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Volume Nro. 23, Freitag, den 1. Februar 1811

Full text: Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser / Kuhn, Friedrich August (Public Domain) Issue8.1811 (Public Domain)

Wörter vermeidet die Verfasserinn ebenfalls nicht 
genug, wie doch von jedem Deutschen geschehen 
sollte, zumal wenn ihm bei Unbckanntschaft mit 
den Sprachen, woher sie kommen, dieselben leere 
Töne sind. So ist der Titel schon ein Aergerniß, 
denn er ist besudelt mit 5 fremden Wörtern. Von 
so vielen erwähne ich nur noch folgende: confun- 
dirt, a ( gregat, disciplin, systematisch, forinel, 
totalilaet, progressiv, regressiv, synthetisch, ana 
lytisch, analyse, analysiren, definirte, Intuition, 
produciren, Operation, classificiren, eleounti- 
ren, modificator, monotong, provinciel, neolo 
gisch, madame, nüancirung, correctheit, noti- 
zen, pensum, componirt. 
Das sogenannte Analysirbuch ist entstellt durch 
die darüber stehenden Eselsbrücken, die so verwor 
ren sind, daß gewiß jeder lieber die ganze Sprache 
lernt, als sich in diese Irr - und Wirrgange wagt. 
Weshalb die Verfasserinn Verfasserinn ge 
worden ist, kann Beurtheiler nicht begreifen und 
will seine Muthmaßungen verschweigen. Schon 
einmal trat sie mit einem, wenn ich nicht irre, 
von der Großmutter geerbten Kochbuche auf. 
Dies mag das Feld Ihres Wirkens seyn; denn 
nach alter Sitte achtet der Deutsche das Weib 
mit der Küchenschürze, aber nicht das im Ver 
stände gelehrte, im Herzen geleerte und im Thun 
verkehrte. Zum häuslichen Wirken weisen wir 
die Verfasserinn zurück und wünschen ihr dazu 
unsern Segen, mit der Hoffnung, daß sie nie 
wieder über die Grenze tritt, und schneidet, wo 
sie nicht gesaet hat. 
Wenn Beurtheiler der Verfasserinn unver 
hohlen seine Meinung sagte, so geschah es keincs- 
weges aus Persönlichkeit; denn er kennt dieselbe 
nur durch ihre Schriften. Er hielt es aber für 
nothwendig und pstichtmaßig, strenge zu radeln, da 
jetzt mit >eder Messe solche Erzeugnisse mit Uw. er- 
schLmkheit das Pestalozzifche Lehrgeseh an der Stirn 
tragen, und dadurch diese heilige Sache der Mensch 
heit entweihen. 
C. W. H - - sch- 
Neues Gemählde von London- 
(Fvnftpmz.) 
Im Jahre 166z hatte die Pest in den Städ 
ten Hamburg und Amsterdam Trauer und Be 
stürzung Verbreiter- Sobald die englische Regle- 
rung davon Nachricht erhielt, wandte sie alles an, 
was in chre« Kräften stand, damit sich diese gräß 
liche Krankheit nicht bis London fortpflanzen möch 
te. Aber alle diese Vorflchcsmaaßregeln waren un 
nütz. Gegen Ende des Jahres 1664 wurden zwei 
Franzosen bei Eröffnung mehrerer Kisten voll hol 
ländischer Waaren, bei Deurylane, von der Pest 
angesteckt, und fielen als die ersten Opfer. Die 
Ansteckung machte große Fortschritte; aber ein sehr 
kalter Winter hemmte plötzlich ihre weitere Aus 
breitung. Im Monat März 1665 erwachte sie 
mit neuer Kraft und verbreitete sich in die ver 
schiedenen Quartiere der Stadt. Die Zahl der 
Todten mehrte sich mit Einem Male auf eine un 
glaubliche Weise so sehr, daß alle Einwohner Lon 
dons in der Bestürzung die Flucht ergriffen und 
ihr Heil fern von den gefährlichen Mauern der 
Hauptstadt suchten, und da sie sich so plötzlich 
und in größter Unordnung auf das Land flüchte 
ten, so waren alle Straße» und Wege mit einer 
ungeheuern Menge von Fuhrwerken aller Art be 
deckt, die mit unglücklichen, bleichen Flüchtlingen 
angefüllt waren, welche kaum zu athmen wagten, 
ans Furcht, durch das Einathmen der Luft den 
Keim des Todes in sich aufzunehmen. 
Im Zuly belief sich die Lifte der Todten auf 
L010. Damals waren alle Häfen geschlossen, die 
öffentlichen Plätze verödet; in den Straßen wuchs 
Gras und in gewissen Entfermmgen waren große 
Feuer angezündec. Man sahe in dieser großen 
furchtbaren Stille, dieser gräßlichen Verödung, 
welche durch die ganze Stadt herrschte, nichte als 
Bahren, welche von halben Leichnamen getragen 
wurden, die ihrerseits bald wieder auf der Bahre 
lagen; nirgend erblickte man etwas, anders, als 
Sterbende, welche Todte begleiteten. Fast auf 
allen Hausthüren gewahrte man neben einem ro 
then Kreuze die Worte: Herr, erbarme dich 
unser! - die schwachen und kaum vernehmbaren 
Stimmen der Gespenster, welche sich mühsam durch 
die Straßen schleppten, wiederholten die Worte: 
Herr, erbarme dich unser! und au den Fen 
stern der Häuser ließen sich andere Gespenster sehen, 
welche den trostlosen Blick gen Himmel richteten, 
und ausriefen: Herr, erbarme dich unter! 
Von Zeit zu Zeit erschienen vor den Häusern, 
welche als verpestet bezeichnet waren, Ausrufer, 
und schrieen das traurige Gebot aus: Schafft 
die Todten aus euer» Häusern! Man ant 
wortete nicht«; höchstens hörte man aus der Tiefe 
einer einsanken Wohnung eine sterbende Stimme 
die Werrehervorhauchcn: Wir sind zn schwach, 
nm unsre Todten aus dem Haufe schaffen 
zu köuueu.
	        
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