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freundschaftlichen Verhältnissen, erhalten dadurch
Nachsicht für ihre Mängel, und gelangen so auf den
unseligen, alle Kunst ertödtenden, Punkt: daß das
Publikum mit ihnen vorlieb nimmt.
Ein noch größerer Uebelstand sind die Privile
gien, die Schauspieler-Gesellschaften auf ganze Län
der oder Provinzen ercheilt »verden. Einzelne wer
den , wie bei allen Privilegien, auf Unkosten des
Ganzen begünstigt. Ist die privilegirte Gesellschaft
schlecht, wie dies in diesem Falle in der Regel zu
seyn pflegt: so wird der Geschmack der Provinzbe
wohner irre geleitet, oder verdorben, und man ent
zieht ihnen durch eine schreiende Ungerechtigkeit den Ge
nuß, den ein gutes Schauspiel, das sie außerdem
vielleicht sehen würden, gewährt. Ist die privile
girte Schauspieler-Gesellschaft gut: so ist es doch
nicht möglich, daß sie sich so theilen könne, um zu
gleicher Zeit an verschiedenen Orten zu spielen. Wäh
rend also eine Stadt den Genuß des Schauspiels
hat, müssen zwanzig andere darben. Diese Unge
rechtigkeit ist so offen und plan, daß sich gar nichts
auffinden läßt, um sie zu entschuldigen; und jeder
Fürst, dem es darum zu thun ist, die Kunst zu he
gen und zu pflegen, muß sich hüten, sie zu be
gehen.
Das ist es, was sich über diesen Gegenstand
sagen läßt. Man prüfe die Ideen, die ich hier nur
fragmentarisch äußerte, und handle, wie es die Ver
vollkommnung der Kunst heischt. Unser Zeitalter ist
in seiner Reife fortgeschritten, der Kunstsinn allge
meiner entwickelt worden, als er es früher war.
Deshalb wende man aber auch Alles an, um ihn
noch kräftiger zu entwickeln, und den Geschmack an
der Kunst weiter zu verbreiten, und vernichte die
alten, störenden Verhältnisse, um neue zu begrün
den, die für das Wesen der wahren Kunst mehr
Vortheil bringen.
August Kuhn.
Der Nachtgeist.
In einer großen, volkreichen, üppigen Stadt lebte
ich vor einigen Jahren beinahe, wie Robinson Kru-
soe auf seiner wüsten Insel. Meine Bedienung aus
genommen , die aus einer hagern, abgeblüheten Schö
nen und ihrem Geliebten, einem militärischen Torso,
bestand, kam ich mit Niemand in nähere Berüh
rung. Die übrigen Hausgenossen kümmerten mich
nicht, und Alles, was sonst noch in der berühmten
Königsstadt Odem hatte, blieb mir, dem Ausländer,
völlig so unbekannt, als ich es noch zur Zeit mit
den Bewohnern der Planeten Mars und Venus bin;
denn nur selten verließ ich Mein Zimmer, und trat
ich auch dann und wann an'ü Fenster, so starrte ich
doch gemeiniglich bewußtlos auf die vorüberwandeln
den Gestalten hinab.
Meine Lage war schrecklich. Hypochondrie, zer
rüttete Nerven, absterbende Sinne, Ideen, die fix
zu werden drohten, dazu des einzigen Freundes Tod,
schneller, unerwarteter Verlust eines nicht unbeträcht
lichen Vermögens, Schulden/die anfingen drückend
zu werden, gänzliche Rath- und Hülfiosigkeit in ei
nem Lande, wo ich keiner theilnehmenden Seele be
kannt war — Gott! welche Aussichten in die Zu
kunft! — Nahe der Verzweiflung lud ich eines Ta
ges ein Taschenpistol und wankte damit in die Ein
samkeit einer nahe gelegenen Waldung hinaus.
Ein junger Mann in schwarzer Kleidung war
das einzige lebende Wesen, dem ich hier begegnete.
Er schien, wie ich, schwermüthigen Phantasien nach
zuhängen, und wandelte vorüber, ohne Notiz von
mir zu nehmen. Ich aber betrachtete ihn sebr auf
merksam. Sein schönes idealisches Gesicht würde
mich zu jeder andern Zeit schon in ästhetischer Hin
sicht interessirt haben; jetzt zog mich die über seine
ganze Gestalt und jede seiner Bewegungen verbrei
tete Melancholie und stille Hoheit an. Sie schienen
einen Geist zu verkündigen, der, fest in sich selbst
ruhend, männlich die Last eines großen Schmerzes
trage. — „So mag Johannes ausgesehen haben,
als sein himmlischer Freund ihn verlassen hatte" —
sagte ich zu mir selbst — hörbar, ohne es zu wol
len. Sogleich wendete er sich nach mir um. Ich
erröthete, als wäre ich auf einer Missethat ertappt
worden; aber Mitleiden und Wohlwollen sprachen aus
seiner einnehmenden Miene, und zugleich war deut
lich darin zu lesen: daß er mich aus Zartgefühl
nicht anreden würde. — Bald darauf verschwand
er im Dickicht des Waldes.
Jetzt stand mein entsetzliches Schicksal wieder
lebhaft vor mir da in seiner furchtbaren Größe.
Als könne ich ihm entfliehen, stürzte ich, ohne um
zuschauen, auf unwegsamen Pfaden fort. Alle Pul
se klopften laut, ich zitterte am ganzen Körper, kal
ter Schweiß tropfte von der Stirn; da schrie ich,
die Hände ringend: keine Rettung! keine!— Wahn
sinn oder Tod, wähle, stirb Elender! — Aber nie
hatte der Tod, den ich oft muthwillig herauögefodert,
eine gräßlichere Gestalt für mich, als in dieser schreck
lichen Stunde. Bald spannte ich den Hahn in Ru
he. Endlich fiel mir das Lied von Salis ein:
Das Grab ist kühl und stille,
Und schauderhaft sein Rand.
ES deckt mit schwarzer Hütte
Ein unbekanntes Land.
Ich sang mit leiser Stimme, unter unaussprech
lichen Gefühlen, einen Vers nach dem andern. Als
ich bis zum letzten gekommen war:
Das arme Herz, bienieden
Von manchem Sturm bewegt.
Erlangt den wahren Frieden
Nur wenn es nicht mehr schlagt —
setzte ich entschlossen das Pistol auf die Brust, und
drückte ab; aber — es versagte.
In diesem Augenblicke stand, gleich dem Engel
des Gerichts, der Unbekannte vor mir. Ich erschrak,
verbarg schnell das Pistol und stotterte in großer
Verwirrung die Bemerkung hervor: wie ich schon
einmal das Vergnügen gehabt habe, ihm zu begeg
nen. — „Gewiß — sagte er — ist es ein freundli