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Miß Dolmers war auf ihr Zimmer gegangen,
und Lady Rosehill suchte sie dort auf. einen,
weit milderen Tone, als sie vorher mit ihr ge,
sprochen hatte, sagte sie ihr, daß sie nach einiger
Ueberlegung sich unmöglich denken könne, daß ihre
junge Freundin an einem so gefährlichen Menschen,
wie Sir ZameS Wesibury sei, einen so entschiede,
nen Geschmack habe finden können.
„Gefährlich, Milady?" — rief Lucie aus.
Et! sehr gefährlich! sehte Lady Anna hinzu;
und nun fing sie an, von dem Obersten ein Ge,
mählde zu entwerfen, das mit dem, welches sie
Lueten mittheilte, als sie ihr die Ankunft desselben
auf Dane, Castle ankündigte, völlig in Widerspruch
stand. Lucie bemerkte diese auffallende Verschieden,
heit sogleich, und sagte, als Lady Anna ihr Por,
trait beendigt halte: „Milady hat mich entweder
früher getäuscht, oder sie täuscht mich jetzt. Es
sei darum; mein Herz soll mir darüber Aufschluß
geben!"
Unterdessen kam der Abend herbei; aber —
der Oberste kehrte nicht zurück. Zn welcher ängst
lichen Besorgniß durchwachte Lucie diese ewig lan
ge Nacht! Sie lief von einem Fenster ans andere,
und horch' bet jedem, auch dem kleinsten, Ge
räusche hoch auf. Beim ersten Strahle der Sonne
flog sie hinaus vor das Schloß, und starrte die
bestäubte Straße hinab. Vergebliche Mühe! End
lich, als sie vor banger Sehnsucht fast verschmach
tete, trug sie einem jungen Bauer, der ihr vor
züglich ergeben war, auf, nach Peurtlh zu laufen,
um dort nachzufragen, ob der Oberste wieder weg
geritten sei. Weil ihr doch »och ein Schimmer
von Hoffnung übrig geblieben war, so wußte sie
vor der Lady Anna eine sehr glückliche Fassung zu
erkünsteln. Da kehrte ihr kleiner Bote zurück, ließ
sie herausrufen, und legte ihr Rechenschaft von sei
ner Sendung ab. Man hatte (berichtete er ihr)
t» Penrikh gar keine Dragoner gesehen, und von
einem Sir Zames Westbury wußte dort niemand
etwas. „Und er hatte mir mit einem Schwure,
bei unserer Liebe gelobt, noch denselben Abend zu-
r" dommen!" rief Lucie schmerzhaft aus, und
omne sich nur mit Mühe der Thränen enthalten.
Lady Rosehill wollte absichtlich den Kummer
nicht bemerken, der auf Luciens Herzen lastete,
und aus Furcht, ihn noch zu vermehren, that sie,
als wenn ihr dre Abwesenheit des Obersten gar
nicht auffiele. Sein Name wurde sogar den gan
zen Tag hindurch nicht ein einziges Mal genannt.
So verstrich auch der folgende Tag; der Eine. Theil
beobachtete ein tiefes Schwelgen, der andere war
in der peinlichsten Unruhe; endlich war auf diese
Weise ein ganzer Monat verstrichen, und die un
glückliche Lucie härmte sich ab, ohne eine Klage
sich entschlüpfen zu lassen.
Eines Tages hatte sie ihre Harfe zur Hand
genommen, um Lady Anna, die dieses Znstrument
liebte, etwas vorzuspielen. Man brachte einen
Brief; Lady Anna öffnete ihn, und Lucle beobach
tete ihre Gesichtszüge, um daraus den Inhalt des
Briefes abzunehmen. Die Augen der Lady Rose
hill wurden belebter; Mißbilligung, Unwillen und
Verachtung mahlten sich wechselöweise darin.
„Ein schönes, edles Ende nach so vielen Aben
teuern!" rief sie endlich aus.' „Um seine Gläu
biger befriedigen zu können, steht Sir Zames im
Begriff, die Tochter eines Kaufmannes, der durch
drei Bankerutte reich geworden ist, zu heirathen!"
Zu heirathen! — wiederholte Lucie mit halb
erstickter Stimme. Aber weiter entschlüpfte kein
Laut ihren Lippen; keine Thräne fiel aus ihren
Augen — unbeweglich, wie versteinert, saß sie da.
Lady Rosehill hingegen wurde immer lebhafter,
und deklamirte gegen Sir Zames Westbury mit
einer Heftigkeit, die ihr sonst gar nicht eigen
war. Als eine Verwandte von ihm, wurde ihre
Eitelkeit darüber empört, daß er seine ganze Fami
lie durch eine solche Mesalliance beschimpfen konnte.
Zn ihrem Aerger nahm sie das Schweigen ihrer
jungen Freundin für die Wirkung des Unwillens,
den ihr das Betragen des Obersten eingeflößt hät
te, und sie sagte deshalb zu ihr: „Laß Dich um
armen, liebe Lucie! ich sehe mit Entzücken, welchen
Eindruck die Verworfenheit dieses gemeinen Men
schen, den Du, ohne ihn genau z^ kennen, zu
Deinem Ritter erwähltest, auf Dich gemacht hat.
Dein günstiges Vorurtheil für ihn war übrigens
zu entschuldigen; ja, wirklich sehr zu entschuldigen,
mein gutes Kind! Aber wenn Du jetzt, nach einer
solchen Schändlichkeit, noch das Geringste für die
sen Unwürdigen empfinden könntest: so würde ich
Dich eben so sehr verachten, als ihn; ja, ich ge ,
stehe Dir es, ich würde Dich sogar auf immer aus
meinen Augen verbannen."
Mein Verdammungsurtheil! — sagte Lucie
seufzend zu sich selbst; — ich sträube mich nicht da
gegen, ich werde mich Ihm, so streng es auch ist,
willig unterwerfen.
Sobald die Sonne untergegangen war, schlüpf
te das unglückliche Mädchen, ein kleines Bündel