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Volume Nro. 1, Freitag, den 1. Januar 1808

Full text: Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser / Kuhn, Friedrich August (Public Domain) Issue5.1808 (Public Domain)

überfiel den armen Jüngling die schrecklichste Ge 
wissensangst. Er fühlte, daß er seine Stiefmutter 
nicht liebe» ja, er fühlte deutlich, daß er sie nicht 
lieben könne. Weg war seine Seelenruhe, das 
selige Bewußtseyn eines reinen Herzens. Bebend 
nähre er sich dem Altare, todkenbleich empfing er die 
Hostie, und mit dem quälenden Gewiffensvorwurf: 
ich war's nicht würdig! wanderte er aus der Kirche. 
Immer donnerten die Worte in seine Ohren: ewi 
ges Verderben dem, der dies Liebesmahl unwürdig 
genießt! Vergebens verdoppelte er seinen Gehorsam 
gegen die Stiefmutter; vergebens suchte er ihre Wün 
sche zu erspähen, um ihnen zuvor zu kommen; im 
mer flüsterte die Stimme des Gewissens ihm zu: 
du liebst sie doch nicht! — Diese geheimen Qualen 
der Seele wirkten auf seinen Körper, die Iugend- 
blüthe schwand, er wurde kraftlos, unthätig, und, 
nach langem vergeblichen Kampfe, seinem Herzen 
kindliche Liebe abzuzwingen, fühlte er, daß er unter 
liegen müsse, wenn er seinen nagenden Kummer nicht 
schnell einer treuen Brust vertraue. Bleich und ab 
gezehrt trat er vor seinen Lehrer, und mit den er 
sten Worten schossen ihm schon die Thränen aus den 
Augen. 
„Herr Pfarrer," sprach er, „Sie haben uns 
„gepredigt, liebet eure Feinde; so weiß Gott, 
„daß ich aus redlichem Herzen mich darum bemüht, 
„aber es geht eben nicht. Thut wohl denen, 
„die euch hassen und verfolgen — ja, das 
„geht eher, und wenn es darauf ankommt, so will 
id) meinen legten tritt- mit- Xom goinho 
„theilen; aber lieben, Herr Pfarrer, so was man 
„eigentlich lieben nennt, nein wahrlich! das ver- 
„mag ich nicht!" 
„Was nennt man denn lieben, mein Sohn?" 
fragte lächelnd der Greis, und verwirrte den Kla 
genden ein wenig. „Beschreiben läßt es sich schwer," 
antwortete er nach einer Pause, „ich denke eben, 
„wenn man es beschreiben will, so ist es schon nicht 
„mehr da, und will man es erzwingen, si) kommt 
„es nimmermehr. Für meinen Vater, für Sie, 
„Herr Pfarrer, und für die kleine Badet, spräng' 
„ich in Wasser und Feuer ungeheißen, und brauchte 
„dazu keine Predigt — aber —" 
„Nun, mein Sohn? wem gilt das Aber? hat 
„er auch schon einen "Feind?" 
„Ach, Herr Pfarrer! (die Thränen stürzten ihm 
aus den Augen) „als Gott mir meine Mutter nahm, 
„da hätte er mich nur auch mit nehmen sollen! — 
"Es sind nun schon zwölf Jahre — ich habe nie 
" geklagt — aber Sie sind ja mein Beichtvater — 
„weiß Gott, ich kanns nicht länger tragen! und lie- 
„ den kann ich die Stiefmutter nicht, und soll ich 
„sonst nicht selig werden — ach! mein Gott, so bin 
„ich ewiglich verdammt!" — Jetzt wurden seine 
„Augen trocken und Verzweiflung sprach aus seinen 
„düstern Blicken." 
Der Greis redete ihm liebreich zu: dem Him 
mel. sprach er, genügt am redlichen Willen. Dann 
ließ er sich erzählen, wie des Knaben Groll entstan 
den und gewachsen war, wobei freilich manches Unbe 
deutende aus dem aufgeregten Herzensgründe mit her 
vor quoll. So hatte cs unter andern ihn bitter 
geschmerzt, daß an dem Tage seiner Firmelung ihm 
ein alter Rock seines Vaters umgewendet worden war, 
indessen Christliebchen jährlich ein paarmal in neuen 
Kleidern siolzirte. „Cs ist nicht Neid," setzte er 
hinzu, „weiß Gott, ich bin nicht neidisch; aber daß 
„ich so verachtet seyn muß, weil meine Mutter im 
„Grabe ruht—" Schluchzen unterbrach seine Er 
zählung. 
(Die Fortsetzung folgt.) 
Ulrich von Hutten. 
^)>oll edlen Freiheits-Gefühles und nie ermüdender 
Kraft — rastlos bemüht, das Gute zu fördern, den 
Geist der Lüge zu bekämpfen, und den Altar der 
Wahrheit gegen frevelhafte Entweihung zu schirmen, 
daß seine heilige Flamme nie verlöschend darauf lo- 
dere — unbeugsam den Schlägen eines grauftnvol- 
'Ien Schicksals, furchtlos vor den Drohungen der 
Tyrannen der Erde, deren Thorheiten er geißelte — 
so lebte, so wirkte Ulrich von Hutten. Verbün 
det mit seinen Freunden: EraSmuö, Reuchlin, 
Crotus, Pirkheimer, Stromer, Franzvon 
Stckingen und Luther ging er als ein Sturm 
durch sein dunkles Jahrhundert, und reinigte es von 
dem dumpfen Gewölk, das papistifcher Despotismus 
aufgethürmt hatte, um die Völker desto gewisser und 
gefahrloser zu Erreichung niederer Zwecke irre zu lei 
ten. Weder gleißende Versprechungen, noch Schmei 
cheleien, noch der Zorn der Mächtigen, vermcgten 
ihn, die Dahn der Wahrheit zu verlassen, oder auch 
nur bei offenbaren Ungerechtigkeiten zu schweigen, 
bis er, verlassen von feinen Freunden, dir ihm theils 
der Tod, theils auch Feigherzigkeit geraubt hatte, als 
ein Geächteter und Landflüchtiger, in stiller Abge 
schiedenheit von der Welt, auf einem armseeligen 
Eilande sein Leben endete. Zwar ist seine Asche längst 
verweht, zwar lebt sein Andenken nur in wenigen 
Individuen seiner Nation noch fort, die den edlen 
deutschen Mann zu würdigen wissen; aber die Früchte 
seiner Bemühungen, seiner Vaterlandsliebe und be 
wundernswürdigen Selbstverläugnung sind nicht un 
tergegangen , und werden nie untergehen, und ewig 
wird sein Geist in ihnen fortleben, wenn auch un 
dankbare, entartete Geschlechter seinen Namen gänz 
lich der Vergessenheit zum Raube überlassen sollten. 
Dies, so viel wie möglich zu verhindern, und 
den Zeitgenossen durch die Erinnerung an ihn und 
seine Verdienste Gefühle des Dankes abzubringen — 
das dürfte vielleicht nicht unverdienstlich seyn. Ich 
habe den Versuch gewagt, indem ich das Bildniß 
dieses deutschen Mannes einem deutschen Blatte vor 
setzte. Es möge symbolisch den Geist bezeichnen, der 
unter meinem Einfluß dieses Institut beseelen soll, 
damit es eine Stimme für Recht und Wahrheit 
werde, das Gute und Schöne befördere, Sinn für 
reine Humanität wecke und verbreite, dem Egoismus 
des Zeitalters, so viel als möglich, steure, und sich 
würdig mache, ein Nationalblatt unsers deutschen
	        
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