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Volume Nro. 52, Sonnabend, den 12. März 1808

Full text: Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser / Kuhn, Friedrich August (Public Domain) Issue5.1808 (Public Domain)

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freundschaftlichen Verhältnissen, erhalten dadurch 
Nachsicht für ihre Mängel, und gelangen so auf den 
unseligen, alle Kunst ertödtenden, Punkt: daß das 
Publikum mit ihnen vorlieb nimmt. 
Ein noch größerer Uebelstand sind die Privile 
gien, die Schauspieler-Gesellschaften auf ganze Län 
der oder Provinzen ercheilt »verden. Einzelne wer 
den , wie bei allen Privilegien, auf Unkosten des 
Ganzen begünstigt. Ist die privilegirte Gesellschaft 
schlecht, wie dies in diesem Falle in der Regel zu 
seyn pflegt: so wird der Geschmack der Provinzbe 
wohner irre geleitet, oder verdorben, und man ent 
zieht ihnen durch eine schreiende Ungerechtigkeit den Ge 
nuß, den ein gutes Schauspiel, das sie außerdem 
vielleicht sehen würden, gewährt. Ist die privile 
girte Schauspieler-Gesellschaft gut: so ist es doch 
nicht möglich, daß sie sich so theilen könne, um zu 
gleicher Zeit an verschiedenen Orten zu spielen. Wäh 
rend also eine Stadt den Genuß des Schauspiels 
hat, müssen zwanzig andere darben. Diese Unge 
rechtigkeit ist so offen und plan, daß sich gar nichts 
auffinden läßt, um sie zu entschuldigen; und jeder 
Fürst, dem es darum zu thun ist, die Kunst zu he 
gen und zu pflegen, muß sich hüten, sie zu be 
gehen. 
Das ist es, was sich über diesen Gegenstand 
sagen läßt. Man prüfe die Ideen, die ich hier nur 
fragmentarisch äußerte, und handle, wie es die Ver 
vollkommnung der Kunst heischt. Unser Zeitalter ist 
in seiner Reife fortgeschritten, der Kunstsinn allge 
meiner entwickelt worden, als er es früher war. 
Deshalb wende man aber auch Alles an, um ihn 
noch kräftiger zu entwickeln, und den Geschmack an 
der Kunst weiter zu verbreiten, und vernichte die 
alten, störenden Verhältnisse, um neue zu begrün 
den, die für das Wesen der wahren Kunst mehr 
Vortheil bringen. 
August Kuhn. 
Der Nachtgeist. 
In einer großen, volkreichen, üppigen Stadt lebte 
ich vor einigen Jahren beinahe, wie Robinson Kru- 
soe auf seiner wüsten Insel. Meine Bedienung aus 
genommen , die aus einer hagern, abgeblüheten Schö 
nen und ihrem Geliebten, einem militärischen Torso, 
bestand, kam ich mit Niemand in nähere Berüh 
rung. Die übrigen Hausgenossen kümmerten mich 
nicht, und Alles, was sonst noch in der berühmten 
Königsstadt Odem hatte, blieb mir, dem Ausländer, 
völlig so unbekannt, als ich es noch zur Zeit mit 
den Bewohnern der Planeten Mars und Venus bin; 
denn nur selten verließ ich Mein Zimmer, und trat 
ich auch dann und wann an'ü Fenster, so starrte ich 
doch gemeiniglich bewußtlos auf die vorüberwandeln 
den Gestalten hinab. 
Meine Lage war schrecklich. Hypochondrie, zer 
rüttete Nerven, absterbende Sinne, Ideen, die fix 
zu werden drohten, dazu des einzigen Freundes Tod, 
schneller, unerwarteter Verlust eines nicht unbeträcht 
lichen Vermögens, Schulden/die anfingen drückend 
zu werden, gänzliche Rath- und Hülfiosigkeit in ei 
nem Lande, wo ich keiner theilnehmenden Seele be 
kannt war — Gott! welche Aussichten in die Zu 
kunft! — Nahe der Verzweiflung lud ich eines Ta 
ges ein Taschenpistol und wankte damit in die Ein 
samkeit einer nahe gelegenen Waldung hinaus. 
Ein junger Mann in schwarzer Kleidung war 
das einzige lebende Wesen, dem ich hier begegnete. 
Er schien, wie ich, schwermüthigen Phantasien nach 
zuhängen, und wandelte vorüber, ohne Notiz von 
mir zu nehmen. Ich aber betrachtete ihn sebr auf 
merksam. Sein schönes idealisches Gesicht würde 
mich zu jeder andern Zeit schon in ästhetischer Hin 
sicht interessirt haben; jetzt zog mich die über seine 
ganze Gestalt und jede seiner Bewegungen verbrei 
tete Melancholie und stille Hoheit an. Sie schienen 
einen Geist zu verkündigen, der, fest in sich selbst 
ruhend, männlich die Last eines großen Schmerzes 
trage. — „So mag Johannes ausgesehen haben, 
als sein himmlischer Freund ihn verlassen hatte" — 
sagte ich zu mir selbst — hörbar, ohne es zu wol 
len. Sogleich wendete er sich nach mir um. Ich 
erröthete, als wäre ich auf einer Missethat ertappt 
worden; aber Mitleiden und Wohlwollen sprachen aus 
seiner einnehmenden Miene, und zugleich war deut 
lich darin zu lesen: daß er mich aus Zartgefühl 
nicht anreden würde. — Bald darauf verschwand 
er im Dickicht des Waldes. 
Jetzt stand mein entsetzliches Schicksal wieder 
lebhaft vor mir da in seiner furchtbaren Größe. 
Als könne ich ihm entfliehen, stürzte ich, ohne um 
zuschauen, auf unwegsamen Pfaden fort. Alle Pul 
se klopften laut, ich zitterte am ganzen Körper, kal 
ter Schweiß tropfte von der Stirn; da schrie ich, 
die Hände ringend: keine Rettung! keine!— Wahn 
sinn oder Tod, wähle, stirb Elender! — Aber nie 
hatte der Tod, den ich oft muthwillig herauögefodert, 
eine gräßlichere Gestalt für mich, als in dieser schreck 
lichen Stunde. Bald spannte ich den Hahn in Ru 
he. Endlich fiel mir das Lied von Salis ein: 
Das Grab ist kühl und stille, 
Und schauderhaft sein Rand. 
ES deckt mit schwarzer Hütte 
Ein unbekanntes Land. 
Ich sang mit leiser Stimme, unter unaussprech 
lichen Gefühlen, einen Vers nach dem andern. Als 
ich bis zum letzten gekommen war: 
Das arme Herz, bienieden 
Von manchem Sturm bewegt. 
Erlangt den wahren Frieden 
Nur wenn es nicht mehr schlagt — 
setzte ich entschlossen das Pistol auf die Brust, und 
drückte ab; aber — es versagte. 
In diesem Augenblicke stand, gleich dem Engel 
des Gerichts, der Unbekannte vor mir. Ich erschrak, 
verbarg schnell das Pistol und stotterte in großer 
Verwirrung die Bemerkung hervor: wie ich schon 
einmal das Vergnügen gehabt habe, ihm zu begeg 
nen. — „Gewiß — sagte er — ist es ein freundli
	        
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