Briefe zur
Transformation
NACHRICHTEN
10
movum
Foto: Nick Reimer
Vier von neun „planetaren Grenzen” überschritten
Von den neun sogenannten planetaren Grenzen sind durch den Einfluss des Menschen bereits vier überschritten: Klimawandel, Biodiversität, Landnutzung und biogeochemische
Kreisläufe. Das schreibt ein internationales Team von 18 Wissenschaftlern unter Beteiligung
des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) im Fachjournal Science. Nach Einschätzung der Forscher sind zwei dieser Grenzen, nämlich Klimawandel und Artensterben,
von entscheidender Bedeutung – werden sie deutlich überschritten, könnte dies das Erdsystem in einen neuen Zustand versetzen. Das Team stellte seine Ergebnisse in sieben Seminaren beim World Economic Forum im Januar in Davos vor (doi:10.1126/science.1259855).
Ausgabe 4
Bodenatlas zeigt dramatische Daten zum Zustand der Erdkruste
Nach den Meeren sind Böden der größte CO2-Speicher der Welt. Sie binden mehr Kohlenstoff als alle Wälder zusammen, leisten
damit einen wichtigen Beitrag gegen die Erderwärmung und brauchen deshalb wesentlich mehr Aufmerksamkeit und Schutz. Darauf macht der jetzt erschienene „Bodenatlas“ aufmerksam, den die Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit dem Potsdamer Nachhaltigkeits-Institut IASS, dem Umweltverband BUND und der Monatszeitung Le Monde diplomatique zum Beginn des Internationalen Jahres der Böden veröffentlicht hat. Anhand von Daten, Zahlen und Grafiken zeigt der Atlas den Zustand von Böden, Land
und Ackerflächen in Deutschland, Europa und weltweit (boell.de/bodenatlas).
Anthropozän
Foto: Matthias Rietschel
Auch nachwachsende Ressourcen werden knapper
Fisch, Getreide oder Fleisch zählen zu den nachwachsenden Rohstoffen, ihre Verfügbarkeit
überschreitet mittlerweile aber auch ihre Grenzen. Eine ganze Reihe solcher Ressourcen hat
sogar schon ihre maximale Steigerungsrate in der Produktion – die sogenannte „Peak-Rate“ –
überschritten, wie eine Studie von Forschern des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der US-Universitäten Yale und Michigan zeigt. Für ihren im Fachmagazin Ecology & Society veröffentlichten Beitrag untersuchten die Forscher die Entwicklung
der Produktionsraten von 27 Gütern, darunter Mais, Reis, Weizen und Soja. Bei 20 Ressourcen identifizierten die Wissenschaftler einen derartigen Peak (doi:10.5751/ES-07039-190450).
Februar 2015
Modell für sozial-ökologische Veränderungsprozesse
Seit Beginn der Menschheitsgeschichte bilden Menschen und Natur „sozial-ökologische Systeme“. Technologischer Fortschritt,
Bevölkerungswachstum und Urbanisierung verändern diese Systeme grundlegend. Forscher der Universitäten Kapstadt, Kassel
und Göttingen haben nun ein Modell entwickelt, mit dem sich die Ursachen und Konsequenzen dieser Vorgänge weltweit und auf
verschiedenen Ebenen vergleichen lassen. Ihr Ziel ist eine disziplinübergreifende Theorie für diese Prozesse. Als eine Konsequenz
plädieren sie für sie neue Regularien und Institutionen. Die Ergebnisse wurden als Titelbeitrag in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht (doi:10.1038/nature13945).
THEORIE:
IMPRESSUM
Förderhinweis:
DIESES PROJEKT WURDE
GEFÖRDERT VON:
Förderhinweis:
DIESES PROJEKT WURDE GEFÖRDERT VON:
Herausgeber:
Damian Ludewig, Geschäftsführer, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V.;
Michael Müller, Vorsitzender, NaturFreunde Deutschlands e.V.
Christel Schroeder, Präsidentin, EuroNatur Stiftung;
Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender, Deutsche Umweltstiftung;
Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender, BUND e.V.;
Dr. Martin Held, Gesprächskreis Die Transformateure – Akteure der Transformation
Redaktion:
Nick Reimer (V.i.S.d.P.), Susanne Götze, Matthias Bauer, Sandra Kirchner
Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den AutorInnen.
DAS ZEITALTER
DES MENSCHEN
von Michael Müller
Debatte
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Ausgabe
unter:
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PRAXIS:
„TRÄGHEIT UND IGNORANZ“
Interview mit Paul Crutzen
Die Verantwortung für den
Inhalt dieser Veröffentlichung liegt
bei den AutorInnen.
GRAFIK:
Layout
Alexander Seeberg-Elverfeldt, Entwicklung; Adrien Tasic, Gestaltung; Jennifer Kalisch, Infografik
Dr. Kai Niebert, Fakultät Nachhaltigkeit, Leuphana Universität Lüneburg, Konzeption Infografik
DIE ERDE IN DER
MENSCHENZEIT
Registergericht: Amtsgericht Charlottenburg, NR-Nr.: HRB 118470 B. Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste sowie Vervielfältigung auf Datenträgern nur nach Genehmigung des Verlages.
movum erscheint als kostenlose Beilage in Kombination mit dem Wirtschaftsmagazin enorm, www.enorm-magazin.de
movum liegt exklusiv, regelmäßig und kostenlos dem Wirtschaftsmagazin enorm bei, www.enorm-magazin.de.
Mitglieder der herausgebenden Verbände beziehen das enorm-Abo inkl. movum zum Vorzugspreis von 33,75 Euro statt 45 Euro (6 Ausgaben p.a.).
Weitere Informationen unter www.movum.info/kombi-abo
Coverfoto: Nick Reimer
Verlag:
movum erscheint im GutWetter Verlag UG (haftungsbeschränkt)
Marienstraße 19/20, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 24632232, www.gutwetterverlag.de, Geschäftsführer: Marco Eisenack
AKTEURE
2
EDITORIAL
3
Reisch, L. A.; Bietz, S.: Zeit
für Nachhaltigkeit – Zeiten der
Transformation. Mit Zeitpolitik gesellschaftliche Veränderungsprozesse steuern. Oekom,
München 2014
Zeit wird in diesem sehr guten
Buch als Rahmenbedingung zum
Verständnis der Transformationsprozesse vorgestellt und sodann als
Gestaltungsvariable der Zeitpolitik
in ihrer Inhalts- und Verfahrensdimension analysiert. Für die Umsetzung sind die vorgestellten temporalen Aspekte von Wohlfahrt und
Fortschritt, Ansätze in Kommunen sowie Konsumkompetenz interessant. Zeit und gutes Leben sind
ebenso Thema wie Zeitpolitik und
Demokratie. Im Anhang finden sich
ausgewählte Initiativen.
Engelhardt, M. (Hrsg.): Völlig
utopisch. 17 Beispiele einer besseren Welt. Pantheon, München, 2.
Auflage 2014
Oya in Buchform, so könnte man
dieses Buch umschreiben entsprechend dem Slogan der Zeitschrift
„Oya – anders denken, anders
leben“. In dem Band finden sich
Beispiele aus der Einen Welt, von
allen Kontinenten der Erde. Dabei
werden sehr unterschiedliche
Menschen, Lebensentwürfe und
Initiativen porträtiert. Das Vorwort
bringt die Stimmungslage der
Beiträge auf den Punkt: „Utopie ist
machbar, Herr Nachbar“. Zu ergänzen wäre nur noch die Frau Nachbarin.
www.oya-online.de
Sommer, B.; Welzer, H.: Transformationsdesign. Wege in eine
zukunftsfähige Moderne. Oekom,
München 2014
Moderne Gesellschaften sind
strukturell nicht-nachhaltig.
Ausgehend von diesem Befund
gehen die Autoren auf die notwendigen Transformationen zu einer
nachhaltigen Entwicklung ein.
Sie nennen das „Transformationsdesign“ und umschreiben es als
eine Art Heuristik für eine reduktive, zukunftsfähige Moderne. Sie
setzen sich mit anderen Transformationsvisionen auseinander und
führen Beispiele für Transformationsdesign im Sinne der Gestaltung von Reduktion aus. Konflikte
und die Verschiebungen von Macht
werden diskutiert.
Piketty, T.: Das Kapital im
21. Jahrhundert. C.H. Beck,
München 2014
Mit seinem modernen Klassiker
brachte Thomas Piketty die Frage
der Ungleichheit und ihrer destabilisierenden Wirkungen wieder
in die politische Debatte zurück.
Obwohl kein Buch über Transformation, ist es eines der wichtigsten Transformationsbücher unserer
Zeit: Es stellt die richtigen Fragen
zur Einkommens- und Vermögensverteilung und legt, empirisch gut fundiert, die Struktur der
fundamentalen, zerstörerischen
Ungleichheit frei. Gestaltung des
Sozialstaats, progressive Einkommensteuer, globale Kapitalsteuer
und Staatsschuldenfrage werden
diskutiert.
DIE TRANSFORMATEURE – AKTEURE
DER GROßEN TRANSFORMATION
Das fossile Zeitalter ist nicht nachhaltig. Notwendig ist eine Große Transformation in Richtung einer postfossilen,
nachhaltigen Entwicklung. Nun geht es
darum, diesen tiefgreifenden Übergang
mit seinen Strukturbrüchen verträglich
und gerecht zu gestalten. Dafür braucht
es in allen Bereichen Transformateure.
Es geht um die Änderung der Lebensstile ebenso wie um eine Änderung der
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
Der Gesprächskreis Die Transformateure
verbreitet diese Idee. Transformationstagungen und Transformations-Labs tragen
gleichermaßen zur Vernetzung bei.
www.transformateure.wordpress.com
Die Herausgeber (BUND, Deutsche Umweltstiftung, EuroNatur, FÖS, NaturFreunde und Die Transformateure)
und andere Akteure der Transformation stellen sich an dieser Stelle im Wechsel vor.
n zu
Debatte
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men die
den The
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e
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Ausgabe
rriefe-zu
www.B
.de
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Transfo
VERANSTALTUNGEN
6. bis 8. Februar 2015:
Wochenendseminar "Transformation – Eine
beweg!gründe-Akademie", Naturfreundehaus Hannover,
www.naturfreundejugend.de
9. Februar 2015:
5. Alternativer Energiegipfel "Energiewende –
Erfolg ohne Ende!?", VKU-Forum, Berlin,
www.klima-allianz.de/energiegipfel
24. bis 28. März 2015:
Weltkongress "Weltsozialforum 2015 – Alternativen für
eine bessere Welt", El-Manar-Universität Tunis,
www.fsm2015.org
21. bis 23. Mai 2015:
Internationale Tagung "Good Life beyond Growth",
Universität Erfurt,
www.kolleg-postwachstum.de
weitere Termine:
www.movum.info/termine
Foto: Nick Reimer
Menschlicher Expansionsdrang Nicht einmal mehr die entlegensten Gebirge sind menschenleer
– hier der Weg zum 5.328 Meter hohen Pass Taglang La im Himalaja Indiens. Die Fotos dieser
Ausgabe zeigen Strukturen, mit denen der Mensch sich die Natur unterworfen hat.
ANTHROPOZÄN
Von Martin Held, Jörg Schindler und Klaus Mertens, Gesprächskreis Die Transformateure
Anthropozän – ein Begriff, der im vergangenen Jahr seinen Weg
aus der reinen Fachdiskussion in die Feuilletons geschafft hat.
Um was es dabei geht? Der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen hatte 2002 in einem Aufsatz im Fachmagazin Nature vorgeschlagen, dem bisherigen Zeitalter Holozän das Zeitalter Anthropozän folgen zu lassen. Der Einfluss des Menschen auf die
Entwicklung der Erde, so sein Argument, sei seit dem 19. Jahrhundert so stark gewachsen, dass es global die natürliche Variabilität übersteigt. Übereinstimmung besteht in der dadurch
angestoßenen Debatte darin, dass der Auslöser die industrielle Revolution war, die ihrerseits durch die Nutzung des fossilen
Energieträgers Kohle zusammen mit Eisen und Stahl samt den
dazugehörigen Techniken wie der Dampfmaschine und der Eisenbahn ermöglicht wurde.
Das Anthropozän begann also mit einer großen Transformation vergleichbar der vorangegangenen neolithischen
Revolution, mit der Ackerbau und Viehzucht in die Menschheitsgeschichte Einzug hielten. Die industrielle Revolution
war zugleich, wie der Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi sie
beschrieb, eine große Transformation bei der Herausbildung der
Marktgesellschaft. Der fossil geprägte Kapitalismus ist deren
Zwillingsschwester. Erdöl – zusätzlich zur Kohle – und etwas
zeitlich versetzt das Erdgas spielen eine grundlegende Rolle und
beschleunigten das Wachstum der Bevölkerung, des Wasserverbrauchs, des Einsatzes von Düngemitteln, dem Umschlagen
von Konsumgütern aller Art und des internationalen Tourismus.
Das Anthropozän nahm so richtig Fahrt auf, die Menschheit
war bei ihrer Veränderung der großen Stoffkreisläufe und des
Klimas enorm wirksam bis hin zu einem beschleunigten Verlust
an Biodiversität. Nun erleben wir gerade den Anfang vom Ende
der fossilen Welt, wie wir sie kennen – um einen Song der Rockband R.E.M. von 1987 zu zitieren: It’s the end of the world as we
know it. Das „Business as usual“ kommt an sein Ende.
In den 2010er Jahren beginnt damit die nächste große Transformation: von der fossil geprägten Nichtnachhaltigkeit hin zu
einer postfossilen nachhaltigen Entwicklung. Das ist zugleich
der Beginn der dritten Phase des Anthropozäns. Es gibt kein
einfaches Zurück in die präfossile, vorindustrielle Zeit. Es
handelt sich um einen radikalen Umbruch.
Oft wird gefragt: Wenn die strukturelle Nichtnachhaltigkeit wirksam wird, kommt dann der Umbruch nicht automatisch? Kurz gefasst: Das Bisherige kommt unvermeidlich an ein
Ende, aber wie sich der Übergang vollzieht, ob mehr oder weniger krisenhaft und konfliktreich, ist nicht ausgemacht. Es ist
die Herausforderung und Aufgabe, die anstehende große Transformation verträglich und gerecht zu gestalten. Dabei gilt: Die
ökologischen und sozialen Fragen gehören zusammen. Die
Beachtung der planetarischen Grenzen ist nicht einfach eine
Frage ökologischer Nachhaltigkeit, sondern auch die Voraussetzung für nachhaltiges Wirtschaften.
