movum
Pflanzengemeinschaften statt Monokulturen
Mischkulturen sind erfolgreicher und ermöglichen höhere Ernteerträge als Monokulturen. Das hat
ein europäisches Forscherteam unter der Leitung von Ökologen der Universität Zürich nachgewiesen.
Forschungsgruppenleiter Bernhard Schmid sieht „im unerschlossenen Potenzial der Biodiversität die
Chance für die künftige Ernährung der Menschheit“. Pflanzengemeinschaften besetzen den Ergebnissen zufolge alle vorhandenen Nischen in einem Ökosystem und nutzen Bodennährstoffe, Licht und
Wasser viel besser aus als Monokulturen. Auch der Schädlingsdruck ist geringer. Die Forscher waren
überrascht, dass sich Arten innerhalb weniger Generationen an ihre Pflanzengemeinschaften anpassen, wodurch der Ertrag in Mischungen weiter ansteigt.
Ausgabe 3
Wenige Konzerne bestimmen, was wir essen
Die Weltbevölkerung und ihr Nahrungsmittelkonsum wachsen – aber die Zahl der im Nahrungsmittelbereich tätigen Firmen sinkt.
Wie stark, zeigen Entwicklungsorganisationen in der neu aufgelegten Publikation „Agropoly“ (bit.ly/agropoly). Konzerne kaufen
kleinere Firmen auf und können dann Preise und Geschäftsbedingungen und zunehmend auch die politischen Rahmenbedingungen diktieren. Vieles, was wir im Norden verbrauchen, werde billig im globalen Süden produziert, so die Organisationen. Gewinner seien wenige Unternehmen zumeist im Norden, Verlierer die Kleinbauern und Plantagenarbeiter im Süden als Schwächste in
der Wertschöpfungskette. In keiner anderen Bevölkerungsgruppe sei Hunger so verbreitet.
Ökobauern wollen Kommunen beraten
Vertreter des biologischen Landbaus in Deutschland wollen sich neuen Bewegungen wie dem Urban
Gardening stärker öffnen und ihre Erfahrungen auch mit Kommunalvertretern teilen. Dabei geht es
um die sogenannte Resilienz, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen. „Betriebe mit einer ausgeprägten Hofindividualität sind enorm resilient, und davon gibt es besonders unter den biologischdynamischen Höfen sehr viele“, betont die Ökobäuerin und Gärtnerin Christine Hubenthal, die zu
Resilienz in der Landwirtschaft forscht. „Von ihnen können wir eine Menge lernen, wenn es darum
geht, die Resilienz der Kommunen zu stärken“, so Hubenthal in der Zeitschrift „Lebendige Erde“.
Landwirtschaft
Keine überzeugenden Alternativen zum BIP
Nach dem Leipziger Degrowth-Kongress im September kommt in den Wirtschaftswissenschaften die Suche nach alternativen Wohlstandsindikatoren voran – wenn auch langsam. So räumt Maik Heinemann, Professor für Wachstum an der Uni Potsdam, ein: „Es
gibt Begleiterscheinungen des Wachstums, die wohlstandsschädlich sein können.“ Zwar sei das Bruttoinlandsprodukt ein unzureichendes Wohlstandsmaß, sagt Professor Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln, bemängelt aber, „dass
wir von der Vielfalt an Messmöglichkeiten überflutet werden“. Viele Menschen sähen keine Alternativen, weil die Sozialsysteme
an Wachstum gekoppelt seien, betont Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.
IMPRESSUM
Förderhinweis:
DIESES PROJEKT WURDE
GEFÖRDERT VON:
Herausgeber:
Damian Ludewig, Geschäftsführer, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V.;
Michael Müller, Vorsitzender, NaturFreunde Deutschlands e.V.
Christel Schroeder, Präsidentin, EuroNatur e.V.;
Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender, Deutsche Umweltstiftung;
Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender, BUND e.V.;
Dr. Martin Held, Gesprächskreis Die Transformateure – Akteure der Transformation
THEORIE:
VON DEN AMEISEN LERNEN –
DER KREISLAUF DER STOFFE
von Felix zu Löwenstein
Debatte
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Ausgabe
unter:
www.B
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n.de
Redaktion:
Nick Reimer (V.i.S.d.P.), Susanne Götze, Matthias Bauer
PRAXIS:
OHNE PHOSPHOR
GEHT ES NICHT
Von Nick Reimer
GRAFIK:
Die Verantwortung für den
Inhalt dieser Veröffentlichung liegt
bei den AutorInnen.
ENERGIEWENDE AUF DER SPEISEKARTE
Layout
Alexander Seeberg-Elverfeldt, Entwicklung; Adrien Tasic, Gestaltung; Jennifer Kalisch, Infografik
Dr. Kai Niebert, Fakultät Nachhaltigkeit, Leuphana Universität Lüneburg, Konzeption Infografik
movum liegt exklusiv, regelmäßig und kostenlos dem Wirtschaftsmagazin enorm bei, www.enorm-magazin.de.
Mitglieder der herausgebenden Verbände beziehen das enorm-Abo inkl. movum zum Vorzugspreis von 33,75 Euro statt 45 Euro (6 Ausgaben p.a.).
Weitere Informationen unter www.movum.info/kombi-abo
Coverfoto: Nick Reimer
Verlag:
movum erscheint im GutWetter Verlag UG (haftungsbeschränkt)
Marienstraße 19/20, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 24632232, www.gutwetterverlag.de, Geschäftsführer: Marco Eisenack
Registergericht: Amtsgericht Charlottenburg, NR-Nr.: HRB 118470 B. Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste sowie Vervielfältigung auf Datenträgern nur nach Genehmigung des Verlages.
movum erscheint als kostenlose Beilage in Kombination mit dem Wirtschaftsmagazin enorm, www.enorm-magazin.de
Dezember 2014
Foto: Johanna Treblin
Foto: Jutta Rotter / Pixelio
Briefe zur
Transformation
NACHRICHTEN
10
AgrarBündnis e.V. (Hrsg.): Kritischer Agrarbericht 2014. ABLVerlag, Hamm 2014
Seit über 20 Jahren veröffentlicht das AgrarBündnis – ein Zusammenschluss von Verbänden
der bäuerlichen und ökologischen
Landwirtschaft, des Umwelt- und
Tierschutzes, der Entwicklungszusammenarbeit und der Kirchen
– alljährlich den Kritischen Agrarbericht. In 50 Beiträgen beziehen Autoren aus Wissenschaft
und Praxis Stellung. Wie kein anderes Buch beleuchtet der Kritische Agrarbericht die Debatte um
Landwirtschaft in Deutschland.
Die Ausgabe 2014 widmet sich den
„Tieren in der Landwirtschaft“.
www.kritischer-agrarbericht.de
Leitschuh, H.; Michelsen, G., Simonis U. E.; Sommer, J.; von
Weizsäcker, E. U. (Hrsg.): Jahrbuch Ökologie 2015. Re-Naturierung – Gesellschaft im Einklang
mit der Natur. S. Hirzel Verlag,
Stuttgart 2014
Vielen Menschen ist der Erhalt der
Natur äußerst wichtig, viele können
sich sogar mehr Wildnis vorstellen.
Renaturierung ist in den verschiedensten Formen und an den unterschiedlichsten Orten im Gange.
Das Jahrbuch Ökologie 2015 zeigt
in zahlreichen Einzelbeiträgen
Ideen zu einem neuen Naturverständnis auf. Der Band präsentiert
eine breite Palette von Konzepten und Projekten für einen besseren Einklang der Gesellschaft mit
der Natur.
EDITORIAL
Helfrich, S. und Heinrich-BöllStiftung (Hrsg.): Commons. Für
eine neue Politik jenseits von
Markt und Staat. Transcript-Verlag, Bielefeld 2014
Weil Markt und Staat versagen,
verwundert es nicht, dass die Commons, die Idee der gemeinschaftlichen Verantwortung für Gemeingüter, eine Renaissance erleben.
Commons beruhen nicht auf der
Idee der Knappheit, sondern schöpfen aus der Fülle. Die Beiträge von
90 internationalen Autorinnen und
Autoren aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft stellt ein modernes Konzept der Commons vor,
das klassische Grundannahmen der
Wirtschafts- und Gütertheorie radikal in Frage stellt und eine andere
Kultur des Miteinander skizziert.
Löwenstein, F.: Food Crash. Wir
werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr, Pattloch, 2011
Ist Ökolandbau Luxus für reiche Leute oder eine funktionierende Alternative für Landwirtschaft und Ernährung im Ganzen?
Angesichts einer weiter wachsenden Weltbevölkerung, von der heute schon ein Siebtel Hunger leidet,
ist das die entscheidende Frage für
Unterstützer und für Gegner der
Ökologischen Wirtschaftsweise.
In „Food Crash“ beantwortet Felix
zu Löwenstein sie sauber recherchiert und anschaulich. Das Buch
bietet auf diese Weise ebenso Argumentationshilfe in einer zentralen Debatte, wie spannendes Lesevergnügen.
EINE STARKE STIMME FÜR
EUROPAS NATUR
EuroNatur ist eine gemeinnützige Stiftung und setzt sich auf vielen
Ebenen für die Erhaltung des europäischen Naturerbes ein. Dazu zählen spezielle Artenschutzprojekte
und Flächenschutz genauso wie politische Lobbyarbeit und die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Im Zentrum der Arbeit
von EuroNatur steht es, Menschen
und Natur zu verbinden und so einen
langfristigen Erfolg der Projekte zum
Schutz von Wildtieren und ihren Lebensräumen in Europa zu erreichen.
Helfen Sie mit!
www.euronatur.org
n zu
Debatte
n dieser
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den The
unter:
Ausgabe
rriefe-zu
www.B
.de
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Transfo
VERANSTALTUNGEN
17. Januar 2015:
Demonstration „Wir haben es satt“
www.wir-haben-es-satt.de
2. Dezember 2014:
Diskussionsveranstaltung „Grüne Lügen oder:
Kein Umweltschutz ohne Ressourcenwende“,
Münchner Zukunftssalon, www.foes.de
12. bis 14. Dezember 2014:
Seminar „Wir können auch anders!“,
Kommune Niederkaufungen bei Kassel,
www.kommune-niederkaufungen.de
9. bis 11. März 2015:
Tagung „Politische Ökonomik Großer
Transformationen“, Evangelische Akademie Tutzing,
www.ev-akademie-tutzing.de
weitere Termine:
www.movum.info/termine
3
Foto: Michael Schulze von Glaßer
AKTEURE
2
AGRARKULTUR
Von Christel Schroeder, Präsidentin von EuroNatur
Als auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen in
New York im September 2000 die sogenannten „Millennium
Development Goals“ beschlossen wurden, litten weltweit 700
Millionen Menschen unter Hunger. Feierlich wurde verkündet,
diese Zahl bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Die Befürworter der
„grünen Revolution“ versprachen, mit Pestiziden und Düngern,
Gentechnik und hochgezüchteten Tierrassen das Problem in den
Griff zu kriegen. Diese Politik ist kläglich gescheitert. Heute
hungern 820 Millionen Menschen. Dabei könnten auf der Erde
auch acht Milliarden Menschen und mehr ausreichend mit Nahrung versorgt werden, würde nur die richtige Politik gemacht.
Waren früher Mist, Jauche und stickstoffbindende Pflanzen
unverzichtbarer Bestandteil einer bäuerlichen Kreislaufwirtschaft, so decken heute Betriebe ohne Vieh den Nährstoffbedarf ihrer Pflanzen mit synthetischen Mineraldüngern. Auf der
anderen Seite gibt es die Regionen mit industrieller Massentierhaltung, die in der Gülle versinken. Belastete Grundwasservorkommen und Oberflächengewässer sind die Folge.
Der „Strukturwandel“ in der Landwirtschaft hält an. Immer weniger Bauern produzieren mit immer höherem Energieeinsatz immer mehr Erträge bei zunehmenden Umweltproblemen. Und dennoch wächst der Hunger weltweit. Immer
mehr Tiere werden in engen Ställen zusammengepfercht, um
in Rekordzeit auf Schlachtgewicht gemästet zu werden. Für
den reibungslosen Ablauf werden den Schweinen die Schwänze abgekniffen, dem Geflügel die Schnäbel kupiert. Ins Futter werden Antibiotika gemischt. Humanmediziner schlagen
Alarm, denn Resistenzen bei Menschen nehmen zu. Europa
hatte sich einst für ein „europäisches Agrarmodell“ entschieden, eine „multifunktionale Landwirtschaft“, die nicht nur genügend qualitativ hochwertige Lebensmittel herstellt, sondern
gleichzeitig Rücksicht auf Kulturlandschaft, Umwelt, Biodiversität und das Tierwohl nimmt, die sozial, gerecht und zukunftsfähig wäre. Doch was ist daraus geworden? Die Landschaft wurde zur monotonen Produktionswüste, die Bauern
zu Marionetten der Agrarindustrie. Die Steuerzahler subventionieren dieses abstruse System jährlich mit rund 50 Milliarden Euro allein aus dem Haushalt der EU.
Die Roten Listen bedrohter Tier- und Pflanzenarten in Europa und weltweit werden länger und länger. Honigbienen, die
wichtigsten Nutztiere auf unserem Planeten, finden in den ausgeräumten Landschaften nicht mehr genügend Nahrung; Ursache dafür ist die verfehlte Agrarpolitik.
Transformation tut not, heute, nicht erst morgen. Auf globaler
Ebene wird das zunehmend erkannt. Im Weltagrarbericht steht,
dass wir den Hunger in der Welt nicht mit den agrarindustriellen Methoden der USA oder der „modernen Landwirtschaft“ der
EU lösen werden. Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2014
zum Jahr der bäuerlichen Landwirtschaft erklärt.
Wir müssen wegkommen von einer Landwirtschaft, die am
Tropf des zu Ende gehenden Erdöls hängt. Wir brauchen eine
bäuerlich-ökologische, eine solarbasierte Agrarkultur. Nur so
werden wir genügend Lebensmittel, Arbeitsplätze im ländlichen
Raum und dauerhaft gute Umweltbedingen schaffen.
AgrarBündnis e.V. (Hrsg.): Kritischer Agrarbericht 2014. ABLVerlag, Hamm 2014
Seit über 20 Jahren veröffentlicht das AgrarBündnis – ein Zusammenschluss von Verbänden
der bäuerlichen und ökologischen
Landwirtschaft, des Umwelt- und
Tierschutzes, der Entwicklungszusammenarbeit und der Kirchen
– alljährlich den Kritischen Agrarbericht. In 50 Beiträgen beziehen Autoren aus Wissenschaft
und Praxis Stellung. Wie kein anderes Buch beleuchtet der Kritische Agrarbericht die Debatte um
Landwirtschaft in Deutschland.
