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Volume Nro. 70, Montag, den 8. April 1811

Full text: Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser / Kuhn, Friedrich August (Public Domain) Issue8.1811 (Public Domain)

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melodiös, und, wenn sie nur etwas rasch gespielt 
werden, von vielem Effekt. Wir machen alle 
Freunde der Guitarre auf sie aufmerksam. 
W. 
Ueber Herrn D. Kolbe'S Sprachreinigungs- 
Versuche. 
' (Schluß.) 
Nicht überflüßig scheint uns s) ein gros 
ser Theil der wissenschaftlichen Kunstausdrücke. 
Wir geben gern zu, daß die gemeinfaßliche, für 
das Volk bestimmte Darstellung dessen, was aus 
den Untersuchungen der Denker aller Zeiten als 
endliches Ergebniß hervorgegangen, der alten, seit 
Jahrhunderten eingeführten Kunstsprache nicht nur 
entbehren könn?/ sondern dieselbe sogar als hem 
mend und zweckwidrig vön sich wtife; und dies 
ist's wohl auch, was Leibnitz meint, wenn er 
in der unten angeführten Stelle *) sich gegen den 
Gebrauch ausländischer Kunstwörter im Vortrage 
philosophischer Wahrheiten zu erklären scheint. Er 
selbst konnte sich ihrer nie einschlagen, und selbst 
da, wo er Gegenstände des gemeinen Lebens be 
handelt, wimmelt sein deutscher Styl von barba 
rischen Ausdrücken und Wendungen. Ja er ge 
steht an einem andern Orte, daß im Vortrage 
wissenschaftlicher Erkenntnisse eine gewisse Kunst 
sprache schlechterdings unvermeidlich sey. '*) Und 
dem ist wohl auch also. Unsere wissenschaftliche 
Bildung ist nicht, wie die Sprache, unser selbstge 
schaffenes Eigenthum. Auf den Höhen griechischer 
Bildung sproßte zuerst die Blume reiferer Erkennt 
niß ; günstige Lüfte wehten den befruchtenden Blu 
menstaub herüber in die neuere Zeit, und neue, 
nitgesehene Blumengebilde keimten hervor, man 
nigfaltig an Dust und Gestalt, je nachdem Him 
melsstrich, Boden und Pflege ihr Gedeihen beför 
derten oder aufhielten. Aber durch die vielfach 
veränderte Form schimmert immerfort die ursprüng- 
•) „lllnd igitur pro certo habendem est, quleqmd termi- 
uis pojnilarilms explicari non potest, esse imlluni et 
• philosophia velut pecnliari quodasn carmine arcen- 
duB. S. Leibn. diss, de Stilo philos. j. XIII. 
«. d. SB. 
•*) Terminis technicis plane carendnm ab iisque caven- 
dum eil, quoad fieri potest; sieri aotera »emper 
non potest prolixitatis causa, quae otitnra esset, ai 
utrudnm esset Semper TOCabtUit popularibns.“ S. #its. 
«»>». S- A. ». «. 
liche Bildung hindurch, und nie vermag der Do, 
den das Fremde so ganz sich anzueignen, daß es 
alles, was von seinem Ursprünge ihm beiwohnt, 
verliere und in Gestalt und Blüthe und Frucht 
dem Einheimischen gleich werde. Es möchte nicht 
schwer fallen, zu beweisen, daß, wollten wir von 
der Sprache der neuern Wissenschaften alles, was 
aus alten Sprachen in sie übergegangen, scho, 
nungslos abscheiden, ihr völliger Untergang zu be- 
fürchten stünde. Die Gründer wissenschaftlicher 
Lehrgebäude, tue sich jetzt so frei und leicht in den 
gewohnten Formen bewegen, würden in dem en, 
gen, fremden Kleide neuer Wortbildungen unge 
lenk und unbeholfen einhcrschreiten, und nie oder 
doch nur langsam zum Ziele gelangen. Es läßt 
sich mit ziemlicherGewißheit behaupten, daß, wenn 
Kant statt der philosophischen Kunstsprache, deren 
er sich bediente, überall nur ächt-deutsche Aus 
drücke hätte gebrauchen sollen, die Kritik der rei 
nen Vernunft nie zu Stande gekommen wäre. 
Und gesetzt auch, es wäre ihm gelungen, wie viel 
häufiger würde feine Lehre mißverstanden worden 
seyn, als sie es ohnedem schon ward. Mit den 
Worten Kategorie, Kritik, Metaphysik, Subjekt, 
Prädikat re. re. verbindet jeder, dem die Untersu 
chungen früherer Denker nicht ganz unbekannt sind, 
den richtigen Begriff, und wo Kant hier und da 
von dem angenommenen Gebrauche abwich, da be 
dürfte es oft nur einer kurzen Andeutung, um 
mögliche Mißverständnisse zu verhüten. Wie ganz 
anders würde es geworden seyn, wenn er jeden 
dieser Ausdrücke mit einem gleichbedeutenden va 
terländischen hätte vertauschen sollen! — Wie-reich 
und fügsam auch immer unsere Sprache seh, hier, 
wo es auf schnelles Verstehen, auf das Festhalten 
eines bestimmten Begriffe ankam, hätte sie sicher 
lich nicht ausgereicht, und unzählige Mißverständ 
nisse, endloser Wortstreit, und vielleicht, wenn 
die Streiter ermüdet wären, gänzlicher Zusammen 
sturz des Lehrgebäudes — wären die unausbleib 
liche Folge gewesen. — „Aber soll denn, was in 
den Schulen der Weisen als ausgemachte Wahr 
heit erfunden worden, nimmer übergehen in das 
Leben des Volks? Soll der Baum der Erkennt 
niß, der als hoher lebendiger Sproß bas Auge 
der Menschheit erfreuen, seine tausend Aeste so 
gern durch den Weltraum breiten möchte, ewig 
eingezwängt in das enge Behältniß eines Treib 
hauses unter den schirmenden Händen seiner Pfle, 
ger zusammenwachsen, ein verkrüppelter Sturz?" 
— Wer möchte dies auch wolle»! Aber meint ihr, 
die ihr also sprecht, es bedürfe nur eines reindeut-
	        
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