Diese anstehende große Transformation, die in Richtung
einer postfossilen nachhaltigen Entwicklung weist, braucht
Akteure. Dabei sind wir alle gefragt, und zwar in der Zivilgesellschaft, in Kirchen, Gewerkschaften, in der Wirtschaft und
Politik – individuell ebenso wie politisch-gesellschaftlich. Die
große Transformation braucht Transformateure.
AKTEURE
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EDITORIAL
3
Reisch, L. A.; Bietz, S.: Zeit
für Nachhaltigkeit – Zeiten der
Transformation. Mit Zeitpolitik gesellschaftliche Veränderungsprozesse steuern. Oekom,
München 2014
Zeit wird in diesem sehr guten
Buch als Rahmenbedingung zum
Verständnis der Transformationsprozesse vorgestellt und sodann als
Gestaltungsvariable der Zeitpolitik
in ihrer Inhalts- und Verfahrensdimension analysiert. Für die Umsetzung sind die vorgestellten temporalen Aspekte von Wohlfahrt und
Fortschritt, Ansätze in Kommunen sowie Konsumkompetenz interessant. Zeit und gutes Leben sind
ebenso Thema wie Zeitpolitik und
Demokratie. Im Anhang finden sich
ausgewählte Initiativen.
Engelhardt, M. (Hrsg.): Völlig
utopisch. 17 Beispiele einer besseren Welt. Pantheon, München, 2.
Auflage 2014
Oya in Buchform, so könnte man
dieses Buch umschreiben entsprechend dem Slogan der Zeitschrift
„Oya – anders denken, anders
leben“. In dem Band finden sich
Beispiele aus der Einen Welt, von
allen Kontinenten der Erde. Dabei
werden sehr unterschiedliche
Menschen, Lebensentwürfe und
Initiativen porträtiert. Das Vorwort
bringt die Stimmungslage der
Beiträge auf den Punkt: „Utopie ist
machbar, Herr Nachbar“. Zu ergänzen wäre nur noch die Frau Nachbarin.
www.oya-online.de
Sommer, B.; Welzer, H.: Transformationsdesign. Wege in eine
zukunftsfähige Moderne. Oekom,
München 2014
Moderne Gesellschaften sind
strukturell nicht-nachhaltig.
Ausgehend von diesem Befund
gehen die Autoren auf die notwendigen Transformationen zu einer
nachhaltigen Entwicklung ein.
Sie nennen das „Transformationsdesign“ und umschreiben es als
eine Art Heuristik für eine reduktive, zukunftsfähige Moderne. Sie
setzen sich mit anderen Transformationsvisionen auseinander und
führen Beispiele für Transformationsdesign im Sinne der Gestaltung von Reduktion aus. Konflikte
und die Verschiebungen von Macht
werden diskutiert.
Piketty, T.: Das Kapital im
21. Jahrhundert. C.H. Beck,
München 2014
Mit seinem modernen Klassiker
brachte Thomas Piketty die Frage
der Ungleichheit und ihrer destabilisierenden Wirkungen wieder
in die politische Debatte zurück.
Obwohl kein Buch über Transformation, ist es eines der wichtigsten Transformationsbücher unserer
Zeit: Es stellt die richtigen Fragen
zur Einkommens- und Vermögensverteilung und legt, empirisch gut fundiert, die Struktur der
fundamentalen, zerstörerischen
Ungleichheit frei. Gestaltung des
Sozialstaats, progressive Einkommensteuer, globale Kapitalsteuer
und Staatsschuldenfrage werden
diskutiert.
DIE TRANSFORMATEURE – AKTEURE
DER GROßEN TRANSFORMATION
Das fossile Zeitalter ist nicht nachhaltig. Notwendig ist eine Große Transformation in Richtung einer postfossilen,
nachhaltigen Entwicklung. Nun geht es
darum, diesen tiefgreifenden Übergang
mit seinen Strukturbrüchen verträglich
und gerecht zu gestalten. Dafür braucht
es in allen Bereichen Transformateure.
Es geht um die Änderung der Lebensstile ebenso wie um eine Änderung der
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
Der Gesprächskreis Die Transformateure
verbreitet diese Idee. Transformationstagungen und Transformations-Labs tragen
gleichermaßen zur Vernetzung bei.
www.transformateure.wordpress.com
Die Herausgeber (BUND, Deutsche Umweltstiftung, EuroNatur, FÖS, NaturFreunde und Die Transformateure)
und andere Akteure der Transformation stellen sich an dieser Stelle im Wechsel vor.
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VERANSTALTUNGEN
6. bis 8. Februar 2015:
Wochenendseminar "Transformation – Eine
beweg!gründe-Akademie", Naturfreundehaus Hannover,
www.naturfreundejugend.de
9. Februar 2015:
5. Alternativer Energiegipfel "Energiewende –
Erfolg ohne Ende!?", VKU-Forum, Berlin,
www.klima-allianz.de/energiegipfel
24. bis 28. März 2015:
Weltkongress "Weltsozialforum 2015 – Alternativen für
eine bessere Welt", El-Manar-Universität Tunis,
www.fsm2015.org
21. bis 23. Mai 2015:
Internationale Tagung "Good Life beyond Growth",
Universität Erfurt,
www.kolleg-postwachstum.de
weitere Termine:
www.movum.info/termine
Foto: Nick Reimer
Menschlicher Expansionsdrang Nicht einmal mehr die entlegensten Gebirge sind menschenleer
– hier der Weg zum 5.328 Meter hohen Pass Taglang La im Himalaja Indiens. Die Fotos dieser
Ausgabe zeigen Strukturen, mit denen der Mensch sich die Natur unterworfen hat.
ANTHROPOZÄN
Von Martin Held, Jörg Schindler und Klaus Mertens, Gesprächskreis Die Transformateure
Anthropozän – ein Begriff, der im vergangenen Jahr seinen Weg
aus der reinen Fachdiskussion in die Feuilletons geschafft hat.
Um was es dabei geht? Der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen hatte 2002 in einem Aufsatz im Fachmagazin Nature vorgeschlagen, dem bisherigen Zeitalter Holozän das Zeitalter Anthropozän folgen zu lassen. Der Einfluss des Menschen auf die
Entwicklung der Erde, so sein Argument, sei seit dem 19. Jahrhundert so stark gewachsen, dass es global die natürliche Variabilität übersteigt. Übereinstimmung besteht in der dadurch
angestoßenen Debatte darin, dass der Auslöser die industrielle Revolution war, die ihrerseits durch die Nutzung des fossilen
Energieträgers Kohle zusammen mit Eisen und Stahl samt den
dazugehörigen Techniken wie der Dampfmaschine und der Eisenbahn ermöglicht wurde.
Das Anthropozän begann also mit einer großen Transformation vergleichbar der vorangegangenen neolithischen
Revolution, mit der Ackerbau und Viehzucht in die Menschheitsgeschichte Einzug hielten. Die industrielle Revolution
war zugleich, wie der Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi sie
beschrieb, eine große Transformation bei der Herausbildung der
Marktgesellschaft. Der fossil geprägte Kapitalismus ist deren
Zwillingsschwester. Erdöl – zusätzlich zur Kohle – und etwas
zeitlich versetzt das Erdgas spielen eine grundlegende Rolle und
beschleunigten das Wachstum der Bevölkerung, des Wasserverbrauchs, des Einsatzes von Düngemitteln, dem Umschlagen
von Konsumgütern aller Art und des internationalen Tourismus.
Das Anthropozän nahm so richtig Fahrt auf, die Menschheit
war bei ihrer Veränderung der großen Stoffkreisläufe und des
Klimas enorm wirksam bis hin zu einem beschleunigten Verlust
an Biodiversität. Nun erleben wir gerade den Anfang vom Ende
der fossilen Welt, wie wir sie kennen – um einen Song der Rockband R.E.M. von 1987 zu zitieren: It’s the end of the world as we
know it. Das „Business as usual“ kommt an sein Ende.
In den 2010er Jahren beginnt damit die nächste große Transformation: von der fossil geprägten Nichtnachhaltigkeit hin zu
einer postfossilen nachhaltigen Entwicklung. Das ist zugleich
der Beginn der dritten Phase des Anthropozäns. Es gibt kein
einfaches Zurück in die präfossile, vorindustrielle Zeit. Es
handelt sich um einen radikalen Umbruch.
Oft wird gefragt: Wenn die strukturelle Nichtnachhaltigkeit wirksam wird, kommt dann der Umbruch nicht automatisch? Kurz gefasst: Das Bisherige kommt unvermeidlich an ein
Ende, aber wie sich der Übergang vollzieht, ob mehr oder weniger krisenhaft und konfliktreich, ist nicht ausgemacht. Es ist
die Herausforderung und Aufgabe, die anstehende große Transformation verträglich und gerecht zu gestalten. Dabei gilt: Die
ökologischen und sozialen Fragen gehören zusammen. Die
Beachtung der planetarischen Grenzen ist nicht einfach eine
Frage ökologischer Nachhaltigkeit, sondern auch die Voraussetzung für nachhaltiges Wirtschaften.
Diese anstehende große Transformation, die in Richtung
einer postfossilen nachhaltigen Entwicklung weist, braucht
Akteure. Dabei sind wir alle gefragt, und zwar in der Zivilgesellschaft, in Kirchen, Gewerkschaften, in der Wirtschaft und
Politik – individuell ebenso wie politisch-gesellschaftlich. Die
große Transformation braucht Transformateure.
THEORIE
4
THEORIE
DAS ZEITALTER DES
MENSCHEN
DIE ÖKONOMIE DES
ANTHROPOZÄNS
Te x t : M I C H A E L M Ü L L E R
Te x t : DA M I A N L U D E W I G
5
DIE ERDEPOCHE DES MENSCHEN
In der rund 4,5 Milliarden Jahre dauernden Erdgeschichte ist seit
der Erfindung der Dampfmaschine eine Wirtschafts- und Lebensform aufgekommen, die unseren Planeten grundlegend umkrempelt. Die Marktkräfte, die massenhafte Nutzung fossiler
Brennstoffe und der bedingungslose Glaube an den technischen
Fortschritt lösten eine bis dahin unvorstellbare Expansion und Beschleunigung wirtschaftlich-technischer Prozesse aus. Die Einwirkungen auf die Natur eskalierten vor allem in den letzten fünf
Jahrzehnten. Gleich ob Wasserkreislauf, fruchtbare Böden, natürliche Arten und Rohstoffe oder die Chemie und Dynamik der
Atmosphäre – bis Mitte des letzten Jahrhunderts wurde erst ein
Drittel der Schädigungen aus den letzten 500 Jahren registriert.
Die Evolution selbst wird in neue Bahnen gezwungen. Nur
RECHNUNG TRAGEN OHNE PREISE?
Allem Reden über Nachhaltigkeit zum Trotz – unsere Wirtschaft
ist in weiten Teilen immer noch organisiert, als spiele Natur keine
Rolle. Das fängt an mit unserer Wohlstandsmessung. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist naturvergessen. Wenn aber Naturkapital zerstört wird, um Wachstum zu generieren, dann bedeutet
das nicht unbedingt eine Steigerung des Wohlstands. Aber auch
ein alternativer Indikator zur Wohlstandsmessung – wie ihn die
Wachstumsenquete des Bundestages vorgeschlagen hat – ändert
vielleicht etwas am oft verengten Blick der Politik auf materielles Wachstum, aber erst einmal wenig am realen Wirtschaften.
Wir werden vermutlich den ökologischen Folgen unseres
Handelns erst dann Rechnung tragen, wenn diese auch den Verursachern in Rechnung gestellt werden. Doch heute sagen Preise
nicht die ökologische Wahrheit. Im Gegenteil, allein Deutschland
leistet sich Jahr für Jahr über 50 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen, die nicht nur den Wettbewerb verzerren und
den Staatshaushalt belasten, sondern auch noch klima- und energiepolitische Zielsetzungen der Bundesregierung blockieren.
Zudem funktioniert unser Steuersystem nach wie vor so, als sei
Arbeit das knappe Gut und natürliche Ressourcen seien in Hülle
und Fülle vorhanden. Der Staat finanziert sich zu über zwei Drittel aus Steuern und Abgaben auf Arbeit. Dagegen stammen gerade
einmal fünf Prozent der gesamten Staatseinnahmen aus Umweltsteuern. Das ist so viel wie zuletzt 1998 vor der Ökologischen
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natürliche Ressourcen verbraucht. Nicht nur bei
Erneuerbaren-, auch bei Effizienztechnologien: Die
Dämmung der Gebäude voranzubringen ist eine so
riesige Aufgabe, dass viele dabei nicht auch noch darauf
schauen mögen, womit eigentlich gedämmt wird. Doch
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künftigen Sondermüll an Hauswände zu kleben hat mit Kreism
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laufwirtschaft ebenfalls wenig zu tun.