Die Ausgabe 2014 widmet sich den
„Tieren in der Landwirtschaft“.
www.kritischer-agrarbericht.de
Leitschuh, H.; Michelsen, G., Simonis U. E.; Sommer, J.; von
Weizsäcker, E. U. (Hrsg.): Jahrbuch Ökologie 2015. Re-Naturierung – Gesellschaft im Einklang
mit der Natur. S. Hirzel Verlag,
Stuttgart 2014
Vielen Menschen ist der Erhalt der
Natur äußerst wichtig, viele können
sich sogar mehr Wildnis vorstellen.
Renaturierung ist in den verschiedensten Formen und an den unterschiedlichsten Orten im Gange.
Das Jahrbuch Ökologie 2015 zeigt
in zahlreichen Einzelbeiträgen
Ideen zu einem neuen Naturverständnis auf. Der Band präsentiert
eine breite Palette von Konzepten und Projekten für einen besseren Einklang der Gesellschaft mit
der Natur.
EDITORIAL
Helfrich, S. und Heinrich-BöllStiftung (Hrsg.): Commons. Für
eine neue Politik jenseits von
Markt und Staat. Transcript-Verlag, Bielefeld 2014
Weil Markt und Staat versagen,
verwundert es nicht, dass die Commons, die Idee der gemeinschaftlichen Verantwortung für Gemeingüter, eine Renaissance erleben.
Commons beruhen nicht auf der
Idee der Knappheit, sondern schöpfen aus der Fülle. Die Beiträge von
90 internationalen Autorinnen und
Autoren aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft stellt ein modernes Konzept der Commons vor,
das klassische Grundannahmen der
Wirtschafts- und Gütertheorie radikal in Frage stellt und eine andere
Kultur des Miteinander skizziert.
Löwenstein, F.: Food Crash. Wir
werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr, Pattloch, 2011
Ist Ökolandbau Luxus für reiche Leute oder eine funktionierende Alternative für Landwirtschaft und Ernährung im Ganzen?
Angesichts einer weiter wachsenden Weltbevölkerung, von der heute schon ein Siebtel Hunger leidet,
ist das die entscheidende Frage für
Unterstützer und für Gegner der
Ökologischen Wirtschaftsweise.
In „Food Crash“ beantwortet Felix
zu Löwenstein sie sauber recherchiert und anschaulich. Das Buch
bietet auf diese Weise ebenso Argumentationshilfe in einer zentralen Debatte, wie spannendes Lesevergnügen.
EINE STARKE STIMME FÜR
EUROPAS NATUR
EuroNatur ist eine gemeinnützige Stiftung und setzt sich auf vielen
Ebenen für die Erhaltung des europäischen Naturerbes ein. Dazu zählen spezielle Artenschutzprojekte
und Flächenschutz genauso wie politische Lobbyarbeit und die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Im Zentrum der Arbeit
von EuroNatur steht es, Menschen
und Natur zu verbinden und so einen
langfristigen Erfolg der Projekte zum
Schutz von Wildtieren und ihren Lebensräumen in Europa zu erreichen.
Helfen Sie mit!
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VERANSTALTUNGEN
17. Januar 2015:
Demonstration „Wir haben es satt“
www.wir-haben-es-satt.de
2. Dezember 2014:
Diskussionsveranstaltung „Grüne Lügen oder:
Kein Umweltschutz ohne Ressourcenwende“,
Münchner Zukunftssalon, www.foes.de
12. bis 14. Dezember 2014:
Seminar „Wir können auch anders!“,
Kommune Niederkaufungen bei Kassel,
www.kommune-niederkaufungen.de
9. bis 11. März 2015:
Tagung „Politische Ökonomik Großer
Transformationen“, Evangelische Akademie Tutzing,
www.ev-akademie-tutzing.de
weitere Termine:
www.movum.info/termine
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Foto: Michael Schulze von Glaßer
AKTEURE
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AGRARKULTUR
Von Christel Schroeder, Präsidentin von EuroNatur
Als auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen in
New York im September 2000 die sogenannten „Millennium
Development Goals“ beschlossen wurden, litten weltweit 700
Millionen Menschen unter Hunger. Feierlich wurde verkündet,
diese Zahl bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Die Befürworter der
„grünen Revolution“ versprachen, mit Pestiziden und Düngern,
Gentechnik und hochgezüchteten Tierrassen das Problem in den
Griff zu kriegen. Diese Politik ist kläglich gescheitert. Heute
hungern 820 Millionen Menschen. Dabei könnten auf der Erde
auch acht Milliarden Menschen und mehr ausreichend mit Nahrung versorgt werden, würde nur die richtige Politik gemacht.
Waren früher Mist, Jauche und stickstoffbindende Pflanzen
unverzichtbarer Bestandteil einer bäuerlichen Kreislaufwirtschaft, so decken heute Betriebe ohne Vieh den Nährstoffbedarf ihrer Pflanzen mit synthetischen Mineraldüngern. Auf der
anderen Seite gibt es die Regionen mit industrieller Massentierhaltung, die in der Gülle versinken. Belastete Grundwasservorkommen und Oberflächengewässer sind die Folge.
Der „Strukturwandel“ in der Landwirtschaft hält an. Immer weniger Bauern produzieren mit immer höherem Energieeinsatz immer mehr Erträge bei zunehmenden Umweltproblemen. Und dennoch wächst der Hunger weltweit. Immer
mehr Tiere werden in engen Ställen zusammengepfercht, um
in Rekordzeit auf Schlachtgewicht gemästet zu werden. Für
den reibungslosen Ablauf werden den Schweinen die Schwänze abgekniffen, dem Geflügel die Schnäbel kupiert. Ins Futter werden Antibiotika gemischt. Humanmediziner schlagen
Alarm, denn Resistenzen bei Menschen nehmen zu. Europa
hatte sich einst für ein „europäisches Agrarmodell“ entschieden, eine „multifunktionale Landwirtschaft“, die nicht nur genügend qualitativ hochwertige Lebensmittel herstellt, sondern
gleichzeitig Rücksicht auf Kulturlandschaft, Umwelt, Biodiversität und das Tierwohl nimmt, die sozial, gerecht und zukunftsfähig wäre. Doch was ist daraus geworden? Die Landschaft wurde zur monotonen Produktionswüste, die Bauern
zu Marionetten der Agrarindustrie. Die Steuerzahler subventionieren dieses abstruse System jährlich mit rund 50 Milliarden Euro allein aus dem Haushalt der EU.
Die Roten Listen bedrohter Tier- und Pflanzenarten in Europa und weltweit werden länger und länger. Honigbienen, die
wichtigsten Nutztiere auf unserem Planeten, finden in den ausgeräumten Landschaften nicht mehr genügend Nahrung; Ursache dafür ist die verfehlte Agrarpolitik.
Transformation tut not, heute, nicht erst morgen. Auf globaler
Ebene wird das zunehmend erkannt. Im Weltagrarbericht steht,
dass wir den Hunger in der Welt nicht mit den agrarindustriellen Methoden der USA oder der „modernen Landwirtschaft“ der
EU lösen werden. Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2014
zum Jahr der bäuerlichen Landwirtschaft erklärt.
Wir müssen wegkommen von einer Landwirtschaft, die am
Tropf des zu Ende gehenden Erdöls hängt. Wir brauchen eine
bäuerlich-ökologische, eine solarbasierte Agrarkultur. Nur so
werden wir genügend Lebensmittel, Arbeitsplätze im ländlichen
Raum und dauerhaft gute Umweltbedingen schaffen.
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AGRARPOLITIK FALSCH LÄUFT
VON DEN AMEISEN LERNEN –
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VON DER MANGEL- ZUR ÜBERSCHUSSLANDWIRTSCHAFT
Ertragssteigerungen von zwei Prozent pro Jahr stand ein nur marginal wachsender Nahrungsmittelbedarf gegenüber. So entstanden Milchseen, Butterberge wuchsen, Getreideüberschüsse quollen aus den Lagerhäusern. In den 1970er Jahren wurde deshalb
ein neues Zeitalter in der GAP eingeläutet: die Überschussbekämpfung. Es wurde die Lagerung finanziert, Überschüsse wurden vernichtet und Abschlachtprämien für Tiere eingeführt – und
der Weltmarkt wurde als Absatzquelle entdeckt.
Doch für die hoch preisgestützten Produkte wollte außerhalb
von Europa niemand Geld ausgeben. Kein Problem für die GAP,
ein weiterer Griff in die Steuerkasse, und schon wurden mit „Exporterstattungen“ die Unterschiede zwischen dem hohen europäischen Preisniveau und den auf dem Weltmarkt real existierenden
Preisen ausgeglichen. Und das kostete: 1980 erreichten die EU-Ausgaben rund zehn Milliarden Euro und 1985 schon 20 Milliarden.
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ACKERBAU ALS INDUSTRIELLER PROZESS
Als Zentral-Atom in den Aminosäuren, aus denen Eiweiß und
damit der wichtigste Baustein aller Lebewesen gebildet wird, ist
Stickstoff, das Element mit dem Kürzel N, unabdingbar für das
Pflanzenwachstum. Seine Quellen sind traditionell der Mist aus
dem Stall, die Bodenlebewesen, die organischen Bestandteile des
Bodens („Humus“) und Stickstoff bindende Leguminosen – Hülsenfrüchtler wie Klee, Luzerne oder Erbsen.
Seit 1910 das Haber-Bosch-Verfahren es möglich machte,
Stickstoff aus der Luft zu gewinnen, konnte die Begrenztheit dieser Quellen überwunden werden. Die Fruchtbarkeit des Bodens
und seine Fähigkeit, Nährstoffe zu mobilisieren, hatte ihre Bedeutung verloren.
Lange konnte man allerdings den durch künstlichen Stickstoff
möglichen Ertragsfortschritt nur in geringem Umfang nutzen, weil
man der Krankheitsprobleme nicht Herr werden konnte, die durch
seinen Einsatz entstandenen. Erst in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts, als die Agrarchemie die Pestizide entwickelt hatte,
konnten unterstützt durch die Pflanzenzüchtung die Erträge auf
das heutige Niveau geschraubt werden. Der Ackerbau wurde nun
nach dem Vorbild industrieller Prozesse organisiert.
Die Probleme dieser Entwicklung reichen über unerwünschte
Nebenwirkungen der Pestizide auf die Gesundheit von Menschen
und Umwelt weit hinaus.
flussaufwärts gelegenen Ackerbaugebieten, die vom
längsten Strom der Welt durchflossen werden, das
Algenwachstum so angeheizt, dass kaum noch Sauerstoff vorhanden ist.
Forscher der University of Maryland berichteten im
Frühjahr 2010 in der Fachzeitschrift „Science“, dass diese Todeszonen durch die Produktion von Stickoxiden die
Ozonschicht schädigen und zur globalen Erwärmung beitragen. Sie führen zudem auf direktem Weg zur Verminderung der
Nahrungsproduktion, weil in diesen Zonen alles Leben auf dem
Meeresboden abstirbt. So wird die Nahrungskette unterbrochen,
die zur Entstehung von Fischbeständen erforderlich ist.
Solche Todeszonen gibt es weltweit. 169 davon listete im Sommer 2012 das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP
auf. Davon seien nur 13 dabei, sich zu erholen. 415 weitere Gebiete seien hingegen kurz davor, dass auch ihnen durch den Zufluss
von Düngemitteln der Erstickungstod drohe.
Vor vier Jahren verwies Schwedens Meteorologisches Institut in Göteborg darauf, dass sich die Fläche, auf der der Boden
der Ostsee biologisch tot ist, immer schneller vergrößert. Schon
ein Fünftel der Böden in der Kern-Ostsee zwischen Dänemark
und den Åland-Inseln sei ohne Sauerstoff. Ein weiteres Drittel
der Meeresböden ist angesichts fortschreitenden Sauerstoffmangels vom gleichen Schicksal bedroht. So wächst die Gefahr giftiger Algenblüten, und 30 bis 50 Prozent der tierischen Biomasse
in der Ostsee sind in den letzten fünf Jahrzehnten verschwunden.
Damit fehlen bis zu drei Millionen Tonnen Bodenlebewesen auf
der Speisekarte der Fische. Wenn nichts geschieht, wird diese Entwicklung alle Anstrengungen, über verminderte Fischereiquoten
die Erholung der Kabeljau-Bestände zu fördern, zunichtemachen.
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enn es stimmt, dass die
Gesamtkörpermasse aller Ameisen so groß ist wie
die der Menschen, wirft das
die Frage auf: Wieso schaffen es die Tiere, einen so kleinen Fußabdruck auf dieser Erde
zu hinterlassen, während die Menschen in den letzten zwei
Jahrhunderten ihr Lebensumfeld so stark verändert haben, dass
die Geowissenschaft mit der Industrialisierung ein neues Erdzeitalter anbrechen sieht, das sie „Anthropozän“ nennt?
Der Unterschied liegt im Ressourcenverbrauch. Während die
Ameisen alle Stoffe, die sie zu ihrer Ernährung und zum Bau ihrer kunstvollen Behausungen benötigen, dem natürlichen Kreislauf entnehmen und sie in diesen zurückgeben, brauchen wir
Menschen innerhalb weniger Generationen Ressourcen auf, die
einmalig und endlich sind. Wir entnehmen sie Lagerstätten, wo sie
sich im Verlauf der Erdgeschichte angesammelt haben, und verteilen sie ebenso großzügig wie nicht rückholbar in den scheinbar unendlichen Reservoirs der Atmosphäre und der Weltmeere.
Dort entfalten sie Wirkung. Sie verändern zum Beispiel die Zusammensetzung der Erdatmosphäre und damit die globale Durchschnittstemperatur. Oder sie überdüngen die Gewässer bis hin
zum Umkippen aquatischer Ökosysteme.
Sich ein Beispiel an den Ameisen zu nehmen ist ein Grundanliegen der ökologischen Landwirtschaft. Sie will die Nährstoffe
im Kreislauf halten und dem offenen System der Natur keine Stoffe hinzufügen, die ihm fremd sind.
Das Gegenbild dazu ist eine konventionelle Landwirtschaft,
die ich deshalb industriell nenne, weil sie den Boden nicht als lebenden Organismus wahrnimmt, sondern als Substrat, in dem die
Pflanzen wurzeln können, um nicht umzufallen, und das als Medium zur Verabreichung der Nährstoffe dient. Was ich damit meine, will ich am Beispiel von Stickstoff beschreiben.
