
Projekt, erläutert TEEB-Chef Hansjürgens weiter, ziele dabei
Berlin, Freiburg, Karlsruhe, Konstanz, Stuttgart und weiteren Städten gegründet. Wahlweise
werden Städte, heimische Universitäten oder alle
beide aufgefordert, Investitionen in fossile Energien zu stoppen.
Foto: Bernhard Kils | Wikimedia Commons
M
ünster in Westfalen
will sein Geld künftig ethisch korrekt
einsetzen. Das heißt
im Slang von DivestAktivisten: Raus mit
der Kohle aus der
Kohle! Geht es nach der Mehrheit der Kommunalpolitiker, soll die Stadt ihre Mittel aus klimaschädlichen Finanzgeschäften abziehen und
in vertretbare Geldanlagen stecken. Dazu fasste
der Stadtrat Anfang des Jahres einen Beschluss.
Während die Forderungen der sogenannten
Divestment-Bewegung in den USA schon populär geworden sind, steckt die Bewegung hierzulande noch in den Kinderschuhen. „Kohle
ist immer der erste Schritt für ein Divestment“,
erläutert Melanie Mattauch von der internationalen Klimabewegung 350.org. Eine der großen
Städte, die kürzlich in Europa aus der Kohlefinanzierung ausgestiegen sind, war das norwegische Oslo. „Auch die Norweger wissen, dass ihr
Öl nicht in alle Ewigkeit reicht, deshalb gibt es
gerade eine große Debatte über das Anlegen von
öffentlichen Geldern“, meint Mattauch.
350.org will mit der weltweiten DivestmentKampagne Stiftungen, Universitäten und öffentliche Einrichtungen davon überzeugen, der
fossilen Energiegewinnung den Geldhahn zuzudrehen, und damit deren Finanzierungsgrundlage schwächen.
Erste Initiativen für den Ausstieg aus den
fossilen Beteiligungen haben sich in Aachen,
Eingesparte CO 2 -Emissionen sind seit zehn Jahren eine Ware und werden an den Börsen der Welt gehandelt.
„Cap and Trade“ gibt es heute auch in Staaten,
die nicht an der zweiten Verpflichtungsperiode
des Kyoto-Protokolls bis 2020 teilnehmen, darunter Japan und Bundesstaaten in den USA und
Kanada. Für 2017 hat China angekündigt, einen
landesweiten Emissionshandel einzuführen – in
einigen chinesischen Städten und Provinzen wird
schon länger mit CO2-Zertifikaten gehandelt.
Die Organisation International Carbon Action Partnership (ICAP) vergleicht Emissionshandelssysteme und deren Funktionsweisen. Angesichts der Vielfalt an Systemen glaubt ICAP
jedoch nicht, dass sich ein globaler Kohlendioxidmarkt als harmonisches Gesamtwerk entwickeln wird, wie es Politiker und Analysten in den
1990er und frühen 2000er Jahren erwartet hatten. Ein solcher Markt werde vielmehr auf der
Vielzahl unterschiedlicher Systeme aufbauen.
So unterscheiden sich die Systeme in ihrer Reichweite. Zum Beispiel Neuseeland: Hier müssen
sich neben Kraftwerken und Industriebetrieben
auch der Verkehrssektor, die Abfallwirtschaft
und die Forstwirtschaft mit Emissionsrechten
eindecken. Dagegen umfasst die seit 2009 bestehende US-amerikanische Regional Greenhouse
Gas Initiative (RGGI), an der neun Ostküstenstaaten teilnehmen, nur den Kraftwerkssektor.
Unterschiedlich ist darüber hinaus, welche
Treibhausgase durch die Emissionshandelssysteme reguliert werden. Hier reichen die Systeme
aus Neuseeland, Kalifornien und Québec am
weitesten: Sie erfassen sie nicht nur Kohlendioxid (CO2), sondern auch Lachgas (N2O), perfluorierte Kohlenwasserstoffe (PFC) und Methan
(CH4) sowie Fluorkohlenwasserstoffe (HFC)
und Schwefelhexafluorid (SF6). Europa reguliert
über den Emissionshandel neben Kohlendioxid
nur noch Lachgas sowie perfluorierte Kohlenwasserstoffe.
OHNE VERKNAPPUNG KEIN KLIMASCHUTZ
Nur wenn die Zertifikate knapp genug sind, ist
ihr Preis so hoch, dass es für Unternehmen einen Anreiz gibt, in Klimaschutz zu investieren.
Doch gerade das Europäische Emissionshandelssystem ETS krankt seit Jahren an einer massiven Überausstattung mit Emissionsrechten. Die
Schieflage ist so groß, dass auch die 900 Millionen Zertifikate, die kürzlich durch das sogenannte Backloading vom Markt genommen wurden, den Preis kaum belebten.
Hinzu kamen mehrere große Betrugsfälle bei
den im Emissionshandel erlaubten sogenannten flexiblen Kyoto-Mechanismen – sie heißen
„Joint Implementation“ und „Clean Development
Mechanism“ (CDM). Die Skandale zeigen, dass
es noch viel zu viele Schlupflöcher im System
gibt. Ohne einen hohen CO2-Preis wird der Markt
aber den Klimaschutz nicht voranbringen.
