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Volume Nro. 93, Freitag, den 10. May 1811

Full text: Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser / Kuhn, Friedrich August (Public Domain) Issue8.1811 (Public Domain)

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anstatt daß man ihn sonst ohne Umstände nur 
Herr von Hall zu nennen pflegte. Kurz, Vereh 
rung und Liebe drängten sich ihm von allen Sei 
ten entgegen. Aber einstimmig widerriethen ihm 
seine rheilnkhmenden Freunde die beschlossene Rei 
se. „Die Hauptstadt ist voll Schlangen und Füch 
se;" sagten sie. „Ein so argloser und zutraulicher 
Mann, wie der Herr Baron, ist dort den größten 
Gefahren ausgesetzt." 
„Sorgt doch nicht für mich'," sprach er la 
chend. „Unser einer weiß sich in allen Fällen ge 
gen List und Betrug zu bewahren." 
Nach aufgehobener Tafel führten ihn verschie, 
Vene Herren bei Seite, und in einer halben Scun, 
de waren schon drei Theile der Erbschaft gegen 
annehmliche Sicherheiten untergebracht. 
Er kam in der Hauptstadt an, trat im vor, 
nehmsten Gasthofe ab, und seine erste Sorge war, 
sich mit einem Lohnbedienten zu versehen. Der 
Wirth des Hauses wollte ihm einen treuen Mann 
zuweisen; er verbat es. „Mein Grundsatz ist: 
Trau, schau, wem!" sprach er. „Stellen Sie mir 
die Menschen vor, die gewöhnlich in diesem Hause 
die Fremden bedienen. Ich will mir einen davon 
erkiesen, und hoffe, keinen Fehlgriff zu thun, da 
ich mit der Gesichts - und Mienenkunde ein we 
nig bekannt bin." 
Es erschienen drei Candidaten. Zwei dersel 
ben traten ernst und schweigend, mit mäßigen 
Verbeugungen, auf. Der dritte bückte sich so tief 
als möglich, küßte dem Wahlherrn die Hand, und 
erbot sich mit geläufiger Zunge Sr. Excellenz 
zu unterthänigsten Diensten. Der Titel Excellenz 
kitzelte den Baron, weil er ihm nicht zukam; die 
freundliche Gesichtebildung des Gunstschleichers 
gefiel ihm; er schickte die Sauertöpfe fort, und 
wählte den kriechenden Lächler. Der Hauswirth 
schüttelte darüber den Kopf, und fing an, die ge 
rühmten physiognomischen Kenntnisse seines Ga 
ste« zu bezweifeln. 
Am folgenden Tage fuhr der Baron ins Ster 
behaus, um die ererbten Goldstücke in Empfang 
zu nehmen. Da« ging aber nicht so geschwind, 
als er dachte. Der kluge Mann halte zwar Geld 
säcke mitgebracht, aber die ihm von dem Gerichts 
höfe zugefertigken Rechtsbeweise auf seinem Gute 
gelassen. DcrHaupterbe, ein alter barscher Kriegs 
kamerad des Verstorbenen, wies ihn deshalb mit 
leeren Händen ab. „Sie begreifen," sagte er, 
„daß es eine Unbesonnenheit wäre, dem Erste» 
dem Besten, der sich Barotz Hall nennt, ein so 
beträchtliches Legat auszuzahlen. Stellen Sie mir 
wenigstens drei hier angesessene Zeugen und Bür- 
gen, daß Sie der rechte Mann sind." 
„Es kennt mich leider hier niemand;" ant 
wortete der Baron. 
„Sv haben wir für jetzt nichts mit einander 
zu thun;" sagte Jener. „Sorgen Sie für gehö 
rige Legitimation, und kommen Sie in drei oder 
vier Wochen wieder: denn eher ist Ihr Geld oh 
nehin nicht beisammen." 
Der Baron schrieb an feinen Gerichtöverwal- 
ter, um die nöthigen Urkunden zu erhalten, und 
war dann nicht wenig verlegen, was er in einem 
so fremden Elemente, als die Hauptstadt für ihn 
war, einen Monat lang mit seiner Zeit anfangen 
sollte. Kauz, sein Lohnbedienter, schlug ihm man, 
cherlei vor. „Wollen Ew. Excellenz die Biblio 
thek, den Bildersaal, die Kunstcabinette und an, 
dere Merkwürdigkeiten sehen? — Soll ich Hoch- 
dieselben auf Kaffeehäuser und in Tanzgesellschaf 
ten führen?"— DerBaron verwarf alles, rauchte 
eine Pfeife Tabak nach der andern zum Fenster 
hinaus, und belustigte sich an dem bunten Ge 
wühl der Straße. Als ihm aber der Abend die 
sen Guckkasten schloß, ließ er sich aus langer 
Weile überreden, ins Schauspiel zu gehen. 
Es war das erste Komödienhaus, das er von 
innen sah. Der Glanz der dort versammelten 
schönen Welt machte daher einen wunderbaren 
Eindruck auf ihn. Manche Dame schien ihm eine 
vollendete Göttinn, und die artigsten Landmädchen, 
die ihm jemals gefallen hatten, kamen ihm jetzt 
wie Frahenbilder vor. Er durchmusterte unermü- 
det die Logen, die gerade an diesem Tage sehr 
angefüllt waren. Nur die nächste an seiner lin 
ken Seite war leer. Doch, indem das Schauspiel 
angehen sollte, traten auch in diese zwei Damen: 
dem Ansehen nach, Mutter und Tochter. Die 
letztere glich an Schönheit und Anmuth einem 
überirdischen Wesen. Der Baron vergaß alle an 
dere Frauen, die er kurz zuvor unter die Götter 
versetzt halte, und blickte nur seine himmlische 
Nachbarinn an. 
Hier wird es Zeit, über sein Alter und seine 
Gestalt mit der Sprache heraus zu gehen. Er 
war kein Jüngling mehr; ein halbes Zahrhun- 
dert drückte schon seinen Nacken; aber, durch Aus 
schweifungen nicht entnervt, trug er sich noch fest 
und aufrecht wie ein Eichbaum. Ein schöngebil- 
derer Mann war er übrigens nicht, und war es 
nimmer gewesen. Er hatte schon als Kind das 
Antlitz eines alten Männleins. Dieser Natur 
makel, den man im gemeinen Lebe«, das Alter
	        
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