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waren eine Antwort auf Preissenkungen von
1992, und man könne nicht dauerhaft mit dem
Argument einer Preissenkung in der Vergangenheit einen staatlich organisierten Geldtransfer durchhalten. Viel besser seien die Mittel in
der zweiten Säule investiert. Dort gilt „Geld gegen
Leistung“ – für umweltverträgliche Produktionsformen und regionale Vermarktungsinitiativen, für gesellschaftlich akzeptierte Maßnahmen.
Doch die Profiteure des alten Systems waren stärker
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als
Fischlers
richtige Gedanken, die Daumen der Minister
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gingen nach unten.
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Im November 2010 trat EU-Agrarkommissar Dacian Cioloș
mit einem weitgehenden Reformplan an. Er meinte, die GAP
müsse „grüner und gerechter“ werden. Geld sollte nicht mehr
unbegrenzt an die großen Betriebe fließen, vielmehr sollten kleinere Strukturen profitieren. Die Vergabe öffentlicher TransferAnfang der 1990er Jahre – die GAP kostete mittlerweile 30 Millizahlungen sollte strikt an die Einhaltung ökologischer Vorgaben
arden Euro pro Jahr – erkannte der zuständige EU-Agrarkommisgebunden werden. Jeder Betrieb sollte beispielsweise sieben Prosar Ray MacSharry als erster hochrangiger Politiker einen Transzent seiner Betriebsfläche unter „ökologischen Vorrang“ stellen,
Vorgaben zur Anbauvielfalt einhalten und Grünland erhalten. Nur
formationsbedarf:
„Der Status quo lässt sich weder verteidigen noch aufrechtBauer zu sein oder nur bestehende Gesetze zu achten, so Cioloș,
erhalten. Und obwohl die Mittel für den Agrarsektor zwischen
sei kein gesellschaftlicher Gegenwert, der es rechtfertige, pro Jahr
1990 und 1991 um fast 30 Prozent aufgestockt wurden, müssen
50 Milliarden Euro auszugeben.
die Landwirte in allen Mitgliedstaaten weitere Einbußen hinnehDIE LANGE HAND DER AGRARLOBBY
men. Wir haben mit unserer Politik nicht zu verhindern gewusst,
REICHT BIS GANZ NACH OBEN
dass die Landwirte in Scharen ihre Tätigkeit aufgeben. Eine weitere Fehlentwicklung ist die Tatsache, dass 80 Prozent der Mittel an nur 20 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe fließen.“
Cioloș erntete für seine Ideen Lob von bäuerlichen Gruppen und
Viel Geld für wenige Profiteure, eine zu intensive ProduktiUmweltverbänden und Spott von der Agrarindustrie und Bauernon, die zu Natur- und Umweltbelastungen und zu einer Margiverbänden. Die Agrarlobby setzte ihre Maschinerie in Gang und
nalisierung der weniger produktiven Standorten führte – damit
fand Gehör bei den Agrarministern und der Mehrheit der Agrarmüsse Schluss sein.
politiker im Europaparlament. Cioloș‘ Vorschläge wurden bis zur
Die Reformvorschläge waren radikal. Marktordnungen sollten
Unkenntlichkeit verwässert.
so gestaltet werden, dass sie Extensivierung und umweltverträgSo werden nun Landschaften, die denen zum Beispiel Mais eiliche Produktionsweisen fördern. Direkte Einkommensbeihilfen
nen Anteil von 75 Prozent ausmacht, einfach als „umweltfreundsollten nach sozialen und regionalen Gesichtspunkten gestaffelt
lich“ definiert. Mit Dünger und Pestiziden soll also mehr Biodiund an eine umweltverträgliche Produktion gekoppelt werden.
versität erreicht werden – absurder geht es nicht! Weitere massive
MacSharry vertrat das Grundprinzip „öffentliche Gelder für öfAusnahmeregelungen machen es den Bauern leicht, ohne große
fentliche Leistungen“.
Veränderung ihrer Produktionsweisen zu Geld zu kommen.
Allerdings wurde nichts davon umgesetzt. Denn die EU-KomWas kann man daraus lernen? Es schimpft sich leicht auf
mission darf zwar Reformvorschläge formulieren, die entspre„Brüssel“, womit immer die Beamten in der EU-Kommission gechenden Beschlüsse fasst sie nicht. Das ist dem EU-Ministermeint sind. Doch genaueres Hinsehen zeigt, nicht immer sind „die
rat vorbehalten, früher allein, heute mit dem Europaparlament.
in Brüssel“ die bösen Buben, die eine sozialökologische TransDer Ministerrat, hier also die Versammlung der nationalen
formation verhindern. In der Agrarpolitik kamen viele sinnvolle
Agrarminister, verwarf den von MacSharry vorgeschlagenen
Vorschläge aus der EU-Kommission. Und ökologisch wirtschafPolitikwechsel.
tende Bauern und Naturschützer haben längst bewiesen, dass eine
Beschlossen wurde stattdessen eine grundlegende Änderung
Transformation der Landwirtschaft weg von einer erdölbasierten,
der Einkommenspolitik. An die Stelle der Markt- und Garantieindustriellen Produktion hin zu einer solarbasierten, nachhaltigen
preispolitik traten hektarbezogene Einkommensübertragungen,
Agrarkultur möglich ist.
die sogenannten „Direktzahlungen“. Davon profitieren vornehmDoch verhindert wird dieser Wandel von denen, die in Minislich die großen, flächenstarken Betriebe. Die Folgen: Heute entterrat und Parlament Entscheidungen im Sinne der Agrarindusfallen 85 Prozent der Zahlungen auf die größten 20 Prozent der
trie treffen. Es sind unsere Minister und die von uns gewählten
Betriebe. Damals wurden 30 Milliarden Euro, heute 50 MilliarAbgeordneten!
den Euro pro Jahr verteilt.
Zehn Jahre nach MacSharry scheiterte auch sein Nachfolger
Lutz Ribbe, Naturschutzpolitischer Direktor
Franz Fischler, ebenfalls am Ministerrat. Er wollte die Direktzahvon EuroNatur und Agrarexperte im Eurolungen herunterfahren und stattdessen eine starke „ländliche Entpäischen Wirtschafts-und Sozialausschuss
wicklungspolitik“, die sogenannte „zweite Säule der GAP“, in den
Mittelpunkt stellen. Fischlers Argument: Die Direktzahlungen
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ls 1958 die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft
gegründet wurde, konnten
die Bauern den Lebensmittelbedarf in Europa nicht ausreichend decken. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) sollte das
ändern. „Modernisierung“ und „Intensivierung“ der
Landwirtschaft waren angesagt. Preis- und Abnahmegarantien wurden eingeführt, und mit einer ganzen Programmpalette wurden die gewünschten Produktivitätssteigerungen realisiert.
Einzelbetriebliche Förderprogramme halfen Bauern, Maschinen anzuschaffen oder neue Ställe zu bauen, in der Landschaft
schufen staatlich finanzierte „Flurbereinigungen“ die Grundlage für die Intensivproduktion. Zersplitterte Agrarflächen wurden zusammengelegt, störendes „Unland“, Raine, Hecken et cetera beseitigt. Steuergeld half aus feuchten Wiesen ertragsreiche
Äcker zu machen, auf Hochleistung getrimmte Tiere wurden in
„moderne“ Stallanlagen gesteckt. Mit Zöllen und Abschöpfungen
schottete sich die EU bewusst vom Weltmarkt ab und diktierte den
Entwicklungsländern ihre Interessen, woraus sich eine neue Form
des Kolonialismus ergab.
Die Industrialisierung der europäischen Landwirtschaft wurde
vorangetrieben, mit dabei die chemische Industrie, die Mineraldünger, Pestizide, Saatgut und – später – Gentechnik lieferte und
sich so einen höchst lukrativen Absatzmarkt schuf.
Und doch war und ist die GAP nicht das Paradies auf Erden,
weder für die Bauern noch für die Umwelt oder die Verbraucher.
Schon damals galt das Credo: „Wachsen oder Weichen“. Der
Strukturwandel in der Landwirtschaft sollte nicht nur für mehr
und billigere Nahrungsmittel sorgen, sondern auch die dringend
benötigten Arbeitskräfte für den schnell expandierenden industriellen Sektor bereitstellen. Agrarbetriebe, die überleben wollten, mussten immer größer und produktiver werden, Natur und
Umwelt begannen für die Wachstumslandwirtschaft ein störender Faktor zu werden. Wer nicht wuchs, schied aus. Bis weit in
die 1980er Jahre hinein ging in der EU im Durchschnitt alle zwei
Minuten ein Bauernhof pleite. Dieser Prozess wiederholt sich derzeit in den neuen EU-Mitgliedsstaaten, in denen die Zwangskollektivierung des Sozialismus weniger erfolgreich war als zum Beispiel in der DDR.
Bil
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a
ge
nt
ki
l lj
Zunächst einmal braucht die Herstellung von Stickstoff-Dünger
Energie – und zwar mehr als das, was für den Betrieb der Landmaschinen benötigt wird. Weltweit werden etwa zwei Prozent des
gesamten Primärenergie-Verbrauchs zur Stickstoff-Synthese benötigt. Angesichts schwindender Vorräte an fossiler Energie stellt
sich daraus als erstes die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, einen
weniger energieabhängigen Pfad zu suchen.
Die zweite Quelle des Stickstoffs, der auf unsere Felder gelangt, ist nicht weniger problematisch. Es ist die Weite der argentinischen Pampa oder der Wälder des Amazonas, die zu riesigen
Sojafeldern geworden ist, um unsere industrielle Tierhaltung mit
Eiweißfutter zu versorgen. 2,5 Millionen Hektar, das entspricht
mehr als einem Fünftel der deutschen Ackerfläche, werden dort allein für die deutsche Tierhaltung angebaut. Die darin enthaltenen
Nährstoffe – vor allem der Stickstoff als Bestandteil des Proteins
– werden über den Atlantik in unsere Ställe geschaufelt, durch den
Stoffwechsel von Geflügel, Schweinen und Rindern geschleust
und auf den Äckern ausgebracht.
Zu diesen beiden Problemen – Verbrauch endlicher fossiler
Energien und Zerstörung der im globalen Ökosystem enorm wichtigen Steppen- und Urwaldflächen Südamerikas – kommt als drittes eine katastrophale Stickstoffbilanz. Denn von insgesamt 200
Kilogramm, die im Durchschnitt auf jedem Hektar als Kunstdünger oder Gülle und Mist landen, wird gerade einmal die Hälfte des
Nährstoffes tatsächlich von den Pflanzen aufgenommen.
Die Überschuss-Werte bedeuten nichts anderes, als dass die andere Hälfte in die Gewässer entsorgt oder als Treibhausgase an die
Atmosphäre abgegeben wird. Dabei dürfte die industrielle Tierhaltung eine größere Rolle spielen als der Ackerbau. Denn durch
den konzentrierten Anfall von Hühnerkot, Schweine- und Rindergülle gelangt punktuell besonders viel Stickstoff in den Boden.
Dasselbe gilt auch für die Überdüngung von Böden mit Phosphat.
Im Übermaß vorhandener Stickstoff verursacht gleich drei Probleme: die Beschleunigung der Klimaerwärmung durch Bildung
von Stickoxiden und Ammoniak, die Verunreinigung des Grundwassers und damit Bildung von Nitrat im Trinkwasser sowie die
Überdüngung von Oberflächengewässern.
„TODESZONEN“ IN DEN MEEREN
Schon lange bevor im Sommer 2010 die Umweltkatastrophe nach
der Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf den Golf von Mexiko lenkte,
begann dort ein Debakel, das genauso weit reichende Folgen hat,
aber mangels ölverschmierter Pelikane keine fernsehtauglichen
Bilder produziert: die Ausbreitung einer „Todeszone“ im Mississippi-Mündungsgebiet. Dort wurde durch die Überdüngung in den
oy
BILLIGE LEBENSMITTEL TEUER ERKAUFT
Die Anstrengungen des Ökolandbaus, die Stickstoff-Einbahnstraße durch einen Kreislauf zu ersetzen, sind auch der Versuch Kostenwahrheit herzustellen. Das Beispiel des Stickstoffs, dem man
noch viele andere hinzufügen könnte, macht deutlich: Die billigen Lebensmittel in den Regalen unserer Supermärkte sind teuer erkauft. Den Großteil der Kosten bekommen wir aber nicht an
der Kasse berechnet. Wir zahlen sie zum Beispiel an die Trinkwasser-Lieferanten, die aufwändig Nitrat und Pestizide aus dem
Wasser entfernen müssen. Und es zahlen die künftigen Generationen, die auf einer immer schmaleren Grundlage versuchen müssen, ihre Nahrung zu erzeugen.
Wenn dieser absurde Zustand beendet werden soll, dann wird
das nur gehen, wenn teuer ist, was uns teuer kommt, und billig,
was uns keine zusätzlichen Kosten verursacht. Die Politik verfügt
über Instrumente, um auf diese Weise dem Markt seine Funktionsfähigkeit wiederzugeben. Lutz Ribbe beschreibt sie in seinem
nebenstehenden Beitrag ebenso wie die Beharrungskräfte, die alles beim Alten lassen wollen. Gegen diese Kräfte können wir unsere Zukunft verteidigen: als Marktteilnehmer durch unsere Entscheidung, was wir kaufen. Und als politische Menschen, indem
wir uns für eine Ernährungswende engagieren.
Felix Prinz zu Löwenstein, Agrarwissenschaftler, Biolandwirt und Vorsitzender des
Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft
THEORIE
4
THEORIE
5
WAS IN DER EUROPÄISCHEN
AGRARPOLITIK FALSCH LÄUFT
VON DEN AMEISEN LERNEN –
DER KREISLAUF DER STOFFE
Te x t : L U T Z R I B B E
Te x t : F E L I X Z U L ÖW E N S T E I N
VON DER MANGEL- ZUR ÜBERSCHUSSLANDWIRTSCHAFT
Ertragssteigerungen von zwei Prozent pro Jahr stand ein nur marginal wachsender Nahrungsmittelbedarf gegenüber. So entstanden Milchseen, Butterberge wuchsen, Getreideüberschüsse quollen aus den Lagerhäusern. In den 1970er Jahren wurde deshalb
ein neues Zeitalter in der GAP eingeläutet: die Überschussbekämpfung. Es wurde die Lagerung finanziert, Überschüsse wurden vernichtet und Abschlachtprämien für Tiere eingeführt – und
der Weltmarkt wurde als Absatzquelle entdeckt.