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All dies macht deutlich: Mit der Natur zu rechnen heißt nicht
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mit Energie zu rechnen. Wir müssen den Verbrauch natürlicher
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Ressourcen insgesamt in den Blick nehmen. Umweltsteuern sind
heute in Deutschland ausschließlich Energiesteuern. Sie müssen
Steuerreform. Wir belasten also vor allem das, was wir fördern
dringend auf andere natürliche Ressourcen ausgeweitet werden.
wollen, und belasten kaum das, was wir vermeiden wollen. Unsere
Die Wirtschaft braucht ein klares Richtungssignal für ein nachSteuern steuern also in die falsche Richtung. Und diese Fehlsteuhaltiges Wirtschaften. Heute verweist die Politik immer wieder
darauf, dass Materialkosten in Deutschland bereits 40 Prozent der
erung verstärkt sich von alleine. Denn Umweltsteuern werden als
Mengensteuern automatisch durch die Inflation entwertet. Dies
Produktionskosten ausmachten. Doch das ist ein falsch verstanderückt auch die Diskussion um eine Pkw-Vignette in ein anderes
ner Indikator – er zeigt viel stärker den Grad der Arbeitsteilung
Licht: Eine Anpassung der Mineralölsteuer um nur einen Cent
als die Höhe der Ressourcenkosten, denn hierin sind auch Vorprowürde bereits mehr Geld einbringen als das vorgestellte Vignetdukte enthalten. Die tatsächlich zu zahlenden Ressourcenkosten
ten-Konzept – und gleichzeitig für wünschenswerte ökologisind dagegen bisher weitgehend zu vernachlässigen.
sche Lenkungseffekte sorgen. Dabei wurde die Mineralölsteuer
Zwar sind kurzfristig in den letzten Jahren durchaus immer
seit ihrer letzten Anhebung im Jahr 2003 real bereits um 14 Cent
wieder Preise für Ressourcen gestiegen – auf lange Sicht sind die
je Liter durch Inflation abgewertet. Gegen ein solches Ausmaß
Ressourcenpreise allerdings deutlich gefallen. Der Markt alleine
wird nicht die richtigen Preissignale setzen. Gründe dafür gibt
an makroökonomischer Fehlsteuerung werden ordnungspolitische Einzelmaßnahmen kaum ankommen. Und auch immer neue
es zahlreiche. So enthalten Marktpreise keine externen Kosten –
Subventionen für das ökologisch Erwünschte werden an die GrenUmweltschäden sind in diesen Preisen also nicht berücksichtigt.
zen des finanziell Machbaren stoßen. Der Abbau umweltschädliDabei kann gerade bei knapper werdenden Ressourcen die Fördecher Subventionen und die Korrektur des Steuer- und Abgabensysrung immer unökologischer werden: Ölbohrungen in der Tiefsee
tems haben dagegen den Vorteil, dass sie ökologisch sehr effektiv
und in der Arktis, Teersandgewinnung und Schiefergas-Fracking
und ökonomisch effizient sind, da sie Eingriffe in die Freiheit des
sind nur einige Beispiele dafür. Zudem treten künftige GeneratiEinzelnen minimieren, sozial gerecht gestaltet werden können und
onen auf heutigen Märkten nicht auf. Auch dies führt zu niedrigleichzeitig den Staat kein Geld kosten, sondern im Gegenteil seine
geren Marktpreisen, als auf lange Frist im Sinne eines generatiofinanziellen Gestaltungsspielräume sogar erhöhen. So können eine
nengerechten Ressourcenkonsums angemessen wären.
soziale Abfederung ökologischer Transformationsprozesse finanDIE GRENZEN MUSS DER STAAT SETZEN
ziert oder Steuern und Abgaben an anderer Stelle gesenkt werden.
Co
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nsere heutige Ökonomie ist eine
Ökonomie des Anthropozäns:
Wir greifen durch unser Wirtschaften in einem Ausmaß in die
Natur ein, dass unser Planet durch
uns mehr als durch alle anderen Einflüsse geprägt wird. Dies wird deutlich,
wenn man sich etwa vor Augen führt, dass in Deutschland nahezu 100 Prozent der Landschaft durch den Menschen und seine
ökonomischen Aktivitäten gestaltet sind: durch Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Bergbau, Industrie und Gewerbe, Siedlungen und Verkehr. Natur in ursprünglicher Form ist ein Phänomen,
das in Deutschland nicht existiert. Wenn wir von „Natur“ sprechen, meinen wir meist von Menschen gestaltete Parklandschaften, forstwirtschaftlich genutzte Wälder oder landwirtschaftliche
Flächen, nicht Wildnis.
Und obwohl unser Wirtschaften erkennbar große Auswirkungen auf unsere Erde hat, wirtschaften wir noch immer, als
hätten wir einen zweiten Planeten im Kofferraum. Dies wird
nirgendwo so deutlich, wie wenn man sich die physischen Stoffströme anschaut: Der Materialdurchsatz unserer Ökonomie endet
überwiegend als Abfall – physisch gesehen wirtschaften wir also
vor allem, um Müll zu produzieren. Von einer wirklichen Kreislaufwirtschaft sind wir weit entfernt.
Wir brauchen eine Ökonomie, die den Auswirkungen unseres
Handels auf die natürlichen Lebensgrundlagen Rechnung trägt,
eine Ökonomie für das Anthropozän.
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bis die letzten Zentner fossilen Brennstoffs verglüht
sind“. Der Wissenschaftsjournalist Christian Schwägerl beschreibt das so: „Der Mensch erschafft neue
Landschaften, greift in das Weltklima ein, leert die Meere, erzeugt neuartige Lebewesen. Aus der Umwelt wird die
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‚Menschenwelt’ – doch sie ist geprägt von Kurzsichtigkeit
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und Raubbau.“ Aber in der zusammenwachsenden Welt kann
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sich letztlich niemand den Folgen entziehen.
Statt Aufklärung und Verantwortung, Freiheit und Solidarität
triumphiert ein ökonomisches Wachstumsdenken, das eine noch
immer selbstgewiss demonstrierte Weltanschauung ist, die nur
noch 23 Prozent der eisfreien Landflächen können als natürlich
die Kurzfristigkeit des Augenblicks kennt. Das schädigt nicht
betrachtet werden. Es gibt Strände, an denen die feinen Körner
nur die Natur, sondern trifft bereits die ärmsten Regionen der
fast zur Hälfte aus Plastik bestehen. Das Aussterben von Tier- und
Welt, wo Wasserknappheit, Ernährungskrisen, Wüstenbildung
Pflanzenarten übertrifft hundert- bis tausendmal die natürliche
und Wetterextreme zunehmen – und nicht zuletzt MigrationsbeRate. Durch die Verbrennung von Gas, Kohle und Öl werden die
wegungen und soziale Konflikte. Die Folgen sind höchst ungleich
Senken überlastet. Der CO2-Ausstoß stieg in den letzten drei Jahrverteilt, zurück bleiben lange Zeit wenige Gewinner, aber immer
zehnten stärker, als selbst in pessimistischen Szenarien des Weltmehr Verlierer.
klimarates befürchtet wurde. Beim Einsatz von Stickstoff hat sich
nicht nur die Menge in kurzer Zeit verdoppelt, durch künstlichen
DIE NATUR VOR DEM MENSCHEN SCHÜTZEN
Dünger entstanden auch neuartige Isotope. Die SüßwasserreserLängst geht es nicht nur darum, den Menschen vor der Natur zu
ven der Erde werden knapp, Wüsten breiten sich aus.
Vor diesem Hintergrund haben im Jahr 2000 der Gewässerschützen, sondern die Natur (und dabei auch die Menschen) vor
wissenschaftler Eugene Stoermer und der Chemie-Nobelpreisden Menschen. Dieser Verantwortung werden wir nicht gerecht.
träger Paul Crutzen den Vorschlag gemacht, unsere Erdepoche
Nötig ist wie nie zuvor, die Ökologiebewegung zur ReformbeweAnthropozän zu nennen. Crutzen begründet das so: „Auf Grund
gung zu machen. Die Ökologie 2.0 ist die Verwirklichung einer
der anthropogenen CO2-Emissionen dürfte das Klima auf unseKultur des Bewahrens, einer sozialökologischen Transformation,
rem Planeten in den kommenden Jahrtausenden signifikant von
einer nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensform. Das Anthropoder natürlichen Entwicklung abweichen. Insofern scheint es mir
zän erfordert mehr als den schnellen Abschied vom fossilen Zeitalter. Es erfordert eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung,
angemessen, die gegenwärtige, vom Menschen geprägte geologische Epoche als ‚Anthropozän’ zu bezeichnen. Sie folgt auf das
die die ökologischen Grenzen des Wachstums als limitierenden
Holozän, jene warme Epoche, die sich über die letzten zwölftauFaktor ebenso anerkennt wie die absolute Entkopplung zwischen
send Jahre erstreckte.“ Die menschlichen Eingriffe werden „auf
Ressourcennutzung und Wachstum und das Ende der KurzfristigJahrtausende hinaus der maßgebliche ökologische Faktor“ sein,
keit, die heute die Ökonomie bestimmt. Statt den „Erwartungen
der die Kapazitäten der Natur untergräbt, sich selbst zu regulieren.
der Märkte“ zu folgen, brauchen wir eine Kultur der NachhaltigDie Geological Society of London, die älteste Vereinigung
keit und die Verbindung von sozialer und ökologischer Gerechihrer Art, die für die Periodisierung der Erdgeschichte zuständig
tigkeit: eben eine Ökologie 2.0.
Das Anthropozän ist jedoch kein Schicksal, sondern eine große
ist, wird dem Vorschlag Crutzens wahrscheinlich in diesem Jahr
folgen. Seit 2009 trägt die Internationale Stratigrafische KommisHerausforderung, die im ersten Schritt ein grundlegendes Umdension die Beweise zusammen. Angestoßen von Paul Crutzen, zählt
ken verlangt. Weg und Ziel des Umbaus ist es, die großen Leitdazu auch die Erfassung der planetarischen Belastungsgrenzen,
ideen der Moderne, Emanzipation, Freiheit und Gerechtigkeit, zu
die für das Überleben der Menschheit essenziell sind. Bei Klimastärken. Ein systematisches Schrumpfen bei fossilen Energien,
wandel, Stickstoffkreislauf und Artenverlust sind die Grenzen
knappen Rohstoffen und modularisiertem Konsum ist unabdingbereits überschritten.
bar. Die ökologischen Grenzen des Wachstums spitzen auch die
Verteilungsfrage zu – national, europäisch und global. Fortschritt
DAS ENDE DER WACHSTUMSIDEOLOGIE
kann nicht länger ein „Schneller, Höher, Weiter“ sein. Die Ökologie 2.0 ist die Chance, mehr Lebensqualität, Freiheit und GerechBevölkerungszuwachs, Energieverbrauch und Klimawandel betigkeit zu gewinnen – lokal, national und international.
schreiben das Trilemma des Wachstums: Seit 1967 verdoppelte
sich in nur 44 Jahren die Zahl der Menschen auf sieben Milliarden,
Michael Müller, ehemaliger Umweltstaatsseverdreifachte sich der Energieverbrauch, nahmen die Kohlendikretär (SPD), Bundesvorsitzender der Naturoxidemissionen um das Vierfache zu. Max Weber beschrieb in der
Freunde, Vorsitzender der Atommüllkom„Protestantischen Ethik“ den Kapitalismus als großes Triebwerk,
mission, Mitherausgeber von klimaretter.info
dessen Zwängen sich niemand entziehen kann, „wahrscheinlich
m
A
nthropozän ist ein schwieriges
Wort, in dem der Mensch und
die Geologie stecken. Es geht
um beides, vor allem um das kritische Wechselverhältnis zwischen
den menschlichen Aktivitäten und der
Tragfähigkeit des Planeten Erde. Anthropozän ist kein Modewort, um schnelle Aufmerksamkeit zu erregen. Es verlangt uns viel ab, denn die Einteilung der Erdgeschichte
in eine geologische Zeitskala ist nicht nur eine komplexe wissenschaftliche Aufgabe, sondern hat weit reichende Folgen für unser
Denken und Handeln. Auf dem Spiel steht nicht weniger als das
Überleben der Menschheit.
Anthropozän benennt einerseits den Menschen als Hauptverursacher des für das Ende der uns bekannten Erde, in der sich
in der zwischeneiszeitlichen Epoche der letzten 12.000 Jahre die
menschliche Zivilisation entwickeln konnte. Den Naturgewalten gleich ist der Mensch zum stärksten Treiber geoökologischer
Prozesse geworden. Obwohl die Umweltpolitik in den letzten
45 Jahren eine steile Karriere hingelegt hat, steuern wir scheinbar unaufhaltsam dem Kipppunkt entgegen. Aber Anthropozän
bedeutet auch, dass nur der Mensch den ökologischen Kollaps, der
ihn dann auch selbst treffen wird, verhindern kann. Die Herausforderung Anthropozän wird zu einem unvermeidlichen Wettstreit
zwischen analytischer Verzweiflung über den Zustand der Erde
und den utopischen Möglichkeiten einer Welt der Nachhaltigkeit,
Gleichheit und Demokratie, in der die ökologischen Grenzen des
Wachstums eingehalten und mehr soziale Gerechtigkeit verwirklicht werden. Einer Welt, die weder Mangel noch Überfluss kennt.
Das Anthropozän stellt daher die Frage nach der Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung, in der diese Ziele möglich werden. Das
muss vor dem Hintergrund der nachholenden Industrialisierung
großer Erdregionen mit mindestens zwei Milliarden Menschen
gesehen werden. Ohne eine sozialökologische Transformation
werden diese Entwicklungstrends negative Synergien auslösen,
die wir uns heute nicht einmal vorstellen können. Trotzdem soll
mit internationalen Freihandelsabkommen wie TTIP die nächste
Runde der Dummheit gestartet werden.
Menschlicher Größenwahn Weltweit ist ein Wettkampf um das höchste Haus, die beeindruckendste
Skyline entstanden. Hier: Brisbane in Australien.
Ta s
ic
Menschlicher Größenwahn Die Katastrophe
im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl
veränderte einen ganzen Landstrich.
KEINE ENERGIEWENDE OHNE RESSOURCENWENDE
Der größte Lichtblick ist dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die Energiewende. Doch auch hier nimmt die Dynamik
aufgrund eines einseitigen Blicks ab: Während es um die staatlichen Förderungen für erneuerbare Energien heiße Debatten gibt
und die Fördersätze deutlich reduziert wurden, wird die vielfältige Förderung konventioneller Energieträger kaum in den Blick
genommen. Dabei haben konventionelle Energieträger nicht nur
in der Vergangenheit deutlich stärker von staatlichen Fördermaßnahmen profitiert als erneuerbare Energieträger. Auch heute fördern wir noch in großem Umfang Energieproduktion mit Kohle
und Atomkraft – und das, obwohl wir doch aus diesen Technologien erklärtermaßen aussteigen wollen!
Allerdings wird ein einseitiges Schwarz-Weiß der Lage ebenfalls nicht gerecht. Slogans wie „Die Sonne schickt keine Rechnung“ vergessen die materielle Basis erneuerbarer Stromerzeugung. Auch hier greifen wir in die Natur ein, auch hier werden
Dabei gibt es auch jenseits umfassender Ressourcensteuern zahlreiche europäische Vorbilder für einzelne Problembereiche, zum
Beispiel die Stickstoffüberschussabgabe in den Niederlanden oder
Steuern auf Baustoffe wie Sand und Kies in Dänemark, Schweden und anderen Ländern. Daran kann und sollte Deutschland
anknüpfen. Denn eine Ökonomie für das Anthropozän muss die
Grenzen der ökologischen Belastbarkeit einhalten. Diese Grenzen muss der Staat setzen – sei es durch Steuern, Abgaben oder
Zertifikatssysteme. Das setzt eine grundlegende Neuausrichtung
der Finanzpolitik voraus, für die es politischen Mut und Durchsetzungsfähigkeit braucht. Doch eine solche Neuausrichtung ist
im wahrsten Sinne des Wortes notwendig.
