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Volume Nro. 102, Donnerstag, den 23. May 1811

Full text: Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser / Kuhn, Friedrich August (Public Domain) Issue8.1811 (Public Domain)

Nro. 102. 
g e 
teil 23. May. 
Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser. 
Die Reise aus dem Lager. 
Bor einiger Zeit erzählte ein Herr C. v. O. in 
diesen Blättern (Januarheft ißn) seine Reise 
}u das Lager. Ich erlaube mir, ein Seitenstück 
dazu mit vorliegender Reise aus, dem Lager zu 
liefern. 
Dem Herrn C- v. O. ging.es schlimm, recht 
schlimm, und am Ende doch noch gut. — Mir 
ging es tausendmal schlimmer, und das Ende der 
Geschichte wird der geneigte Leser finden, wenn 
er sie ausgelesen hat. 
Meine Geschichte würde gar kein Interesse 
haben, wenn sie nicht wahr wäre.. Ich versichere 
also iin Voraus, Laß sein Komma hknzugedlchi 
tet ist. 
Lange hatte ich gewählt unter den Schtnen 
des Landes. Mein Onkel wollt«', ich sollte, wie 
er sich ausdrückte, eint Reiche heirachen, und die 
reichen Mädchen gefielen mir immer nicht. Unter 
»ns gesagt, manche waren recht hübsch, recht sehr 
hübsch, und ich hätte mich wohl entschließen 
kinnen, einem so niedlichen Kinde mit 60 — ß°,ooo 
Rthl. meine Hand zu biete»; aber die Mädchen 
mochten mich nicht. Ich konnte mich schlechter 
dings nicht bequemen, ihre Geldsäcke anzubeten; 
ich war offen, herzlich gegen sie, und sie und ihre 
'Papa« und die Mamas verlangten, daß ich devot 
seyn sollte. So vergingen Jahre, und ich hatte 
noch immer keine Frau. 
Meine Tante, vorbesagte» Onkels Frau, eine 
herrliche Alte, nahm meine Parthie, „Laß dem 
Jungen Zeit," sagte sie. „So etwas läßt sich 
nicht zwingen. Er wird eine Frau finden, wo er 
sie nicht sucht." 
In diesen paar Worten lag meine ganze My, 
stik. Wo ich nur etwas Weißes, einer Schürze 
Aehuliches, sah, da glaubte ich,, hinter dem stecke 
meine künftige Frau. 
Tausendmal lächelte ich; denn ich irrte mich 
tausendmal; bis ich mich denn gewöhnte, die 
Frauenzimmer zu sehen, ohne an das Heirathen 
zu denken, und so ging die Sache recht leidlich. 
Aber e« vergingen wieder Jahre, und ich hatte 
immer noch keine Frau. , . - 
In demselben Lustlager, nach dem der Herr 
C. v. O. rtisen wollte, fand auch ich mich ein. 
Es war ein prächtige« Leben dorr, es war alle« 
froh und guter Dinge. Den Herrn E. v. 0. und 
seine drei hübschen Fräuleins lernte ich bei der 
rg". 
D e r Freimüthi 
Donnerstag, 
oder
	        
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