Doch für die hoch preisgestützten Produkte wollte außerhalb
von Europa niemand Geld ausgeben. Kein Problem für die GAP,
ein weiterer Griff in die Steuerkasse, und schon wurden mit „Exporterstattungen“ die Unterschiede zwischen dem hohen europäischen Preisniveau und den auf dem Weltmarkt real existierenden
Preisen ausgeglichen. Und das kostete: 1980 erreichten die EU-Ausgaben rund zehn Milliarden Euro und 1985 schon 20 Milliarden.
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ACKERBAU ALS INDUSTRIELLER PROZESS
Als Zentral-Atom in den Aminosäuren, aus denen Eiweiß und
damit der wichtigste Baustein aller Lebewesen gebildet wird, ist
Stickstoff, das Element mit dem Kürzel N, unabdingbar für das
Pflanzenwachstum. Seine Quellen sind traditionell der Mist aus
dem Stall, die Bodenlebewesen, die organischen Bestandteile des
Bodens („Humus“) und Stickstoff bindende Leguminosen – Hülsenfrüchtler wie Klee, Luzerne oder Erbsen.
Seit 1910 das Haber-Bosch-Verfahren es möglich machte,
Stickstoff aus der Luft zu gewinnen, konnte die Begrenztheit dieser Quellen überwunden werden. Die Fruchtbarkeit des Bodens
und seine Fähigkeit, Nährstoffe zu mobilisieren, hatte ihre Bedeutung verloren.
Lange konnte man allerdings den durch künstlichen Stickstoff
möglichen Ertragsfortschritt nur in geringem Umfang nutzen, weil
man der Krankheitsprobleme nicht Herr werden konnte, die durch
seinen Einsatz entstandenen. Erst in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts, als die Agrarchemie die Pestizide entwickelt hatte,
konnten unterstützt durch die Pflanzenzüchtung die Erträge auf
das heutige Niveau geschraubt werden. Der Ackerbau wurde nun
nach dem Vorbild industrieller Prozesse organisiert.
Die Probleme dieser Entwicklung reichen über unerwünschte
Nebenwirkungen der Pestizide auf die Gesundheit von Menschen
und Umwelt weit hinaus.
flussaufwärts gelegenen Ackerbaugebieten, die vom
längsten Strom der Welt durchflossen werden, das
Algenwachstum so angeheizt, dass kaum noch Sauerstoff vorhanden ist.
Forscher der University of Maryland berichteten im
Frühjahr 2010 in der Fachzeitschrift „Science“, dass diese Todeszonen durch die Produktion von Stickoxiden die
Ozonschicht schädigen und zur globalen Erwärmung beitragen. Sie führen zudem auf direktem Weg zur Verminderung der
Nahrungsproduktion, weil in diesen Zonen alles Leben auf dem
Meeresboden abstirbt. So wird die Nahrungskette unterbrochen,
die zur Entstehung von Fischbeständen erforderlich ist.
Solche Todeszonen gibt es weltweit. 169 davon listete im Sommer 2012 das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP
auf. Davon seien nur 13 dabei, sich zu erholen. 415 weitere Gebiete seien hingegen kurz davor, dass auch ihnen durch den Zufluss
von Düngemitteln der Erstickungstod drohe.
Vor vier Jahren verwies Schwedens Meteorologisches Institut in Göteborg darauf, dass sich die Fläche, auf der der Boden
der Ostsee biologisch tot ist, immer schneller vergrößert. Schon
ein Fünftel der Böden in der Kern-Ostsee zwischen Dänemark
und den Åland-Inseln sei ohne Sauerstoff. Ein weiteres Drittel
der Meeresböden ist angesichts fortschreitenden Sauerstoffmangels vom gleichen Schicksal bedroht. So wächst die Gefahr giftiger Algenblüten, und 30 bis 50 Prozent der tierischen Biomasse
in der Ostsee sind in den letzten fünf Jahrzehnten verschwunden.
Damit fehlen bis zu drei Millionen Tonnen Bodenlebewesen auf
der Speisekarte der Fische. Wenn nichts geschieht, wird diese Entwicklung alle Anstrengungen, über verminderte Fischereiquoten
die Erholung der Kabeljau-Bestände zu fördern, zunichtemachen.
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W
enn es stimmt, dass die
Gesamtkörpermasse aller Ameisen so groß ist wie
die der Menschen, wirft das
die Frage auf: Wieso schaffen es die Tiere, einen so kleinen Fußabdruck auf dieser Erde
zu hinterlassen, während die Menschen in den letzten zwei
Jahrhunderten ihr Lebensumfeld so stark verändert haben, dass
die Geowissenschaft mit der Industrialisierung ein neues Erdzeitalter anbrechen sieht, das sie „Anthropozän“ nennt?
Der Unterschied liegt im Ressourcenverbrauch. Während die
Ameisen alle Stoffe, die sie zu ihrer Ernährung und zum Bau ihrer kunstvollen Behausungen benötigen, dem natürlichen Kreislauf entnehmen und sie in diesen zurückgeben, brauchen wir
Menschen innerhalb weniger Generationen Ressourcen auf, die
einmalig und endlich sind. Wir entnehmen sie Lagerstätten, wo sie
sich im Verlauf der Erdgeschichte angesammelt haben, und verteilen sie ebenso großzügig wie nicht rückholbar in den scheinbar unendlichen Reservoirs der Atmosphäre und der Weltmeere.
Dort entfalten sie Wirkung. Sie verändern zum Beispiel die Zusammensetzung der Erdatmosphäre und damit die globale Durchschnittstemperatur. Oder sie überdüngen die Gewässer bis hin
zum Umkippen aquatischer Ökosysteme.
Sich ein Beispiel an den Ameisen zu nehmen ist ein Grundanliegen der ökologischen Landwirtschaft. Sie will die Nährstoffe
im Kreislauf halten und dem offenen System der Natur keine Stoffe hinzufügen, die ihm fremd sind.
Das Gegenbild dazu ist eine konventionelle Landwirtschaft,
die ich deshalb industriell nenne, weil sie den Boden nicht als lebenden Organismus wahrnimmt, sondern als Substrat, in dem die
Pflanzen wurzeln können, um nicht umzufallen, und das als Medium zur Verabreichung der Nährstoffe dient. Was ich damit meine, will ich am Beispiel von Stickstoff beschreiben.
/F
waren eine Antwort auf Preissenkungen von
1992, und man könne nicht dauerhaft mit dem
Argument einer Preissenkung in der Vergangenheit einen staatlich organisierten Geldtransfer durchhalten. Viel besser seien die Mittel in
der zweiten Säule investiert. Dort gilt „Geld gegen
Leistung“ – für umweltverträgliche Produktionsformen und regionale Vermarktungsinitiativen, für gesellschaftlich akzeptierte Maßnahmen.
Doch die Profiteure des alten Systems waren stärker
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als
Fischlers
richtige Gedanken, die Daumen der Minister
an
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gingen nach unten.
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B
Im November 2010 trat EU-Agrarkommissar Dacian Cioloș
mit einem weitgehenden Reformplan an. Er meinte, die GAP
müsse „grüner und gerechter“ werden. Geld sollte nicht mehr
unbegrenzt an die großen Betriebe fließen, vielmehr sollten kleinere Strukturen profitieren. Die Vergabe öffentlicher TransferAnfang der 1990er Jahre – die GAP kostete mittlerweile 30 Millizahlungen sollte strikt an die Einhaltung ökologischer Vorgaben
arden Euro pro Jahr – erkannte der zuständige EU-Agrarkommisgebunden werden. Jeder Betrieb sollte beispielsweise sieben Prosar Ray MacSharry als erster hochrangiger Politiker einen Transzent seiner Betriebsfläche unter „ökologischen Vorrang“ stellen,
Vorgaben zur Anbauvielfalt einhalten und Grünland erhalten. Nur
formationsbedarf:
„Der Status quo lässt sich weder verteidigen noch aufrechtBauer zu sein oder nur bestehende Gesetze zu achten, so Cioloș,
erhalten. Und obwohl die Mittel für den Agrarsektor zwischen
sei kein gesellschaftlicher Gegenwert, der es rechtfertige, pro Jahr
1990 und 1991 um fast 30 Prozent aufgestockt wurden, müssen
50 Milliarden Euro auszugeben.
die Landwirte in allen Mitgliedstaaten weitere Einbußen hinnehDIE LANGE HAND DER AGRARLOBBY
men. Wir haben mit unserer Politik nicht zu verhindern gewusst,
REICHT BIS GANZ NACH OBEN
dass die Landwirte in Scharen ihre Tätigkeit aufgeben. Eine weitere Fehlentwicklung ist die Tatsache, dass 80 Prozent der Mittel an nur 20 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe fließen.“
Cioloș erntete für seine Ideen Lob von bäuerlichen Gruppen und
Viel Geld für wenige Profiteure, eine zu intensive ProduktiUmweltverbänden und Spott von der Agrarindustrie und Bauernon, die zu Natur- und Umweltbelastungen und zu einer Margiverbänden. Die Agrarlobby setzte ihre Maschinerie in Gang und
nalisierung der weniger produktiven Standorten führte – damit
fand Gehör bei den Agrarministern und der Mehrheit der Agrarmüsse Schluss sein.
politiker im Europaparlament. Cioloș‘ Vorschläge wurden bis zur
Die Reformvorschläge waren radikal. Marktordnungen sollten
Unkenntlichkeit verwässert.
so gestaltet werden, dass sie Extensivierung und umweltverträgSo werden nun Landschaften, die denen zum Beispiel Mais eiliche Produktionsweisen fördern. Direkte Einkommensbeihilfen
nen Anteil von 75 Prozent ausmacht, einfach als „umweltfreundsollten nach sozialen und regionalen Gesichtspunkten gestaffelt
lich“ definiert. Mit Dünger und Pestiziden soll also mehr Biodiund an eine umweltverträgliche Produktion gekoppelt werden.
versität erreicht werden – absurder geht es nicht! Weitere massive
MacSharry vertrat das Grundprinzip „öffentliche Gelder für öfAusnahmeregelungen machen es den Bauern leicht, ohne große
fentliche Leistungen“.
Veränderung ihrer Produktionsweisen zu Geld zu kommen.
Allerdings wurde nichts davon umgesetzt. Denn die EU-KomWas kann man daraus lernen? Es schimpft sich leicht auf
mission darf zwar Reformvorschläge formulieren, die entspre„Brüssel“, womit immer die Beamten in der EU-Kommission gechenden Beschlüsse fasst sie nicht. Das ist dem EU-Ministermeint sind. Doch genaueres Hinsehen zeigt, nicht immer sind „die
rat vorbehalten, früher allein, heute mit dem Europaparlament.
in Brüssel“ die bösen Buben, die eine sozialökologische TransDer Ministerrat, hier also die Versammlung der nationalen
formation verhindern. In der Agrarpolitik kamen viele sinnvolle
Agrarminister, verwarf den von MacSharry vorgeschlagenen
Vorschläge aus der EU-Kommission. Und ökologisch wirtschafPolitikwechsel.
tende Bauern und Naturschützer haben längst bewiesen, dass eine
Beschlossen wurde stattdessen eine grundlegende Änderung
Transformation der Landwirtschaft weg von einer erdölbasierten,
der Einkommenspolitik. An die Stelle der Markt- und Garantieindustriellen Produktion hin zu einer solarbasierten, nachhaltigen
preispolitik traten hektarbezogene Einkommensübertragungen,
Agrarkultur möglich ist.
die sogenannten „Direktzahlungen“. Davon profitieren vornehmDoch verhindert wird dieser Wandel von denen, die in Minislich die großen, flächenstarken Betriebe. Die Folgen: Heute entterrat und Parlament Entscheidungen im Sinne der Agrarindusfallen 85 Prozent der Zahlungen auf die größten 20 Prozent der
trie treffen. Es sind unsere Minister und die von uns gewählten
Betriebe. Damals wurden 30 Milliarden Euro, heute 50 MilliarAbgeordneten!
den Euro pro Jahr verteilt.
Zehn Jahre nach MacSharry scheiterte auch sein Nachfolger
Lutz Ribbe, Naturschutzpolitischer Direktor
Franz Fischler, ebenfalls am Ministerrat. Er wollte die Direktzahvon EuroNatur und Agrarexperte im Eurolungen herunterfahren und stattdessen eine starke „ländliche Entpäischen Wirtschafts-und Sozialausschuss
wicklungspolitik“, die sogenannte „zweite Säule der GAP“, in den
Mittelpunkt stellen. Fischlers Argument: Die Direktzahlungen
W
A
ls 1958 die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft
gegründet wurde, konnten
die Bauern den Lebensmittelbedarf in Europa nicht ausreichend decken. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) sollte das
ändern. „Modernisierung“ und „Intensivierung“ der
Landwirtschaft waren angesagt. Preis- und Abnahmegarantien wurden eingeführt, und mit einer ganzen Programmpalette wurden die gewünschten Produktivitätssteigerungen realisiert.
Einzelbetriebliche Förderprogramme halfen Bauern, Maschinen anzuschaffen oder neue Ställe zu bauen, in der Landschaft
schufen staatlich finanzierte „Flurbereinigungen“ die Grundlage für die Intensivproduktion. Zersplitterte Agrarflächen wurden zusammengelegt, störendes „Unland“, Raine, Hecken et cetera beseitigt. Steuergeld half aus feuchten Wiesen ertragsreiche
Äcker zu machen, auf Hochleistung getrimmte Tiere wurden in
„moderne“ Stallanlagen gesteckt. Mit Zöllen und Abschöpfungen
schottete sich die EU bewusst vom Weltmarkt ab und diktierte den
Entwicklungsländern ihre Interessen, woraus sich eine neue Form
des Kolonialismus ergab.
Die Industrialisierung der europäischen Landwirtschaft wurde
vorangetrieben, mit dabei die chemische Industrie, die Mineraldünger, Pestizide, Saatgut und – später – Gentechnik lieferte und
sich so einen höchst lukrativen Absatzmarkt schuf.
Und doch war und ist die GAP nicht das Paradies auf Erden,
weder für die Bauern noch für die Umwelt oder die Verbraucher.
Schon damals galt das Credo: „Wachsen oder Weichen“. Der
Strukturwandel in der Landwirtschaft sollte nicht nur für mehr
und billigere Nahrungsmittel sorgen, sondern auch die dringend
benötigten Arbeitskräfte für den schnell expandierenden industriellen Sektor bereitstellen. Agrarbetriebe, die überleben wollten, mussten immer größer und produktiver werden, Natur und
Umwelt begannen für die Wachstumslandwirtschaft ein störender Faktor zu werden. Wer nicht wuchs, schied aus. Bis weit in
die 1980er Jahre hinein ging in der EU im Durchschnitt alle zwei
Minuten ein Bauernhof pleite. Dieser Prozess wiederholt sich derzeit in den neuen EU-Mitgliedsstaaten, in denen die Zwangskollektivierung des Sozialismus weniger erfolgreich war als zum Beispiel in der DDR.