Damian Ludewig, Geschäftsführer des
Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft
(FÖS) und Sprecher der Klima-Allianz
THEORIE
4
THEORIE
DAS ZEITALTER DES
MENSCHEN
DIE ÖKONOMIE DES
ANTHROPOZÄNS
Te x t : M I C H A E L M Ü L L E R
Te x t : DA M I A N L U D E W I G
5
DIE ERDEPOCHE DES MENSCHEN
In der rund 4,5 Milliarden Jahre dauernden Erdgeschichte ist seit
der Erfindung der Dampfmaschine eine Wirtschafts- und Lebensform aufgekommen, die unseren Planeten grundlegend umkrempelt. Die Marktkräfte, die massenhafte Nutzung fossiler
Brennstoffe und der bedingungslose Glaube an den technischen
Fortschritt lösten eine bis dahin unvorstellbare Expansion und Beschleunigung wirtschaftlich-technischer Prozesse aus. Die Einwirkungen auf die Natur eskalierten vor allem in den letzten fünf
Jahrzehnten. Gleich ob Wasserkreislauf, fruchtbare Böden, natürliche Arten und Rohstoffe oder die Chemie und Dynamik der
Atmosphäre – bis Mitte des letzten Jahrhunderts wurde erst ein
Drittel der Schädigungen aus den letzten 500 Jahren registriert.
Die Evolution selbst wird in neue Bahnen gezwungen. Nur
RECHNUNG TRAGEN OHNE PREISE?
Allem Reden über Nachhaltigkeit zum Trotz – unsere Wirtschaft
ist in weiten Teilen immer noch organisiert, als spiele Natur keine
Rolle. Das fängt an mit unserer Wohlstandsmessung. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist naturvergessen. Wenn aber Naturkapital zerstört wird, um Wachstum zu generieren, dann bedeutet
das nicht unbedingt eine Steigerung des Wohlstands. Aber auch
ein alternativer Indikator zur Wohlstandsmessung – wie ihn die
Wachstumsenquete des Bundestages vorgeschlagen hat – ändert
vielleicht etwas am oft verengten Blick der Politik auf materielles Wachstum, aber erst einmal wenig am realen Wirtschaften.
Wir werden vermutlich den ökologischen Folgen unseres
Handelns erst dann Rechnung tragen, wenn diese auch den Verursachern in Rechnung gestellt werden. Doch heute sagen Preise
nicht die ökologische Wahrheit. Im Gegenteil, allein Deutschland
leistet sich Jahr für Jahr über 50 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen, die nicht nur den Wettbewerb verzerren und
den Staatshaushalt belasten, sondern auch noch klima- und energiepolitische Zielsetzungen der Bundesregierung blockieren.
Zudem funktioniert unser Steuersystem nach wie vor so, als sei
Arbeit das knappe Gut und natürliche Ressourcen seien in Hülle
und Fülle vorhanden. Der Staat finanziert sich zu über zwei Drittel aus Steuern und Abgaben auf Arbeit. Dagegen stammen gerade
einmal fünf Prozent der gesamten Staatseinnahmen aus Umweltsteuern. Das ist so viel wie zuletzt 1998 vor der Ökologischen
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A
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natürliche Ressourcen verbraucht. Nicht nur bei
Erneuerbaren-, auch bei Effizienztechnologien: Die
Dämmung der Gebäude voranzubringen ist eine so
riesige Aufgabe, dass viele dabei nicht auch noch darauf
schauen mögen, womit eigentlich gedämmt wird. Doch
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künftigen Sondermüll an Hauswände zu kleben hat mit Kreism
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laufwirtschaft ebenfalls wenig zu tun.
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All dies macht deutlich: Mit der Natur zu rechnen heißt nicht
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nur
mit Energie zu rechnen. Wir müssen den Verbrauch natürlicher
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Ressourcen insgesamt in den Blick nehmen. Umweltsteuern sind
heute in Deutschland ausschließlich Energiesteuern. Sie müssen
Steuerreform. Wir belasten also vor allem das, was wir fördern
dringend auf andere natürliche Ressourcen ausgeweitet werden.
wollen, und belasten kaum das, was wir vermeiden wollen. Unsere
Die Wirtschaft braucht ein klares Richtungssignal für ein nachSteuern steuern also in die falsche Richtung. Und diese Fehlsteuhaltiges Wirtschaften. Heute verweist die Politik immer wieder
darauf, dass Materialkosten in Deutschland bereits 40 Prozent der
erung verstärkt sich von alleine. Denn Umweltsteuern werden als
Mengensteuern automatisch durch die Inflation entwertet. Dies
Produktionskosten ausmachten. Doch das ist ein falsch verstanderückt auch die Diskussion um eine Pkw-Vignette in ein anderes
ner Indikator – er zeigt viel stärker den Grad der Arbeitsteilung
Licht: Eine Anpassung der Mineralölsteuer um nur einen Cent
als die Höhe der Ressourcenkosten, denn hierin sind auch Vorprowürde bereits mehr Geld einbringen als das vorgestellte Vignetdukte enthalten. Die tatsächlich zu zahlenden Ressourcenkosten
ten-Konzept – und gleichzeitig für wünschenswerte ökologisind dagegen bisher weitgehend zu vernachlässigen.
sche Lenkungseffekte sorgen. Dabei wurde die Mineralölsteuer
Zwar sind kurzfristig in den letzten Jahren durchaus immer
seit ihrer letzten Anhebung im Jahr 2003 real bereits um 14 Cent
wieder Preise für Ressourcen gestiegen – auf lange Sicht sind die
je Liter durch Inflation abgewertet. Gegen ein solches Ausmaß
Ressourcenpreise allerdings deutlich gefallen. Der Markt alleine
wird nicht die richtigen Preissignale setzen. Gründe dafür gibt
an makroökonomischer Fehlsteuerung werden ordnungspolitische Einzelmaßnahmen kaum ankommen. Und auch immer neue
es zahlreiche. So enthalten Marktpreise keine externen Kosten –
Subventionen für das ökologisch Erwünschte werden an die GrenUmweltschäden sind in diesen Preisen also nicht berücksichtigt.
zen des finanziell Machbaren stoßen. Der Abbau umweltschädliDabei kann gerade bei knapper werdenden Ressourcen die Fördecher Subventionen und die Korrektur des Steuer- und Abgabensysrung immer unökologischer werden: Ölbohrungen in der Tiefsee
tems haben dagegen den Vorteil, dass sie ökologisch sehr effektiv
und in der Arktis, Teersandgewinnung und Schiefergas-Fracking
und ökonomisch effizient sind, da sie Eingriffe in die Freiheit des
sind nur einige Beispiele dafür. Zudem treten künftige GeneratiEinzelnen minimieren, sozial gerecht gestaltet werden können und
onen auf heutigen Märkten nicht auf. Auch dies führt zu niedrigleichzeitig den Staat kein Geld kosten, sondern im Gegenteil seine
geren Marktpreisen, als auf lange Frist im Sinne eines generatiofinanziellen Gestaltungsspielräume sogar erhöhen. So können eine
nengerechten Ressourcenkonsums angemessen wären.
soziale Abfederung ökologischer Transformationsprozesse finanDIE GRENZEN MUSS DER STAAT SETZEN
ziert oder Steuern und Abgaben an anderer Stelle gesenkt werden.
Co
U
nsere heutige Ökonomie ist eine
Ökonomie des Anthropozäns:
Wir greifen durch unser Wirtschaften in einem Ausmaß in die
Natur ein, dass unser Planet durch
uns mehr als durch alle anderen Einflüsse geprägt wird. Dies wird deutlich,
wenn man sich etwa vor Augen führt, dass in Deutschland nahezu 100 Prozent der Landschaft durch den Menschen und seine
ökonomischen Aktivitäten gestaltet sind: durch Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Bergbau, Industrie und Gewerbe, Siedlungen und Verkehr. Natur in ursprünglicher Form ist ein Phänomen,
das in Deutschland nicht existiert. Wenn wir von „Natur“ sprechen, meinen wir meist von Menschen gestaltete Parklandschaften, forstwirtschaftlich genutzte Wälder oder landwirtschaftliche
Flächen, nicht Wildnis.
Und obwohl unser Wirtschaften erkennbar große Auswirkungen auf unsere Erde hat, wirtschaften wir noch immer, als
hätten wir einen zweiten Planeten im Kofferraum. Dies wird
nirgendwo so deutlich, wie wenn man sich die physischen Stoffströme anschaut: Der Materialdurchsatz unserer Ökonomie endet
überwiegend als Abfall – physisch gesehen wirtschaften wir also
vor allem, um Müll zu produzieren. Von einer wirklichen Kreislaufwirtschaft sind wir weit entfernt.
Wir brauchen eine Ökonomie, die den Auswirkungen unseres
Handels auf die natürlichen Lebensgrundlagen Rechnung trägt,
eine Ökonomie für das Anthropozän.
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bis die letzten Zentner fossilen Brennstoffs verglüht
sind“. Der Wissenschaftsjournalist Christian Schwägerl beschreibt das so: „Der Mensch erschafft neue
Landschaften, greift in das Weltklima ein, leert die Meere, erzeugt neuartige Lebewesen. Aus der Umwelt wird die
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‚Menschenwelt’ – doch sie ist geprägt von Kurzsichtigkeit
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und Raubbau.“ Aber in der zusammenwachsenden Welt kann
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sich letztlich niemand den Folgen entziehen.
Statt Aufklärung und Verantwortung, Freiheit und Solidarität
triumphiert ein ökonomisches Wachstumsdenken, das eine noch
immer selbstgewiss demonstrierte Weltanschauung ist, die nur
noch 23 Prozent der eisfreien Landflächen können als natürlich
die Kurzfristigkeit des Augenblicks kennt. Das schädigt nicht
betrachtet werden. Es gibt Strände, an denen die feinen Körner
nur die Natur, sondern trifft bereits die ärmsten Regionen der
fast zur Hälfte aus Plastik bestehen. Das Aussterben von Tier- und
Welt, wo Wasserknappheit, Ernährungskrisen, Wüstenbildung
Pflanzenarten übertrifft hundert- bis tausendmal die natürliche
und Wetterextreme zunehmen – und nicht zuletzt MigrationsbeRate. Durch die Verbrennung von Gas, Kohle und Öl werden die
wegungen und soziale Konflikte. Die Folgen sind höchst ungleich
Senken überlastet. Der CO2-Ausstoß stieg in den letzten drei Jahrverteilt, zurück bleiben lange Zeit wenige Gewinner, aber immer
zehnten stärker, als selbst in pessimistischen Szenarien des Weltmehr Verlierer.
klimarates befürchtet wurde. Beim Einsatz von Stickstoff hat sich
nicht nur die Menge in kurzer Zeit verdoppelt, durch künstlichen
DIE NATUR VOR DEM MENSCHEN SCHÜTZEN
Dünger entstanden auch neuartige Isotope. Die SüßwasserreserLängst geht es nicht nur darum, den Menschen vor der Natur zu
ven der Erde werden knapp, Wüsten breiten sich aus.
Vor diesem Hintergrund haben im Jahr 2000 der Gewässerschützen, sondern die Natur (und dabei auch die Menschen) vor
wissenschaftler Eugene Stoermer und der Chemie-Nobelpreisden Menschen. Dieser Verantwortung werden wir nicht gerecht.
träger Paul Crutzen den Vorschlag gemacht, unsere Erdepoche
Nötig ist wie nie zuvor, die Ökologiebewegung zur ReformbeweAnthropozän zu nennen. Crutzen begründet das so: „Auf Grund
gung zu machen. Die Ökologie 2.0 ist die Verwirklichung einer
der anthropogenen CO2-Emissionen dürfte das Klima auf unseKultur des Bewahrens, einer sozialökologischen Transformation,
rem Planeten in den kommenden Jahrtausenden signifikant von
einer nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensform. Das Anthropoder natürlichen Entwicklung abweichen. Insofern scheint es mir
zän erfordert mehr als den schnellen Abschied vom fossilen Zeitalter. Es erfordert eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung,
angemessen, die gegenwärtige, vom Menschen geprägte geologische Epoche als ‚Anthropozän’ zu bezeichnen. Sie folgt auf das
die die ökologischen Grenzen des Wachstums als limitierenden
Holozän, jene warme Epoche, die sich über die letzten zwölftauFaktor ebenso anerkennt wie die absolute Entkopplung zwischen
send Jahre erstreckte.“ Die menschlichen Eingriffe werden „auf
Ressourcennutzung und Wachstum und das Ende der KurzfristigJahrtausende hinaus der maßgebliche ökologische Faktor“ sein,
keit, die heute die Ökonomie bestimmt. Statt den „Erwartungen
der die Kapazitäten der Natur untergräbt, sich selbst zu regulieren.
der Märkte“ zu folgen, brauchen wir eine Kultur der NachhaltigDie Geological Society of London, die älteste Vereinigung
keit und die Verbindung von sozialer und ökologischer Gerechihrer Art, die für die Periodisierung der Erdgeschichte zuständig
tigkeit: eben eine Ökologie 2.0.