Dass es keine CO2-Steuer gibt, verdankt die
Welt ausgerechnet dem vielfach ausgezeichneten Klimaschützer Al Gore. Der stoppte 1997 als
US-Vizepräsident im Auftrag seines Chefs Bill
Clinton die Debatte um eine CO2-Steuer bei den
internationalen Klimaverhandlungen und zwang
so die anderen UN-Staaten auf den Emissionshandels-Weg. Und das – Ironie der Geschichte –,
obwohl die USA drei Jahre später unter Präsident
George W. Bush aus dem Kyoto-Protokoll ausstiegen.
movum.info
Foto: Heinrich-Böll-Stiftung | flickr.com
Ausgabe 8
An den finanziellen Zusagen für arme, vom Klimawandel betroffene Länder könnte sich die Zukunft der Klimadiplomatie entscheiden.
Te x t: N I C K R E I M E R
E
s geht um eine Billion US-Dollar. Auf der Klimakonferenz 2010 im mexikanischen Cancún sagten
die Industriestaaten den Entwicklungsländern zu,
ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar aus dem
Norden in den Süden zu überweisen. Quasi eine
Art Ablasshandel: Weil 80 Prozent aller Treibhausgase in der Atmosphäre aus den Schloten und
Auspuffrohren der Industriestaaten stammen, sind sie es auch, die
die Hauptschuld an der fortschreitenden Erderwärmung tragen.
Leidtragend sind aber oftmals die Staaten des Südens.
Die Flut 2010 in Pakistan oder die in Thailand 2011, Tropenstürme wie „Sandy“ 2012 auf Haiti oder „Haiyan“ 2014 auf
den Philippinen, Hitzewellen wie in Afrika oder dieses Jahr
in Indien mit tausenden Toten – viele der Entwicklungsländer
liegen in geografischen Hotspots des Klimawandels. Gleichzeitig fehlt ihnen oft Know-how und Kapital, um sich an veränderte Wetterbedingungen anzupassen oder eingetretene Schäden
zu beheben.
„Gambia hat vor einigen Jahren 20 Millionen Dollar investiert,
um die Strände zu befestigen, weil sie wichtig für den Tourismus
sind“, sagt beispielsweise Gambias Umweltminister Pa Ousman
Jarju. Wegen des steigenden Meeresspiegels habe sich das Meer
den Sand aber wieder zurückgeholt. „Nach wenigen Jahren
Erosion sind teilweise nur noch drei Meter übrig geblieben“, so
der Minister. Jetzt fehlt Geld und technologisches Wissen, um dem
Landfraß des Meeres Einhalt zu gebieten. Selbst Gambias Hauptstadt Banjul ist stark bedroht.
Vor allem aber fehlte eine durchgreifende Idee, wie das zugesagte Geld aufgebracht werden könnte. Eine Steuer auf den internationalen Luftverkehr wurde genauso ins Gespräch gebracht wie
eine Finanztransaktionssteuer – Stichwort Tobin Tax – oder eine
Besteuerung des Schiffsdiesels. Allerdings sind vor allem in den
USA, Russland und China die Vorbehalte gegen internationale
Steuern groß und diese deshalb kaum durchsetzbar.
„OHNE GELD KEIN NEUER KLIMAVERTRAG“
Foto: ninara | flickr.com
Die Armen der Welt trifft der Klimawandel zuerst ...
Foto: Kuster & Wildhaber Photography | flickr.com
DEM GUTEN WILLEN FOLGEN KEINE TATEN
... mit mehr extremen Wetterereignissen wie Dürren...
Die Idee der Klimadiplomaten war deshalb: Die 100 Milliarden
jährlich aus den Industriestaaten würden den globalen Süden in
die Lage versetzen, sich an die Folgen der Erderwärmung anzupassen. Um dem guten Willen nach der Klimakonferenz in Mexiko Taten folgen zu lassen, billigten die Industriestaaten für die
Jahre 2010, 2011 und 2012 jährlich zehn Milliarden Dollar zu, was
unter dem Begriff „Fast Start Finance“ in die Klimapolitik einging. Der Vorschlag war, dass der Betrag für den „Schulden-Abbau“ der Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern in
den Folgejahren Jahr für Jahr so weit aufgestockt wird, bis er 2020
die 100-Milliarden-Dollar-Marke erreicht.
Doch statt mehr Geld floss in den folgenden Jahren weniger aus dem Norden. Einerseits waren die Europäer mit ihrer
Euro-Rettung beschäftigt. Andererseits fehlten Institutionen und
Regeln, wie die gewaltige Summe ausgeschüttet werden sollte.
... deren Folgen die Nahrungsmittelversorgung vieler Bauern bedrohen.
Sie wandern schließlich in die Städte ab.
Foto: Padmanaba01 | flickr.com
Mittlerweile gibt es zwar mit dem in Südkorea verwalteten „Green
Climate Fund“ der Vereinten Nationen eine funktionierende Infrastruktur, um die zugesagten Mittel auszureichen. Wenige Wochen vor Beginn des Paris-Gipfels ist aber weiter völlig unklar,
wie dieses Geld zusammenkommen soll. Letztes Jahr gab es in
Berlin eine Geber-Konferenz, auf der zehn Milliarden Dollar zugesagt wurden. Allerdings steht das Geld nicht jährlich, sondern
in summa bis 2020 zur Verfügung. Eine riesige Lücke zwischen
Versprechen und Realität.
Für die Entwicklungsländer ist bei den Verhandlungen für den
neuen Weltklimavertrag die Finanzfrage deshalb entscheidend.
