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Nro. 36.
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Dienstag,
Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser.
Einfälle.
1.
Es giebt zwei Classen von untergeordneten
Köpfen; beide charakterisiern sich durch ihr Ver
halten bei dem Erscheinen eines neuen iiterari-
schen oder artistischen Werks, das Epoche macht.
Die einen, im Gefühl ihrer eignen Nichtigkeit,
beugen sich vor jeder Erscheinung dieser Art tief in
den Staub, anbetend mit ehrfurchtsvollem Stau
nen. Die andern, stolz sich erhebend in ihrem
Eigendünkel, und meinend, um groß zu seyn, be
dürfe es nur des Tadels fremder Werke, legen es
recht darauf an, das Gute als schlecht, das Große
als klein, das Meisterwerk als Schülerarbeit zu
verhöhnen. Jenen ist ein bei weitem mehr
als Shakespear und Schiller; diesen ist das
Schönste, das Heiligste'nicht schön, nicht heilig
genug, um es nicht mir ihrem giftigen Speichel
zu begc'ftrn. Beide, obwol von Einem Punkt
ausgehend, der Verkennung nehmlich ihrer eignen
absoluten Nullität, trennen sich auf ihrem Wege
und schreiten in verschiedenen Direktionslinien
vorwärts, die aber endlich auf einem Punkte
wieder zusammen treffen. Der Punkt und ihr ge
meinschaftliches Ziel heißt — Mediocrität.
Das ist der Vorzug solcher Menschen, daß sie ihr
Ziel nur selten ganz verfehlen.
2.
Das Menschenleben gleicht einer Wanduhr,
die ihre Schuldigkeit zu thun aufhört, sobald der
Pendul seine Schwingungen einstellt. So bleibt
das große Trieb - und Räderwerk im Menschenle
ben auch nur so lange in Bewegung, als der
Geist, dieser mächtige, ewig hin und herschwan
kende Pendul, nicht ruht. Wenn das die streiten
den Philosophen ruhig bedächten, so würden sie
— nicht etwa aufhören zu streiten — nein! nur
mitten im Streite die besten Freunde bleiben.
3.
Es ist ein himmlischer Genuß, daö gewaltige
Leben und Streben des Griechenvolks zu betrach
ten, und all' die großen, hehren Gestalten, die
seine Geschichte uns vorführt, mit den Augen zu
verfolgen von ihrem ersten kräftigen Athemzuge
bis zu dem lehren, mit dem ihre Seele zum Or
kus hinabsteigt. Wie Homeruö als Repräsentant
seiner Zeit dasteht, mgeben von dem frischen
Morgendufr eines aufblühenden Tages, so seh' ich