Das Anthropozän ist jedoch kein Schicksal, sondern eine große
ist, wird dem Vorschlag Crutzens wahrscheinlich in diesem Jahr
folgen. Seit 2009 trägt die Internationale Stratigrafische KommisHerausforderung, die im ersten Schritt ein grundlegendes Umdension die Beweise zusammen. Angestoßen von Paul Crutzen, zählt
ken verlangt. Weg und Ziel des Umbaus ist es, die großen Leitdazu auch die Erfassung der planetarischen Belastungsgrenzen,
ideen der Moderne, Emanzipation, Freiheit und Gerechtigkeit, zu
die für das Überleben der Menschheit essenziell sind. Bei Klimastärken. Ein systematisches Schrumpfen bei fossilen Energien,
wandel, Stickstoffkreislauf und Artenverlust sind die Grenzen
knappen Rohstoffen und modularisiertem Konsum ist unabdingbereits überschritten.
bar. Die ökologischen Grenzen des Wachstums spitzen auch die
Verteilungsfrage zu – national, europäisch und global. Fortschritt
DAS ENDE DER WACHSTUMSIDEOLOGIE
kann nicht länger ein „Schneller, Höher, Weiter“ sein. Die Ökologie 2.0 ist die Chance, mehr Lebensqualität, Freiheit und GerechBevölkerungszuwachs, Energieverbrauch und Klimawandel betigkeit zu gewinnen – lokal, national und international.
schreiben das Trilemma des Wachstums: Seit 1967 verdoppelte
sich in nur 44 Jahren die Zahl der Menschen auf sieben Milliarden,
Michael Müller, ehemaliger Umweltstaatsseverdreifachte sich der Energieverbrauch, nahmen die Kohlendikretär (SPD), Bundesvorsitzender der Naturoxidemissionen um das Vierfache zu. Max Weber beschrieb in der
Freunde, Vorsitzender der Atommüllkom„Protestantischen Ethik“ den Kapitalismus als großes Triebwerk,
mission, Mitherausgeber von klimaretter.info
dessen Zwängen sich niemand entziehen kann, „wahrscheinlich
m
A
nthropozän ist ein schwieriges
Wort, in dem der Mensch und
die Geologie stecken. Es geht
um beides, vor allem um das kritische Wechselverhältnis zwischen
den menschlichen Aktivitäten und der
Tragfähigkeit des Planeten Erde. Anthropozän ist kein Modewort, um schnelle Aufmerksamkeit zu erregen. Es verlangt uns viel ab, denn die Einteilung der Erdgeschichte
in eine geologische Zeitskala ist nicht nur eine komplexe wissenschaftliche Aufgabe, sondern hat weit reichende Folgen für unser
Denken und Handeln. Auf dem Spiel steht nicht weniger als das
Überleben der Menschheit.
Anthropozän benennt einerseits den Menschen als Hauptverursacher des für das Ende der uns bekannten Erde, in der sich
in der zwischeneiszeitlichen Epoche der letzten 12.000 Jahre die
menschliche Zivilisation entwickeln konnte. Den Naturgewalten gleich ist der Mensch zum stärksten Treiber geoökologischer
Prozesse geworden. Obwohl die Umweltpolitik in den letzten
45 Jahren eine steile Karriere hingelegt hat, steuern wir scheinbar unaufhaltsam dem Kipppunkt entgegen. Aber Anthropozän
bedeutet auch, dass nur der Mensch den ökologischen Kollaps, der
ihn dann auch selbst treffen wird, verhindern kann. Die Herausforderung Anthropozän wird zu einem unvermeidlichen Wettstreit
zwischen analytischer Verzweiflung über den Zustand der Erde
und den utopischen Möglichkeiten einer Welt der Nachhaltigkeit,
Gleichheit und Demokratie, in der die ökologischen Grenzen des
Wachstums eingehalten und mehr soziale Gerechtigkeit verwirklicht werden. Einer Welt, die weder Mangel noch Überfluss kennt.
Das Anthropozän stellt daher die Frage nach der Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung, in der diese Ziele möglich werden. Das
muss vor dem Hintergrund der nachholenden Industrialisierung
großer Erdregionen mit mindestens zwei Milliarden Menschen
gesehen werden. Ohne eine sozialökologische Transformation
werden diese Entwicklungstrends negative Synergien auslösen,
die wir uns heute nicht einmal vorstellen können. Trotzdem soll
mit internationalen Freihandelsabkommen wie TTIP die nächste
Runde der Dummheit gestartet werden.
Menschlicher Größenwahn Weltweit ist ein Wettkampf um das höchste Haus, die beeindruckendste
Skyline entstanden. Hier: Brisbane in Australien.
Ta s
ic
Menschlicher Größenwahn Die Katastrophe
im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl
veränderte einen ganzen Landstrich.
KEINE ENERGIEWENDE OHNE RESSOURCENWENDE
Der größte Lichtblick ist dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die Energiewende. Doch auch hier nimmt die Dynamik
aufgrund eines einseitigen Blicks ab: Während es um die staatlichen Förderungen für erneuerbare Energien heiße Debatten gibt
und die Fördersätze deutlich reduziert wurden, wird die vielfältige Förderung konventioneller Energieträger kaum in den Blick
genommen. Dabei haben konventionelle Energieträger nicht nur
in der Vergangenheit deutlich stärker von staatlichen Fördermaßnahmen profitiert als erneuerbare Energieträger. Auch heute fördern wir noch in großem Umfang Energieproduktion mit Kohle
und Atomkraft – und das, obwohl wir doch aus diesen Technologien erklärtermaßen aussteigen wollen!
Allerdings wird ein einseitiges Schwarz-Weiß der Lage ebenfalls nicht gerecht. Slogans wie „Die Sonne schickt keine Rechnung“ vergessen die materielle Basis erneuerbarer Stromerzeugung. Auch hier greifen wir in die Natur ein, auch hier werden
Dabei gibt es auch jenseits umfassender Ressourcensteuern zahlreiche europäische Vorbilder für einzelne Problembereiche, zum
Beispiel die Stickstoffüberschussabgabe in den Niederlanden oder
Steuern auf Baustoffe wie Sand und Kies in Dänemark, Schweden und anderen Ländern. Daran kann und sollte Deutschland
anknüpfen. Denn eine Ökonomie für das Anthropozän muss die
Grenzen der ökologischen Belastbarkeit einhalten. Diese Grenzen muss der Staat setzen – sei es durch Steuern, Abgaben oder
Zertifikatssysteme. Das setzt eine grundlegende Neuausrichtung
der Finanzpolitik voraus, für die es politischen Mut und Durchsetzungsfähigkeit braucht. Doch eine solche Neuausrichtung ist
im wahrsten Sinne des Wortes notwendig.
Damian Ludewig, Geschäftsführer des
Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft
(FÖS) und Sprecher der Klima-Allianz
16
14
4,5 Mrd.
MOTORFAHRZEUGE
ÜBERDÜNGUNG
VON GEWÄSSERN
Stickstoffflüsse in
10 12
Mol/Jahr
4
10
3
8
2
6
430
800
380
600
5
10
0
Millionen Jahre vor heute
2050
2000
200
280
0
2050
20
2050
30
2000
40
1950
50
1900
60
1850
70
1800
80
1750
90
1950
400
330
0
1900
1000
2000
3,8 Mrd.
VOR
JAHREN
ÄLTESTE BEKANNTE GESTEINE
1850
2050
2000
1950
1900
1850
1200
480
10
Anzahl in Millionen
1400
1950
15
TELEFONE WELTWEIT
CO 2 -Konzentration in ppm
530
1900
20
ATMOSPHÄRE: CO2
200 Mio.
JAHREN
VOR
ZEITALTER DER DINOSAURIER
1800
25
0
1750
Stickstoff ist der wichtigste limitierende pflanzliche Nährstoff. Erst
die Evolution stickstoffbindender
Bakterien und Pilze stellte den
Pflanzen genügend organischen
Stickstoff zur massenhaften Verbreitung zur Verfügung.
30
1800
0
ORGANISMEN
DÜNGEN DEN BODEN
35
1
2
1750
40
Stickstofffixierung (Mt) im Boden
4
JAHREN
VOR
STICKSTOFFBINDUNG IM BODEN
1850
100 Mio.
STICKSTOFFBINDUNG IM BODEN
Entwicklung der Stickstofffixierung durch Organismen
Anzahl in Milliarden
5
12
VOR
JAHREN
ENTSTEHUNG DER ERDE
2050
2050
2000
1850
Die für 2050 angegebenen Werte
sind jeweils Prognosen.
1950
0
1900
800
1800
2050
2000
1800
1750
10
1800
200.000
JAHREN
VOR
HOMO SAPIENS ENTSTEHT
1150
1750
Konzeption: KAI N I EBERT
Gestaltung: KALISCHDESIGN.DE
GEGENWART
0
1950
10
20
2000
1500
1950
30
20
30
1900
1850
1850
40
1900
DIE ERDE IN DER MENSCHENZEIT
40
2200
50
1850
Erdzeiten werden nach den sie
prägenden Ereignissen benannt.
Die vielfältigen Veränderungen
der letzten 250 Jahre geben einen
Hinweis auf den Organismus, der
die Erde prägt: Wir Menschen.
Dämme in Tausend
1800
60
1750
DAS ANTHROPOZÄN
In % der gesamten Landfläche
DIE MENSCHENZEIT
STAUUNG VON FLÜSSEN
ATMOSPHÄRE: CH4
CH 4 -Konzentration in ppb
2550
1750
VOM MENSCHEN
GENUTZTE LANDFLÄCHE
500 Mio.
VOR
JAHREN
ERSTE LANDPFLANZEN BREITEN SICH AUS
WELTBEVÖLKERUNG
ATMOSPHÄRE: N2O
BODENVERWITTERUNG DURCH LANDPFLANZEN
380
Verwitterung von Gesteinen durch Landpflanzen
N 2 O-Konzentration in ppb
8
355
relative Zunahme der Verwitterung
Menschen in Milliarden
10
6
330
4
305
150
100
50
0
2050
2000
1950
1900
1850
1800
1750
2050
2000
1950
1900
1850
120
200
100
150
60
100
2050
2000
1950
1900
0
1850
1750
0
1800
50
20
1750
0,7 Mrd.
Entwicklung der Sauerstoffkonzentration
in den letzten 2,3 Mrd. Jahren
80
40
JAHREN
VOR
ERSTE ALGEN UND WEICHTIERE ENTSTEHEN
SAUERSTOFFANTEIL IN DER ATMOSPHÄRE
40
In US-Dollar
250
2050
200
2000
250
Millionen Jahre vor heute
1950
300
Überfischte Gebiete in %
1900
350
WELTWEITES BIP
ÜBERFISCHUNG
140
1850
400
3,2 Mrd.
0
JAHREN
VOR
ERSTE EINZELLER ENTSTEHEN
1800
450
1750
280
Erst durch Verwitterung der Böden
wird aus grobem Fels fruchtbarer
Boden für Pflanzen. Mit ihren
Wurzeln beschleunigen Pflanzen
den Verwitterungsprozess und
bereiteten so vor 500 Mio. Jahren
die Grundlage für ihre eigene
Ausbreitung.
2
1800
WIE DER BODEN
FRUCHTBAR WURDE
LEGENDE:
KLIMAWANDEL
STICKSTOFF IM BODEN
WASSERVERBRAUCH
LANDWIRTSCHAFT
OZEANVERSAUERUNG
CHEMISCHE
UMWELTVERSCHMUTZUNG
PHOSPHOR IM BODEN
ARTENSTERBEN
50
OZONABBAU
DIE PLANETARISCHEN
GRENZEN DER ERDE
Die Veränderungen des Erdsystems durch den Menschen haben ein
Ausmaß erreicht, bei dem plötzliche Veränderungen der Umwelt immer häufiger auftreten. Um weiterhin sicher leben zu können, muss
der Mensch innerhalb kritischer und fester Grenzen der Umwelt wirtschaften. Neun dieser Grenzen wurden identifiziert, mehrere sind bereits überschritten – und bei manchen wird noch analysiert, wie viel
zu viel ist. Sicher ist jedoch: Ein Überschreiten der Grenzen macht
die Welt unsicherer.
gefährlich
kritisch
natürlich
0
CO 2 -KONZENTRATION
HEUTE 400 ppm
STICKSTOFFDÜNGUNG DER BÖDEN
121 Mio. TONNEN/JAHR
SÜSSWASSERVERBRAUCH
2.600 km 3 /JAHR
12 % DER LANDFLÄCHE WERDEN
LANDWIRTSCHAFTLICH GENUTZT
CARBONAT IM OBERFLÄCHENWASSER
2,9 OMEGA-EINHEITEN
BELASTUNGSGRENZE
NOCH UNBESTIMMT
PHOSPHATDÜNGUNG DER BÖDEN
9,5 Mio. TONNEN/JAHR
AUSSTERBERATE
> 100 Mio. ARTEN PRO JAHR
OZON IN DER STRATOSPHÄRE
283 DOBSON-EINHEITEN
Quellenverzeichnis:
Schlesinger, W. H. (1997). Biogeochemistry: An Analysis of Global Change. New York: Academic Press.
Steffen, W., Sanderson, R. A., Tyson, P. D., Jäger, J., Matson, P. A., Moore, B., III, et al. (2005). Global
Change and the Earth System. Berlin/Heidelberg: Springer Science & Business Media. || Ehlers, E.,
Moss, C., & Krafft, T. (2006). Earth System Science in the Anthropocene. Berlin/Heidelberg: Springer.
doi:10.1007/b137853. Rockström, J., Steffen, W., Noone, K., Persson, Å., & Chapin, F. S. (2009). A safe
operating space for humanity. Nature, 461, 471–475.
Foto: globaia.org
0
2050
Millionen Jahre vor heute
0
2000
0
1950
200
1900
400
1850
600
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800
150
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50
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100
40
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1900
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350
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200
Nährstoffe in Millionen Tonnen
300
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2200
80
2050
0
400
60
2000
5
2,3 Mrd.
VOR
JAHREN
CYANOBAKTERIEN LASSEN SAUERSTOFFKONZENTRATION STEIGEN
Noch nie hat ein Lebewesen
das Gesicht des Planeten Erde in so
kurzer Zeit so grundlegend verändert.
Mit der Industrialisierung ist der Mensch eine
geologische Kraft geworden. Die dramatischsten Veränderungen hat es seit 1950 gegeben; seitdem zeigen alle
Verän derungskurven steil nach oben. Eine neue Epoche
hat begonnen: Das Anthropozän – die Menschenzeit.
Ausgestorbene Arten in Tausend
200
1950
10
250
im Vergleich zum Jahr 1700 in %
1900
15
120
DÜNGEREINSATZ
ARTENSTERBEN
100
1850
Die Cyanobakterien waren es, die
vor mehr als 2,7 Mrd. Jahren die
Fotosynthese erfanden und mit der
Sauerstoffproduktion begannen.
Vor 2,3 Mrd. Jahren nahm die Menge
an atmosphärischem O 2 zu. Diese
Sauerstoffrevolution hatte einen
enormen Einfluss auf die Evolution
der Organismen.
20
ZERSTÖRTE
WÄLDER & REGENWÄLDER
1750
DIE
SAUERSTOFFREVOLUTION
25
1800
30
1750
Sauerstoff (Vol.-%)
35
PRAXIS
„TRÄGHEIT UND IGNORANZ“
Das Anthropozän findet zu wenig Beachtung, findet der Nobelpreisträger Paul Crutzen.