„Ohne Geld wird es keinen neuen Vertrag geben“, hat auch Frankreichs Staatspräsident François Hollande erkannt, der als Gastgeber eine Klimagipfel-Pleite wie 2009 in Kopenhagen unbedingt
vermeiden will. Angestrebt für den Weltklimavertrag wird eine
Laufzeit von zehn Jahren. Bei 100 Milliarden Dollar jährlich geht
es also um nicht weniger als eine ganze Billion.
Bei genauer Betrachtung kommen die Industrieländer mit
den zugesagten 100 Milliarden Dollar im Jahr aber ziemlich gut
weg. Die Entwicklungsorganisation ONE hatte für 2013 ermittelt, dass die durchschnittliche Entwicklungshilfe der Industriestaaten bei nur noch 0,29 Prozent der Wirtschaftsleistung anstelle
der zugesagten 0,7 Prozent lag. 0,29 Prozent waren 132 Milliarden
US-Dollar. Es geht bei den 100 Milliarden also nicht einmal um
drei Tausendstel des nationalen Einkommens der reichen Staaten.
Es gibt auch Ideen, wie die Finanzzusagen in den Vertragstext eingearbeitet werden könnten. „Die Industriestaaten könnten
eine Art Quorum in den Vertrag einbauen, der sich etwa an der
Finanzierung der UNO orientiert“, sagt Sven Harmeling von der
Entwicklungsorganisation Care. Die Schwierigkeit ist nämlich,
dass Finanzfragen von den Finanzministern und den Parlamenten entschieden werden – und zwar in jeder Legislatur neu, sodass
langfristige Zusagen gar nicht so einfach sind. Bei der UNO ist
das anders, sie finanziert sich hauptsächlich aus den Beiträgen
ihrer Mitgliedsstaaten.
15
EINE POLICE GEGEN HUNGER
Klimarisiko-Versicherungen sollen Millionen Kleinbauern in Entwicklungsländern helfen, Dürren oder Hochwasser zu überstehen.
Nichtregierungsorganisationen haben dafür Lob und Kritik.
Te x t: J OAC H I M W I L L E U N D J Ö RG S TAU D E
E
DIE 100-MILLIARDEN-DOLLAR-FRAGE
PRAXIS
s geht um die Armenhäuser dieser Welt, um Staaten wie Äthiopien am Horn von Afrika, den
Himalaya-Staat Nepal oder die
pazifische Inselrepublik Vanuatu. Diese Länder leiden schon
heute unter dem Klimawandel.
Sie besitzen nicht die finanziellen Mittel, um die
Folgen von häufiger auftretenden Dürren, Überschwemmungen und Wirbelstürmen zu beherrschen oder sie wenigstens abzumildern. Nun
wird eine neue Idee verfolgt, um die Länder „katastrophenfester“ zu machen. Öffentlich geförderte Klimarisiko-Versicherungen sollen diesen
Staaten oder besonders gefährdeten Gruppen –
etwa den Bauern in den betroffenen Regionen –
in schwierigen Lagen Finanzhilfen zukommen
lassen. Die Staats- und Regierungschefs der G7Industriestaaten haben im Juni auf ihrem Gipfel
in Elmau beschlossen, dieses innovative Konzept voranzubringen.
Modelle für die Klimaversicherungen gibt es
bereits. Am bekanntesten ist die „African Risk
Capacity“ (ARC), eine Dürreversicherung, die
mit deutsch-britischer Unterstützung aufgebaut
wurde. Afrikanische Länder können sich damit
gegen die Folgen von Ernteausfällen aufgrund
von Trockenheit schützen. Tatsächlich wurden
im vergangenen Februar an drei Staaten in der
Sahel-Zone – Mauretanien, Niger und Senegal
– Kompensationen aus den ARC-Mitteln ausgezahlt. Mit den 25 Millionen US-Dollar konnte
über einer Million Menschen nach einer starken
Dürreperiode mit Nahrung geholfen werden,
und eine halbe Million Nutztiere wurden vor
dem Tod bewahrt, weil die Bauen dank der
Zahlungen in der Lage waren, schnell Futter für
sie zu kaufen.
Der Anstoß, dieses Konzept auszuweiten, kam
im Vorfeld des Elmau-Treffens von der Bundesregierung. Entwicklungsminister Gerd Müller
(CSU) sagte dazu: „Gerade die Ärmsten tragen am
wenigsten zum Klimawandel bei, aber sie leiden
am meisten und können am wenigsten vorsorgen.“
Die G7 müssten hier Verantwortung übernehmen.
Bislang sind rund 100 Millionen Menschen weltweit gegen Klimarisiken versichert. Bis 2020 soll
deren Zahl auf 500 Millionen erhöht werden, so
das Ziel der G7-Initiative. Deutschland will dafür
150 Millionen Euro bereitstellen.
Bei den Umwelt- und Entwicklungsorganisationen gibt es zu dem Versicherungsprojekt viel
Zustimmung, aber auch Kritik. „Die Klimarisiko-Versicherungen sind wichtig, um die sozialen und ökologischen Folgen des Klimawandels
zu bekämpfen“, meint Jan Kowalzig, Klimaexperte von Oxfam. Allerdings müssten sie richtig konzipiert sein. Die Versicherungsprämien
müssten durch die Industrieländer heruntersubventioniert werden, um möglichst vielen den
Zugang zu ermöglichen. Wenn sich nur reiche
Bauern eine Klimapolice leisten könnten, stünden arme Menschen trotzdem als Verlierer da,
warnt Kowalzig.
