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Volume Nro. 36, Dienstag, den 19. Februar 1811

Full text: Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser / Kuhn, Friedrich August (Public Domain) Issue8.1811 (Public Domain)

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Nro. 36. 
D e 
Dienstag, 
Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser. 
Einfälle. 
1. 
Es giebt zwei Classen von untergeordneten 
Köpfen; beide charakterisiern sich durch ihr Ver 
halten bei dem Erscheinen eines neuen iiterari- 
schen oder artistischen Werks, das Epoche macht. 
Die einen, im Gefühl ihrer eignen Nichtigkeit, 
beugen sich vor jeder Erscheinung dieser Art tief in 
den Staub, anbetend mit ehrfurchtsvollem Stau 
nen. Die andern, stolz sich erhebend in ihrem 
Eigendünkel, und meinend, um groß zu seyn, be 
dürfe es nur des Tadels fremder Werke, legen es 
recht darauf an, das Gute als schlecht, das Große 
als klein, das Meisterwerk als Schülerarbeit zu 
verhöhnen. Jenen ist ein bei weitem mehr 
als Shakespear und Schiller; diesen ist das 
Schönste, das Heiligste'nicht schön, nicht heilig 
genug, um es nicht mir ihrem giftigen Speichel 
zu begc'ftrn. Beide, obwol von Einem Punkt 
ausgehend, der Verkennung nehmlich ihrer eignen 
absoluten Nullität, trennen sich auf ihrem Wege 
und schreiten in verschiedenen Direktionslinien 
vorwärts, die aber endlich auf einem Punkte 
wieder zusammen treffen. Der Punkt und ihr ge 
meinschaftliches Ziel heißt — Mediocrität. 
Das ist der Vorzug solcher Menschen, daß sie ihr 
Ziel nur selten ganz verfehlen. 
2. 
Das Menschenleben gleicht einer Wanduhr, 
die ihre Schuldigkeit zu thun aufhört, sobald der 
Pendul seine Schwingungen einstellt. So bleibt 
das große Trieb - und Räderwerk im Menschenle 
ben auch nur so lange in Bewegung, als der 
Geist, dieser mächtige, ewig hin und herschwan 
kende Pendul, nicht ruht. Wenn das die streiten 
den Philosophen ruhig bedächten, so würden sie 
— nicht etwa aufhören zu streiten — nein! nur 
mitten im Streite die besten Freunde bleiben. 
3. 
Es ist ein himmlischer Genuß, daö gewaltige 
Leben und Streben des Griechenvolks zu betrach 
ten, und all' die großen, hehren Gestalten, die 
seine Geschichte uns vorführt, mit den Augen zu 
verfolgen von ihrem ersten kräftigen Athemzuge 
bis zu dem lehren, mit dem ihre Seele zum Or 
kus hinabsteigt. Wie Homeruö als Repräsentant 
seiner Zeit dasteht, mgeben von dem frischen 
Morgendufr eines aufblühenden Tages, so seh' ich
	        
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