I n t e r vi e w: M IC H A E L M Ü L L E R
PRAXIS
Stickstoffeintrag und Artensterben sind die Belastungsgrenzen
überschritten.
DIE SPÄTE RACHE DES TOTEN MEERES
Viele Fakten sind bekannt. Wie erklären Sie sich den Widerspruch zwischen Wissen und Handeln?
Es stimmt, gerade beim Klimawandel wissen wir seit Langem
genug. Die Kenntnisse haben sich verdichtet, dennoch steigen die
Treibhausgase weiter an, die CO2-Emissionen haben sich in dieser
Zeit mehr als verdoppelt. Der Gedanke vom Anthropozän fordert
uns heraus, weil er so ernsthaft ist.
Das Sterben des Salzsees zwischen Jordanien, der Westbank und Israel ist eine menschengemachte Katastrophe mit schweren politischen Folgen.
Te x t: S U SA N N E G Ö T Z E
A
m tiefsten natürlichen Punkt
der Erdoberfläche spielt sich
gerade ein Drama ab. Rund
420 Meter unter dem Meeresspiegel geht die Küstenlinie des Toten Meeres jedes Jahr um durchschnittlich
1,5 Meter zurück. Bis vor einigen Jahren hat das
noch niemand gestört. Doch mittlerweile weiß
man, dass ein 600 Quadratkilometer großer See
nicht einfach so spurlos verschwindet. Allerdings
kommt die Einsicht möglicherweise zu spät.
Seit den 1960er Jahren führt das Aufstauen
des Sees Genezareth und des jordanischen Flusses Jarmuk zum Versiegen des schon in der Bibel
als heilig beschriebenen Jordan. Israel und Jordanien nutzen immer größere Wassermengen zur
Bewässerung und zur Trinkwasserversorgung.
Dabei wird nicht gerade sparsam mit dem kostbaren Nass umgegangen. Heute führt der untere
Jordan nur noch über zehn Prozent seiner einstigen Wassermenge.
Der Jordan ist aber der einzige Zufluss des
Toten Meeres. Je weniger Wasser er führt, desto
schneller schreitet die Austrocknung des Sees
voran. Alle klimatischen und geologischen
Effekte verstärken sich mittlerweile gegenseitig. „Das größte Problem ist die Zunahme
der Verdunstung durch verstärkte Windzirkulationen, die vom Mittelmeer herüberwehen“, erklärt Norbert Kalthoff vom Karlsruher
Foto: Nick Reimer
Im Dezember fand in Lima die jährliche UN-Klimakonferenz
statt, zum 20. Mal.
Das Ergebnis war erneut unbefriedigend und blieb weit hinter
dem Notwendigen zurück. Deutschland müsste eine Vorreiterrolle
übernehmen, noch besser die Europäische Union. Das wäre gut,
Europa könnte stolz darauf sein. Stattdessen nimmt der Widerstand gegen Klimaschutz zu – durch Trägheit, Ignoranz und natürlich durch wirtschaftliche Interessen.
Menschlicher Verwertungswahn Wo einst der Regenwald Borneos Landschaft beherrschte, reiht sich heute Palmölplantage an Palmölplantage.
Im Jahr 2000 haben Sie vorgeschlagen, die heutige Erdepoche
Anthropozän zu nennen. Was ist Ihr Fazit heute, 15 Jahre später?
Ich habe Zweifel, ob wir schon bereit sind, das Anthropozän als
geoökologischen Fakt anzuerkennen. Die Debatte findet meist
nur unter Naturwissenschaftlern statt, in der Politik, auch bei den
Sozial- und Geisteswissenschaftlern ist noch viel zu tun.
Was verstehen Sie unter Anthropozän?
Am Anfang fand der Begriff wenig Beachtung, obwohl er aktuell
und schlüssig ist. Das änderte sich Ende des letzten Jahrzehnts,
weil die Fakten bei den globalen Umweltgefahren nicht zu leugnen
sind. Das Anthropozän beschreibt die Schuld des Menschen an den
ökologischen Gefahren für die Erde. Das verlangt uns eine neue
Qualität von Verantwortung ab. Aber für die meisten ist Anthropozän etwas Unbekanntes, Fremdes.
Warum greift die Politik, die ständig über die Herausforderungen
der Globalisierung redet, diese Debatte nicht auf? Ist sie überfordert, nicht auf der Höhe der Zeit oder hat sie zu wenig
Verbindung zur Wissenschaft?
Es ist eine Kombination von allem, das muss man leider sagen.
Bei der UNO wurde das Anthropozän zwar aufgegriffen, aber
nicht systematisch.
Was war für Sie der Auslöser für den Vorschlag? Der Klimawandel – und was noch?
Natürlich war es der Klimawandel, aber auch allgemein der Einfluss
des Menschen auf die Umwelt. Mir geht es um das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren, die auf den Menschen zurückgehen. Darauf baut auch die Kommission von Johan Rockström zu
den sogenannten planetarischen Grenzen auf. Bei Klimawandel,
Gibt es Versäumnisse der Wissenschaft? Was muss sie tun, um
mehr in die Gesellschaft hineinzuwirken?
Wir brauchen eine engere Zusammenarbeit zwischen Natur- und
Sozialwissenschaften. Die Sozialwissenschaft muss sich für naturwissenschaftliche Fragen stärker öffnen und auch umgekehrt.
Wenn die Ökonomie dominiert und das Bevölkerungswachstum
als Bedrohung mit den anderen Problemen in einen Topf geworfen wird, kommen wir nicht voran. Dabei kann die Ökologie zum
Schlüssel für die Lösung vieler Probleme werden. Sie erfordert
nämlich längerfristig zu denken, Kreisläufe aufzubauen, ein
Gleichgewicht zu schaffen. Ökologie bedeutet, verantwortungsvoll
mit der Erde umgehen. Es wäre gut, wenn die Wissenschaft ihre
Kompetenz für eine ökologische Gesellschaftsordnung einsetzt.
Was halten Sie von technischen Lösungen wie CCS oder
Fracking?
Das ist wieder eine Sache, bei der der Mensch das tut, was er nicht
machen sollte. Für einen kurzzeitigen Vorteil werden die Probleme letztlich verstärkt. Wenn dann noch der Ölpreis sinkt, sind
alle erst mal beruhigt. Unverbesserlich und falsch.
Paul J. Crutzen, Chemie-Nobelpreisträger,
Atmosphärenforscher, ehemaliger Direktor
des Max-Planck-Instituts
Institut für Technologie (KIT), das in Masada
zwischen Nord- und Südteil des Toten Meeres
eine Messstation betreibt. Auch der Klimawandel verstärke durch weniger Niederschlag und
höhere Temperaturen diese Entwicklung.
Gleichzeitig beklagen die Anwohner der
Region seit einigen Jahren, dass Jahrhunderte
alte Wasserquellen nach und nach versiegen. Ein
Forscherteam vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) fand heraus,
dass diese ohnehin knappen Grundwasserressourcen durch den Rückgang des Toten Meeres
akut gefährdet sind. Das lebenswichtige Nass
aus den natürlichen Speichern der Umgebung
fließt mittlerweile mit enormer Geschwindigkeit
direkt ins Tote Meer – und wird damit unbrauchbar. Der Rückgang des Wasserspiegels wirkt auf
die Grundwasseraquifere wie ein Stöpsel, den
man aus einer Badewanne gezogen hat.
SUBMARINE QUELLEN IM SALZIGEN SEE
Der Hydrologe Christian Siebert forscht seit
zehn Jahren zu den Wasserläufen rund ums Tote
Meer und erklärt das Phänomen des auslaufenden
Grundwassers so: Der Regen an der israelischen
Seite des Sees geht auf das Judäische Bergland
nieder und gelangt dann in die Grundwasseraquifere. Dort kommt von den wenigen Niederschlägen allerdings kaum etwas an, der Großteil des
Regens verdunstet sofort. Ist der restliche Regen
Menschlicher Entdeckungsdrang Nicht einmal die unwirtlichsten Gegenden – hier die Wüste in Katar – blieben verschont.
im Grundwasseraquifer angekommen, fließt das
kostbare Nass ganz der Schwerkraft folgend weiter nach unten – Richtung Totes Meer. „Das einstige Grundwasser tritt heute in Form submariner
Quellen in den salzhaltigen See ein“, sagt Siebert. Wie viele Kubikmeter Wasser pro Jahr so
unbrauchbar werden und wie schnell die Vorkommen tatsächlich an ihr Ende kommen, können die Forscher noch nicht genau beziffern.
Während die Brunnen am Toten Meer noch
vor 20 Jahren die größte Oase Israels begrünten und Felder bewässerten, muss man sich nun
Von Los Angeles über Berlin nach Shanghai – mit Installationen, Interviews und Fotografien hinterfragen Künstler die Denkweisen des Anthropozäns.
Te x t: SA N D R A K I RC H N E R
Wie Bewohner mit Gemeinschaftsgärten und offenen Werkstätten ein neues
soziales Modell der Stadt entwickeln – selbstorganisiert und eigeninitiativ.
GEMEINSAMES TÜFTELN IM FABLAB ZÜRICH
Genau das wollen auch Yves Ebnöther und seine
Mitstreiter in der Schweiz. Sie haben das FabLab
Zürich gegründet. Eine gemeinnützige offene
Werkstatt, die Produktionsmittel und Beratung
für Menschen zur Verfügung stellt, die ihre Ideen verwirklichen möchten, denen es dazu aber
an Geld, Geräten oder Know-how fehlt. Im Fablab in der Zürcher Zimmerlistrasse produzieren junge Architekten und Designer Modelle,
Schüler färben selbst entwickelte Handyhüllen,
Pensionäre bauen 3-D-Drucker, Lehrer bereiten
Menschlicher Erfindergeist Die Wüste der Vereinigten Arabischen Emirate wird bewässert, um Landwirtschaft zu betreiben.
Workshops vor – und das alles oft gleichzeitig
und scheinbar wild durcheinander in einem gerade mal 125 Quadratmeter großen Raum. Man
sieht sich gegenseitig über die Schulter, hilft
sich, tüftelt plötzlich mit an einem ganz anderen
Projekt und freut sich gemeinsam über Erfolge.
Gemeinnützige Bildungsprojekte partizipieren
hier von kommerziellen Produktentwicklungen
– und umgekehrt.
Hinter dem Begriff FabLab steht ein Wortspiel: wörtlich steht er für fabrication laboratory – Fabrikations-Labor, er bedeutet aber auch
fabulous laboratory, also ein fabulöses Laboratorium. Die Idee wurde ursprünglich am Massachusetts Institute of Technology (MIT) von Neil
Gershenfeld entwickelt. Das erste FabLab startete dort im Jahr 2002. Weltweit gibt es bereits
über 250 FabLabs, etwa 30 in Deutschland.
Urban Gardening und Fab Labs, zwei Bewegungen, die verschiedener nicht sein könnten. Zwei
Bewegungen, die aber eine ähnliche Philosophie verfolgen: Hier sind Stadtbewohner dabei,
selbstorganisiert und eigeninitiativ nach lokalen,
urbanen Lösungen für die Probleme der kapitalistischen Wachstumsgesellschaft zu suchen – an
die sie nicht mehr glauben.
Sie tun dies gemeinsam, sie tun dies im urbanen
Kontext, sie tun dies mit viel Freude an Kreativität, Kollektivität und im bewussten Widerspruch
zu marktgesteuertem Denken und Handeln.
Sind dies Keimzellen einer „Transformation
der Urbanität“? Sie könnten es sein – in jedem
Fall aber sind es Bewegungen, die immer mehr
vor allem junge Menschen ansprechen.
Foto: Nick Reimer
D
Foto: Nick Reimer
Te x t: J Ö RG S O M M E R
die Projekte des von ihr gegründeten Vereins
übersteigt.
Urban Gardening heißt die Bewegung, die
in Paris, Berlin und anderen Großstädten weltweit immer weitere Anhänger gewinnt. Ob es
vier Quadratmeter auf einem wackeligen Boot
inmitten der französischen Hauptstadt sind,
große Spekulationsbrachen in Berlin-Friedrichshain oder ehemalige Parkplätze in Barcelona,
ob kleine Initiativen oder große Gruppen – stets
geht es um mehr als nur um günstige Lebensmittel. Selbst machen, selbst gestalten, selbst
bestimmen – es geht um neue Formen des urbanen Wirtschaftens.
mit künstlichen Pumpsystemen behelfen. Bald
könnten die Wasserspeicher ganz leer laufen –
das wäre für die rund zwei Millionen Menschen
in der Westbank in der politisch angespannten Lage eine sehr schlechte Nachricht. Denn
die Wasservorkommen der Region sind schon
seit Jahrzehnten der Zankapfel zwischen Israelis, Palästinensern und Jordaniern. „Lange Zeit
hat man sich über das Austrocknen des Toten
Meeres keine Gedanken gemacht“, sagt Christian Siebert, „nun stehen wir vor großen Problemen, die Mensch und Umwelt bedrohen.“
VERBORGENE ERDSCHICHTEN DEUTEN
DIE STADT WIEDER
FÜR DIE MENSCHEN
ENTDECKEN
ie frischesten Tomaten
von ganz Paris wachsen
auf der Seine. Die „Peniche India Tango“ liegt fest
am Kai vertäut, nur wenige Schritte vom Louvre im
Herzen der französischen
Großstadt. Hanh Hà lebt hier gemeinsam mit ihrem Partner, dem französischen Umweltaktivisten und Fernsehmoderator Gérard Feldzer. Hanh
ist Gründerin und Vorsitzende von Zebunet, einer Mikrokreditinitiative, die in Vietnam, Madagaskar und anderen Ländern Zebus, Schweine
Hühner und Ziegen für Kleinbauern finanziert.
Stundenlang haben wir unter Deck in der gemütlichen Kombüse über ihre Organisation und ihre
Pläne gesprochen, aber bevor es dunkel wird,
möchte Hanh mir unbedingt noch etwas zeigen.
Sie führt mich auf das schmale Dach des Steuerhauses. Ein großes Ausflugsboot zieht vorbei,
das Hausboot schwankt mächtig. Kurz habe ich
Sorge, ins Wasser zu stürzen, doch dann stehen
wir oben – inmitten eines winzigen, über und
über quellenden Gartens.