Umstritten ist bei den NGOs, dass die neuen
Klimapolicen von der privaten Versicherungsindustrie, also Konzernen wie der Allianz,
angeboten werden sollen. Attac-Experte Alexis
Foto: M. M. Padmanaba | flickr.com
PRAXIS
14
Gegen Hunger und Durst versichert
– bislang prof itieren nur wenige Menschen von Klimaversicherungen.
Passadakis kritisiert, das G7-Konzept laufe auf
eine Subventionierung der Konzerne hinaus.
„Letztlich werden hier Steuermittel privatisiert.“ Er glaubt, dass die Versicherungen auch
über einen öffentlichen Fonds angeboten werden
könnten. „Da könnten aber keine bei den Privaten üblichen Managergehälter gezahlt werden.“
Die Klimaexpertin Sabine Minninger vom
evangelischen Entwicklungsdienst Brot für die
Welt glaubt, dass die neuen Versicherungen
eine große Chance für die Armen sind. Dass die
Konzerne sich hier allerdings nicht aus reiner
Nächstenliebe engagieren, liegt auch für sie auf
der Hand: „Sie wollen neue Märkte erschließen.“ Der Markt sei jedoch begrenzt. Minninger ist sich sicher: „Die Konzerne werden nichts
versichern, woran sie pleitegehen können.“
Bei Polkappen, Alpengletschern, Wüsten und
versinkenden Inselstaaten werde „keine Versicherung je auch nur einen Finger rühren“.
PRAXIS
16
Ausgabe 8
movum.info
PRAXIS
17
GRÜNE ANLAGEN-FONDS MIT FRACKING
UND KINDERARBEIT
Der Markt der nachhaltigen Investitionen wächst – doch sind nur die wenigsten wirklich öko und sozial. Entwicklungsorganisationen haben ethische
Kriterien entwickelt, um Investitionen zu bewerten.
Te x t: S U SA N N E G Ö T Z E
G
ibt man heute sein Geld in
die Hände konventioneller Banken, Versicherungen oder gar Investmentfonds, kann man nie sicher
sein, ob es in der Welt nicht
Schaden anrichtet. Denn
das sauer verdiente Geld soll ja für einen „arbeiten“ und dabei Rendite abwerfen. Was mit dem
Geld geschieht, wenn es für uns Profit „erwirtschaftet“, wissen viele nicht oder wollen es auch
gar nicht wissen. Aber das ändert sich gerade.
Noch sind derartige Investments zwar
Ausnahmen – doch die Nachfrage ist in den
letzten Jahren rasant gestiegen. Im Jahr 2001
lag der Anteil der sogenannten ethisch-ökologischen Fonds noch bei 0,7 Prozent. Damals
gab es deutschlandweit weniger als 50 Fonds,
die zusammen rund 2,4 Milliarden Euro investiert hatten. Heute sieht das schon ganz anders
aus. 2013 haben laut dem Sustainable Business
Institute (SBI) in Oestrich bei Wiesbaden 383 als
nachhaltig registrierte Fonds insgesamt rund 40
Milliarden Euro investiert.
nichts, um dem Wildwuchs bei ethischen Investments zu begegnen.“ Brendel ist sich sicher,
dass nur gesetzlich verbindliche Mindeststandards das Greenwashing in der Branche stoppen können.
Mittlerweile haben sich sogar private Bewertungsagenturen gegründet, die Produkten und
Unternehmen ein Zeugnis ausstellen. Ähnlich wie
beim EU-Biosiegel soll so eine Mindest-Sicherheitsgarantie für Anleger geschaffen werden.
BEST PRACTICE:
EIN FONDS MIT STRENGEN KRITERIEN
Foto: Simon Fraser University | flickr.com
DER AUFSTIEG DER GRÜNEN BANKEN
Während die traditionellen Geldhäuser seit der Finanz- und Bankenkrise an Vertrauen eingebüßt haben, boomen Öko-Banken in Deutschland. Um neue
Kunden müssen sie sich nicht sorgen, auch weil die Hürden für einen Wechsel immer mehr abgebaut wurden.
Te x t: B E N JA M I N VO N B R AC K E L
A
ls Julia Manzke vor ein paar Jahren nach Berlin zog, stellte sich für sie die Frage, zu welcher Bank sie nun gehen sollte. Da nahm sie
einfach die um die Ecke: die Dresdner Bank.
Die wurde später von der Commerzbank aufgekauft. „Commerzbank“ – den Namen fand
Manzke, die einen Blog zur Nachhaltigkeit betreibt, unsympathisch. Und als die Finanz- und Bankenkrise kam,
tauchten auf einmal lauter Fragen bei ihr auf. Was passiert da eigentlich gerade?
Sie wusste es nicht und hatte auch nicht das Gefühl, dass
ihre Bank es wusste. „Dann habe ich angefangen, mich mit dem
Thema auseinanderzusetzen“, erzählt die Unternehmensberaterin. Manzke recherchierte im Internet – und was sie fand, gefiel
ihr nicht: „Meine Bank ist einer der Hauptfinanzgeber der Atomwirtschaft!“ Es dauerte noch ein, zwei Jahre, bis Manzke zur
Triodos-Bank wechselte, einer der Handvoll grüner Banken in
Deutschland, die nur in ökologische oder soziale Projekte investieren. Dass es gerade diese Bank wurde, lag an Bequemlichkeit:
Mit der Kreditkarte der Bank kann sie an fast allen Geldautomaten kostenlos Geld abheben.
