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Volume Nro. 88, Freitag, den 3. May 1811

Full text: Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser / Kuhn, Friedrich August (Public Domain) Issue8.1811 (Public Domain)

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ich diesem Verlangen nicht zu widerstehen ver 
mochte, sondern ihm folgen mußte, wohin cs mich 
zog, so fügt' ich mich drei» und ergab mich der 
Liebe. Und darin setzte ich meine Tugend, daß 
ich alles that, was in meinen Kräften stand, um 
durch das, wozu meine sündenhafte Natur mich 
hinzog, weder dir noch mir Schmach zu bereiten. 
Zu dem Ende hatte mir die mitleidige Liebe und 
das gütige Schicksal einen verborgenen Weg ge 
zeigt, auf dem ich ohne jemandes Vorwissen mein 
Verlangen befriedigen konnte. Und dieses, von 
wem du es auch erfahren habest, oder wie du es 
wissest, ich läugne es nicht. Nicht der Zufall führ 
te mich, wie es mancher ergehen mag, in feine 
Arme,.sondern nach reiflicher Ueberlegung, crkohr 
ich ihn vor jedem andern, und mit größter Be 
sonnenheit führt' ich ihn bei mir ein, und durch 
weise Beharrlichkeit, v»n meiner sowohl, als von 
seiner Seite, habe ich lange Zeit, was,ich ver 
langte, genossen. Wohl habe ich aus Liebe gesün 
digt; dennoch aber scheint mir's, als ob du, dem 
gemeinen Wahne mehr als der Wahrheit huldi 
gend, allzu bitter mich tadelst, wenn du sagst, es 
hätte dich nicht so geschmerzt, wen» ich einen ade- 
iichen Mann zu dem erkohren, was ich mit ei 
nem Manne von niedrigem Stande gethan. Du 
bedenkst nicht, daß du so nicht meinen Fehler, 
sondern den des Schicksals tadelst, das oft wol 
die Unwürdigsten erhebt und die Würdigste» sin 
ken läßt. Doch lassen wir dies! Betrachte jetzt 
nur einmal den Ursprung aller Dinge, und du 
wirst sehen, daß wir alle von einem Fleische un 
ser Fleisch empfangen, und daß alle Seelen von 
einem und demselben Schöpfer mit gleichen Kräf 
ten, mit gleichen Fähigkeiten und gleichen Tugen 
den geschaffen sind. Die Tugend war es, die im 
Anfange uns, die wir Alle gleich geboren wurden 
und geboren werden, unterschied, und diejenigen, 
so von ihr einen größer» Antheil erhalten, und 
es zeigten in ihrem Leben, wurden Adeliche ge 
nannt, die übrigen aber Unadeliche; und wiewohl 
späterhin ein anderer Gebrauch dies Gesetz unter 
drückt hat, so ist es dennoch nicht aufgehoben, 
und weder durch Natur noch durch Sitte kraft 
los geworden. Darum enveiset sich der, so tu 
gendhaft handelt, ossenbar als edel, und wenn er 
anders genannt wird, so fehlt nicht Er, sondern 
der, so ihn anders benennt. Sieh nur umher 
unter allen deinen adelichen Herren, und prüfe 
ihre Tugenden, ihre. Sitten und ihr Benehmen, 
und von der andern Seite betrachte Guiscardo's 
Weise, und du wirst, wenn du andere unbefan 
gen zu urtheilen vermagst, gestehen, daß er der 
Edelsten einer, alle deine Edeln aber Nichtswür 
dige seyen. Was Guiscardo's Tugend und ritter 
lichen Sinn anbelangt, so habe ich nicht fremder 
Urtheile vertraut, sondern deinen Worten und 
meinen Augen. Zn Allem, was einen wackern 
Jüngling ehrt, wer hat ihn je so erhoben, wie 
du? Und gewiß nicht mit Unrecht; denn, wenn 
meine Augen mich nicht getäuscht haben, so hast 
du ihm kein Lob ertheilt, das er nicht späterhin, 
und zwar herrlicher, als deine Worte es auszu 
drücken vermochten, bewährt hätte; und wäre ich 
ja in diesem Falle getäuscht worden, so wäre es 
durch dich geschehen." 
„Wirst du nun noch sagen, daß ich mich ei 
nem Menschen von niederem Stande ergeben? 
Du würdest eine Unwahrheit sprechen. Wolltest 
du aber vielleicht sagen: einem armen, so kann ja 
niemandem die Armuth, wie oft wohl der Reich 
thum, den angebornen Edelsinn rauben. Schon 
viele Könige und viele große Fürsten waren arm, 
und viele von denen, die das Feld bestellen und 
Rinder hüte», waren einst reich, oder sind es noch. 
Deinen lehren Zweifel aber, ibas du nämlich mit 
mir beginnen solltest, laß immerhin fahren. Wenn 
du in deinem hohen Alter noch aufgelegt bist, et 
was zu thun, was du in jünger» Zähren ver 
schmähtest, mich nämlich grausam zu behandeln, 
so laß deiner Grausamkeit nur freien Lauf; ich 
bin nicht geneigt, dich mit Bitten zu bestürmen, 
da ich diesen Fehltritt, wenn es einer ist, ja selbst 
herbeigeführt habe. Dieses aber versichere ich dir, 
daß, was du auch über Guiscardo verhängt ha 
best, oder noch verhängen mögest, wenn du njcht 
mir ein Gleiches thust, ich es mit diesen meinen 
eignen Händen thun werde. So geh denn, und 
vergieße deine Thränen bei Weibern, und tödte 
immerhin mit einem grausamen Streiche uns bei 
de, wenn du meinst, daß wir es verdient." 
Der Prinz kannte das hohe Gemüth seiner 
Tochter, glaubte aber dessen ungeachtet nicht, daß 
sie ihre Drohungen erfüllen würde. Er verließ sie 
daher, und beschloß, sich auf keine Weise an ihrer 
Person zu vergreifen, wohl aber durch des An 
dern Bestrafung die Gluth seiner Liebe zu kühlen. 
Darum befahl er den beiden, die den Guiscardo 
bewachten, denselben ohne Geräusch, in der fol 
genden Nacht zu erdrosseln, und das Herz des 
Ermordeten ihm zu überbringen. — Diese thaten 
auch, wie ihnen befohlen. 
(Der Schluß folg«.)
	        
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