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Montag,
Berlinisches
Nro. 96.
e r Freimüthige
oder
den 15. Mat.
Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser.
Miß Lucie.
Au« dem Französischen de« Herrn von Sevelinge«.
(Schluß.)
blnterdkN" war die arme Lucie bis an den Wald
von Welöham gekommen, und kraftlos am Saume
des Gehölzes niedergesunken. Zn düsteres Nach
sinnen verloren, wußte sic keinen Ort auöfündig
zu machen, der ihr zum Asyl hätte dienen können.
Sie kam sich ganz verlassen vor, und faßte schon
den gräßlichen Gedanken, in den Wellen des Yare,
der durch die Ebene strömte, ihren Leiden ein En
de zu machen. Zn diesem gefährlichen Augenblicke
fiel die Erinnerung an einen edlen Mann, der
Prediger im Dorfe Mersey, und ein intimer
Freund ihres Vaters war, wie ein Strahl in ihre
Seele. Zu ihm zu gehen, war ihr lchnellgefaßter
Entschluß; schon sah sie ihn mitleidig seine Arme
öffnen. Diese tröstende Aussicht beruhigte sie einl-
germaßen wieder, und so schlief sie endlich ein.
Kaum war sie eingeschlummert, als sie auf
eine lehr kräftige Weise von einem Manne aufge
weckt wurde, der, mit einer Flinte bewaffnet, vor
ihr stand. „Was machen Sie hier?" fragte er
sie mit einer rauhen Stimme; „ist eine Waldecke
eine schickliche Schlafstelle für ein junges hübsche«
Mädchen?"
Ach! ich bin so matt!
„Armes Kind! das ist nicht älter, als sieb,
zehn Jahre! — Aber woher kommen Sie denn. Miß
Sophie, oder Charlotte, wie Sie heißen mögen?
Und- wenn es nicht zu neugierig läßt, wohin wol
len Sie?"
Zch will den Herrn Pastor in Merfey be,
suchen.
„Herrn Nicholson?"
Ganz recht, den meine ich.
„Ach! das ist ein braver, lieber Mann! —
Sie kennen ihn schon?"
Sehr genau.
„Das ist genug für mich; ich will Sie zu
ihm führen. Aber der Weg, den Sie hier cinschla,
gen wollten, ist nicht der rechte; der führt nach
Norwich, wo wir Beide nichts zu thun haben.
Um nach Mersey zu kommen, müssen wir links
durch den Wald gehen. Geben Sie mir den Arm."
Lucie hatte nicht die Kraft, das Anerbieten
dieses Mannes auszuschlagen, obgleich die Art und
Weise, wie er ihr es machte, sie in Furcht setzte.
Sie nahm also seinen Arm, und folgte ihm mit
einiger Besorgniß. Indessen erholte sie sich bald
wieder, als sie von ihm hörte, daß er ein Revier-
jäger sei. Er unterhielt sich mit ihr von dem gan
zen Lauten, auch von Lady Rosehill, bei deren