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Freitag,
oder
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D e r Freimüthige
den Ai. May.
Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser.
Torgau als Festung, und die dasigen Ver
änderungen.
(Fortsetzung.)
A§as inin aber gefühlvollen Torgauern am
meisten ans Herz griff, war der Umstand, daß
ein Theil des vorstädtischen Gottesackers und die
Hospitalkirche, welche nur seit kurzem durch milde
Beiträge verschönert worden war, zur Festungs
linie gezogen und also rastrt werden sollte. Nicht
wenige Einwohner zeigten seit einiger Zeit eine
besondere Anhänglichkeit an diese Kirche und an
die daselbst gehaltene Gottesverehrung (welche
nun in der Waisenhauskirche in den Morgenstun
den fortgesetzt wird); es war daher für sie ein
Tag der tiefsten Rührung und Erschütterung, als
der Hospitalprcdiger, Herr Fohl, der bisher sehr
gern gehört wurde, am Sonntage Estomihi ig"
seine letzte Predigt in dieser Kirche hielt, welche
auch bereit« im Drucke erschienen ist, begleitet
von historischen Nachrichten, welche die, allerdings
sonderbaren Veränderungen und Schicksale der
vormaligen Heiligen G-istkirche, betreffen. Kirche
und Thurm sind bereits so abgetragen, daß man
nichts mehr davon wahrnimmt und Fremde es
nicht ahnen könneir, daß hier eine Kirche gestan
den habe. Es ist daher ein guter Gedanke von
dem Herrn Buchbinder Flammiger, die ehema
ligen Umgebungen der Stadt, welche durch den
Festungsbau verloren gehen, in kleinen Kupfer
stichen der Parthien vom Schloß-, Becker-, Spi
tal- und Leipzigerthore, aufnehmen zu lassen, da
mit die Nachkommen es wissen und die Zeitgenos
sen sich erinnern können, welche Ansicht Torgau
ehedem hatte, ehe cs ein sechsfacher Stern, nach
den Regeln der neuesten Fortification, wurde. Da
die Circumvallationslinie, wenn die Festung nicht
einen zu weiten Umkreis annehmen und also zu
viel Vertheidiger fordern soll, auch einen Theil
des Kirchhofs oder Todtenackers berühren mußte,
so war es unvermeidlich, daß mehrere Särge aus,
gegraben wurden und mehrern Einheimischen und
Fremden die bittere Klage entschlüpfte: „Auch die
Todten in der Erde haben keine Ruhe." Man
nimmt an, daß eine Anzahl von 250 alten und
neuen Särgen auf den neuen Todrenacker, welcher
in der Gegend der Rathsweinberge, nahe bei der
Sandgrube, auf der Straße nach Zinna und Do-
mihsch, angelegt worden ist und künftig erweitert
werden kann, verseht worden ist. Die vielzüngige
Fama hat über diese Ausgrabung der Todten viel
Schauderhaftes verbreitet, man befürchtete Schän,
düng und Entweihung der ausgegrabenen Leich