Wie Julia Manzke entscheiden sich immer mehr Menschen für
grüne Banken. Während die traditionellen Geldinstitute durch die
Finanzkrise und Berichte über Zinsmanipulationen, Steuerskandale und Fehlberatung viel Vertrauen verspielt haben, boomen
die nachhaltigen Geldhäuser. Um neue Kunden müssen sie kaum
werben – sie kommen von selbst.
RAUS AUS DER NISCHE
Die Vorjahres-Bilanzen der vier großen grünen Banken können
sich sämtlich sehen lassen – alle wachsen kräftig. Branchenprimus
ist die GLS-Bank mit einer Bilanzsumme von über drei Milliarden Euro und 165.000 Kunden. Dahinter folgen die Umweltbank
mit 2,5 Milliarden Euro und knapp 115.000 Kunden sowie die
Ethikbank mit über 310.000 Euro und 50.000 Kunden. Erst 8.000
Kunden in Deutschland hat die niederländische Bank Triodos, die
europaweit ihre Bilanzsumme 2013 um fast ein Viertel auf über
sechs Milliarden Euro steigern konnte und die 500.000er-Marke
bei den Kunden gebrochen hat.
Die grünen Banken haben ihre Nische verlassen und wenden sich
inzwischen an die breite Masse. Sechsstellige Kundenzahlen mit
Tendenz nach oben sprechen eine deutliche Sprache. Aber grüne
Bank ist nicht gleich grüne Bank. Die vier Marktführer unterscheiden sich in einigen Punkten deutlich.
So geht die Umweltbank einen Sonderweg. Als einzige der vier
großen grünen Banken bietet sie keine Girokonten an – wer Kunde
werden will, braucht ein weiteres Konto. Viele schreckt das erst
mal ab, sie wollen alles unter einem Hut haben. Aber das Konzept
der Zweitbank ist bei dem 1997 gegründeten Nürnberger Geldhaus durchaus gewollt: Zu jeder Zeit auf das Konto zugreifen zu
können, ohne dass die Bank weiß, ob die Kunden in soziale und
ökologische Projekte investieren – das habe nichts mit einer nachhaltigen Anlage zu tun. Und so investiert die Umweltbank mit den
Einlagen ihrer Kunden nur in Umweltprojekte; vor allen in Solaranlagen, aber auch in die ökologische Gebäudesanierung sowie
in Wind- und Wasserkraft. Über 15.000 Umweltprojekte hat die
Bank schon mit insgesamt etwa zwei Milliarden Euro finanziert.
„Ist das überhaupt sicher?“, kam als Frage. Dabei hätten viele
Bekannte und Arbeitskollegen im Zuge der Finanz- und Bankenkrise Geld verloren. „Schlimmer kann es auch nicht kommen!“,
dachte sich Manzke.
Wer zu einer der Ökobanken wechselt, muss jedenfalls keine
Angst um sein Geld haben. Auch die grünen Geldinstitute sind
abgesichert. Die GLS-Bank etwa ist Mitglied im Bundesverband
der Volks- und Raiffeisenbanken und die Gelder der Kunden sind
über den Einlagensicherungsfonds komplett abgesichert. An den
KEINE ANGST UMS GELD
Die anderen drei großen grünen Banken geben sich pragmatischer
und haben sich breiter aufgestellt: Sie finanzieren auch soziale
Projekte. Kunden der GLS-Bank, der ältesten Ökobank, können
wählen, wo ihr Geld bevorzugt angelegt wird – in einem Windpark, einer Waldorfschule, einer Biomolkerei, einem Wohnprojekt
für Menschen mit geistiger Behinderung oder einem Yogazentrum. Die Kunden der 1974 gegründeten Bank mit Sitz in Bochum
können außerdem verfolgen, wo ihr Geld am Ende landet.
In puncto Transparenz können da etwa die relativ nachhaltigen Kirchenbanken wie die Steyler Bank in Sankt Augustin bei
Bonn nicht mithalten – auch nicht, was die hohen Kriterien für
die Anlagen betrifft.
Auch wenn es ihr vor allem um die Umwelt gehe, sagt Manzke,
so sei es für sie auch in Ordnung, dass ihre Bank in soziale
Projekte investiert. Wichtiger ist ihr ohnehin der Ausschluss von
bestimmten Investitionsbereichen: Massentierhaltung, Atomwirtschaft, Nahrungsmittelspekulation.
Als sie ihren Freunden davon erzählte, dass sie zu einer
ökologischen Bank wechselt, reagierten die erst mal skeptisch:
GLS-Mitarbeiter haben durch die Finanzkrise an Kundschaft gewonnen.
18.500 Geldautomaten können sie kostenlos Geld abheben. Außerdem unterhält die GLS ein kleines Filialnetz in sieben Großstädten
– eine Besonderheit unter den nachhaltigen Banken. Die Ethikbank etwa bedient ihre Kunden am Telefon oder über das Internet.
Während die Kunden von nachhaltigen Banken eher weniger
Zinsen einstreichen können, werden ihnen, wenn sie ins Minus
gehen, aber auch weniger Zinsen abkassiert, die GLS-Bank
verlangt etwa 7,5 Prozent. Eines allerdings lässt einige noch vor
einem Wechsel zu einer Umweltbank zurückschrecken, davon
kann auch Julia Manzke aus ihrem Bekanntenkreis berichten: die
relativ hohen Kontoführungsgebühren. Etwa 60 Euro muss der
Besitzer eines Girokontos bei einer grünen Bank pro Jahr einrechnen, will er auch Bank- und Kreditkarte nutzen. Dafür weiß er,
was mit seinem Geld passiert.
