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Volume Nro. 95., Sonnabend, den 13. Mai 1809

Full text: Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser / Kuhn, Friedrich August (Public Domain) Issue6.1809 (Public Domain)

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Miß Dolmers war auf ihr Zimmer gegangen, 
und Lady Rosehill suchte sie dort auf. einen, 
weit milderen Tone, als sie vorher mit ihr ge, 
sprochen hatte, sagte sie ihr, daß sie nach einiger 
Ueberlegung sich unmöglich denken könne, daß ihre 
junge Freundin an einem so gefährlichen Menschen, 
wie Sir ZameS Wesibury sei, einen so entschiede, 
nen Geschmack habe finden können. 
„Gefährlich, Milady?" — rief Lucie aus. 
Et! sehr gefährlich! sehte Lady Anna hinzu; 
und nun fing sie an, von dem Obersten ein Ge, 
mählde zu entwerfen, das mit dem, welches sie 
Lueten mittheilte, als sie ihr die Ankunft desselben 
auf Dane, Castle ankündigte, völlig in Widerspruch 
stand. Lucie bemerkte diese auffallende Verschieden, 
heit sogleich, und sagte, als Lady Anna ihr Por, 
trait beendigt halte: „Milady hat mich entweder 
früher getäuscht, oder sie täuscht mich jetzt. Es 
sei darum; mein Herz soll mir darüber Aufschluß 
geben!" 
Unterdessen kam der Abend herbei; aber — 
der Oberste kehrte nicht zurück. Zn welcher ängst 
lichen Besorgniß durchwachte Lucie diese ewig lan 
ge Nacht! Sie lief von einem Fenster ans andere, 
und horch' bet jedem, auch dem kleinsten, Ge 
räusche hoch auf. Beim ersten Strahle der Sonne 
flog sie hinaus vor das Schloß, und starrte die 
bestäubte Straße hinab. Vergebliche Mühe! End 
lich, als sie vor banger Sehnsucht fast verschmach 
tete, trug sie einem jungen Bauer, der ihr vor 
züglich ergeben war, auf, nach Peurtlh zu laufen, 
um dort nachzufragen, ob der Oberste wieder weg 
geritten sei. Weil ihr doch »och ein Schimmer 
von Hoffnung übrig geblieben war, so wußte sie 
vor der Lady Anna eine sehr glückliche Fassung zu 
erkünsteln. Da kehrte ihr kleiner Bote zurück, ließ 
sie herausrufen, und legte ihr Rechenschaft von sei 
ner Sendung ab. Man hatte (berichtete er ihr) 
t» Penrikh gar keine Dragoner gesehen, und von 
einem Sir Zames Westbury wußte dort niemand 
etwas. „Und er hatte mir mit einem Schwure, 
bei unserer Liebe gelobt, noch denselben Abend zu- 
r" dommen!" rief Lucie schmerzhaft aus, und 
omne sich nur mit Mühe der Thränen enthalten. 
Lady Rosehill wollte absichtlich den Kummer 
nicht bemerken, der auf Luciens Herzen lastete, 
und aus Furcht, ihn noch zu vermehren, that sie, 
als wenn ihr dre Abwesenheit des Obersten gar 
nicht auffiele. Sein Name wurde sogar den gan 
zen Tag hindurch nicht ein einziges Mal genannt. 
So verstrich auch der folgende Tag; der Eine. Theil 
beobachtete ein tiefes Schwelgen, der andere war 
in der peinlichsten Unruhe; endlich war auf diese 
Weise ein ganzer Monat verstrichen, und die un 
glückliche Lucie härmte sich ab, ohne eine Klage 
sich entschlüpfen zu lassen. 
Eines Tages hatte sie ihre Harfe zur Hand 
genommen, um Lady Anna, die dieses Znstrument 
liebte, etwas vorzuspielen. Man brachte einen 
Brief; Lady Anna öffnete ihn, und Lucle beobach 
tete ihre Gesichtszüge, um daraus den Inhalt des 
Briefes abzunehmen. Die Augen der Lady Rose 
hill wurden belebter; Mißbilligung, Unwillen und 
Verachtung mahlten sich wechselöweise darin. 
„Ein schönes, edles Ende nach so vielen Aben 
teuern!" rief sie endlich aus.' „Um seine Gläu 
biger befriedigen zu können, steht Sir Zames im 
Begriff, die Tochter eines Kaufmannes, der durch 
drei Bankerutte reich geworden ist, zu heirathen!" 
Zu heirathen! — wiederholte Lucie mit halb 
erstickter Stimme. Aber weiter entschlüpfte kein 
Laut ihren Lippen; keine Thräne fiel aus ihren 
Augen — unbeweglich, wie versteinert, saß sie da. 
Lady Rosehill hingegen wurde immer lebhafter, 
und deklamirte gegen Sir Zames Westbury mit 
einer Heftigkeit, die ihr sonst gar nicht eigen 
war. Als eine Verwandte von ihm, wurde ihre 
Eitelkeit darüber empört, daß er seine ganze Fami 
lie durch eine solche Mesalliance beschimpfen konnte. 
Zn ihrem Aerger nahm sie das Schweigen ihrer 
jungen Freundin für die Wirkung des Unwillens, 
den ihr das Betragen des Obersten eingeflößt hät 
te, und sie sagte deshalb zu ihr: „Laß Dich um 
armen, liebe Lucie! ich sehe mit Entzücken, welchen 
Eindruck die Verworfenheit dieses gemeinen Men 
schen, den Du, ohne ihn genau z^ kennen, zu 
Deinem Ritter erwähltest, auf Dich gemacht hat. 
Dein günstiges Vorurtheil für ihn war übrigens 
zu entschuldigen; ja, wirklich sehr zu entschuldigen, 
mein gutes Kind! Aber wenn Du jetzt, nach einer 
solchen Schändlichkeit, noch das Geringste für die 
sen Unwürdigen empfinden könntest: so würde ich 
Dich eben so sehr verachten, als ihn; ja, ich ge , 
stehe Dir es, ich würde Dich sogar auf immer aus 
meinen Augen verbannen." 
Mein Verdammungsurtheil! — sagte Lucie 
seufzend zu sich selbst; — ich sträube mich nicht da 
gegen, ich werde mich Ihm, so streng es auch ist, 
willig unterwerfen. 
Sobald die Sonne untergegangen war, schlüpf 
te das unglückliche Mädchen, ein kleines Bündel
	        
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