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Volume No. 38, 1807

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue5.1807 (Public Domain)

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Briefe eines Halberstädkers nach Besitznahme der 
Franzosen von Halberstadt. *) 
E r st er Brief. 
: uatS JsIjj. w ' . 
chalberstadt, btt) i6. Mv. »806. 
Die Würfel sind gefallen, unser Loos ist entschie 
den, wir stehn nnter französischer Botmäßigkeit. Sie 
können sich denken, mein Werthester! wie einem alten 
Patrioten bei diesen bedeutungsvollen Worten zu Muthe 
seyn muß! Wir glaubten, hinter einer solchen Armee, 
diese stattlich undsiegverkünbrnb vonunS ausgezogen war, 
die der König selbst, und alle seine vornehmsten ©«tote 
rale, ein Herzog von Braunschweig, ein -Rüche!, ein 
Blücher, anführten, und der so viel von hier auS »ach- 
geführt wurde, ganz sicher zu seyn; aber die unglückliche 
Schlacht bei Zena hat die schöne Blüthe unsrer Hoffnun 
gen völlig zerknickt. Ungefähr den 20. vorigen Monats 
kamen die Preußischen Flüchtlinge in der schpecklichsten Un, 
vrdnung hier an; Reuter und Husaren, theils mit, 
theils ohne Pferd, Znfanterie und Artillerie, wovon di» 
ersten, statt des Gewehres, meist nur Stöcke, aus dem 
Harzwalde geschnitten, führten, Offiziers und Gemeine, 
alles durch einander nach Magdeburg zu, wo der Sam 
melplatz seyn sollte. Alle waren ausgehungert, wie ihre 
Pferde, und jeder Einwohner mußt« sein Drodr und 
allen Vorrath hergeben. Dies reichte aber nicht weit. 
Alles Mehl und Getrmde wurde geliefert, und Tag und 
Nacht gebaren, und doch konnte man nicht ein Brodt zu 
Kaufe kriegen. Dieser Zug dauerte z Tage und 3 Nächte,oh 
ne abzubrechen. Sonntag Mittag sprengten französische 
Cchaßeurs herein, jagten durch die Stadt, forderten über 
all Wein, und tranken ihn zu Pferde. Unsre Garde 
stand vor dem Kühlinger Thor. General Hirschfeld 
machte rin Quarr«, und da er i oder 2 Kanonen bei sich 
hatte, ließ er solche mit Kartätschen laden, und ist auf 
diese Weise noch glücklich nach Magdeburg gelangt. Der 
König war den 21. über Wernigerode hierdurch gekom 
men , und hat beim Präsidenten von Biederste geschlafen. 
Den Abend wimmelte die Stadt schon von Franzosen, 
di» einquartirl wurden. Zch hatte einen Major und 
Hauptmann nebst Leuten. Die meisten schwärmten auf 
den Straßen umher, schlugen gegen die Häuser und bra 
chen sie auf, forderten Geld, Wäsche, besonders Wein, 
nahmen weg, was sie fanden, und manches Haus hat 
100 — 300 verloren. Dafür bin ich nun sicher geblie 
ben, indem meine Herren Offiziere mich schützten, dsf 
") Lind durch einen Zufall verspätet. D. H. 
mir übrigens hoch genug zu stehn kamen. Den andern 
Morgen strömte eine ungeheure Menge Franzosen nach; 
Häuser und Läden waren zu, und die, welche einguara 
tirt waren, wollten selbst nicht zugeben, daß man auf 
machen sollte, indem sie selbst sagten: diese — ließen 
nichts! Sie machten sich aber selbst Bahn, sprachen im 
mer mit dem bloßen Degen, den sie den Bewohnern auf 
die Brust sehten, und verlangten viel; und die , welche 
nun nichts hatten und haben konnten, wurden übel be 
handelt. Zn ganz Halberstadt war keine Bouteille Wein 
für Geld zu bekommen. Der Domkeller, welcher noch 
einigen Verrath besaß, war mit Wachen besetzt. Auch 
an Fleisch gebrack es. Sie holten die Kühe aus den 
Ställen, und schlachteten sie für das Militär auf dem 
Dompiatze. Es war ein gräßlicher Anblick, da an den 
meisten Linden des DomplaheS eine Kuh angebunden und 
sogleich vertheilt wurde. Um die Stadt loderte überall 
Feuer, wobei sie sich wärmten und kochten. Daher sind 
viele Häuser völlig zu Grunde gerichtet. Zn den schö 
nen * * Gärten ist keine Thür, ja kein Brett geblieben, 
die Fenster sind ausgerissen und zerhauen, wie die beiden 
Giebel. Der Dom ist zum Brandwein •• die Moritzkirch» 
zum Heu-, die Pauls-zum Stroh r und die Lieben- 
frauenkirche zum Brodmagazin gemacht worden. Di« 
Klöster find io Lazarethe verwandelt. Nun haben wir 
doch Gottlob! einen Kommendanken und Garnison, so 
daß wir nicht mehr übel behandelt zu werden fürchten 
dürfen. Der Kommendant bekommt täglich ;o Thaler, 
und r;,ooo Thaler hak die Stadt schon aufbringen müs 
sen. So hat H. gelitten; aber es ist kein Vergleich g«, 
gen die Dörfer auf dem Wege nach Magdeburg in einer 
Breite von vielen Meilen. Die mehrst«» Prediger, 
Beamte, Müller u. s. w. sind ganz ausgezogen, und 
habe» kaum eine Zacke behalten, worin sie gehn. Die 
Armee steht nun vor Magdeburg, obgleich ein großer 
Theil derselben weiter nach Berlin gegangen ist. Wir 
hören zu Zeiten schießen, weiter aber wissen wir von da 
her nichts. Man spricht heute von einer neuen Schlacht, 
die für uns wieder schlecht abgelaufen seyn soll;— dann — 
Gott gebe uns nur bald Friede! denn den ewigen Krieg 
schreibt die Geschichte mit Blut u. s. w. 
91. S. Die unglückliche Schlacht ist gewiß. 
3000 sind gefangen nebst aller Artillerie, der Rest unser«, 
einst so prunkenden, Draunschwcigschen Regiments ist mit 
dabei gewesen. Das Schreien und Lamentiren der Sok- 
datenweiber ist markdurchdringend; und überall herrscht, 
Wehklage, da unsre Winlervorräthe dahin sind.
	        
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