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Zunächst einmal braucht die Herstellung von Stickstoff-Dünger
Energie – und zwar mehr als das, was für den Betrieb der Landmaschinen benötigt wird. Weltweit werden etwa zwei Prozent des
gesamten Primärenergie-Verbrauchs zur Stickstoff-Synthese benötigt. Angesichts schwindender Vorräte an fossiler Energie stellt
sich daraus als erstes die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, einen
weniger energieabhängigen Pfad zu suchen.
Die zweite Quelle des Stickstoffs, der auf unsere Felder gelangt, ist nicht weniger problematisch. Es ist die Weite der argentinischen Pampa oder der Wälder des Amazonas, die zu riesigen
Sojafeldern geworden ist, um unsere industrielle Tierhaltung mit
Eiweißfutter zu versorgen. 2,5 Millionen Hektar, das entspricht
mehr als einem Fünftel der deutschen Ackerfläche, werden dort allein für die deutsche Tierhaltung angebaut. Die darin enthaltenen
Nährstoffe – vor allem der Stickstoff als Bestandteil des Proteins
– werden über den Atlantik in unsere Ställe geschaufelt, durch den
Stoffwechsel von Geflügel, Schweinen und Rindern geschleust
und auf den Äckern ausgebracht.
Zu diesen beiden Problemen – Verbrauch endlicher fossiler
Energien und Zerstörung der im globalen Ökosystem enorm wichtigen Steppen- und Urwaldflächen Südamerikas – kommt als drittes eine katastrophale Stickstoffbilanz. Denn von insgesamt 200
Kilogramm, die im Durchschnitt auf jedem Hektar als Kunstdünger oder Gülle und Mist landen, wird gerade einmal die Hälfte des
Nährstoffes tatsächlich von den Pflanzen aufgenommen.
Die Überschuss-Werte bedeuten nichts anderes, als dass die andere Hälfte in die Gewässer entsorgt oder als Treibhausgase an die
Atmosphäre abgegeben wird. Dabei dürfte die industrielle Tierhaltung eine größere Rolle spielen als der Ackerbau. Denn durch
den konzentrierten Anfall von Hühnerkot, Schweine- und Rindergülle gelangt punktuell besonders viel Stickstoff in den Boden.
Dasselbe gilt auch für die Überdüngung von Böden mit Phosphat.
Im Übermaß vorhandener Stickstoff verursacht gleich drei Probleme: die Beschleunigung der Klimaerwärmung durch Bildung
von Stickoxiden und Ammoniak, die Verunreinigung des Grundwassers und damit Bildung von Nitrat im Trinkwasser sowie die
Überdüngung von Oberflächengewässern.
„TODESZONEN“ IN DEN MEEREN
Schon lange bevor im Sommer 2010 die Umweltkatastrophe nach
der Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf den Golf von Mexiko lenkte,
begann dort ein Debakel, das genauso weit reichende Folgen hat,
aber mangels ölverschmierter Pelikane keine fernsehtauglichen
Bilder produziert: die Ausbreitung einer „Todeszone“ im Mississippi-Mündungsgebiet. Dort wurde durch die Überdüngung in den
oy
BILLIGE LEBENSMITTEL TEUER ERKAUFT
Die Anstrengungen des Ökolandbaus, die Stickstoff-Einbahnstraße durch einen Kreislauf zu ersetzen, sind auch der Versuch Kostenwahrheit herzustellen. Das Beispiel des Stickstoffs, dem man
noch viele andere hinzufügen könnte, macht deutlich: Die billigen Lebensmittel in den Regalen unserer Supermärkte sind teuer erkauft. Den Großteil der Kosten bekommen wir aber nicht an
der Kasse berechnet. Wir zahlen sie zum Beispiel an die Trinkwasser-Lieferanten, die aufwändig Nitrat und Pestizide aus dem
Wasser entfernen müssen. Und es zahlen die künftigen Generationen, die auf einer immer schmaleren Grundlage versuchen müssen, ihre Nahrung zu erzeugen.
Wenn dieser absurde Zustand beendet werden soll, dann wird
das nur gehen, wenn teuer ist, was uns teuer kommt, und billig,
was uns keine zusätzlichen Kosten verursacht. Die Politik verfügt
über Instrumente, um auf diese Weise dem Markt seine Funktionsfähigkeit wiederzugeben. Lutz Ribbe beschreibt sie in seinem
nebenstehenden Beitrag ebenso wie die Beharrungskräfte, die alles beim Alten lassen wollen. Gegen diese Kräfte können wir unsere Zukunft verteidigen: als Marktteilnehmer durch unsere Entscheidung, was wir kaufen. Und als politische Menschen, indem
wir uns für eine Ernährungswende engagieren.
Felix Prinz zu Löwenstein, Agrarwissenschaftler, Biolandwirt und Vorsitzender des
Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft
ENERGIEWENDE AUF
DER SPEISEKARTE
175.000
MEGAJOULE PRO HEKTAR
UNSER FLEISCHHUNGER
FRISST DIE WELT
REIS AUS
KONVENTIONELLER
LANDWIRTSCHAFT
TIERFUTTER VERGEUDET ACKERLAND IN DER WELT
150.000
Konzeption: KAI N I EBERT
Umsetzung: JENNIFER KALISCH
REIS AUS
BIOLOGISCHER
LANDWIRTSCHAFT
2,2 MIO. HA
125.000
DIE FALSCHEN WERDEN
GEFÖRDERT
DER FLÄCHENIMPORT
HAT FOLGEN:
Regenwaldrodung für neue Anbauflächen
Verlust von Bodenfruchtbarkeit
Konflikte um Land
Gefährdung der Ernährungssicherheit
über 70 % der Soja sind genmanipuliert
2,2 MILLIONEN
HEKTAR LAND…
DAS ENTSPRICHT ETWA DER
LANDESFLÄCHE VON HESSEN…
… stellt Südamerika für den deutschen
Sojabedarf als Anbaufläche zur Verfügung
… für eine Produktion von
5,34 Millionen Tonnen Soja pro Jahr
100.000
SETZEN WIR DIE RICHTIGEN PRIORITÄTEN?
75.000
GEMÜSE UND OBST
NAHRUNG
VERWENDUNG
VON SOJA
IN DEUTSCHLAND
ANDERE ZWECKE
FUTTERMITTEL
ZUCKER, ÖL, SALZ USW.
Quelle: FAO
GETREIDEPRODUKTE
FLEISCH, MILCHPRODUKTE
50.000
VERTEILUNG DER
SUBVENTIONEN FÜR LANDWIRTSCHAFTLICHE PRODUKTE
ENERGIEHUNGER UNSERER
LEBENSMITTEL
EMPFEHLUNG
ZUR GESUNDEN ERNÄHRUNG
(LAUT DGE)
FOSSILER ENERGIEAUFWAND VS. ENERGIEGEWINN
Gesunde Lebensmittel werden immer teurer und ungesunde immer billiger.
Ein Grund: Der Großteil der EUSubventionen für die Landwirtschaft fließt
in riesige Milch und Fleischfabriken sowie in die Zuckerproduktion. Das ist
häufig nicht nur Tierquälerei, sondern macht auch krank.
25.000
SONNENENERGIE
Quelle: Physicians Committee for Responsible Medicine 2007
FOSSILE ENERGIE
1:20
0
DIE WAHREN KOSTEN
EINES BURGERS
WIR ESSEN FOSSILE ENERGIE
UMWELT- & GESUNDHEITSSCHÄDEN ERHÖHEN KOSTEN
Bis ins letzte Jahrhundert kam unsere Nahrungsenergie nahezu direkt von der Sonne: Entweder wir aßen Pflanzen, die
Sonnenenergie durch Fotosynthese speichern – oder wir aßen Tiere, die Pflanzen fraßen. Um mehr Nahrung zu gewinnen,
wurden oft Kriege geführt und schließlich eine Revolution vollzogen: Zwischen 1950 und 1984 stieg die Weltgetreide
produktion um 250 %. Der Gewinn ist jedoch schmutzig erkauft.
Der Großteil der Nahrungsenergie in der industriellen Landwirtschaft kommt nicht mehr aus der Sonne,
sondern aus fossilen Brennstoffen in Düngemitteln (Erdgas, Kohle), Pestiziden (Öl) und Maschinen (Diesel,
Strom). Einzig die ökologische Landwirtschaft schafft es, das Gros unserer Nahrungsenergie aus der
Sonne zu gewinnen.
Um bald neun Milliarden Menschen bei ausgehenden fossilen Rohstoffen und
drohendem Klimawandel ernähren zu können, brauchen wir vor allem eins:
eine Energiewende in der Landwirtschaft.
4
3
Quelle: Mansoori et al. 2012
SPEISEKARTE
ENERGIEINPUT BEI LEBENSMITTELN
AM BEISPIEL REIS IN MEGAJOULE PRO HEKTAR
BIOLOGISCH
1:5
0
5:1
10:1
Quelle: Bittmann 2014, Schmidinger 2012
12000
25:1
30:1
25000
9000
20000
10000
20000
3000
5000
SAMEN
0
WASSER
0
Je stärker behandelt das Saatgut ist, desto
mehr fossile Energie steckt drin.
0
0
Ökologische Landwirtschaft ist arbeitsintensiver,
schluckt aber weniger fossile Energie als konventionelle.
DUNG
500
6000
15000
KALIUM
40000
PHOSPHAT
1000
PFLANZENSCHUTZMITTEL
STROM
30000
60000
GEMÜSE
20:1
TREIBHAUS-GEMÜSE
35000
80000
1500
1 Euro. Dafür bekommt man bei den großen FastFoodKetten 120 Gramm Bulet
te, Soße, eine Scheibe Käse und ein Brötchen, insgesamt gut 300 Kalorien. Das ist
der Ladenpreis für einen Cheeseburger. Die tatsächlichen Kosten sind aber um
einiges höher: Die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch in Brasilien
beispielsweise erzeugt genauso viel klimaschädliches CO2 wie eine 1.600 Kilo
meter lange Autofahrt: 335 Kilogramm. Damit liegen etwa 60 Gramm Cheese
burgerbulette alleine bei 20 Kilogramm CO2. Eine Tonne CO2 verursacht laut
Umweltbundesamt Umweltschäden in Höhe von 70 Euro. Damit führt allein die
Bulette im Cheeseburger zu einem Klimaschaden von 1,20 Euro. Hinzu kommen
das CO2 aus der Käsescheibe, die gesundheitlichen Schäden durch stark fett und
salzhaltige Nahrung, Kosten für den verlorenen Regenwald, die Bodenerosion
oder den Verlust von Biodiversität durch den Anbau von Futtermitteln oder die
Viehzucht...
Diese externalisierten Kosten zahlen wir nicht an der Ladentheke, sondern über
unsere Krankenversicherung (Gesundheitsschäden), Steuern (Umweltschäden)
oder aber wir bürden sie gleich künftigen Generationen und den Menschen in
der Subsahara auf (Klimawandel).
15000
In der Bewässerung ist Bioreis deutlich auf
wändiger als konventioneller.
Konventionelle Landwirtschaft steckt durch künstliche Düngung und
Pflanzenschutz voller fossiler Energie.
35:1
BIOLOGISCH
KONVENTIONELL
Um die Effizienz eines Prozesses zu beurtei
len, sind der Input und der Output an Energie
entscheidend. Die industrielle Landwirtschaft
basiert auf massivem Einsatz fossiler Energie
träger. Leichte Produktivitätsgewinne gegen
über dem ökologischen Anbau werden durch
negative Energiebilanzen erkauft. Noch dra
matischer wird die Bilanz durch den Versuch,
auch im Winter Tomaten, Gurken und Co. in
beheizten Treibhäusern zu ziehen.
Quelle: Lünzer 1979
2000
DÜNGER:
40000
MASCHINEN
4,00 EURO
Wahre Kosten
eines Burgers
MENSCH
1,00 EURO
Verkaufskosten
eines Burgers
100000
DIESEL
2500
BEWÄSSERUNG:
STICKSTOFF
ARBEIT:
SAATGUT:
EIER
15:1
1
MILCH
KONVENTIONELL
1:10
RINDFLEISCH
2
VERHÄLTNIS ENERGIEINPUT ZU ENERGIEGEWINN
1:15
550:1
571:1
PRAXIS
„DEN DIALOG ZWISCHEN
STADT UND LAND BELEBEN“
Ob die Landwirtschaft zukunftsfähig wird, entscheiden vor allem die Konsumenten bei ihrem
Einkauf. Städter schauen noch viel zu selten, woher ihre Lebensmittel kommen, sagt Antje Kölling,
Agrarwissenschaftlerin und Politikexpertin vom Anbauverband Demeter
I n t e r vi e w: SA N DR A K I RC H N E R
PRAXIS
Wer kann die notwendige Transformation überhaupt anschieben? Die Politik oder die Verbraucher?
Zum einen müssen wir den Dialog zwischen Stadt und Land beleben. Städter schauen noch viel zu selten, woher ihre Lebensmittel kommen – auch wenn es schon tolle Ansätze wie Saisongärten oder solidarische Landwirtschaft gibt. Letztlich stimmen die
Konsumenten mit ihrem Einkaufskorb ab. Aber die Politik kann
sich nicht aus der Verantwortung stehlen, bessere Rahmenbedingungen zu setzen. Der Zugang zu Land wird für Jung- und Kleinbauern immer schwieriger. Außerlandwirtschaftliche Investoren
treiben die Landpreise hoch – hier muss die Politik steuernd eingreifen, damit eine diversifizierte Kulturlandschaft erhalten bleibt.
OHNE PHOSPHOR GEHT ES NICHT
Das wichtigste Element der Landwirtschaft wird knapp – eine unterschätzte Gefahr für die Ernährung von neun Milliarden Menschen
Te x t: N I C K R E I M E R
E
s trägt die Ordnungszahl 15 im
Periodensystem der Elemente:
Phosphor ist für alle lebenden
Organismen essenziell. Phosphor befindet sich in jeder Pflanze, jedem Tier, es stabilisiert
Zellwände, bildet Knochen und
ermöglicht Wachstum. Phosphorverbindungen
sind Bestandteil der Erbinformationen. Phosphor beeinflusst die Photosynthese, den Kohlenhydrat- und den Wasserhaushalt. Leben ist ohne
Phosphor undenkbar.
