beklagen ? Dein Zartgefühl hat Dich irre geführt, und
Dich verhindert, die Größe des Opfers einzusehen,
das Du gebracht hast! — Thränen rollten seine
Wangen herab; er verschluckte sie, und sagte lä
chelnd: „Zch muß mir selbst gestehen, daß ich ein
Thor bin. Welche Ursache habe ich denn, traurig
zu sein? Zch entsage einem jungen Mädchen, das,
wie ich nicht läugnen kann, höchst liebenswürdig
ist; aber sie kann ja nun einmal nicht dle Meine
werden. Bin ich durch meine Zusage nicht unwi
derruflich gebunden? Das Versprechen, das man
einem Unglücklichen giebt, ist das heiligste von al
len. Ich bin vermählt! Vergessen sei jene Leiden
schaft, die jetzt noch im Entstehen ist, und die,
wie ich hoffen darf, noch nicht so tiefe Wurzel ge
schlagen hat, um meine und Sophiens Ruhe zu
stören. Arme Sophie! unglückliche Tochter der
zärtlichsten aller Mütter! Mein Herz darf nur für
Dich schlagen!
Den ganzen Tag hindurch bemüht er sich, ln
diesem Entschlüsse sich zu befestigen. Adelens Bild
verfolgt ihn immerwährend; aber umsonst! die Lei
denschaften können die wahre Tugend wohl mar
tern und quälen; aber nicht verführen. Gegen
Abend gehr er zu Frau von Maziereö, und gelobt
sich, sie bis zu Sophiens Ankunft nicht zu ver
lassen. Er glaubte sie allein zu finden, und erwar
tete nicht, daß er Frau und Fräulein von Jümilly
bei ihr treffen würde. Indeß fiel ihm das weiter
nicht auf. Frau von Zümilly, die sich eben erst in
dieser Stadt niedergelassen hatte, mußte nothwen
dig allen Personen, die sie wieder bei sich zu sehen
wünschte, Besuche machen. Clainville gerieth aber
in eine peinigende Verlegenheit; er konnte kein
Wort über seine Lippen bringen. Unbeweglich
stand er da, und wußte nicht, ob er hervortreten,
oder sich eiligst wieder fort machen sollte. Er errö-
thete, als habe er ein Versehen begangen. Zur Ver
mehrung seiner Quaal kam Frau von Maziercs noch
auf ihn zu, nahm ihn bei der Hand, stellte ihn Frau
von Zümilly vor, und sagte: „Sehen Sie hier,
Madame, den edelmüthigen Mann, den meii» Be
kümmerniß und mein Schmerz so gerührt haben,
daß er sein eigenes Interesse vergessen, und sich er
boten hat, Sophiens Beschützer zu sein, wenn ich
nicht mehr fein.'-'
Ich kenne den Herrn, — erwiederte Frau von
Il.milly; ich weiß, wie groß seine Uneigennützigkeit
und sein Zartgefühl ist. Welche Gattin sollte nicht
mit einem Manne glücklich leben, der so edler
Handlungen fähig ist. Was sagen Sie dazu,
Adele?
Das junge Mädchen schlug die Augen schüch-
tern nieder, lächelte, und sagte erröthend: „Za,
ich glaube mein Glück gesichert."
Wer mag Elainvilleö Erstaunen bet diesen
Worten schildern?
„Hören Sie wohl, mein Freund? — sagte
Frau vcn Mazieres, indem sie sich zu ihm wende
te. Nun wohlan! umarmen Sle Ihr Weib."
Mein Weib!
„Wie? Sie nehmen Anstand? Wollen sie et
wa Ihr Wort wieder zurück nehmen?"
Mein Wort zurück nehmen? Zch würde es
halten, und wäre mein Blut der Preis.
„Nun so umarmen Sie doch Zhre Frau!"
Wie? Mademoiselle...!
„Ist meine Tochter, meine gute Sophie; und
Frau von Zümilly die Freundin, der ich sie ver
traute. "
Gerechter Himmel! Was höre ich! Welches
Glück ftll mir zu Theil werden!
„Ein Glück, das Du verdienst, edler junger
Mann!" 1
Wie? so haben Sie mich getäuscht?
wünschte den Mann ganz kennen zu
lernen, in dessen Hände ich diesen köstlichen Schatz
niederlegen wollte. Das Glück meines Kindes die
ne mir zur Entschuldigung. Nicht wahr. Du
verzeihst mir? Und Du bereust es nicht. Dich den
ersten Wallungen Deines Herzens überlassen zu
habe» ? "
Clainville war zu bewegt, um ihr antworten
zu können; seine Augen, die in Thränen schwam,
men, ruhten wechselöweise auf Frau von Mazieres,
Adelen und Frau von Zümilly.,
Zn diesem Moment trat Herr von Fierval
ins Zimmer. „Wie? rief ihm Frau von Mazieres
zu, der Nokar ist nichr bei Ihnen?"
Nein! aber er folgt mir auf dem Fuße. Der
Heiraths.-Contrakl ist niedergeschrieben, es fehlt
nichts weiter, als... . '
„Die Mitgift und die Unterschriften," supptir-
te der Notar, der eben ins Zimmer trat.
Lassen Sie sehen, sagte Herr von Fierval; wel
che Aussteuer geben Sie ihrer Fräulein Tochter?
Zch liebe Clainville, ich habe ihm versprochen, ihn
gut zu vcrhcirathen, und muß deshalb sein Inte
resse berücksichtigen. Also....
„So schreiben Sie, Herr Notar, daß ich mei
ner Enkelin, Sophie von Verlac, die Summe von
hunderttausend Thalern schenke, die ich ln die Hän
de des edelsten Mannes, meines alten Freundes,
Herrn von Fierval, niedergelegt habe."
Sind Sie zufrieden? sagte Fierval zu Clain
ville.
Clainville stürzte sich in seine Arme, drückte dann
die Hand der Frau von Mazieres an seine Brust,
und sagte: „Zn Zhren Ueberrajchungen beobachten
Sie keine Stufenfolge. Die erste war zu köstlich,
als daß sie der zweiten nicht Ichaden sollte."
Beide haben ihr Gutes, fiel ihm Fierval ein;
Sie werden mir einst hierin Recht geben. —
„Sie haben mich für sehr arm gehalten, lieber
Clainville, nahm hieraus Frau von Mazieres das Wort;
aber ich hatte nur den Anstrich der Armuth. Zwar
habe ich mein Vermögen verloren, aber dafür ist
wir doch die Frucht meiner Sparsamkeit geblieben.
Herr von Fierval hat sich meiner ijietbei sehr eifrig
angenommen; er reduzlrte meine Ausgaben auf das
Nothwendigste; die gute Verwaltung und einige
unerwartete glückliche Zufälle vergrößerten meine