VON 400 FONDS
SIND ZEHN WIRKLICH „ETHISCH“
Begibt man sich in den nachhaltigen Anlagedschungel, sieht auf den ersten Blick alles sehr
gerecht, sozial und umweltverträglich aus. Doch
so ist es leider nicht. „Von den rund 400 am Markt
angebotenen Fonds folgen nur rund zehn wirklich strengen Kriterien“, bedauert Antje Schneeweiß vom Südwind-Institut für Ökonomie und
Ökumene in Siegburg bei Bonn. Bei allen anderen könnten ethisch fragwürdige Praktiken
Wo grün draufsteht, müsste auch grün drin sein
– leider kaufen die Anleger heute noch oft die Katze im Sack.
in der Wertschöpfungskette wie Fracking oder
Kinderarbeit nicht ausgeschlossen werden. „Die
Weltwirtschaft funktioniert nicht nachhaltig –
deshalb ist es auch schwer, Geld nachhaltig anzulegen“, so die Finanzexpertin. Noch mehr als
bei Bioprodukten und fairem Handel gilt: Allein
auf gut klingende Namen kann man sich nicht
verlassen. Je nach Angebot investiert man nur
ein bisschen ethisch korrekt oder sehr weitgehend – oder irgendwo dazwischen.
Aber es gibt Hilfe: Neben der Anlageberatung
entwickeln die Verbraucherzentralen Marktübersichten und stellen beispielsweise BestPractice-Listen zusammen. „Bei den Fonds raten
wir den Anlegern immer zu schauen, in welche
Firmen genau investiert wird – oft gibt es dann
ein großes Staunen, wenn plötzlich BMW oder
Starbucks in Nachhaltigkeitsfonds auftauchen“,
erklärt Ulrike Brendel von der Verbraucherzentrale Bremen. „In der Politik tut sich seit Jahren
DER SELBST GEMACHTE EURO-EXIT
Teilen und Tauschen oder die Ausgabe von Regionalgeld können Leben und Wirtschaften sozialer gestalten. Der Umwelt und dem Klima hilft das auch.
Te x t : S U S A N N E S C H WA R Z
Z
wischen dem großen Spielplatz
und dem hip-teuren Café machen Graffiti graue Wände lebendig. Die kleine Bude – Aufschrift:
Nachbarschaftshaus
– auf dem Helmholtz-Platz im
Berliner Stadtteil Prenzlauer
Berg erscheint wie eine Bastion der Wahrhaftigkeit. Rechts schicke Eltern mit ihrem Nachwuchs, links Vielbeschäftigte in der wohlverdienten Chai-Latte-Pause.
Holger Liedtke sitzt ein paar Meter abseits
auf einer kleinen Mauer und lässt den Blick
entlang des Nachbarschaftshauses schweifen.
Er betreut das Haus heute. Manchmal sind auch
andere Mitglieder des Fördervereins Helmholzplatz dran. Seit 2003 gibt es hier auch einen
Tauschring, den Liedtke mitorganisiert. Ganz
ohne Euros: Daria gibt Yoga-Stunden, Jakob
bietet sein Smartphone zum Verleih – „bis zu
zwei Wochen“. Michael will seine Monatskarte
„teilen, Mareike ihr Fahrrad.
„Im Prinzip ist es simpel“, meint Liedtke.
„Wenn sich jemand keine eigene Waschmaschine
kauft, bei anderen mitwäscht und dafür dem
nächsten ab und an sein Auto leiht, dann haben
wir eine Waschmaschine und ein Auto eingespart“, erklärt er. Die Produktion der Geräte
verbrauche schließlich Rohstoffe und Energie – und belaste Planet und Atmosphäre mit
Foto: spreebluete.de
Foto: I-vista | pixelio.de
Ein Beispiel für sogenannte Best Practice ist
der Fairworldfonds: Die Hilfsorganisation Brot
für die Welt hat 2010 zusammen mit dem Südwind-Institut Kriterien für ethische Investments
entwickelt und sie an die Gründer eines Fonds
weitergereicht. Dabei gründeten mehrere Organisationen wie die GLS Bank zusammen mit
der Genossenschaftsbank Union Investment den
Fairworldfonds.
„Unsere Kriterien für nachhaltige Investments gelten als die strengsten auf dem Markt“,
sagt Michael Türk, Unternehmensexperte bei
Brot für die Welt. Die im Fairworldfonds angebotenen Aktien und Anleihen durchlaufen ein
mehrstufiges Prüfverfahren. Dementsprechend
gibt es „Ausschlusskriterien“ und „Positivkriterien“, nach denen eine Anlage oder ein Unternehmen im Fonds bewertet werden.
Eine politische Kampagne zur Festschreibung sozialer und ökologischer Standards gibt es
jedoch noch nicht. „Die Investoren und Anleger
müssten diese Kriterien bei den Unternehmen
einfordern“, meint Türk von Brot für die Welt.
Die Geldmenge des neuen Regionalgeldes für Berlin soll ständig kontrolliert werden.
Treibhausgasen. Damit der Tausch nicht immer
nur direkt stattfinden muss, handeln die Mitglieder mit der virtuellen Währung Helmholtz-Taler.
Ein paar Kilometer weiter, im Stadtteil Biesdorf, hat sich der Verein Regio Berlin noch
mehr vorgenommen: eine Alternativwährung
für Berlin, mit der man richtig in Geschäften
einkaufen kann. „Spreeblüte“ soll das Regionalgeld heißen.