Dass die industrielle Landwirtschaft Anfang des 21. Jahrhunderts sieben Milliarden
Menschen mehr oder weniger ausreichend ernähren kann, liegt hauptsächlich an drei Elementen: Kalium, Stickstoff und Phosphor. Die
Stoffe, aus denen der Kunstdünger entstand. Sie
haben im letzten Jahrhundert zu einer Revolution, zu einer immensen Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität geführt.
Auf der anderen Seite machten die Erfindung der Wassertoilette, die Industrialisierung
der Landwirtschaft und unsere mittlerweile alltägliche Fleischeslust den Einsatz von Phosphormineraldünger überhaupt erst nötig. Heute werden weltweit 100.000 Tonnen Phosphor im Jahr
in Minen abgebaut, 90 Prozent davon werden
zu chemischen Düngemitteln verarbeitet. Vier
Fünftel des zurzeit nutzbaren Phosphors lagern
in nur vier Ländern: Marokko mit der besetzten
Foto: Nick Reimer
Ist die EU-Agrarreform aus dem vergangenen Jahr ein Schritt in die richtige
Richtung? Oder ist die Gemeinsame Agrarpolitik der EU wirkungslos?
Die Agrarreform hat Chancen eröffnet, doch letztlich ist sie durch die
vielen Ausnahmeregelungen zahnlos geworden. So waren beispielsweise Umwelt- und Bio-Verbände sehr enttäuscht, dass Deutschland
die Vorgaben für die ökologischen Vorrangflächen aufgeweicht hat,
auf denen nun sogar Chemikalien eingesetzt werden dürfen. Außerdem hatten wir auf eine breitere Finanzierung der ländlichen Entwicklung gehofft. Ökologische Maßnahmen und bäuerliche Strukturen hätten gezielter gefördert werden können. Jetzt liegt der Ball
bei den Bundesländern. Sie können die Beratung für den ökologischen Landbau fördern oder Zusammenschlüsse für die Vermarktung. Neu ist eine Maßnahme zur Vernetzung von Wissenschaft und
Landwirtschaft, um zu mehr Nachhaltigkeit und Produktivität zu
kommen. Das ist ein Anfang – aber zu wenig für eine Agrarwende.
Bäuerinnen verkaufen Brot im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang: Weltweit wird es für Kleinbauern immer schwerer Zugang zu Land zu erhalten und damit zu überleben.
Frau Kölling, Landwirtschaft zerstört massiv die Umwelt, die
Gewässer, das Klima. Allein die landnutzungsbedingten CO2Emissionen sind drastisch gestiegen. Was muss sich ändern?
Antje Kölling: In der Landwirtschaft geht es nicht nur um Kohlendioxid. Lachgas ist 296-mal klimaschädlicher. Es entweicht vor
allem aus Böden, die im konventionellen Landbau mit viel Stickstoffdünger behandelt wurden. Wir brauchen aber ökologischen
Landbau, denn bei organischer Düngung wird durch Humusbildung Kohlenstoff im Boden gebunden. Auch die Anpassung an die
Folgen des Klimawandels ist wichtig. Böden, die mit organischer
Landwirtschaft bewirtschaftet werden, haben eine bessere Wasseraufnahmefähigkeit bei Starkregenfällen. Außerdem brauchen wir
robuste Pflanzen und mehr Sortenvielfalt für größere wirtschaftliche Klima-Resilienz. Wer seine Landwirtschaft auf Vielfalt aufbaut, kann bei klimabedingtem Ausfall einer Frucht von den Erträgen der übrigen Kulturen und Betriebszweige leben. Die Folgen
der industriellen Landwirtschaft wie Bodenerosion und Verlust der
biologischen Vielfalt können wir uns auf Dauer nicht leisten.
Brauchen wir wirklich mehr Ökolandbau-Förderung? Ist es nicht sinnvoller, etwa den Ausstoß von Treibhausgasen per Gesetz zu begrenzen ?
In einer idealen Welt wären auch externe Kosten der Landwirtschaft wie Umwelt- und Gesundheitsschäden im Preis des Lebensmittels inbegriffen – dann wäre Ökolandbau wettbewerbsfähig.
Doch wir haben einen stark verzerrten Wettbewerb, bei dem die
externen Kosten der konventionellen Landwirtschaft letztlich der
Gesellschaft aufgebürdet werden. Deshalb ist es wichtig, den ökologischen Landbau zu fördern. Besonders am Anfang – denn um
einen Hof umzustellen braucht es Wissen, Zeit und Geld und man
hat größere Risiken, solange die ökologischen Systeme und die Absatzmärkte noch nicht eingespielt sind.
Die Permakultur stellt nach ihren Begründern –
den Australiern Bill Mollison und David Holmgren – eine grundlegend andere Frage: Wie kann
die Produktion am besten an die Standortbedingungen angepasst werden und als ökosoziales
Gesamtsystem nachhaltig betrieben werden?
Will heißen: Der Bauer nimmt das, was er vor
DER UNTERGANG DER ZIVILISATION IST
NICHT LÄNGER THEORIE
Seit dem Jahr 2010 ist eine Reihe wissenschaftlicher Studien erschienen, die von einer Katastrophe künden. Forschungen aus Schweden,
Australien oder den USA legen nahe, dass schon
zur Mitte des Jahrhunderts das Phosphor knapp
wird. Schon heute beobachten die Wissenschaftler irrwitzige Preissprünge auf den globalen
Rohstoffmärkten, an den Börsen tobten milliardenschwere Übernahmeschlachten von Phosphor-Produzenten. Die Wissenschaftler warnen: Wird der Phosphat-Mineraldünger knapp,
geht die industrielle Nahrungsmittelproduktion
Gülle auf die Felder: Was im Ökolandbau Teil eines Kreislaufs ist, wird in der industriellen Landwirtschaft zum Riesenproblem.
Woran liegt das? Wer sind die größten Widersacher einer agrarökologischen Wende?
In erster Linie sind das die Industrie-Unternehmen, die Saatgut,
Kunstdünger und Pestizide verkaufen. Die haben sehr viel Geld und
sind mächtig. Entscheidend ist aber auch die Ignoranz der städtischen
Eliten gegenüber den Bedürfnissen der ländlichen Entwicklung.
Wie lassen sich die notwendigen Veränderungen dennoch anstoßen?
Es kommt weniger auf Geld an als auf Bildung, das Recht auf
Land und den Schutz vor Willkür; auf das Recht von Frauen, ein
Konto zu eröffnen, lesen und schreiben zu lernen und nur so viele Kinder zu bekommen, wie sie wollen. Es geht in allererster Linie um Menschenrechte und mehr Demokratie, also um Ernährungssouveränität.
Ort findet, versucht seinen Anbau optimal in das
vorhandene Ökosystem zu integrieren. Nicht das
Mehr entscheidet, sondern das Wie und Wofür.
Ganz im Sinne des neuen wachstumskritischen
Diskurses ist wichtig, wie etwas im Einklang mit
der Umgebung produziert und wie es letztendlich konsumiert wird.
Der Anspruch an den Permakulturdesigner
ist also groß: Es geht um ein selbstorganisiertes Leben mit und in der Natur, jenseits der herkömmlichen Ertrags- und Profitrechnungen.
Denn mit der Ernte hört die Permakultur, wie der
Name schon vermuten lässt, nicht auf: Alles soll
wieder verwendet, der Ertrag getauscht und nicht
primär zu Geld gemacht werden. Das ist sicherlich der entscheidende Grund, warum Permakultur es nicht in den Mainstream-Diskurs der
Agrarwissenschaft schafft. Immerhin studiert
man heute ja auch „Agrarökonomie“. Selbstversorgern, entschleunigtem Leben und Kritik am
Geldsystem haftet hingegen der Geruch von mittelalterlichen Methoden und Hängematten-Esoterik an. Permakultur-Vertreter sind deshalb so
etwas wie die Anarchisten der Agrarwirtschaft.
Der Kurs von Uwe Scheibler in Göttingen ist
mittlerweile weit über seine akademischen Grenzen hinausgewachsen. Die Studenten waren so
begeistert, dass der Kurs eine unerwartete Eigendynamik entwickelte. Heute wohnt ein Teil von
ihnen vor Ort. Sie organisieren sich selbst Strom
und Wasser, leben von ihren eigenen Lebensmitteln und gehen „containern“ – Reste von Supermärkten einsammeln –, wenn die Ernte nicht
reicht. „Ich habe selten so hoch motivierte Studenten erlebt“, erzählt Scheibler, „sie gehen nun
ganz anders mit Lebensmitteln um, organisieren sich völlig selbstständig und haben einen unglaublichen Wissensdurst.“
Heute sind zwar beim Permakultur-Infoportal rund 70 Projekte in Deutschland gelistet, der
Flächenanteil ist jedoch absolut marginal. Die
Chancen auf den großen Durchbruch wie beim
Ökolandbau sind sehr gering. Jedoch ist sich der
Permakultur-Befürworter Scheibler sicher, dass
die Idee langfristig an Zulauf gewinnt: „Permakultur kann überall und in jeder Größenordnung
betrieben werden, deshalb ist bei einer steigenden
Anzahl von prekär lebenden Menschen in Europa zu erwarten, dass sie sich Alternativen jenseits
von Konsumzwang und Geldherrschaft suchen.“
Foto: Nick Reimer
Foto: Universität Göttingen
Permakultur an der Uni Göttingen: Über die Kompost-Toilette aus Recyclingmaterialien werden Pflanzennährstoffe gewonnen.
ERTRAG UND GEWINN SPIELEN BEI
DER PERMAKULTUR NUR NEBENROLLE
glaubt Lester Brown zu wissen, der Gründer des
Earth Policy Institute: „Mit den Fortschritten in
der modernen Landwirtschaft habe ich die Idee
lange abgelehnt, dass die Nahrungsmittelversorgung das schwache Glied in der Kette sein könnte.“ Doch heute ist Brown überzeugt: Genau so
wird es kommen.
Zwei Wege scheint es zu geben, um die Katastrophe abzuwenden: einen neuen Schub für die
industrielle Landwirtschaft oder den Umstieg
auf Agrarökologie. Der erste Weg ist energieund kapitalintensiv, der zweite arbeitsintensiv.
Die Zukunft ist offen.
I n t e r v i e w : E VA M A H N K E
Te x t: S U SA N N E G Ö T Z E
D
zurück. Massenunruhen und Hungersnöte seien
die wahrscheinliche Folge, sogar Kriege.
Was geschieht, wenn um das Jahr 2050 tatsächlich – wie prognostiziert – neun Milliarden
Menschen auf der Erde leben, wegen der Erderwärmung und zunehmenden Versteppung die
landwirtschaftliche Nutzfläche rapide sinkt – und
dann auch noch Phosphormangel dazu kommt?
"Der Untergang unserer Zivilisation ist nicht
länger eine Theorie oder eine akademische Möglichkeit. Es ist der Weg, auf dem wir sind“, sagt
Peter Goldmark, ehemaliger Leiter der Rockefeller-Stiftung. Was den Untergang auslösen wird,
In der weltweiten Agrarpolitik geht es um klassische Interessengegensätze zwischen oben und unten, sagt der Agrarexperte Benedikt Härlin
Permakultur ist weit mehr als eine alternative Anbaumethode: Es geht um
die Rückbesinnung auf den Menschen als Teil des Naturkreislaufs. Bisher
werden die Permakulturdesigner jedoch von der Agrarwissenschaft nicht
ernst genommen
erklärt Umweltdozent Scheibler. Die Antwort
führe unweigerlich dazu, die landwirtschaftliche
Nutzfläche so zu optimieren, dass bei der Ernte
möglichst viele Kilos auf die Waage kommen.
Alles andere bliebe weitgehend unberücksichtigt.
„Dieses sektorielle Denken herrscht seit dem 19.
Jahrhundert vor und daraus entstand auch die industrielle Agrarwirtschaft, die aus Europa in die
ganze Welt exportiert wurde“, so Scheibler. Das
Ergebnis sei, dass heute nur noch rund ein Prozent der Menschen in Deutschland als Bauern
arbeiten, niemand mehr wisse, woher die Milch
kommt und die Folgen des intensiven Anbaus auf
Umwelt und Mensch wieder zurückfallen.
Westsahara, China, Russland und USA. In der
vorindustriellen Landwirtschaft, als Ausscheidungen als Dünger dienten, gelangten etwa so
viele Nährstoffe zurück in den Boden, wie zuvor entnommen wurden. Durch die „modernen“
landwirtschaftlichen Methoden wird heute dreimal so viel Phosphor aus dem Boden ausgewaschen. Zwar werden inzwischen Verfahren zur
Gewinnung von Dünger aus verbranntem Klärschlamm oder Schlachtabfällen entwickelt.
Trotzdem nehmen die weltweiten Phosphorvorräte rapide ab. Vor allem der ökologische Landbau versucht derzeit, die wertvollen Phosphate
aus Abfällen und Abwässern wieder dem regionalen Kreislauf zuzuführen.
„DIE LÖSUNG KOMMT NICHT VON OBEN“
Antje Kölling ist Agrarwissenschaftlerin
und Politikexpertin beim ökologischen
Anbauverband Demeter.
TRANSFORMATION
IN DER NISCHE:
PERMAKULTUR
er
Landschaftsökologe
Uwe Scheibler hatte zusammen mit zwei seiner
Studenten vor vier Jahren
eine mutige Idee: Statt sich
in endlosen Vorlesungen
mit Ertragsrechnungen zu
langweilen, wurden die Studierenden im wahrsten Sinne des Wortes vor die Tür gesetzt. Auf
mehreren, von der Universität und der Stadt Göttingen bereitgestellten Arealen dürfen die angehenden Geografen, Soziologen, Forst- und
Agrarwissenschaftler seitdem ganz praktisch
gärtnern und produzieren. Doch damit nicht genug, ging es nicht einfach „nur“ darum, ein paar
Tomatenstauden zu züchten, sondern um die an
den deutschen Agrarfakultäten verpönte Permakultur. Während schon der Ökolandbau in Hörsälen kaum Beachtung findet, wird die Permakultur praktisch totgeschwiegen.
Konventionelle Landwirtschaft und Permakultur können unterschiedlicher nicht sein. „Die
Frage in der klassischen Landwirtschaft lautet:
Wie viel Ertrag kann mit möglichst wenig Aufwand aus dem Boden herausgeholt werden?“,
9
Foto: Michael Schulze von Glaßer
8
Kleinbauern mit ihren Rindern in Äthiopien – der Weltagrarbericht fordert, sie zu stärken, um Hunger zu bekämpfen und Ernähungssouveränität zu erreichen.
Herr Härlin, bis 2100 könnte die Weltbevölkerung von heute
sieben Milliarden auf elf Milliarden angewachsen sein. Ist die
Erde in der Lage, alle diese Menschen zu ernähren?
