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Volume Nro. 102, Donnerstag, den 23. May 1811

Full text: Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser / Kuhn, Friedrich August (Public Domain) Issue8.1811 (Public Domain)

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Gelegenheit auch kennen, und wußte die Geschich« 
. . ten, die er dort erlebte, eher, als Sie alle. 
Die Regimenter marschirten am Ende aus 
einander, die Zelter wurden abgebrochen und je- 
- de« eilte nach Hause. Zu dem Behuf bestellte ich 
mir drei Pferde Extrapost. Ich ging selbst auf 
da« Posthaus, weil ich keinen Bedienten mit 
hatte. 
„Ein Glück," antwortete der Postsekretair, 
„baß Sie nicht einige Minuten später kamen; 
Sie erhalten gerade die letzten Pferde." Zn dem 
Augenblick kam eine Dame mit einem jungen 
Mädchen, und ersuchte den Sekretair um eine 
Postchaise und, zwei Pferde. 
Die Postchaisen waren alle längst in Stücken 
gefahren und die Pferde kamen vor spät Abend 
nicht zurück. Er versprach die Pferde auf Mor 
gen. So lange konnte die Dame nicht warten. 
Sie mußte heute fort. „Und wenn Sie mir die 
Pferde vierfach bezahlen wollen, ich kann nicht. 
Es ist alle«, was nur in der Stadt Pferde hat, 
aufgeboten, zur Post sie zu stellen: ich habe heute 
'sechs und siebenzig Vierspänner expeblrt, die an 
dern habe ich gar nicht gezählt. Di.e Pferde auf 
den Dörfern sind zu den Militairfuhren reqninrt; 
kurz Sie müssen warten." Mit, diesem Bescheid 
ging der Mann in seine Stube zurück, und ließ 
die Dame stehen. 
Zn einem Postexpeditions-Zimmer ist man 
schon ein halber Reisender. Die conventionelle 
Welt liegt hinter dem Menschen, sobald er den 
Wanderstab in der Hand hat. Man ist ungebun, 
dener, unbefangener. 
Zch frug die Verlegenen, wo sie hinzureisen 
gedächten, „Q mir gehl es fatal, ganz fatal," 
entgegnete die Dame, „ich kam hierher und hattd 
mit meinen Verwandten aus Sporcnberg mir ein 
Rendezvous gegeben: diese sollten meine Nichte 
hier wieder mir zurücknehmen. Allein meine Leut 
chen sind nicht gekommen. Zch logirte hier bei 
meinem Bruder, dem Geheimen-Rath Roman; 
dieser geht heute auf Commission und schließt sein 
Hau« zu, folglich muß ich heute fort; ich wollte 
mit meinem Bruder zu Hause fahren, dessen Com- 
missionereise geht durch meinen Ort. Da« war 
alles schon besprochen, und darum sandte ich mei 
nen Wagen, gleich nach meiner Ankunft, zurück; 
allein jetzt muß ich meine Nichte selbst begleiten, 
und eine Postchaise nehmen, und nun soll ich 
nicht einmal Pferde, nicht einmal einen Wagen 
bekommen. Zch muß nun ein Logis im Wirths- 
hause nehmen, ich muß 
„Gar nicht« müssen Sie, meine — ich weiß 
nicht, wen ich die Ehre habe —" 
„Ich bin die Forst-Räthinn Riedel." 
Eehorsanrer Diener. Freut mich, die Ehre — 
gar nicht«, wollte ich sagen, meine beste Frau 
Forsträthinn, brauchen Sie in Zhrem Plane zu 
ändern. Zch reise diesen Augenblick ab; ich fahre 
über Sporenberg, ich habe einen bedeckten, beque 
men Wagen, c« wird mir ein Vergnügen seyn, 
die Demoiselle Nichte — 
Das Mädchen ward roth. Die Tante machte . 
einen Knix. „Sehr gütig, ungemein gütig," ent 
gegnete sie — „aber ich weiß nicht, wen" — 
„Zch heiße von Osten" antwortete ich mit 
dreuster Summe, und setzte hinzu, um sie siche 
rer zu machen, „und bin Bräutigam. Sie riski- 
ren also nicht«." 
„Der Herr Baron von Osten? der Herr Da- 
rou von Osten? der künftige Herr Schwiegersohn 
unser« werthen Herrn Oberforstmeisterö? freut 
mich, freut mich unendlich, die Ehre zu haben, 
Zhncn meine gehorsamste Devotion persönlich be 
zeugen zu dürfen, und Zhnen meinen unterthä- 
nigsten Glückwunsch zu Dero Vermählung münd 
lich darbringen zu können." 
„Kennen Sie meine Braut?" frug ich, halb 
todt vor Angst. 
Nein, gnädiger Herr, ich habe nicht die Eh 
re, nicht die Ehre. Der Herr Oberforstmeister 
sind zwar der gnädigste Herr Vorgesetzte meine« 
Mannes, allein wir sind die Entferntesten im De 
partement Zhres Herrn Schwiegervaters; wir 
wohnen über 17 Meilen auseinander." 
. „Zch weiß, ich weiß. Nun, wie steht e«, 
Frau Forsträthinn, wollen Sie mir die Demoiselle 
Nichte anvertrauen?" 
„Ach, liebwerthester Herr Baron, ich weiß 
nicht, ob wir uns unterstehen dürfen, Ew. Gn», 
den zu incommodiren." 
„Sprechen Sie doch nicht von Zncommodi- 
ren; ich habe einen Platz im Wagen leer. Sie 
gehören zum Departement meines Schwiegerva 
ter«, Sie sind in Verlegenheit, der alte Herr 
würde mir nicht verzeihen, wenn ich seiner guten 
Frau Forsträthinn nicht einmal diese kleine Ge, 
fälligkeit erweisen wollte." 
Mein Vorschlag ward endlich nach vielen 
Komplimenten und Entschuldigungen angenommen. 
Beide eilten in ihr Logis, ich in Pas Meinige. 
Zn einer halben Stunde kam die Nichte. Ein 
Mädchen trug ihre wenigen Habfeligkeiten. Der 
Geheimerath, der, wie aus den Reden des Mäd-
	        
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