Tag über kaum Krähenflügel an ihr gewahr. Das
einzige ist zu beklagen, dag der menschliche Erfin,
dungögeist noch auf kein Mittel verfallen, denBliz-
zeeflug der Gedanken durch gleich schnelle Zeichen
zu fixiren, und den Sonnenreisen der Phantasie
eine augenblickliche Sprache zu leihen. Welch eine
armselige Figur würden dann unsre gegenwärtigen
größten Dichter machen, wenn sich jene Lichtmo-
mente, worin sich die Menschenseele über sich selbst
erhebt, und oft in Einer Weihestunde ganze Schöp,
fungen hervorzaubert — in demselben Augenblick
aufhaschen, und der Beschauung darstellen ließen!
Eine gewisse Sattheit und unverrückbare Be
haglichkeit ist ein Hauptzug im Karakter dieses
Mannes. Weder Weib, noch Kind, noch Freund;
weder unangenehme, noch angenehme Vorfälle des
Lebens sind im Stande, ihn aus dem Schwer
punkte dieser brittischen Coinfartabeluoß zu reißen:
er läßt, wenn er sich mit einer Lieblingsidee wiegt,
alles gleichsam nur sein Ohr bestreifen, und be
merkt höchstens, daß er sich zu anderer Zeit auf die
Sache einlassen werde. —- Wer kann sich mit All
täglichkeiten befassen, wenn seine Seele schüft,
und „wie der Sonnentrinkende Aar," höhere Re
gionen durchwandelt?
Herr N * ißt mit Behaglichkeit, trinkt mit
Behaglichkeit, spricht und arbeitet mit Behaglich
keit; und ist das pcrsonificirte Wohlbehagen, wenn
er auf seinem Dreifuß — schmaucht, liefet, denkt.
Nur im Moment der wirklichen Production verläßt
ihn dieses Wohlbehagen: Da sieht man ihn oft
hastig auf und abgehn; oft plötzlich stille stehn —
das sinnende Haupt in die Hand gesenkt, und für
alle äußern Eindrücke verloren: oft schaut er Vier
telstundenlang zum Fenster hinaus, und dudelt in
sich hinein; dann stürzt er ans Klavier und spielt;
dann an sein Pult, und schreibt. Ein Beweis,
daß er sich in einem unruhigen außerordentlichen
Gemüthszustande befinde. — Zn solchen Fällen läßt
er seine Hausfrau oft lange mit dem Essen war,
*? n > ja bisweilen übergeht er es ganz, um durch
Entfernung aller Materie feine Seele noch mehr
zu vergeistigen.
f olIte denken, daß ihm unter solchen Um-
7?" Z°"ltalwerke gelingen müßten. Demunge-
< eben'ru"Stempel des Genies nicht;
tt,m kosten ^"^rengung und Vorbereitung, so sie
? , s S e!U ! "-'s ein Beweis zu sein: daß
r eigentlich nicht dafür organ.sirt sei, und seinen
großen Collegen durch alle Aeonen nicht erreichen
werde — der seine göttlichste» Arbeiten wie im
«piele hingetändelt haben soll. — Diese Anstren
gung und künstliche Hinaufschraubung des Geistes
merkf man auch seinen Produkten wohl an. Sie
sind gründlich und überall gedacht; aber es ist kein
Wohlgefühl, was man bei ihrer Anhörung empfin
det, sondern eine Art Spannung — derjenigen
ähnlich, worin sie ihr Verfasser hervorgebracht hat.
Seine übrigen Verrichtungen, als: Orgelspiel,
Direction, Gesang, Partlturstudlum re. vollbringt
er ganz mit der Gemüthlichkeit und Ruhe seiner
erwähnten Functionen. Seine Stimme Ast dünn,
unangenehm, aber durchdringend, und. seinem Per
sonal gewachsen. Er hat solche, da sie Mutter
Natur zu vernachläßigen beliebte, nur soweit eulti,
virt, um seinen Amtöverrichtungen gehörigen Nach
druck zu geben. Besser wäre es freilich, wenn sie
sich mehr zum Baß hinabsenkte, als in den krau
sen Tenor hinaufwagte. Seine Solos in den Con-
zerten — wie er sie an festlichen Tagen bisweilen
aus Noth übernimmt —machen fatalen Eindruck auf
einen an Ohrcnkihel gewöhnten Residenzier, und
tragen nebst dem übrigen Personal vielleicht dazu
bei, seine Compositioncn unter ihren Werth zu er,
niedrigen. Das Orgelspiel hat er ungleich wei
ter getrieben, und in Absicht der Präcision und
Schwierigkeit zur Virtuosität gebracht. Er weiß
seine sämmtlichen Register geschickt und ohne merk,
baren Abjah zu benutzen, und seine beiden Klaviere
zu beleben. Nur das Pedal bleibt etwas zurück,
weil seine Spiralfüßchen zu kurz, zu schwach und
schmächtig sind, den Wogendonner der Orgel auf
zurühren. Sein Fingersatz ist aufs Haar hin Da-
chjsch und correkt, und die schweren Passagen ge
lingen ihm fast immer. Seine Körperhaltung
während des Spiels ist förmliche Carricakur: er
senkt den Oberleib stark vorwärts gegen die Tasten,
das Stuhbedeckte Haupt bald links, bald rechts
hin wendend; die Ellenbogen spitzen sich meist
hinauswärts gegen die Register; vom breiten Sitze
seiner Vorgänger nimmt er kaum ein paar Zoll
ein — Schenkel und Vorfüße laufen mehr senk
recht, als horizontal, und beschreiben oft lächerliche
Curven. Daher ist es nicht räthlich, ihn spielen
zu sehen, sondern man muß ihn allein hören.
Zm Centrum des Kirchenschiffs nimmt sich sein
Spiel am besten aus, und man muß da bisweilen
erstaunen, wie ein so kleines durchsichtiges Figür,
chen das ganze gewaltige Instrument in Bewe
gung setzen, alle Hülfsquellen desselben aufregen,
u„d damit die Wirkung eines ganzen Orchesters
hervorbringen kann.
L. S ch u b a r t.
(Die Fortsetzung folgt.)