Benedikt Härlin: Was die Landwirtschaft heute produziert, könnte gut zwölf Milliarden Menschen ernähren, wenn wir nichts davon wegwerfen, weniger Fleisch konsumieren und darauf verzichten, unseren Sprit auf dem Acker anzubauen. Die Frage ist, ob wir
in der Lage sind, das Biosystem so zu erhalten, dass es uns weiter ernährt. Die größte Sünde der letzten Jahrzehnte war die blinde Produktionssteigerung in der Landwirtschaft – auf Kosten der
Artenvielfalt, des Klimas, des Wasserhaushalts und des Phosphorund Stickstoffkreislaufs.
Kann denn eine global komplett ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft tatsächlich zwölf Milliarden Menschen versorgen?
Dass wir uns nicht ernähren können, wenn wir keinen Kunstdünger mehr einsetzen, weil uns dann die Flächen nicht reichen, ist
Quatsch. Man kann die zwölf Milliarden auch auf ökologische Art
und Weise ernähren. Allerdings brauchen wir in einem agrarökologischen System mehr Effizienz.
Was muss dafür passieren?
Nehmen wir die große Zahl von Kleinstbauernhöfen in Afrika
und Asien. Untersuchungen zeigen, dass diese Höfe ihren Ertrag
innerhalb von fünf Jahren etwa verdoppeln könnten, ohne den
Energieeinsatz zu steigern und mehr Mineraldünger und Pestizide einzusetzen. Die Lösungen finden sich zum Beispiel in einem
besseren Wassermanagement, im Pflanzen von Bäumen und im
Einsatz von Leguminosen und Zwischenfrüchten.
Sechs Jahre ist es her, dass der Weltagrarbericht veröffentlicht
wurde, in dem 400 Experten eine radikale Abkehr von der industriellen Landwirtschaft und den Umstieg auf eine ökologische
Landwirtschaft fordern. Hat der Bericht etwas bewirkt?
Der Weltagrarbericht hat im wissenschaftlichen und politischen
Diskurs erhebliche Spuren hinterlassen. Heute sprechen von der
Weltbank über UN-Organisationen und Regierungen bis hin zu
Agrarprofessoren und Unternehmen fast alle davon, dass es auf
die kleinbäuerliche Landwirtschaft ankommt. Viele geben zu, dass
agrarökologische Maßnahmen die vielleicht wichtigste Form der
Innovation sind. Aber die Praxis ist leider eine völlig andere.
Mangelnde Demokratie, Imageprobleme des Landlebens und der
Widerstand von Big Business – die globale Agrarwende erscheint
als ein ungeheuer komplexer Prozess. Wo soll man hier überhaupt anfangen?
„Top-down“ und in einem Stück werden wir das nicht lösen können. Nur wenn wir uns der Sache Stück für Stück und Dorf für
Dorf oder Haushalt für Haushalt nähern, können wir etwas bewirken. Nehmen wir uns ein paar Grundsätze zu Herzen, nach
denen wir unseren eigenen Konsum ausrichten. Wenn viele das
tun, können wir darauf hoffen, dass sich tatsächlich etwas ändert.
Aber muss man sich nicht auch mit den globalen agrarpolitischen Rahmenbedingungen auseinandersetzen – zum Beispiel
wenn große Konzerne sich mit Gewalt Land aneignen? Was kann
man dem entgegensetzen?
Kämpfen! Hier geht es um klassische Kämpfe zwischen den unterschiedlichen Interessen von oben und unten. Den Menschen vor
Ort bleibt nichts anderes übrig, als sich zu organisieren und gegen
solche Unternehmen und Politiker zur Wehr zu setzen. Wir müssen diesen Widerstand unterstützen.
Benedikt Härlin ist Leiter des Berliner
Büros der Zukunftsstiftung Landwirtschaft
www.weltagrarbericht.de
PRAXIS
„DEN DIALOG ZWISCHEN
STADT UND LAND BELEBEN“
Ob die Landwirtschaft zukunftsfähig wird, entscheiden vor allem die Konsumenten bei ihrem
Einkauf. Städter schauen noch viel zu selten, woher ihre Lebensmittel kommen, sagt Antje Kölling,
Agrarwissenschaftlerin und Politikexpertin vom Anbauverband Demeter
I n t e r vi e w: SA N DR A K I RC H N E R
PRAXIS
Wer kann die notwendige Transformation überhaupt anschieben? Die Politik oder die Verbraucher?
Zum einen müssen wir den Dialog zwischen Stadt und Land beleben. Städter schauen noch viel zu selten, woher ihre Lebensmittel kommen – auch wenn es schon tolle Ansätze wie Saisongärten oder solidarische Landwirtschaft gibt. Letztlich stimmen die
Konsumenten mit ihrem Einkaufskorb ab. Aber die Politik kann
sich nicht aus der Verantwortung stehlen, bessere Rahmenbedingungen zu setzen. Der Zugang zu Land wird für Jung- und Kleinbauern immer schwieriger. Außerlandwirtschaftliche Investoren
treiben die Landpreise hoch – hier muss die Politik steuernd eingreifen, damit eine diversifizierte Kulturlandschaft erhalten bleibt.
OHNE PHOSPHOR GEHT ES NICHT
Das wichtigste Element der Landwirtschaft wird knapp – eine unterschätzte Gefahr für die Ernährung von neun Milliarden Menschen
Te x t: N I C K R E I M E R
E
s trägt die Ordnungszahl 15 im
Periodensystem der Elemente:
Phosphor ist für alle lebenden
Organismen essenziell. Phosphor befindet sich in jeder Pflanze, jedem Tier, es stabilisiert
Zellwände, bildet Knochen und
ermöglicht Wachstum. Phosphorverbindungen
sind Bestandteil der Erbinformationen. Phosphor beeinflusst die Photosynthese, den Kohlenhydrat- und den Wasserhaushalt. Leben ist ohne
Phosphor undenkbar.
Dass die industrielle Landwirtschaft Anfang des 21. Jahrhunderts sieben Milliarden
Menschen mehr oder weniger ausreichend ernähren kann, liegt hauptsächlich an drei Elementen: Kalium, Stickstoff und Phosphor. Die
Stoffe, aus denen der Kunstdünger entstand. Sie
haben im letzten Jahrhundert zu einer Revolution, zu einer immensen Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität geführt.
Auf der anderen Seite machten die Erfindung der Wassertoilette, die Industrialisierung
der Landwirtschaft und unsere mittlerweile alltägliche Fleischeslust den Einsatz von Phosphormineraldünger überhaupt erst nötig. Heute werden weltweit 100.000 Tonnen Phosphor im Jahr
in Minen abgebaut, 90 Prozent davon werden
zu chemischen Düngemitteln verarbeitet. Vier
Fünftel des zurzeit nutzbaren Phosphors lagern
in nur vier Ländern: Marokko mit der besetzten
Foto: Nick Reimer
Ist die EU-Agrarreform aus dem vergangenen Jahr ein Schritt in die richtige
Richtung? Oder ist die Gemeinsame Agrarpolitik der EU wirkungslos?
Die Agrarreform hat Chancen eröffnet, doch letztlich ist sie durch die
vielen Ausnahmeregelungen zahnlos geworden. So waren beispielsweise Umwelt- und Bio-Verbände sehr enttäuscht, dass Deutschland
die Vorgaben für die ökologischen Vorrangflächen aufgeweicht hat,
auf denen nun sogar Chemikalien eingesetzt werden dürfen. Außerdem hatten wir auf eine breitere Finanzierung der ländlichen Entwicklung gehofft. Ökologische Maßnahmen und bäuerliche Strukturen hätten gezielter gefördert werden können. Jetzt liegt der Ball
bei den Bundesländern. Sie können die Beratung für den ökologischen Landbau fördern oder Zusammenschlüsse für die Vermarktung. Neu ist eine Maßnahme zur Vernetzung von Wissenschaft und
Landwirtschaft, um zu mehr Nachhaltigkeit und Produktivität zu
kommen. Das ist ein Anfang – aber zu wenig für eine Agrarwende.
Bäuerinnen verkaufen Brot im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang: Weltweit wird es für Kleinbauern immer schwerer Zugang zu Land zu erhalten und damit zu überleben.
Frau Kölling, Landwirtschaft zerstört massiv die Umwelt, die
Gewässer, das Klima. Allein die landnutzungsbedingten CO2Emissionen sind drastisch gestiegen. Was muss sich ändern?
Antje Kölling: In der Landwirtschaft geht es nicht nur um Kohlendioxid. Lachgas ist 296-mal klimaschädlicher. Es entweicht vor
allem aus Böden, die im konventionellen Landbau mit viel Stickstoffdünger behandelt wurden. Wir brauchen aber ökologischen
Landbau, denn bei organischer Düngung wird durch Humusbildung Kohlenstoff im Boden gebunden. Auch die Anpassung an die
Folgen des Klimawandels ist wichtig. Böden, die mit organischer
Landwirtschaft bewirtschaftet werden, haben eine bessere Wasseraufnahmefähigkeit bei Starkregenfällen. Außerdem brauchen wir
robuste Pflanzen und mehr Sortenvielfalt für größere wirtschaftliche Klima-Resilienz. Wer seine Landwirtschaft auf Vielfalt aufbaut, kann bei klimabedingtem Ausfall einer Frucht von den Erträgen der übrigen Kulturen und Betriebszweige leben. Die Folgen
der industriellen Landwirtschaft wie Bodenerosion und Verlust der
biologischen Vielfalt können wir uns auf Dauer nicht leisten.
Brauchen wir wirklich mehr Ökolandbau-Förderung? Ist es nicht sinnvoller, etwa den Ausstoß von Treibhausgasen per Gesetz zu begrenzen ?
In einer idealen Welt wären auch externe Kosten der Landwirtschaft wie Umwelt- und Gesundheitsschäden im Preis des Lebensmittels inbegriffen – dann wäre Ökolandbau wettbewerbsfähig.
Doch wir haben einen stark verzerrten Wettbewerb, bei dem die
externen Kosten der konventionellen Landwirtschaft letztlich der
Gesellschaft aufgebürdet werden. Deshalb ist es wichtig, den ökologischen Landbau zu fördern. Besonders am Anfang – denn um
einen Hof umzustellen braucht es Wissen, Zeit und Geld und man
hat größere Risiken, solange die ökologischen Systeme und die Absatzmärkte noch nicht eingespielt sind.
Die Permakultur stellt nach ihren Begründern –
den Australiern Bill Mollison und David Holmgren – eine grundlegend andere Frage: Wie kann
die Produktion am besten an die Standortbedingungen angepasst werden und als ökosoziales
Gesamtsystem nachhaltig betrieben werden?
Will heißen: Der Bauer nimmt das, was er vor
DER UNTERGANG DER ZIVILISATION IST
NICHT LÄNGER THEORIE
Seit dem Jahr 2010 ist eine Reihe wissenschaftlicher Studien erschienen, die von einer Katastrophe künden. Forschungen aus Schweden,
Australien oder den USA legen nahe, dass schon
zur Mitte des Jahrhunderts das Phosphor knapp
wird. Schon heute beobachten die Wissenschaftler irrwitzige Preissprünge auf den globalen
Rohstoffmärkten, an den Börsen tobten milliardenschwere Übernahmeschlachten von Phosphor-Produzenten. Die Wissenschaftler warnen: Wird der Phosphat-Mineraldünger knapp,
geht die industrielle Nahrungsmittelproduktion
Gülle auf die Felder: Was im Ökolandbau Teil eines Kreislaufs ist, wird in der industriellen Landwirtschaft zum Riesenproblem.
Woran liegt das? Wer sind die größten Widersacher einer agrarökologischen Wende?
In erster Linie sind das die Industrie-Unternehmen, die Saatgut,
Kunstdünger und Pestizide verkaufen. Die haben sehr viel Geld und
sind mächtig. Entscheidend ist aber auch die Ignoranz der städtischen
Eliten gegenüber den Bedürfnissen der ländlichen Entwicklung.
Wie lassen sich die notwendigen Veränderungen dennoch anstoßen?
Es kommt weniger auf Geld an als auf Bildung, das Recht auf
Land und den Schutz vor Willkür; auf das Recht von Frauen, ein
Konto zu eröffnen, lesen und schreiben zu lernen und nur so viele Kinder zu bekommen, wie sie wollen. Es geht in allererster Linie um Menschenrechte und mehr Demokratie, also um Ernährungssouveränität.
Ort findet, versucht seinen Anbau optimal in das
vorhandene Ökosystem zu integrieren. Nicht das
Mehr entscheidet, sondern das Wie und Wofür.
Ganz im Sinne des neuen wachstumskritischen
Diskurses ist wichtig, wie etwas im Einklang mit
der Umgebung produziert und wie es letztendlich konsumiert wird.
Der Anspruch an den Permakulturdesigner
ist also groß: Es geht um ein selbstorganisiertes Leben mit und in der Natur, jenseits der herkömmlichen Ertrags- und Profitrechnungen.
Denn mit der Ernte hört die Permakultur, wie der
Name schon vermuten lässt, nicht auf: Alles soll
wieder verwendet, der Ertrag getauscht und nicht
primär zu Geld gemacht werden. Das ist sicherlich der entscheidende Grund, warum Permakultur es nicht in den Mainstream-Diskurs der
Agrarwissenschaft schafft. Immerhin studiert
man heute ja auch „Agrarökonomie“. Selbstversorgern, entschleunigtem Leben und Kritik am
Geldsystem haftet hingegen der Geruch von mittelalterlichen Methoden und Hängematten-Esoterik an. Permakultur-Vertreter sind deshalb so
etwas wie die Anarchisten der Agrarwirtschaft.
Der Kurs von Uwe Scheibler in Göttingen ist
mittlerweile weit über seine akademischen Grenzen hinausgewachsen. Die Studenten waren so
begeistert, dass der Kurs eine unerwartete Eigendynamik entwickelte. Heute wohnt ein Teil von
ihnen vor Ort. Sie organisieren sich selbst Strom
und Wasser, leben von ihren eigenen Lebensmitteln und gehen „containern“ – Reste von Supermärkten einsammeln –, wenn die Ernte nicht
reicht. „Ich habe selten so hoch motivierte Studenten erlebt“, erzählt Scheibler, „sie gehen nun
ganz anders mit Lebensmitteln um, organisieren sich völlig selbstständig und haben einen unglaublichen Wissensdurst.“
Heute sind zwar beim Permakultur-Infoportal rund 70 Projekte in Deutschland gelistet, der
Flächenanteil ist jedoch absolut marginal. Die
Chancen auf den großen Durchbruch wie beim
Ökolandbau sind sehr gering. Jedoch ist sich der
Permakultur-Befürworter Scheibler sicher, dass
die Idee langfristig an Zulauf gewinnt: „Permakultur kann überall und in jeder Größenordnung
betrieben werden, deshalb ist bei einer steigenden
Anzahl von prekär lebenden Menschen in Europa zu erwarten, dass sie sich Alternativen jenseits
von Konsumzwang und Geldherrschaft suchen.“
Foto: Nick Reimer
Foto: Universität Göttingen
Permakultur an der Uni Göttingen: Über die Kompost-Toilette aus Recyclingmaterialien werden Pflanzennährstoffe gewonnen.
