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Volume No. 47, 1807

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue5.1807 (Public Domain)

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und die Regierung, oder Verfassung eines Landes, schon 
auf der Grenze. an den Landstraßen richlig erkenne. 
Wenn dieser Schluß nicht trüget, so haben die Franzosen, 
Italiener, Holländer, Cocsen, Polen, Schweden, Rus 
sen, Kosaken, Tatar» in unsern Tagen das Aeussere und 
Innere unserer teutschen Länder - Verfassungen durch 
einen Blick kennen gelernt. 
Der Gedanke: daß das Geld der Landeskasse, dar 
auf verwendet werde, wozu es gefedert und gegeben 
wurde! war in manchem teutschen Lande schon vorlängst 
lächerlich. Den Geist und dir Stärke dieses Landes fand 
man bisher blos in der Menge der Staatsbeamten und 
ihrer Diener. Geleits - Weg - und Pflaster-Geld !gab 
der Reisende für den Genuß der Luft und für den Raum, 
welchen sein auf der Straße versunkener, oder zerbroche 
ner Wagen umfaßt; auch darf er, wird er von Räu 
bern überfallen, sein Gut mit Gefahr seines Leben« 
beschützen. 
Polizeianstalten: das ist, Männer, welche ange 
stellt sind, für gesunde Luft, Sicherheit und nothwendige 
Lebensbedürfnisse der Ortsbewohner zu sorgen, welche da 
für von den Inwohnern und von Durchreisenden besoldet 
werden, finden wir überall; hier und dort ist sogar die 
Polizei angewiesen, auf Sittlichkeit Acht zu haben. 
Wir hiren von vortrcflichen Polizei-Anstalten der 
Städte Frankfurt am Main, Marburg, Leipzig re.— 
und unsere Lunge sauget in Frankfurt und Marburg mir 
jedem Zuge fauliche, stinkende Dünste, indem eleganten 
Leipzig stoßen unsere Füße und Nasen auf Misthaufen in 
allen Straßen der innern und der Vorstadt, und in den 
Stunden des Mittags steigen dir mrphitischrn Dünste von 
Straßendreckkarren zünden Fenstern der elegantesten Män, 
ner in den Hauptstraßen und auf dem Markte, selbst zur 
Meßzeit empor. Auf den Spahiergängen um die innere 
Stadt Lrizig, wodurch schon der edle Müller als großer 
Menschenfreund, als thätiger Bürger, alS uneigennützi 
ger Polizeidirector, als würdiger, als erster Bürger 
meister fich verewigte, wo der Genesende, wieder freie 
Luft geniessen will, athmen wir die Räucherwolken de« 
Stettrritzer Kanasters, und zur Abwechselung müs 
sen wir hier den Gestank von menschlichen Naturau-ire- 
rungen, von halb verwesten Hunden und Katzen, die 
wir sogar auf dem berühmten Roßplatze finden, dann die 
ekelerregende Ausdünstung lüderlicher, unser Ehrgefühl 
ansprechender Bettler, und die aus tiefen stinkenden — 
durch die sogenannte Wasserkunst so leicht abzuleiten 
den — Wassergraben uns entgegen müssend aufwirbeln 
den Dünste trinken. Und wollen wir die äusser» Stadt 
umgehen, so begegnen uns bald Moraste und pestilenzia- 
lisch stinkende Teiche und Gruben voll von Kloak und von 
Aeser».— Fuhrleute und Schröter, Holzbauern und 
Juden, Aufpass-r und Kinder, Beesen Dürsten-Sand- 
Sallat- Honigbrczel- Wachholder - Obst- Pickling' Ver 
käufer schreien am Tage unaufhörlich an unsere Ohren; 
und Hunde, Nachtwächter^) ruft» und blöcken uns aus 
dem ersten und aus dem letzten Schlafe. 
Zur Galanterie der Leipziger, so sagt man, gehör« 
der Regenschirm als wesentliches Stück, und Tausende 
gehen hier unter heiterm Himmel, diesen Regenableiter in 
der Hand. Doch, wer unser deutsches Afterklima be, 
merkte, wer die Menge der Dachrinnen, selbst in den 
vielen engen Gaffen Leipzig«, kennt; wer die Erfahrung 
machte, wie kvthreich diese elegante Stadt wird, wenn 
die unzählbaren, auf allen Straße» umherliegenden Mist 
haufen durch Regen flch auflösen: der darf den reinlichen 
Leipziger noch nicht petit— JVIaitre schelten, wenn er 
stet« ihn mit Regenschirm und in Kvthschuhen ficht. 
Dir Klage der Inwohner in Leipzig und in jeder 
Stadt Sachsens über unverhalknißmäßige Brot-Mehl- 
Fleisch-und Holz-Preise; über Mangel an Fürsorge, 
um jeder Brottheurung zu begegnen, über die Schran 
kenlose Verschwendung etlicher Familien und ganzer Kas 
ten , *«) in Kleidung, HauSgerärhe, Dienerschaft und 
Schmausereien: wodurch der Arrmrre und der Verstän 
digere vielen Mangel, Noth und Kummer leiden muß; 
über das AuShöcken der Victualien; über da« Trödel- 
wesen; über Wucher und Verführung; sogar über Un 
sicherheit und Gefahr für Gut und Leben: diese Klagen 
hört man so oft, daß man sie für eben so gegründet, al« 
gerecht halten muß. 
•) Wenn denn der Nachtwächter in jeder Nacht- Stunde noch 
Immer: „Hört, ihr Herren, laßt euch sagen.'" schreien 
muß — wozu? das weiß ich nicht! — so dürste man doch 
in Leipig wünschen und hoffen, daß derselbe auf einen schick 
lichern Juruf und Gesang angewiesen werde. Das nicht 
unbekannte, in leichte, doch angenehme Musik geseytc Racht- 
wäcdterlied: „Hört, ihr Nachbarn, laßt euch sagenauf 
dir Stunden von iv bis Z Uhr, würde manches Gefühl für 
das Aufschreien des Nachtwächters entschädigen, vornehm 
lich die Strophe auf ein Uhr: 
,,Dem Leidenden, der jrzt noch wacht. 
Verkürze, Gott! die lange Nacht! 
Die Hosnnng stärke sein Herz, 
Sic lindert Kummer und Schmerz!" 
In mehreren Städten Frankreichs, selbst in Pari«, steht 
man Son AbcndS 8 Uhr an die wachsame Polizei, ohne ste 
zu hören; ste glaubt, daß die Natur dem Menschen nicht 
ohne Ursache zwei Augen, zwei Ohre», und nur Einen 
, Mund gegeben habe. 
»») Freilich will der Bürger mit feiner Gattin nicht hinter dem 
Rathsdicner «nd dessen Madam, beschämt, hergehen.
	        
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