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Volume Nro. 35., Sonnabend, den 18. Februar 1809

Full text: Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser / Kuhn, Friedrich August (Public Domain) Issue6.1809 (Public Domain)

beklagen ? Dein Zartgefühl hat Dich irre geführt, und 
Dich verhindert, die Größe des Opfers einzusehen, 
das Du gebracht hast! — Thränen rollten seine 
Wangen herab; er verschluckte sie, und sagte lä 
chelnd: „Zch muß mir selbst gestehen, daß ich ein 
Thor bin. Welche Ursache habe ich denn, traurig 
zu sein? Zch entsage einem jungen Mädchen, das, 
wie ich nicht läugnen kann, höchst liebenswürdig 
ist; aber sie kann ja nun einmal nicht dle Meine 
werden. Bin ich durch meine Zusage nicht unwi 
derruflich gebunden? Das Versprechen, das man 
einem Unglücklichen giebt, ist das heiligste von al 
len. Ich bin vermählt! Vergessen sei jene Leiden 
schaft, die jetzt noch im Entstehen ist, und die, 
wie ich hoffen darf, noch nicht so tiefe Wurzel ge 
schlagen hat, um meine und Sophiens Ruhe zu 
stören. Arme Sophie! unglückliche Tochter der 
zärtlichsten aller Mütter! Mein Herz darf nur für 
Dich schlagen! 
Den ganzen Tag hindurch bemüht er sich, ln 
diesem Entschlüsse sich zu befestigen. Adelens Bild 
verfolgt ihn immerwährend; aber umsonst! die Lei 
denschaften können die wahre Tugend wohl mar 
tern und quälen; aber nicht verführen. Gegen 
Abend gehr er zu Frau von Maziereö, und gelobt 
sich, sie bis zu Sophiens Ankunft nicht zu ver 
lassen. Er glaubte sie allein zu finden, und erwar 
tete nicht, daß er Frau und Fräulein von Jümilly 
bei ihr treffen würde. Indeß fiel ihm das weiter 
nicht auf. Frau von Zümilly, die sich eben erst in 
dieser Stadt niedergelassen hatte, mußte nothwen 
dig allen Personen, die sie wieder bei sich zu sehen 
wünschte, Besuche machen. Clainville gerieth aber 
in eine peinigende Verlegenheit; er konnte kein 
Wort über seine Lippen bringen. Unbeweglich 
stand er da, und wußte nicht, ob er hervortreten, 
oder sich eiligst wieder fort machen sollte. Er errö- 
thete, als habe er ein Versehen begangen. Zur Ver 
mehrung seiner Quaal kam Frau von Maziercs noch 
auf ihn zu, nahm ihn bei der Hand, stellte ihn Frau 
von Zümilly vor, und sagte: „Sehen Sie hier, 
Madame, den edelmüthigen Mann, den meii» Be 
kümmerniß und mein Schmerz so gerührt haben, 
daß er sein eigenes Interesse vergessen, und sich er 
boten hat, Sophiens Beschützer zu sein, wenn ich 
nicht mehr fein.'-' 
Ich kenne den Herrn, — erwiederte Frau von 
Il.milly; ich weiß, wie groß seine Uneigennützigkeit 
und sein Zartgefühl ist. Welche Gattin sollte nicht 
mit einem Manne glücklich leben, der so edler 
Handlungen fähig ist. Was sagen Sie dazu, 
Adele? 
Das junge Mädchen schlug die Augen schüch- 
tern nieder, lächelte, und sagte erröthend: „Za, 
ich glaube mein Glück gesichert." 
Wer mag Elainvilleö Erstaunen bet diesen 
Worten schildern? 
„Hören Sie wohl, mein Freund? — sagte 
Frau vcn Mazieres, indem sie sich zu ihm wende 
te. Nun wohlan! umarmen Sle Ihr Weib." 
Mein Weib! 
„Wie? Sie nehmen Anstand? Wollen sie et 
wa Ihr Wort wieder zurück nehmen?" 
Mein Wort zurück nehmen? Zch würde es 
halten, und wäre mein Blut der Preis. 
„Nun so umarmen Sie doch Zhre Frau!" 
Wie? Mademoiselle...! 
„Ist meine Tochter, meine gute Sophie; und 
Frau von Zümilly die Freundin, der ich sie ver 
traute. " 
Gerechter Himmel! Was höre ich! Welches 
Glück ftll mir zu Theil werden! 
„Ein Glück, das Du verdienst, edler junger 
Mann!" 1 
Wie? so haben Sie mich getäuscht? 
wünschte den Mann ganz kennen zu 
lernen, in dessen Hände ich diesen köstlichen Schatz 
niederlegen wollte. Das Glück meines Kindes die 
ne mir zur Entschuldigung. Nicht wahr. Du 
verzeihst mir? Und Du bereust es nicht. Dich den 
ersten Wallungen Deines Herzens überlassen zu 
habe» ? " 
Clainville war zu bewegt, um ihr antworten 
zu können; seine Augen, die in Thränen schwam, 
men, ruhten wechselöweise auf Frau von Mazieres, 
Adelen und Frau von Zümilly., 
Zn diesem Moment trat Herr von Fierval 
ins Zimmer. „Wie? rief ihm Frau von Mazieres 
zu, der Nokar ist nichr bei Ihnen?" 
Nein! aber er folgt mir auf dem Fuße. Der 
Heiraths.-Contrakl ist niedergeschrieben, es fehlt 
nichts weiter, als... . ' 
„Die Mitgift und die Unterschriften," supptir- 
te der Notar, der eben ins Zimmer trat. 
Lassen Sie sehen, sagte Herr von Fierval; wel 
che Aussteuer geben Sie ihrer Fräulein Tochter? 
Zch liebe Clainville, ich habe ihm versprochen, ihn 
gut zu vcrhcirathen, und muß deshalb sein Inte 
resse berücksichtigen. Also.... 
„So schreiben Sie, Herr Notar, daß ich mei 
ner Enkelin, Sophie von Verlac, die Summe von 
hunderttausend Thalern schenke, die ich ln die Hän 
de des edelsten Mannes, meines alten Freundes, 
Herrn von Fierval, niedergelegt habe." 
Sind Sie zufrieden? sagte Fierval zu Clain 
ville. 
Clainville stürzte sich in seine Arme, drückte dann 
die Hand der Frau von Mazieres an seine Brust, 
und sagte: „Zn Zhren Ueberrajchungen beobachten 
Sie keine Stufenfolge. Die erste war zu köstlich, 
als daß sie der zweiten nicht Ichaden sollte." 
Beide haben ihr Gutes, fiel ihm Fierval ein; 
Sie werden mir einst hierin Recht geben. — 
„Sie haben mich für sehr arm gehalten, lieber 
Clainville, nahm hieraus Frau von Mazieres das Wort; 
aber ich hatte nur den Anstrich der Armuth. Zwar 
habe ich mein Vermögen verloren, aber dafür ist 
wir doch die Frucht meiner Sparsamkeit geblieben. 
Herr von Fierval hat sich meiner ijietbei sehr eifrig 
angenommen; er reduzlrte meine Ausgaben auf das 
Nothwendigste; die gute Verwaltung und einige 
unerwartete glückliche Zufälle vergrößerten meine
	        
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