ERTRAG UND GEWINN SPIELEN BEI
DER PERMAKULTUR NUR NEBENROLLE
glaubt Lester Brown zu wissen, der Gründer des
Earth Policy Institute: „Mit den Fortschritten in
der modernen Landwirtschaft habe ich die Idee
lange abgelehnt, dass die Nahrungsmittelversorgung das schwache Glied in der Kette sein könnte.“ Doch heute ist Brown überzeugt: Genau so
wird es kommen.
Zwei Wege scheint es zu geben, um die Katastrophe abzuwenden: einen neuen Schub für die
industrielle Landwirtschaft oder den Umstieg
auf Agrarökologie. Der erste Weg ist energieund kapitalintensiv, der zweite arbeitsintensiv.
Die Zukunft ist offen.
I n t e r v i e w : E VA M A H N K E
Te x t: S U SA N N E G Ö T Z E
D
zurück. Massenunruhen und Hungersnöte seien
die wahrscheinliche Folge, sogar Kriege.
Was geschieht, wenn um das Jahr 2050 tatsächlich – wie prognostiziert – neun Milliarden
Menschen auf der Erde leben, wegen der Erderwärmung und zunehmenden Versteppung die
landwirtschaftliche Nutzfläche rapide sinkt – und
dann auch noch Phosphormangel dazu kommt?
"Der Untergang unserer Zivilisation ist nicht
länger eine Theorie oder eine akademische Möglichkeit. Es ist der Weg, auf dem wir sind“, sagt
Peter Goldmark, ehemaliger Leiter der Rockefeller-Stiftung. Was den Untergang auslösen wird,
In der weltweiten Agrarpolitik geht es um klassische Interessengegensätze zwischen oben und unten, sagt der Agrarexperte Benedikt Härlin
Permakultur ist weit mehr als eine alternative Anbaumethode: Es geht um
die Rückbesinnung auf den Menschen als Teil des Naturkreislaufs. Bisher
werden die Permakulturdesigner jedoch von der Agrarwissenschaft nicht
ernst genommen
erklärt Umweltdozent Scheibler. Die Antwort
führe unweigerlich dazu, die landwirtschaftliche
Nutzfläche so zu optimieren, dass bei der Ernte
möglichst viele Kilos auf die Waage kommen.
Alles andere bliebe weitgehend unberücksichtigt.
„Dieses sektorielle Denken herrscht seit dem 19.
Jahrhundert vor und daraus entstand auch die industrielle Agrarwirtschaft, die aus Europa in die
ganze Welt exportiert wurde“, so Scheibler. Das
Ergebnis sei, dass heute nur noch rund ein Prozent der Menschen in Deutschland als Bauern
arbeiten, niemand mehr wisse, woher die Milch
kommt und die Folgen des intensiven Anbaus auf
Umwelt und Mensch wieder zurückfallen.
Westsahara, China, Russland und USA. In der
vorindustriellen Landwirtschaft, als Ausscheidungen als Dünger dienten, gelangten etwa so
viele Nährstoffe zurück in den Boden, wie zuvor entnommen wurden. Durch die „modernen“
landwirtschaftlichen Methoden wird heute dreimal so viel Phosphor aus dem Boden ausgewaschen. Zwar werden inzwischen Verfahren zur
Gewinnung von Dünger aus verbranntem Klärschlamm oder Schlachtabfällen entwickelt.
Trotzdem nehmen die weltweiten Phosphorvorräte rapide ab. Vor allem der ökologische Landbau versucht derzeit, die wertvollen Phosphate
aus Abfällen und Abwässern wieder dem regionalen Kreislauf zuzuführen.
„DIE LÖSUNG KOMMT NICHT VON OBEN“
Antje Kölling ist Agrarwissenschaftlerin
und Politikexpertin beim ökologischen
Anbauverband Demeter.
TRANSFORMATION
IN DER NISCHE:
PERMAKULTUR
er
Landschaftsökologe
Uwe Scheibler hatte zusammen mit zwei seiner
Studenten vor vier Jahren
eine mutige Idee: Statt sich
in endlosen Vorlesungen
mit Ertragsrechnungen zu
langweilen, wurden die Studierenden im wahrsten Sinne des Wortes vor die Tür gesetzt. Auf
mehreren, von der Universität und der Stadt Göttingen bereitgestellten Arealen dürfen die angehenden Geografen, Soziologen, Forst- und
Agrarwissenschaftler seitdem ganz praktisch
gärtnern und produzieren. Doch damit nicht genug, ging es nicht einfach „nur“ darum, ein paar
Tomatenstauden zu züchten, sondern um die an
den deutschen Agrarfakultäten verpönte Permakultur. Während schon der Ökolandbau in Hörsälen kaum Beachtung findet, wird die Permakultur praktisch totgeschwiegen.
Konventionelle Landwirtschaft und Permakultur können unterschiedlicher nicht sein. „Die
Frage in der klassischen Landwirtschaft lautet:
Wie viel Ertrag kann mit möglichst wenig Aufwand aus dem Boden herausgeholt werden?“,
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Foto: Michael Schulze von Glaßer
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Kleinbauern mit ihren Rindern in Äthiopien – der Weltagrarbericht fordert, sie zu stärken, um Hunger zu bekämpfen und Ernähungssouveränität zu erreichen.
Herr Härlin, bis 2100 könnte die Weltbevölkerung von heute
sieben Milliarden auf elf Milliarden angewachsen sein. Ist die
Erde in der Lage, alle diese Menschen zu ernähren?
Benedikt Härlin: Was die Landwirtschaft heute produziert, könnte gut zwölf Milliarden Menschen ernähren, wenn wir nichts davon wegwerfen, weniger Fleisch konsumieren und darauf verzichten, unseren Sprit auf dem Acker anzubauen. Die Frage ist, ob wir
in der Lage sind, das Biosystem so zu erhalten, dass es uns weiter ernährt. Die größte Sünde der letzten Jahrzehnte war die blinde Produktionssteigerung in der Landwirtschaft – auf Kosten der
Artenvielfalt, des Klimas, des Wasserhaushalts und des Phosphorund Stickstoffkreislaufs.
Kann denn eine global komplett ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft tatsächlich zwölf Milliarden Menschen versorgen?
Dass wir uns nicht ernähren können, wenn wir keinen Kunstdünger mehr einsetzen, weil uns dann die Flächen nicht reichen, ist
Quatsch. Man kann die zwölf Milliarden auch auf ökologische Art
und Weise ernähren. Allerdings brauchen wir in einem agrarökologischen System mehr Effizienz.
Was muss dafür passieren?
Nehmen wir die große Zahl von Kleinstbauernhöfen in Afrika
und Asien. Untersuchungen zeigen, dass diese Höfe ihren Ertrag
innerhalb von fünf Jahren etwa verdoppeln könnten, ohne den
Energieeinsatz zu steigern und mehr Mineraldünger und Pestizide einzusetzen. Die Lösungen finden sich zum Beispiel in einem
besseren Wassermanagement, im Pflanzen von Bäumen und im
Einsatz von Leguminosen und Zwischenfrüchten.
Sechs Jahre ist es her, dass der Weltagrarbericht veröffentlicht
wurde, in dem 400 Experten eine radikale Abkehr von der industriellen Landwirtschaft und den Umstieg auf eine ökologische
Landwirtschaft fordern. Hat der Bericht etwas bewirkt?
Der Weltagrarbericht hat im wissenschaftlichen und politischen
Diskurs erhebliche Spuren hinterlassen. Heute sprechen von der
Weltbank über UN-Organisationen und Regierungen bis hin zu
Agrarprofessoren und Unternehmen fast alle davon, dass es auf
die kleinbäuerliche Landwirtschaft ankommt. Viele geben zu, dass
agrarökologische Maßnahmen die vielleicht wichtigste Form der
Innovation sind. Aber die Praxis ist leider eine völlig andere.
Mangelnde Demokratie, Imageprobleme des Landlebens und der
Widerstand von Big Business – die globale Agrarwende erscheint
als ein ungeheuer komplexer Prozess. Wo soll man hier überhaupt anfangen?
„Top-down“ und in einem Stück werden wir das nicht lösen können. Nur wenn wir uns der Sache Stück für Stück und Dorf für
Dorf oder Haushalt für Haushalt nähern, können wir etwas bewirken. Nehmen wir uns ein paar Grundsätze zu Herzen, nach
denen wir unseren eigenen Konsum ausrichten. Wenn viele das
tun, können wir darauf hoffen, dass sich tatsächlich etwas ändert.
Aber muss man sich nicht auch mit den globalen agrarpolitischen Rahmenbedingungen auseinandersetzen – zum Beispiel
wenn große Konzerne sich mit Gewalt Land aneignen? Was kann
man dem entgegensetzen?
Kämpfen! Hier geht es um klassische Kämpfe zwischen den unterschiedlichen Interessen von oben und unten. Den Menschen vor
Ort bleibt nichts anderes übrig, als sich zu organisieren und gegen
solche Unternehmen und Politiker zur Wehr zu setzen. Wir müssen diesen Widerstand unterstützen.
Benedikt Härlin ist Leiter des Berliner
Büros der Zukunftsstiftung Landwirtschaft
www.weltagrarbericht.de
movum
Pflanzengemeinschaften statt Monokulturen
Mischkulturen sind erfolgreicher und ermöglichen höhere Ernteerträge als Monokulturen. Das hat
ein europäisches Forscherteam unter der Leitung von Ökologen der Universität Zürich nachgewiesen.
Forschungsgruppenleiter Bernhard Schmid sieht „im unerschlossenen Potenzial der Biodiversität die
Chance für die künftige Ernährung der Menschheit“. Pflanzengemeinschaften besetzen den Ergebnissen zufolge alle vorhandenen Nischen in einem Ökosystem und nutzen Bodennährstoffe, Licht und
Wasser viel besser aus als Monokulturen. Auch der Schädlingsdruck ist geringer. Die Forscher waren
überrascht, dass sich Arten innerhalb weniger Generationen an ihre Pflanzengemeinschaften anpassen, wodurch der Ertrag in Mischungen weiter ansteigt.
Ausgabe 3
Wenige Konzerne bestimmen, was wir essen
Die Weltbevölkerung und ihr Nahrungsmittelkonsum wachsen – aber die Zahl der im Nahrungsmittelbereich tätigen Firmen sinkt.
Wie stark, zeigen Entwicklungsorganisationen in der neu aufgelegten Publikation „Agropoly“ (bit.ly/agropoly). Konzerne kaufen
kleinere Firmen auf und können dann Preise und Geschäftsbedingungen und zunehmend auch die politischen Rahmenbedingungen diktieren. Vieles, was wir im Norden verbrauchen, werde billig im globalen Süden produziert, so die Organisationen. Gewinner seien wenige Unternehmen zumeist im Norden, Verlierer die Kleinbauern und Plantagenarbeiter im Süden als Schwächste in
der Wertschöpfungskette. In keiner anderen Bevölkerungsgruppe sei Hunger so verbreitet.
Ökobauern wollen Kommunen beraten
Vertreter des biologischen Landbaus in Deutschland wollen sich neuen Bewegungen wie dem Urban
Gardening stärker öffnen und ihre Erfahrungen auch mit Kommunalvertretern teilen. Dabei geht es
um die sogenannte Resilienz, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen. „Betriebe mit einer ausgeprägten Hofindividualität sind enorm resilient, und davon gibt es besonders unter den biologischdynamischen Höfen sehr viele“, betont die Ökobäuerin und Gärtnerin Christine Hubenthal, die zu
Resilienz in der Landwirtschaft forscht. „Von ihnen können wir eine Menge lernen, wenn es darum
geht, die Resilienz der Kommunen zu stärken“, so Hubenthal in der Zeitschrift „Lebendige Erde“.
Landwirtschaft
Keine überzeugenden Alternativen zum BIP
Nach dem Leipziger Degrowth-Kongress im September kommt in den Wirtschaftswissenschaften die Suche nach alternativen Wohlstandsindikatoren voran – wenn auch langsam. So räumt Maik Heinemann, Professor für Wachstum an der Uni Potsdam, ein: „Es
gibt Begleiterscheinungen des Wachstums, die wohlstandsschädlich sein können.“ Zwar sei das Bruttoinlandsprodukt ein unzureichendes Wohlstandsmaß, sagt Professor Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln, bemängelt aber, „dass
wir von der Vielfalt an Messmöglichkeiten überflutet werden“. Viele Menschen sähen keine Alternativen, weil die Sozialsysteme
an Wachstum gekoppelt seien, betont Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.
IMPRESSUM
Förderhinweis:
DIESES PROJEKT WURDE
GEFÖRDERT VON:
Herausgeber:
Damian Ludewig, Geschäftsführer, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V.;
Michael Müller, Vorsitzender, NaturFreunde Deutschlands e.V.
Christel Schroeder, Präsidentin, EuroNatur e.V.;
Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender, Deutsche Umweltstiftung;
Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender, BUND e.V.;
Dr. Martin Held, Gesprächskreis Die Transformateure – Akteure der Transformation
THEORIE:
VON DEN AMEISEN LERNEN –
DER KREISLAUF DER STOFFE
von Felix zu Löwenstein
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Ausgabe
unter:
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n.de
Redaktion:
Nick Reimer (V.i.S.d.P.), Susanne Götze, Matthias Bauer
PRAXIS:
OHNE PHOSPHOR
GEHT ES NICHT
Von Nick Reimer
GRAFIK:
Die Verantwortung für den
Inhalt dieser Veröffentlichung liegt
bei den AutorInnen.
ENERGIEWENDE AUF DER SPEISEKARTE
Layout
Alexander Seeberg-Elverfeldt, Entwicklung; Adrien Tasic, Gestaltung; Jennifer Kalisch, Infografik
Dr. Kai Niebert, Fakultät Nachhaltigkeit, Leuphana Universität Lüneburg, Konzeption Infografik
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Coverfoto: Nick Reimer
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Dezember 2014
Foto: Johanna Treblin
Foto: Jutta Rotter / Pixelio
Briefe zur
Transformation
NACHRICHTEN
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