Ich sehe Tomaten, Zucchini, Auberginen,
Beeren, sogar ein munter schwirrendes Bienenvolk – und ich sehe ein Leuchten in den Augen
der Gärtnerin, das selbst ihre Begeisterung für
9
Foto: Nick Reimer
8
Menschliches Zusammenleben Rangsit im Norden Bangkoks: Aus den einstigen Dörfern wurden binnen weniger Jahre „Desakotas“ – indonesisch für „Stadtdörfer“.
F
elsbrocken, weite Wüstenlandschaften, monotone
Bebauung. Dazwischen immer wieder Bilder von
zerklüftetem Gestein und Rissen in Beton, allesamt entstanden in Kalifornien. In der audiovisuellen Installation „Medium Earth“, die im vergangenen Jahr in Los Angeles und Berlin zu sehen war,
versuchte das Künstlerduo Otolith Group die verborgenen Erdschichten unter der Oberfläche optisch zu deuten.
Doch das Londoner Kollektiv geht über die Ästhetisierung der
Gesteinsformationen hinaus.
„Spätestens im 21. Jahrhundert setzt die Geologisierung
der Gesellschaft ein“, sagt Kodwo Eshun, Mitglied der Otolith
Group. Seither entfaltet der Mensch Mächte, die stärker sind als
die Erdkräfte der vergangenen Zeitalter. Mittlerweile bewegen
Menschen weitaus mehr Sedimente, als alle Flüsse der Welt transportieren: ein gewaltiger Eingriff in die geologischen Prozesse auf
der Erde. Der Mensch beeinflusst sogar das Klima, indem er die
fossilen Ressourcen verbrennt. Mit dramatischen Folgen: Die Gletscher an den Polkappen schmelzen, der Meeresspiegel steigt, die
Ozeane versauern. Kein anderes Lebewesen hat die Erde und ihre
Hülle stärker verändert als Homo sapiens. Die meisten Folgen und
Begleiterscheinungen dieser Entwicklung sind noch unbekannt.
Der Berliner Kurator im Haus der Kulturen der Welt, Anselm
Franke, glaubt, dass der Mensch mit den herkömmlichen Methoden
der Natur- und Geisteswissenschaften die Herausforderungen des
Anthropozäns nicht bewältigen kann. Gemeinsam mit dem Fotografen Armin Linke, den Architekten John Palmesino und AnnSofi Rönnskog reiste er zwei Jahre um die Welt, um an die 50
Institutionen wie das Deutschen Klimarechenzentrum, die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, die Energiebörse ICE
Futures oder das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zu
besuchen. Entstanden sind unterschiedlich lange Interviews mit
Vertretern der Organisationen, die in Filmschleifen aneinandergereiht und auf mehreren Leinwänden gezeigt wurden. "Wir wollten die Frage aufwerfen, ob wir die richtigen Institutionen haben,
um dem Klimawandel zu begegnen", sagt Franke über das Anthropocene Observatory.
Beim Betrachten wird dem Besucher vor allem die Vereinzelung der Disziplinen deutlich: Ein Nebeneinander von Akteuren,
das den Klimawandel in all seinen Ausmaßen weder fassen noch
ihm entgegenwirken kann. Zwar wird immer mehr Wissen über
das Klima und die Erde angehäuft, doch die fossilen Ressourcen
werden trotzdem weiter ausgebeutet.
Was folgt daraus? Der Mensch muss seine Konzepte über die
Welt, über Natur und Kultur auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragen.
Dabei kann Kunst helfen, tradierte Weltbilder und Denkmuster
ins Wanken zu bringen und Transformationsprozesse anzustoßen.
Antworten vermag zwar auch die Kunst allein nicht zu liefern,
aber sie kann den gesellschaftlichen Diskurs mit ungewöhnlichen
Zugängen bereichern.
Derzeit ist Franke, der als Kurator allgemeine Fragen anders
beantworten will, mitverantwortlich für die Shanghai-Biennale, die noch bis Ende März läuft. Eingeladen ist der Künstler
Adam Avikainen, den Franke schon aus Berlin kennt. In Shanghai zeigt Avikainen japanische Strohpuppen, die ihren ursprünglichen kultischen Zweck nicht mehr erfüllen. Stattdessen sollen
die menschenähnlichen Puppen nun die Abwesenheit der jungen
Generation symbolisieren. Während ganze Landstriche verwaisen, werden andere Regionen von riesigen Städten zerfurcht oder
für die Produktion unserer Waren ausgebeutet. Um diese Prozesse
zu beurteilen und sie zu gestalten, brauchen wir unterschiedliche
Akteure und frische Sichtweisen.
www.shanghaibiennale.org
PRAXIS
„TRÄGHEIT UND IGNORANZ“
Das Anthropozän findet zu wenig Beachtung, findet der Nobelpreisträger Paul Crutzen.
I n t e r vi e w: M IC H A E L M Ü L L E R
PRAXIS
Stickstoffeintrag und Artensterben sind die Belastungsgrenzen
überschritten.
DIE SPÄTE RACHE DES TOTEN MEERES
Viele Fakten sind bekannt. Wie erklären Sie sich den Widerspruch zwischen Wissen und Handeln?
Es stimmt, gerade beim Klimawandel wissen wir seit Langem
genug. Die Kenntnisse haben sich verdichtet, dennoch steigen die
Treibhausgase weiter an, die CO2-Emissionen haben sich in dieser
Zeit mehr als verdoppelt. Der Gedanke vom Anthropozän fordert
uns heraus, weil er so ernsthaft ist.
Das Sterben des Salzsees zwischen Jordanien, der Westbank und Israel ist eine menschengemachte Katastrophe mit schweren politischen Folgen.
Te x t: S U SA N N E G Ö T Z E
A
m tiefsten natürlichen Punkt
der Erdoberfläche spielt sich
gerade ein Drama ab. Rund
420 Meter unter dem Meeresspiegel geht die Küstenlinie des Toten Meeres jedes Jahr um durchschnittlich
1,5 Meter zurück. Bis vor einigen Jahren hat das
noch niemand gestört. Doch mittlerweile weiß
man, dass ein 600 Quadratkilometer großer See
nicht einfach so spurlos verschwindet. Allerdings
kommt die Einsicht möglicherweise zu spät.
Seit den 1960er Jahren führt das Aufstauen
des Sees Genezareth und des jordanischen Flusses Jarmuk zum Versiegen des schon in der Bibel
als heilig beschriebenen Jordan. Israel und Jordanien nutzen immer größere Wassermengen zur
Bewässerung und zur Trinkwasserversorgung.
Dabei wird nicht gerade sparsam mit dem kostbaren Nass umgegangen. Heute führt der untere
Jordan nur noch über zehn Prozent seiner einstigen Wassermenge.
Der Jordan ist aber der einzige Zufluss des
Toten Meeres. Je weniger Wasser er führt, desto
schneller schreitet die Austrocknung des Sees
voran. Alle klimatischen und geologischen
Effekte verstärken sich mittlerweile gegenseitig. „Das größte Problem ist die Zunahme
der Verdunstung durch verstärkte Windzirkulationen, die vom Mittelmeer herüberwehen“, erklärt Norbert Kalthoff vom Karlsruher
Foto: Nick Reimer
Im Dezember fand in Lima die jährliche UN-Klimakonferenz
statt, zum 20. Mal.
Das Ergebnis war erneut unbefriedigend und blieb weit hinter
dem Notwendigen zurück. Deutschland müsste eine Vorreiterrolle
übernehmen, noch besser die Europäische Union. Das wäre gut,
Europa könnte stolz darauf sein. Stattdessen nimmt der Widerstand gegen Klimaschutz zu – durch Trägheit, Ignoranz und natürlich durch wirtschaftliche Interessen.
Menschlicher Verwertungswahn Wo einst der Regenwald Borneos Landschaft beherrschte, reiht sich heute Palmölplantage an Palmölplantage.
Im Jahr 2000 haben Sie vorgeschlagen, die heutige Erdepoche
Anthropozän zu nennen. Was ist Ihr Fazit heute, 15 Jahre später?
Ich habe Zweifel, ob wir schon bereit sind, das Anthropozän als
geoökologischen Fakt anzuerkennen. Die Debatte findet meist
nur unter Naturwissenschaftlern statt, in der Politik, auch bei den
Sozial- und Geisteswissenschaftlern ist noch viel zu tun.
Was verstehen Sie unter Anthropozän?
Am Anfang fand der Begriff wenig Beachtung, obwohl er aktuell
und schlüssig ist. Das änderte sich Ende des letzten Jahrzehnts,
weil die Fakten bei den globalen Umweltgefahren nicht zu leugnen
sind. Das Anthropozän beschreibt die Schuld des Menschen an den
ökologischen Gefahren für die Erde. Das verlangt uns eine neue
Qualität von Verantwortung ab. Aber für die meisten ist Anthropozän etwas Unbekanntes, Fremdes.
Warum greift die Politik, die ständig über die Herausforderungen
der Globalisierung redet, diese Debatte nicht auf? Ist sie überfordert, nicht auf der Höhe der Zeit oder hat sie zu wenig
Verbindung zur Wissenschaft?
Es ist eine Kombination von allem, das muss man leider sagen.
Bei der UNO wurde das Anthropozän zwar aufgegriffen, aber
nicht systematisch.
Was war für Sie der Auslöser für den Vorschlag? Der Klimawandel – und was noch?
Natürlich war es der Klimawandel, aber auch allgemein der Einfluss
des Menschen auf die Umwelt. Mir geht es um das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren, die auf den Menschen zurückgehen. Darauf baut auch die Kommission von Johan Rockström zu
den sogenannten planetarischen Grenzen auf. Bei Klimawandel,
Gibt es Versäumnisse der Wissenschaft? Was muss sie tun, um
mehr in die Gesellschaft hineinzuwirken?
Wir brauchen eine engere Zusammenarbeit zwischen Natur- und
Sozialwissenschaften. Die Sozialwissenschaft muss sich für naturwissenschaftliche Fragen stärker öffnen und auch umgekehrt.
Wenn die Ökonomie dominiert und das Bevölkerungswachstum
als Bedrohung mit den anderen Problemen in einen Topf geworfen wird, kommen wir nicht voran. Dabei kann die Ökologie zum
Schlüssel für die Lösung vieler Probleme werden. Sie erfordert
nämlich längerfristig zu denken, Kreisläufe aufzubauen, ein
Gleichgewicht zu schaffen. Ökologie bedeutet, verantwortungsvoll
mit der Erde umgehen. Es wäre gut, wenn die Wissenschaft ihre
Kompetenz für eine ökologische Gesellschaftsordnung einsetzt.
Was halten Sie von technischen Lösungen wie CCS oder
Fracking?
Das ist wieder eine Sache, bei der der Mensch das tut, was er nicht
machen sollte. Für einen kurzzeitigen Vorteil werden die Probleme letztlich verstärkt. Wenn dann noch der Ölpreis sinkt, sind
alle erst mal beruhigt. Unverbesserlich und falsch.
Paul J. Crutzen, Chemie-Nobelpreisträger,
Atmosphärenforscher, ehemaliger Direktor
des Max-Planck-Instituts
Institut für Technologie (KIT), das in Masada
zwischen Nord- und Südteil des Toten Meeres
eine Messstation betreibt. Auch der Klimawandel verstärke durch weniger Niederschlag und
höhere Temperaturen diese Entwicklung.
Gleichzeitig beklagen die Anwohner der
Region seit einigen Jahren, dass Jahrhunderte
alte Wasserquellen nach und nach versiegen. Ein
Forscherteam vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) fand heraus,
dass diese ohnehin knappen Grundwasserressourcen durch den Rückgang des Toten Meeres
akut gefährdet sind. Das lebenswichtige Nass
aus den natürlichen Speichern der Umgebung
fließt mittlerweile mit enormer Geschwindigkeit
direkt ins Tote Meer – und wird damit unbrauchbar. Der Rückgang des Wasserspiegels wirkt auf
die Grundwasseraquifere wie ein Stöpsel, den
man aus einer Badewanne gezogen hat.
SUBMARINE QUELLEN IM SALZIGEN SEE
Der Hydrologe Christian Siebert forscht seit
zehn Jahren zu den Wasserläufen rund ums Tote
Meer und erklärt das Phänomen des auslaufenden
Grundwassers so: Der Regen an der israelischen
Seite des Sees geht auf das Judäische Bergland
nieder und gelangt dann in die Grundwasseraquifere. Dort kommt von den wenigen Niederschlägen allerdings kaum etwas an, der Großteil des
Regens verdunstet sofort. Ist der restliche Regen
Menschlicher Entdeckungsdrang Nicht einmal die unwirtlichsten Gegenden – hier die Wüste in Katar – blieben verschont.
im Grundwasseraquifer angekommen, fließt das
kostbare Nass ganz der Schwerkraft folgend weiter nach unten – Richtung Totes Meer. „Das einstige Grundwasser tritt heute in Form submariner
Quellen in den salzhaltigen See ein“, sagt Siebert. Wie viele Kubikmeter Wasser pro Jahr so
unbrauchbar werden und wie schnell die Vorkommen tatsächlich an ihr Ende kommen, können die Forscher noch nicht genau beziffern.
Während die Brunnen am Toten Meer noch
vor 20 Jahren die größte Oase Israels begrünten und Felder bewässerten, muss man sich nun
Von Los Angeles über Berlin nach Shanghai – mit Installationen, Interviews und Fotografien hinterfragen Künstler die Denkweisen des Anthropozäns.
Te x t: SA N D R A K I RC H N E R
Wie Bewohner mit Gemeinschaftsgärten und offenen Werkstätten ein neues
soziales Modell der Stadt entwickeln – selbstorganisiert und eigeninitiativ.
GEMEINSAMES TÜFTELN IM FABLAB ZÜRICH
Genau das wollen auch Yves Ebnöther und seine
Mitstreiter in der Schweiz. Sie haben das FabLab
Zürich gegründet. Eine gemeinnützige offene
Werkstatt, die Produktionsmittel und Beratung
für Menschen zur Verfügung stellt, die ihre Ideen verwirklichen möchten, denen es dazu aber
an Geld, Geräten oder Know-how fehlt. Im Fablab in der Zürcher Zimmerlistrasse produzieren junge Architekten und Designer Modelle,
Schüler färben selbst entwickelte Handyhüllen,
Pensionäre bauen 3-D-Drucker, Lehrer bereiten
Menschlicher Erfindergeist Die Wüste der Vereinigten Arabischen Emirate wird bewässert, um Landwirtschaft zu betreiben.
