überfiel den armen Jüngling die schrecklichste Ge
wissensangst. Er fühlte, daß er seine Stiefmutter
nicht liebe» ja, er fühlte deutlich, daß er sie nicht
lieben könne. Weg war seine Seelenruhe, das
selige Bewußtseyn eines reinen Herzens. Bebend
nähre er sich dem Altare, todkenbleich empfing er die
Hostie, und mit dem quälenden Gewiffensvorwurf:
ich war's nicht würdig! wanderte er aus der Kirche.
Immer donnerten die Worte in seine Ohren: ewi
ges Verderben dem, der dies Liebesmahl unwürdig
genießt! Vergebens verdoppelte er seinen Gehorsam
gegen die Stiefmutter; vergebens suchte er ihre Wün
sche zu erspähen, um ihnen zuvor zu kommen; im
mer flüsterte die Stimme des Gewissens ihm zu:
du liebst sie doch nicht! — Diese geheimen Qualen
der Seele wirkten auf seinen Körper, die Iugend-
blüthe schwand, er wurde kraftlos, unthätig, und,
nach langem vergeblichen Kampfe, seinem Herzen
kindliche Liebe abzuzwingen, fühlte er, daß er unter
liegen müsse, wenn er seinen nagenden Kummer nicht
schnell einer treuen Brust vertraue. Bleich und ab
gezehrt trat er vor seinen Lehrer, und mit den er
sten Worten schossen ihm schon die Thränen aus den
Augen.
„Herr Pfarrer," sprach er, „Sie haben uns
„gepredigt, liebet eure Feinde; so weiß Gott,
„daß ich aus redlichem Herzen mich darum bemüht,
„aber es geht eben nicht. Thut wohl denen,
„die euch hassen und verfolgen — ja, das
„geht eher, und wenn es darauf ankommt, so will
id) meinen legten tritt- mit- Xom goinho
„theilen; aber lieben, Herr Pfarrer, so was man
„eigentlich lieben nennt, nein wahrlich! das ver-
„mag ich nicht!"
„Was nennt man denn lieben, mein Sohn?"
fragte lächelnd der Greis, und verwirrte den Kla
genden ein wenig. „Beschreiben läßt es sich schwer,"
antwortete er nach einer Pause, „ich denke eben,
„wenn man es beschreiben will, so ist es schon nicht
„mehr da, und will man es erzwingen, si) kommt
„es nimmermehr. Für meinen Vater, für Sie,
„Herr Pfarrer, und für die kleine Badet, spräng'
„ich in Wasser und Feuer ungeheißen, und brauchte
„dazu keine Predigt — aber —"
„Nun, mein Sohn? wem gilt das Aber? hat
„er auch schon einen "Feind?"
„Ach, Herr Pfarrer! (die Thränen stürzten ihm
aus den Augen) „als Gott mir meine Mutter nahm,
„da hätte er mich nur auch mit nehmen sollen! —
"Es sind nun schon zwölf Jahre — ich habe nie
" geklagt — aber Sie sind ja mein Beichtvater —
„weiß Gott, ich kanns nicht länger tragen! und lie-
„ den kann ich die Stiefmutter nicht, und soll ich
„sonst nicht selig werden — ach! mein Gott, so bin
„ich ewiglich verdammt!" — Jetzt wurden seine
„Augen trocken und Verzweiflung sprach aus seinen
„düstern Blicken."
Der Greis redete ihm liebreich zu: dem Him
mel. sprach er, genügt am redlichen Willen. Dann
ließ er sich erzählen, wie des Knaben Groll entstan
den und gewachsen war, wobei freilich manches Unbe
deutende aus dem aufgeregten Herzensgründe mit her
vor quoll. So hatte cs unter andern ihn bitter
geschmerzt, daß an dem Tage seiner Firmelung ihm
ein alter Rock seines Vaters umgewendet worden war,
indessen Christliebchen jährlich ein paarmal in neuen
Kleidern siolzirte. „Cs ist nicht Neid," setzte er
hinzu, „weiß Gott, ich bin nicht neidisch; aber daß
„ich so verachtet seyn muß, weil meine Mutter im
„Grabe ruht—" Schluchzen unterbrach seine Er
zählung.
(Die Fortsetzung folgt.)
Ulrich von Hutten.
^)>oll edlen Freiheits-Gefühles und nie ermüdender
Kraft — rastlos bemüht, das Gute zu fördern, den
Geist der Lüge zu bekämpfen, und den Altar der
Wahrheit gegen frevelhafte Entweihung zu schirmen,
daß seine heilige Flamme nie verlöschend darauf lo-
dere — unbeugsam den Schlägen eines grauftnvol-
'Ien Schicksals, furchtlos vor den Drohungen der
Tyrannen der Erde, deren Thorheiten er geißelte —
so lebte, so wirkte Ulrich von Hutten. Verbün
det mit seinen Freunden: EraSmuö, Reuchlin,
Crotus, Pirkheimer, Stromer, Franzvon
Stckingen und Luther ging er als ein Sturm
durch sein dunkles Jahrhundert, und reinigte es von
dem dumpfen Gewölk, das papistifcher Despotismus
aufgethürmt hatte, um die Völker desto gewisser und
gefahrloser zu Erreichung niederer Zwecke irre zu lei
ten. Weder gleißende Versprechungen, noch Schmei
cheleien, noch der Zorn der Mächtigen, vermcgten
ihn, die Dahn der Wahrheit zu verlassen, oder auch
nur bei offenbaren Ungerechtigkeiten zu schweigen,
bis er, verlassen von feinen Freunden, dir ihm theils
der Tod, theils auch Feigherzigkeit geraubt hatte, als
ein Geächteter und Landflüchtiger, in stiller Abge
schiedenheit von der Welt, auf einem armseeligen
Eilande sein Leben endete. Zwar ist seine Asche längst
verweht, zwar lebt sein Andenken nur in wenigen
Individuen seiner Nation noch fort, die den edlen
deutschen Mann zu würdigen wissen; aber die Früchte
seiner Bemühungen, seiner Vaterlandsliebe und be
wundernswürdigen Selbstverläugnung sind nicht un
tergegangen , und werden nie untergehen, und ewig
wird sein Geist in ihnen fortleben, wenn auch un
dankbare, entartete Geschlechter seinen Namen gänz
lich der Vergessenheit zum Raube überlassen sollten.
Dies, so viel wie möglich zu verhindern, und
den Zeitgenossen durch die Erinnerung an ihn und
seine Verdienste Gefühle des Dankes abzubringen —
das dürfte vielleicht nicht unverdienstlich seyn. Ich
habe den Versuch gewagt, indem ich das Bildniß
dieses deutschen Mannes einem deutschen Blatte vor
setzte. Es möge symbolisch den Geist bezeichnen, der
unter meinem Einfluß dieses Institut beseelen soll,
damit es eine Stimme für Recht und Wahrheit
werde, das Gute und Schöne befördere, Sinn für
reine Humanität wecke und verbreite, dem Egoismus
des Zeitalters, so viel als möglich, steure, und sich
würdig mache, ein Nationalblatt unsers deutschen