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und die Regierung, oder Verfassung eines Landes, schon
auf der Grenze. an den Landstraßen richlig erkenne.
Wenn dieser Schluß nicht trüget, so haben die Franzosen,
Italiener, Holländer, Cocsen, Polen, Schweden, Rus
sen, Kosaken, Tatar» in unsern Tagen das Aeussere und
Innere unserer teutschen Länder - Verfassungen durch
einen Blick kennen gelernt.
Der Gedanke: daß das Geld der Landeskasse, dar
auf verwendet werde, wozu es gefedert und gegeben
wurde! war in manchem teutschen Lande schon vorlängst
lächerlich. Den Geist und dir Stärke dieses Landes fand
man bisher blos in der Menge der Staatsbeamten und
ihrer Diener. Geleits - Weg - und Pflaster-Geld !gab
der Reisende für den Genuß der Luft und für den Raum,
welchen sein auf der Straße versunkener, oder zerbroche
ner Wagen umfaßt; auch darf er, wird er von Räu
bern überfallen, sein Gut mit Gefahr seines Leben«
beschützen.
Polizeianstalten: das ist, Männer, welche ange
stellt sind, für gesunde Luft, Sicherheit und nothwendige
Lebensbedürfnisse der Ortsbewohner zu sorgen, welche da
für von den Inwohnern und von Durchreisenden besoldet
werden, finden wir überall; hier und dort ist sogar die
Polizei angewiesen, auf Sittlichkeit Acht zu haben.
Wir hiren von vortrcflichen Polizei-Anstalten der
Städte Frankfurt am Main, Marburg, Leipzig re.—
und unsere Lunge sauget in Frankfurt und Marburg mir
jedem Zuge fauliche, stinkende Dünste, indem eleganten
Leipzig stoßen unsere Füße und Nasen auf Misthaufen in
allen Straßen der innern und der Vorstadt, und in den
Stunden des Mittags steigen dir mrphitischrn Dünste von
Straßendreckkarren zünden Fenstern der elegantesten Män,
ner in den Hauptstraßen und auf dem Markte, selbst zur
Meßzeit empor. Auf den Spahiergängen um die innere
Stadt Lrizig, wodurch schon der edle Müller als großer
Menschenfreund, als thätiger Bürger, alS uneigennützi
ger Polizeidirector, als würdiger, als erster Bürger
meister fich verewigte, wo der Genesende, wieder freie
Luft geniessen will, athmen wir die Räucherwolken de«
Stettrritzer Kanasters, und zur Abwechselung müs
sen wir hier den Gestank von menschlichen Naturau-ire-
rungen, von halb verwesten Hunden und Katzen, die
wir sogar auf dem berühmten Roßplatze finden, dann die
ekelerregende Ausdünstung lüderlicher, unser Ehrgefühl
ansprechender Bettler, und die aus tiefen stinkenden —
durch die sogenannte Wasserkunst so leicht abzuleiten
den — Wassergraben uns entgegen müssend aufwirbeln
den Dünste trinken. Und wollen wir die äusser» Stadt
umgehen, so begegnen uns bald Moraste und pestilenzia-
lisch stinkende Teiche und Gruben voll von Kloak und von
Aeser».— Fuhrleute und Schröter, Holzbauern und
Juden, Aufpass-r und Kinder, Beesen Dürsten-Sand-
Sallat- Honigbrczel- Wachholder - Obst- Pickling' Ver
käufer schreien am Tage unaufhörlich an unsere Ohren;
und Hunde, Nachtwächter^) ruft» und blöcken uns aus
dem ersten und aus dem letzten Schlafe.
Zur Galanterie der Leipziger, so sagt man, gehör«
der Regenschirm als wesentliches Stück, und Tausende
gehen hier unter heiterm Himmel, diesen Regenableiter in
der Hand. Doch, wer unser deutsches Afterklima be,
merkte, wer die Menge der Dachrinnen, selbst in den
vielen engen Gaffen Leipzig«, kennt; wer die Erfahrung
machte, wie kvthreich diese elegante Stadt wird, wenn
die unzählbaren, auf allen Straße» umherliegenden Mist
haufen durch Regen flch auflösen: der darf den reinlichen
Leipziger noch nicht petit— JVIaitre schelten, wenn er
stet« ihn mit Regenschirm und in Kvthschuhen ficht.
Dir Klage der Inwohner in Leipzig und in jeder
Stadt Sachsens über unverhalknißmäßige Brot-Mehl-
Fleisch-und Holz-Preise; über Mangel an Fürsorge,
um jeder Brottheurung zu begegnen, über die Schran
kenlose Verschwendung etlicher Familien und ganzer Kas
ten , *«) in Kleidung, HauSgerärhe, Dienerschaft und
Schmausereien: wodurch der Arrmrre und der Verstän
digere vielen Mangel, Noth und Kummer leiden muß;
über das AuShöcken der Victualien; über da« Trödel-
wesen; über Wucher und Verführung; sogar über Un
sicherheit und Gefahr für Gut und Leben: diese Klagen
hört man so oft, daß man sie für eben so gegründet, al«
gerecht halten muß.
•) Wenn denn der Nachtwächter in jeder Nacht- Stunde noch
Immer: „Hört, ihr Herren, laßt euch sagen.'" schreien
muß — wozu? das weiß ich nicht! — so dürste man doch
in Leipig wünschen und hoffen, daß derselbe auf einen schick
lichern Juruf und Gesang angewiesen werde. Das nicht
unbekannte, in leichte, doch angenehme Musik geseytc Racht-
wäcdterlied: „Hört, ihr Nachbarn, laßt euch sagenauf
dir Stunden von iv bis Z Uhr, würde manches Gefühl für
das Aufschreien des Nachtwächters entschädigen, vornehm
lich die Strophe auf ein Uhr:
,,Dem Leidenden, der jrzt noch wacht.
Verkürze, Gott! die lange Nacht!
Die Hosnnng stärke sein Herz,
Sic lindert Kummer und Schmerz!"
In mehreren Städten Frankreichs, selbst in Pari«, steht
man Son AbcndS 8 Uhr an die wachsame Polizei, ohne ste
zu hören; ste glaubt, daß die Natur dem Menschen nicht
ohne Ursache zwei Augen, zwei Ohre», und nur Einen
, Mund gegeben habe.
»») Freilich will der Bürger mit feiner Gattin nicht hinter dem
Rathsdicner «nd dessen Madam, beschämt, hergehen.