Denn mit dem „normalen“ Geld gibt es ein
großes Problem, wie Vereinsvorstand Theophil
Wonneberger erläutert: „Währungen wie Euro,
Dollar und Yen sind zum großen Teil privatwirtschaftlich organisiert – es soll Geld mit Geld
gemacht werden.“ Deshalb müsse solches Geld
immer mehr werden. Das führe, erklärt er, zu
dem Umstand, dass die Wirtschaft ständig wachsen müsse – und der Planet und seine Ressourcen
immer mehr ausgebeutet werden. „Wir wollen
‚fließendes‘ Geld schaffen, das wirklich im
Umlauf ist und nicht nur auf den Finanzmärkten herumliegt“, sagt Wonneberger. Deshalb
sollen auch die Mitglieder des Vereins darüber
entscheiden, wie viele Spreeblüten gedruckt und
nach welchen Regeln sie vergeben werden – im
Zweifelsfall könnten sie auch beschließen, die
Geldmenge herunterzufahren. Zinsen dürfen
nicht erhoben werden, damit sich das bloße
Ansammeln der Noten nicht lohnt.
Noch ist die Spreeblüte allerdings Zukunftsmusik. Man sei auf der Suche nach genug Gewerbepartnern, die die Spreeblüte nutzen wollen.
„Bisher sind ungefähr 50 dabei, ab 100 wollen
wir loslegen“, erzählt Wonneberger.
Die Tauschwut indes lässt nach. Auch wenn
die Angebote beim Tauschring Helmholtzplatz
vielfältig wirken – früher waren es einmal viel
mehr. Das Problem hätten auch die anderen
Berliner Tauschringe, berichtet Holger Liedtke.
„Bei uns liegt das vielleicht an den Veränderungen im Kiez“, vermutet er. Prenzlauer Berg
gilt als der Prototyp für die Gentrifizierung in
Berlin: Früher ein Hort von Unangepassten,
Künstlern und Hausbesetzern, ist der Stadtteil über die Jahre immer bürgerlicher, immer
kommerzieller, immer „fertiger“ geworden.
Heute hat es kaum noch jemand finanziell nötig,
zu tauschen statt zu kaufen.
„Klar haben wir auch Idealisten im
Tauschring“, meint Liedtke. Vor allem habe die
Gruppe aber immer Menschen angezogen, bei
denen das Geld knapp ist. „Man sieht es zurzeit
in Griechenland: Die Krise ist manifest und die
Tauschringe schießen nur so aus dem Boden.“
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für Griechenland
2010–2014
215
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200
Im Ausland
verstecktes
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Vermögen
Vermögen
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2014
281
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Verteidigungshaushalt
Deutschland
2010–2014
150 (D)
Vermögen
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Griechenland
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Externe
Kosten
der Kohleverbrennung
in Europa
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Erneuerbare
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1970–2012
10 (D)
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Branntweinsteuer
Gewinn der
aus der Fußball-WM
FIFA
2014
in Deutschland
pro Jahr
Tabaksteuer
3,5 (D)
3,3
Allen Kindern
weltweit
Schulbildung
ermöglichen
Zuteilung
CO 2 -Emissionsberechtig
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Jahr
7 (D) Energiesteuerbefrei
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des Kerosins
pro Jahr
Staatliche
Förderung
Steinkohle
1970–2012
311 (D)
8,75 Ausgaben
87 (D)
48 (WELT)
14
58,6 (D)
der reichsten
4.813 Mrd.
10 %
Kosten für
Klimaschutz
bis 2030
(D)
Vermögen
der reichsten
1.627 (D)
31 (D)
Durch Verkehr
verursachte
Gesundheitskosten
Umsatzsteuer
52 (D)
Umweltschädliche
Subventionen
pro Jahr
3,8 (D)
Haushalt
Umweltministerium
0,1 %
85,7 (D)
800 Mrd.
84 (D)
Steuereinnahmen
Deutschland
pro Jahr
278 (D)
Kaffeesteuer
Weltweite
Beseitigung
von Hunger
301 (D)
Gesundheitsausgaben
in Deutschland
pro Jahr
(D)
36 (D)
Aufnahme
von
800.000
Flüchtlingen
in Deutschland
Bankenrettung
in Deutschland
Urlaubsausgaben
der Deutschen
pro Jahr
27
(WELT)
Gesundheitskosten
der Kohleverstromung
6,3 (D)
Brasiliens
zur Fußball-WM
2014
2
Vermögen
Energiesteuer
Lohnsteuer
50 (D)
Staatliche
Förderung
Atomenergie
1970–2012
213 (D)
6 (D) Kostenfreie
Mehrwertsteuerbefr
für internationale
eiung
Flüge pro
Jahr
1
Staatsverschuldung
Deutschland
2.000 (D)
(D)
Kosten des
Klimawandels
bis 2050
Briefe zur
Transformation
movum
Subventionen
erneuerbare
Energien
weltweit
pro Jahr (WELT)
88
Atomkraft
UNO startet privaten Emissionshandel
Die Verringerung der Treibhausgas-Emissionen wird zur Privatsache: Die Vereinten Nationen führen einen „Emissionshandel für alle“
ein und bauen dafür den „United Nations Climate Credit Store“ auf. Über diese Internetplattform können Privatpersonen und Firmen
Emissionszertifikate aus dem Clean Development Mechanism (CDM) kaufen, um so freiwillig ihre Emissionen zu kompensieren. Wer
eine Reise oder seinen Fleischkonsum klimaneutral stellen möchte, kann im „Store“ die Treibhausgas-Belastung berechnen lassen
und für dieselbe Menge Verschmutzungsrechte kaufen. Umweltorganisationen zweifeln aber am Nutzen vieler CDM-Projekte. „Der
Konsument wird da getäuscht“, sagte die WWF-Klimaexpertin Juliette de Grandpré der Süddeutschen Zeitung. (sz.de/1.2641976)
272
(WELT)
