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Volume Nro. 74., Freitag, den 14. April 1809

Full text: Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser / Kuhn, Friedrich August (Public Domain) Issue6.1809 (Public Domain)

Tag über kaum Krähenflügel an ihr gewahr. Das 
einzige ist zu beklagen, dag der menschliche Erfin, 
dungögeist noch auf kein Mittel verfallen, denBliz- 
zeeflug der Gedanken durch gleich schnelle Zeichen 
zu fixiren, und den Sonnenreisen der Phantasie 
eine augenblickliche Sprache zu leihen. Welch eine 
armselige Figur würden dann unsre gegenwärtigen 
größten Dichter machen, wenn sich jene Lichtmo- 
mente, worin sich die Menschenseele über sich selbst 
erhebt, und oft in Einer Weihestunde ganze Schöp, 
fungen hervorzaubert — in demselben Augenblick 
aufhaschen, und der Beschauung darstellen ließen! 
Eine gewisse Sattheit und unverrückbare Be 
haglichkeit ist ein Hauptzug im Karakter dieses 
Mannes. Weder Weib, noch Kind, noch Freund; 
weder unangenehme, noch angenehme Vorfälle des 
Lebens sind im Stande, ihn aus dem Schwer 
punkte dieser brittischen Coinfartabeluoß zu reißen: 
er läßt, wenn er sich mit einer Lieblingsidee wiegt, 
alles gleichsam nur sein Ohr bestreifen, und be 
merkt höchstens, daß er sich zu anderer Zeit auf die 
Sache einlassen werde. —- Wer kann sich mit All 
täglichkeiten befassen, wenn seine Seele schüft, 
und „wie der Sonnentrinkende Aar," höhere Re 
gionen durchwandelt? 
Herr N * ißt mit Behaglichkeit, trinkt mit 
Behaglichkeit, spricht und arbeitet mit Behaglich 
keit; und ist das pcrsonificirte Wohlbehagen, wenn 
er auf seinem Dreifuß — schmaucht, liefet, denkt. 
Nur im Moment der wirklichen Production verläßt 
ihn dieses Wohlbehagen: Da sieht man ihn oft 
hastig auf und abgehn; oft plötzlich stille stehn — 
das sinnende Haupt in die Hand gesenkt, und für 
alle äußern Eindrücke verloren: oft schaut er Vier 
telstundenlang zum Fenster hinaus, und dudelt in 
sich hinein; dann stürzt er ans Klavier und spielt; 
dann an sein Pult, und schreibt. Ein Beweis, 
daß er sich in einem unruhigen außerordentlichen 
Gemüthszustande befinde. — Zn solchen Fällen läßt 
er seine Hausfrau oft lange mit dem Essen war, 
*? n > ja bisweilen übergeht er es ganz, um durch 
Entfernung aller Materie feine Seele noch mehr 
zu vergeistigen. 
f olIte denken, daß ihm unter solchen Um- 
7?" Z°"ltalwerke gelingen müßten. Demunge- 
< eben'ru"Stempel des Genies nicht; 
tt,m kosten ^"^rengung und Vorbereitung, so sie 
? , s S e!U ! "-'s ein Beweis zu sein: daß 
r eigentlich nicht dafür organ.sirt sei, und seinen 
großen Collegen durch alle Aeonen nicht erreichen 
werde — der seine göttlichste» Arbeiten wie im 
«piele hingetändelt haben soll. — Diese Anstren 
gung und künstliche Hinaufschraubung des Geistes 
merkf man auch seinen Produkten wohl an. Sie 
sind gründlich und überall gedacht; aber es ist kein 
Wohlgefühl, was man bei ihrer Anhörung empfin 
det, sondern eine Art Spannung — derjenigen 
ähnlich, worin sie ihr Verfasser hervorgebracht hat. 
Seine übrigen Verrichtungen, als: Orgelspiel, 
Direction, Gesang, Partlturstudlum re. vollbringt 
er ganz mit der Gemüthlichkeit und Ruhe seiner 
erwähnten Functionen. Seine Stimme Ast dünn, 
unangenehm, aber durchdringend, und. seinem Per 
sonal gewachsen. Er hat solche, da sie Mutter 
Natur zu vernachläßigen beliebte, nur soweit eulti, 
virt, um seinen Amtöverrichtungen gehörigen Nach 
druck zu geben. Besser wäre es freilich, wenn sie 
sich mehr zum Baß hinabsenkte, als in den krau 
sen Tenor hinaufwagte. Seine Solos in den Con- 
zerten — wie er sie an festlichen Tagen bisweilen 
aus Noth übernimmt —machen fatalen Eindruck auf 
einen an Ohrcnkihel gewöhnten Residenzier, und 
tragen nebst dem übrigen Personal vielleicht dazu 
bei, seine Compositioncn unter ihren Werth zu er, 
niedrigen. Das Orgelspiel hat er ungleich wei 
ter getrieben, und in Absicht der Präcision und 
Schwierigkeit zur Virtuosität gebracht. Er weiß 
seine sämmtlichen Register geschickt und ohne merk, 
baren Abjah zu benutzen, und seine beiden Klaviere 
zu beleben. Nur das Pedal bleibt etwas zurück, 
weil seine Spiralfüßchen zu kurz, zu schwach und 
schmächtig sind, den Wogendonner der Orgel auf 
zurühren. Sein Fingersatz ist aufs Haar hin Da- 
chjsch und correkt, und die schweren Passagen ge 
lingen ihm fast immer. Seine Körperhaltung 
während des Spiels ist förmliche Carricakur: er 
senkt den Oberleib stark vorwärts gegen die Tasten, 
das Stuhbedeckte Haupt bald links, bald rechts 
hin wendend; die Ellenbogen spitzen sich meist 
hinauswärts gegen die Register; vom breiten Sitze 
seiner Vorgänger nimmt er kaum ein paar Zoll 
ein — Schenkel und Vorfüße laufen mehr senk 
recht, als horizontal, und beschreiben oft lächerliche 
Curven. Daher ist es nicht räthlich, ihn spielen 
zu sehen, sondern man muß ihn allein hören. 
Zm Centrum des Kirchenschiffs nimmt sich sein 
Spiel am besten aus, und man muß da bisweilen 
erstaunen, wie ein so kleines durchsichtiges Figür, 
chen das ganze gewaltige Instrument in Bewe 
gung setzen, alle Hülfsquellen desselben aufregen, 
u„d damit die Wirkung eines ganzen Orchesters 
hervorbringen kann. 
L. S ch u b a r t. 
(Die Fortsetzung folgt.)
	        
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