Workshops vor – und das alles oft gleichzeitig
und scheinbar wild durcheinander in einem gerade mal 125 Quadratmeter großen Raum. Man
sieht sich gegenseitig über die Schulter, hilft
sich, tüftelt plötzlich mit an einem ganz anderen
Projekt und freut sich gemeinsam über Erfolge.
Gemeinnützige Bildungsprojekte partizipieren
hier von kommerziellen Produktentwicklungen
– und umgekehrt.
Hinter dem Begriff FabLab steht ein Wortspiel: wörtlich steht er für fabrication laboratory – Fabrikations-Labor, er bedeutet aber auch
fabulous laboratory, also ein fabulöses Laboratorium. Die Idee wurde ursprünglich am Massachusetts Institute of Technology (MIT) von Neil
Gershenfeld entwickelt. Das erste FabLab startete dort im Jahr 2002. Weltweit gibt es bereits
über 250 FabLabs, etwa 30 in Deutschland.
Urban Gardening und Fab Labs, zwei Bewegungen, die verschiedener nicht sein könnten. Zwei
Bewegungen, die aber eine ähnliche Philosophie verfolgen: Hier sind Stadtbewohner dabei,
selbstorganisiert und eigeninitiativ nach lokalen,
urbanen Lösungen für die Probleme der kapitalistischen Wachstumsgesellschaft zu suchen – an
die sie nicht mehr glauben.
Sie tun dies gemeinsam, sie tun dies im urbanen
Kontext, sie tun dies mit viel Freude an Kreativität, Kollektivität und im bewussten Widerspruch
zu marktgesteuertem Denken und Handeln.
Sind dies Keimzellen einer „Transformation
der Urbanität“? Sie könnten es sein – in jedem
Fall aber sind es Bewegungen, die immer mehr
vor allem junge Menschen ansprechen.
Foto: Nick Reimer
D
Foto: Nick Reimer
Te x t: J Ö RG S O M M E R
die Projekte des von ihr gegründeten Vereins
übersteigt.
Urban Gardening heißt die Bewegung, die
in Paris, Berlin und anderen Großstädten weltweit immer weitere Anhänger gewinnt. Ob es
vier Quadratmeter auf einem wackeligen Boot
inmitten der französischen Hauptstadt sind,
große Spekulationsbrachen in Berlin-Friedrichshain oder ehemalige Parkplätze in Barcelona,
ob kleine Initiativen oder große Gruppen – stets
geht es um mehr als nur um günstige Lebensmittel. Selbst machen, selbst gestalten, selbst
bestimmen – es geht um neue Formen des urbanen Wirtschaftens.
mit künstlichen Pumpsystemen behelfen. Bald
könnten die Wasserspeicher ganz leer laufen –
das wäre für die rund zwei Millionen Menschen
in der Westbank in der politisch angespannten Lage eine sehr schlechte Nachricht. Denn
die Wasservorkommen der Region sind schon
seit Jahrzehnten der Zankapfel zwischen Israelis, Palästinensern und Jordaniern. „Lange Zeit
hat man sich über das Austrocknen des Toten
Meeres keine Gedanken gemacht“, sagt Christian Siebert, „nun stehen wir vor großen Problemen, die Mensch und Umwelt bedrohen.“
VERBORGENE ERDSCHICHTEN DEUTEN
DIE STADT WIEDER
FÜR DIE MENSCHEN
ENTDECKEN
ie frischesten Tomaten
von ganz Paris wachsen
auf der Seine. Die „Peniche India Tango“ liegt fest
am Kai vertäut, nur wenige Schritte vom Louvre im
Herzen der französischen
Großstadt. Hanh Hà lebt hier gemeinsam mit ihrem Partner, dem französischen Umweltaktivisten und Fernsehmoderator Gérard Feldzer. Hanh
ist Gründerin und Vorsitzende von Zebunet, einer Mikrokreditinitiative, die in Vietnam, Madagaskar und anderen Ländern Zebus, Schweine
Hühner und Ziegen für Kleinbauern finanziert.
Stundenlang haben wir unter Deck in der gemütlichen Kombüse über ihre Organisation und ihre
Pläne gesprochen, aber bevor es dunkel wird,
möchte Hanh mir unbedingt noch etwas zeigen.
Sie führt mich auf das schmale Dach des Steuerhauses. Ein großes Ausflugsboot zieht vorbei,
das Hausboot schwankt mächtig. Kurz habe ich
Sorge, ins Wasser zu stürzen, doch dann stehen
wir oben – inmitten eines winzigen, über und
über quellenden Gartens.
Ich sehe Tomaten, Zucchini, Auberginen,
Beeren, sogar ein munter schwirrendes Bienenvolk – und ich sehe ein Leuchten in den Augen
der Gärtnerin, das selbst ihre Begeisterung für
9
Foto: Nick Reimer
8
Menschliches Zusammenleben Rangsit im Norden Bangkoks: Aus den einstigen Dörfern wurden binnen weniger Jahre „Desakotas“ – indonesisch für „Stadtdörfer“.
F
elsbrocken, weite Wüstenlandschaften, monotone
Bebauung. Dazwischen immer wieder Bilder von
zerklüftetem Gestein und Rissen in Beton, allesamt entstanden in Kalifornien. In der audiovisuellen Installation „Medium Earth“, die im vergangenen Jahr in Los Angeles und Berlin zu sehen war,
versuchte das Künstlerduo Otolith Group die verborgenen Erdschichten unter der Oberfläche optisch zu deuten.
Doch das Londoner Kollektiv geht über die Ästhetisierung der
Gesteinsformationen hinaus.
„Spätestens im 21. Jahrhundert setzt die Geologisierung
der Gesellschaft ein“, sagt Kodwo Eshun, Mitglied der Otolith
Group. Seither entfaltet der Mensch Mächte, die stärker sind als
die Erdkräfte der vergangenen Zeitalter. Mittlerweile bewegen
Menschen weitaus mehr Sedimente, als alle Flüsse der Welt transportieren: ein gewaltiger Eingriff in die geologischen Prozesse auf
der Erde. Der Mensch beeinflusst sogar das Klima, indem er die
fossilen Ressourcen verbrennt. Mit dramatischen Folgen: Die Gletscher an den Polkappen schmelzen, der Meeresspiegel steigt, die
Ozeane versauern. Kein anderes Lebewesen hat die Erde und ihre
Hülle stärker verändert als Homo sapiens. Die meisten Folgen und
Begleiterscheinungen dieser Entwicklung sind noch unbekannt.
Der Berliner Kurator im Haus der Kulturen der Welt, Anselm
Franke, glaubt, dass der Mensch mit den herkömmlichen Methoden
der Natur- und Geisteswissenschaften die Herausforderungen des
Anthropozäns nicht bewältigen kann. Gemeinsam mit dem Fotografen Armin Linke, den Architekten John Palmesino und AnnSofi Rönnskog reiste er zwei Jahre um die Welt, um an die 50
Institutionen wie das Deutschen Klimarechenzentrum, die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, die Energiebörse ICE
Futures oder das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zu
besuchen. Entstanden sind unterschiedlich lange Interviews mit
Vertretern der Organisationen, die in Filmschleifen aneinandergereiht und auf mehreren Leinwänden gezeigt wurden. "Wir wollten die Frage aufwerfen, ob wir die richtigen Institutionen haben,
um dem Klimawandel zu begegnen", sagt Franke über das Anthropocene Observatory.
Beim Betrachten wird dem Besucher vor allem die Vereinzelung der Disziplinen deutlich: Ein Nebeneinander von Akteuren,
das den Klimawandel in all seinen Ausmaßen weder fassen noch
ihm entgegenwirken kann. Zwar wird immer mehr Wissen über
das Klima und die Erde angehäuft, doch die fossilen Ressourcen
werden trotzdem weiter ausgebeutet.
Was folgt daraus? Der Mensch muss seine Konzepte über die
Welt, über Natur und Kultur auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragen.
Dabei kann Kunst helfen, tradierte Weltbilder und Denkmuster
ins Wanken zu bringen und Transformationsprozesse anzustoßen.
Antworten vermag zwar auch die Kunst allein nicht zu liefern,
aber sie kann den gesellschaftlichen Diskurs mit ungewöhnlichen
Zugängen bereichern.
Derzeit ist Franke, der als Kurator allgemeine Fragen anders
beantworten will, mitverantwortlich für die Shanghai-Biennale, die noch bis Ende März läuft. Eingeladen ist der Künstler
Adam Avikainen, den Franke schon aus Berlin kennt. In Shanghai zeigt Avikainen japanische Strohpuppen, die ihren ursprünglichen kultischen Zweck nicht mehr erfüllen. Stattdessen sollen
die menschenähnlichen Puppen nun die Abwesenheit der jungen
Generation symbolisieren. Während ganze Landstriche verwaisen, werden andere Regionen von riesigen Städten zerfurcht oder
für die Produktion unserer Waren ausgebeutet. Um diese Prozesse
zu beurteilen und sie zu gestalten, brauchen wir unterschiedliche
Akteure und frische Sichtweisen.
www.shanghaibiennale.org
Briefe zur
Transformation
NACHRICHTEN
10
movum
Foto: Nick Reimer
Vier von neun „planetaren Grenzen” überschritten
Von den neun sogenannten planetaren Grenzen sind durch den Einfluss des Menschen bereits vier überschritten: Klimawandel, Biodiversität, Landnutzung und biogeochemische
Kreisläufe. Das schreibt ein internationales Team von 18 Wissenschaftlern unter Beteiligung
des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) im Fachjournal Science. Nach Einschätzung der Forscher sind zwei dieser Grenzen, nämlich Klimawandel und Artensterben,
von entscheidender Bedeutung – werden sie deutlich überschritten, könnte dies das Erdsystem in einen neuen Zustand versetzen. Das Team stellte seine Ergebnisse in sieben Seminaren beim World Economic Forum im Januar in Davos vor (doi:10.1126/science.1259855).
Ausgabe 4
Bodenatlas zeigt dramatische Daten zum Zustand der Erdkruste
Nach den Meeren sind Böden der größte CO2-Speicher der Welt. Sie binden mehr Kohlenstoff als alle Wälder zusammen, leisten
damit einen wichtigen Beitrag gegen die Erderwärmung und brauchen deshalb wesentlich mehr Aufmerksamkeit und Schutz. Darauf macht der jetzt erschienene „Bodenatlas“ aufmerksam, den die Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit dem Potsdamer Nachhaltigkeits-Institut IASS, dem Umweltverband BUND und der Monatszeitung Le Monde diplomatique zum Beginn des Internationalen Jahres der Böden veröffentlicht hat. Anhand von Daten, Zahlen und Grafiken zeigt der Atlas den Zustand von Böden, Land
und Ackerflächen in Deutschland, Europa und weltweit (boell.de/bodenatlas).
Anthropozän
Foto: Matthias Rietschel
Auch nachwachsende Ressourcen werden knapper
Fisch, Getreide oder Fleisch zählen zu den nachwachsenden Rohstoffen, ihre Verfügbarkeit
überschreitet mittlerweile aber auch ihre Grenzen. Eine ganze Reihe solcher Ressourcen hat
sogar schon ihre maximale Steigerungsrate in der Produktion – die sogenannte „Peak-Rate“ –
überschritten, wie eine Studie von Forschern des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der US-Universitäten Yale und Michigan zeigt. Für ihren im Fachmagazin Ecology & Society veröffentlichten Beitrag untersuchten die Forscher die Entwicklung
der Produktionsraten von 27 Gütern, darunter Mais, Reis, Weizen und Soja. Bei 20 Ressourcen identifizierten die Wissenschaftler einen derartigen Peak (doi:10.5751/ES-07039-190450).
Februar 2015
Modell für sozial-ökologische Veränderungsprozesse
Seit Beginn der Menschheitsgeschichte bilden Menschen und Natur „sozial-ökologische Systeme“. Technologischer Fortschritt,
Bevölkerungswachstum und Urbanisierung verändern diese Systeme grundlegend. Forscher der Universitäten Kapstadt, Kassel
und Göttingen haben nun ein Modell entwickelt, mit dem sich die Ursachen und Konsequenzen dieser Vorgänge weltweit und auf
verschiedenen Ebenen vergleichen lassen. Ihr Ziel ist eine disziplinübergreifende Theorie für diese Prozesse. Als eine Konsequenz
plädieren sie für sie neue Regularien und Institutionen. Die Ergebnisse wurden als Titelbeitrag in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht (doi:10.1038/nature13945).
THEORIE:
IMPRESSUM
Förderhinweis:
DIESES PROJEKT WURDE
GEFÖRDERT VON:
Förderhinweis:
DIESES PROJEKT WURDE GEFÖRDERT VON:
Herausgeber:
Damian Ludewig, Geschäftsführer, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V.;
Michael Müller, Vorsitzender, NaturFreunde Deutschlands e.V.
Christel Schroeder, Präsidentin, EuroNatur Stiftung;
Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender, Deutsche Umweltstiftung;
Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender, BUND e.V.;
Dr. Martin Held, Gesprächskreis Die Transformateure – Akteure der Großen Transformation
Redaktion:
Nick Reimer (V.i.S.d.P.), Susanne Götze, Matthias Bauer, Sandra Kirchner
Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den AutorInnen.
DAS ZEITALTER
DES MENSCHEN
von Michael Müller
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PRAXIS:
„TRÄGHEIT UND IGNORANZ“
Interview mit Paul Crutzen
Die Verantwortung für den
Inhalt dieser Veröffentlichung liegt
bei den AutorInnen.
GRAFIK:
Layout
Alexander Seeberg-Elverfeldt, Entwicklung; Adrien Tasic, Gestaltung; Jennifer Kalisch, Infografik
Dr. Kai Niebert, Fakultät Nachhaltigkeit, Leuphana Universität Lüneburg, Konzeption Infografik
DIE ERDE IN DER
MENSCHENZEIT
Registergericht: Amtsgericht Charlottenburg, NR-Nr.: HRB 118470 B. Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste sowie Vervielfältigung auf Datenträgern nur nach Genehmigung des Verlages.
movum erscheint als kostenlose Beilage in Kombination mit dem Wirtschaftsmagazin enorm, www.enorm-magazin.de
movum liegt exklusiv, regelmäßig und kostenlos dem Wirtschaftsmagazin enorm bei, www.enorm-magazin.de.
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Weitere Informationen unter www.movum.info/kombi-abo
Coverfoto: Nick Reimer
Verlag:
movum erscheint im GutWetter Verlag UG (haftungsbeschränkt)
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