4.717 Mrd.
Subventionen
fossile Energien
weltweit
(Welt)
9.300 Mrd.
pro Jahr
4.353 Mrd.
Gesundheitsausgabe
n weltweit
Privates
Vermögen
in Deutschland
(D)
(Welt)
pro Jahr
Ausgabe 8
Oktober 2015
Finanzpolitik
Foto: Fossil Free Tufts
„Divest for Paris“
Die weltweite Divestment-Bewegung fordert Institutionen, Einzelpersonen und Regierungen
dazu auf, ihr Geld noch vor der Pariser Klimakonferenz im Dezember aus dem Geschäft mit
fossilen Brennstoffen abzuziehen. Im September traf sich die Bewegung in der französischen
Hauptstadt zu einem Kongress. „Wer in Paris Taten sehen will, darf nicht die fossile Energiewirtschaft bezahlen“, sagte May Boeve von der Klimaschutzorganisation 350.org, die den Kongress zusammen mit den Europäischen Grünen veranstaltete. Divestment sei schon rein wirtschaftlich geboten. Man spricht von der „Kohlenstoffblase“: Sobald die Staaten ernsthaften
Klimaschutz betreiben, werden Investitionen in die Branche schnell wertlos. Das werde früher
oder später auch passieren, sagte Boeve. (europeangreens.eu/divestconference)
Subventionen
weltweit
pro Jahr
Zivilgesellschaft auf Transformationskurs
Die zivilgesellschaftlichen Bewegungen für ökonomische, ökologische und soziale Alternativen wollen sich gemeinsam für eine
umfassende Transformationsperspektive einsetzen. Ein entsprechender Konvergenzprozess ist bereits im Gang. Das zeigte sich beim
„Solikon 2015“, dem Praxiskongresses für solidarische Ökonomie im September an der TU Berlin. Eine Woche lang ging es dort um
die vielfältigen Formen solidarischer Ökonomie und um konkrete Kooperationsweisen. Die Verfechter der solidarischen Ökonomie
plädieren für ein Wirtschaftssystem, das auf Kooperation statt Konkurrenz beruht. Vorgeschaltet war dem Kongress eine „Wandelwoche“, um bei Projekten Ort zu erkunden, welche Varianten einer solidarischen Ökonomie schon heute funktionieren. (solikon2015.de)
Foto: Fred Meyer | flickr.com
Green Economy? Faire Einkommen!
„Grünes Wachstum“ mit erneuerbaren Energien, mehr Effizienz und einer Dienstleistungsökonomie ist nicht das entscheidende Instrument gegen den Klimawandel. Zu dem Ergebnis kommt
der Chefökonom des Schweizer Research Institute on Organic Agriculture, Ulrich Hoffmann,
in einer Analyse für die UN-Organisation für Handel und Entwicklung UNCTAD. Der oft reduktionistische Green-Growth-Ansatz habe technologische, bevölkerungsdynamische und systemische Zwänge nicht im Blick und könne Scheinlösungen stärken. Die nötige Transformation
beinhalte eine bessere Verteilung von Vermögen und Einkommen, eine Begrenzung der Marktmacht von Wirtschaftsakteuren und eine Kultur der Genügsamkeit. (UNCTAD/OSG/DP/2015/4)
IMPRESSUM
Herausgeber:
Damian Ludewig, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V.;
Michael Müller, Vorsitzender, NaturFreunde Deutschlands e.V.
Christel Schroeder, Lutz Ribbe, EuroNatur Stiftung;
Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender, Deutsche Umweltstiftung;
Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender, BUND e.V.;
Dr. Martin Held, Gesprächskreis Die Transformateure – Akteure der Großen Transformation
Förderhinweis:
DIESES PROJEKT WURDE
GEFÖRDERT VON:
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Redaktion:
Chefredaktion: Susanne Götze, Joachim Wille (V.i.S.d.P.)
Redakteure: Matthias Bauer, Sandra Kirchner
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Ausgabe
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THEORIE:
„ICH HALTE NICHTS DAVON,
DIE FLINTE INS KORN ZU WERFEN“
Interview mit Barbara Hendricks
Die Verantwortung für den
Inhalt dieser Veröffentlichung liegt
bei den AutorInnen.
Layout
Alexander Seeberg-Elverfeldt, Entwicklung; Adrien Tasic, Gestaltung; Jennifer Kalisch, Infografik
Dr. Kai Niebert, Fakultät Nachhaltigkeit, Leuphana Universität Lüneburg, Konzeption Infografik
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Auflage: 30.000 Exemplare
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Warschauer Str. 58 a + 59 a, 10243 Berlin
Coverfoto: Axel Hartmann | flickr.com • Design: Adrien Tasic
Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den AutorInnen.
DIE PIONIERE WERDEN DIE GEWINNER SEIN
Von Ernst Ulrich von Weizsäcker
PRAXIS:
DIE 100-MILLIARDEN-DOLLAR-FRAGE
Von Nick Reimer
DAS UNSCHÄTZBARE SCHÄTZEN LERNEN
Von Jörg Staude
GRAFIK:
WO DIE MILLIARDEN WIRKLICH LANDEN