3<-2
3°* m
Briefe eines Halberstädkers nach Besitznahme der
Franzosen von Halberstadt. *)
E r st er Brief.
: uatS JsIjj. w ' .
chalberstadt, btt) i6. Mv. »806.
Die Würfel sind gefallen, unser Loos ist entschie
den, wir stehn nnter französischer Botmäßigkeit. Sie
können sich denken, mein Werthester! wie einem alten
Patrioten bei diesen bedeutungsvollen Worten zu Muthe
seyn muß! Wir glaubten, hinter einer solchen Armee,
diese stattlich undsiegverkünbrnb vonunS ausgezogen war,
die der König selbst, und alle seine vornehmsten ©«tote
rale, ein Herzog von Braunschweig, ein -Rüche!, ein
Blücher, anführten, und der so viel von hier auS »ach-
geführt wurde, ganz sicher zu seyn; aber die unglückliche
Schlacht bei Zena hat die schöne Blüthe unsrer Hoffnun
gen völlig zerknickt. Ungefähr den 20. vorigen Monats
kamen die Preußischen Flüchtlinge in der schpecklichsten Un,
vrdnung hier an; Reuter und Husaren, theils mit,
theils ohne Pferd, Znfanterie und Artillerie, wovon di»
ersten, statt des Gewehres, meist nur Stöcke, aus dem
Harzwalde geschnitten, führten, Offiziers und Gemeine,
alles durch einander nach Magdeburg zu, wo der Sam
melplatz seyn sollte. Alle waren ausgehungert, wie ihre
Pferde, und jeder Einwohner mußt« sein Drodr und
allen Vorrath hergeben. Dies reichte aber nicht weit.
Alles Mehl und Getrmde wurde geliefert, und Tag und
Nacht gebaren, und doch konnte man nicht ein Brodt zu
Kaufe kriegen. Dieser Zug dauerte z Tage und 3 Nächte,oh
ne abzubrechen. Sonntag Mittag sprengten französische
Cchaßeurs herein, jagten durch die Stadt, forderten über
all Wein, und tranken ihn zu Pferde. Unsre Garde
stand vor dem Kühlinger Thor. General Hirschfeld
machte rin Quarr«, und da er i oder 2 Kanonen bei sich
hatte, ließ er solche mit Kartätschen laden, und ist auf
diese Weise noch glücklich nach Magdeburg gelangt. Der
König war den 21. über Wernigerode hierdurch gekom
men , und hat beim Präsidenten von Biederste geschlafen.
Den Abend wimmelte die Stadt schon von Franzosen,
di» einquartirl wurden. Zch hatte einen Major und
Hauptmann nebst Leuten. Die meisten schwärmten auf
den Straßen umher, schlugen gegen die Häuser und bra
chen sie auf, forderten Geld, Wäsche, besonders Wein,
nahmen weg, was sie fanden, und manches Haus hat
100 — 300 verloren. Dafür bin ich nun sicher geblie
ben, indem meine Herren Offiziere mich schützten, dsf
") Lind durch einen Zufall verspätet. D. H.
mir übrigens hoch genug zu stehn kamen. Den andern
Morgen strömte eine ungeheure Menge Franzosen nach;
Häuser und Läden waren zu, und die, welche einguara
tirt waren, wollten selbst nicht zugeben, daß man auf
machen sollte, indem sie selbst sagten: diese — ließen
nichts! Sie machten sich aber selbst Bahn, sprachen im
mer mit dem bloßen Degen, den sie den Bewohnern auf
die Brust sehten, und verlangten viel; und die , welche
nun nichts hatten und haben konnten, wurden übel be
handelt. Zn ganz Halberstadt war keine Bouteille Wein
für Geld zu bekommen. Der Domkeller, welcher noch
einigen Verrath besaß, war mit Wachen besetzt. Auch
an Fleisch gebrack es. Sie holten die Kühe aus den
Ställen, und schlachteten sie für das Militär auf dem
Dompiatze. Es war ein gräßlicher Anblick, da an den
meisten Linden des DomplaheS eine Kuh angebunden und
sogleich vertheilt wurde. Um die Stadt loderte überall
Feuer, wobei sie sich wärmten und kochten. Daher sind
viele Häuser völlig zu Grunde gerichtet. Zn den schö
nen * * Gärten ist keine Thür, ja kein Brett geblieben,
die Fenster sind ausgerissen und zerhauen, wie die beiden
Giebel. Der Dom ist zum Brandwein •• die Moritzkirch»
zum Heu-, die Pauls-zum Stroh r und die Lieben-
frauenkirche zum Brodmagazin gemacht worden. Di«
Klöster find io Lazarethe verwandelt. Nun haben wir
doch Gottlob! einen Kommendanken und Garnison, so
daß wir nicht mehr übel behandelt zu werden fürchten
dürfen. Der Kommendant bekommt täglich ;o Thaler,
und r;,ooo Thaler hak die Stadt schon aufbringen müs
sen. So hat H. gelitten; aber es ist kein Vergleich g«,
gen die Dörfer auf dem Wege nach Magdeburg in einer
Breite von vielen Meilen. Die mehrst«» Prediger,
Beamte, Müller u. s. w. sind ganz ausgezogen, und
habe» kaum eine Zacke behalten, worin sie gehn. Die
Armee steht nun vor Magdeburg, obgleich ein großer
Theil derselben weiter nach Berlin gegangen ist. Wir
hören zu Zeiten schießen, weiter aber wissen wir von da
her nichts. Man spricht heute von einer neuen Schlacht,
die für uns wieder schlecht abgelaufen seyn soll;— dann —
Gott gebe uns nur bald Friede! denn den ewigen Krieg
schreibt die Geschichte mit Blut u. s. w.
91. S. Die unglückliche Schlacht ist gewiß.
3000 sind gefangen nebst aller Artillerie, der Rest unser«,
einst so prunkenden, Draunschwcigschen Regiments ist mit
dabei gewesen. Das Schreien und Lamentiren der Sok-
datenweiber ist markdurchdringend; und überall herrscht,
Wehklage, da unsre Winlervorräthe dahin sind.