der rasche Gang der Handlung, und wenn sie selbst
Mitglieder des Staats waren, Theilnahme und
Vaterlandsliebe erweckt, so ausgezeichneten Beifall
erhalten. Roms und Griechenlands Geschichtschrei
ber, deren Znnigkeit für den Gegenstand, den sie
bearbeiteten, zum Theil dadurch stieg, daß sie selbst,
wenigstens ihre Voreltern, bei den Begebenheiten
die sie erzählen, zugleich thätig mitwirkten, verdan
ken vielleicht zum Theil diesem Umstande die Ach
tung der Nachwelt. Wie nachtheilig ist aber die
Lage derjenigen, die blos die Geschichte eines sin
kenden Staate schildern; denn wir beben bch gräß-
lichen Scenen zurück; jene Zuckungen die größten-
theils der völligen Auflösung vorhcrgchn, erfüllen
uns oft, wie der Anblick krampfhafter Bewegun
gen eines Sterbenden, mit Widerwillen und Ab
scheu, die Mitleiden und Theilnehmung zwar mäßi
gen, aber deshalb nicht völlig umwandeln: und
wenn gar noch die Krankengeschichte des Staats
der eines Schwindsüchtigen gleicht, die Kräfte mit
jedem Tage immer stärker schwinden, die Thätig
keit immer niehr erschlafft, dann gränzt unser
Mitleiden gewöhnlich an Kälte, nicht selten an
Verachtung. Dies schwache Mitleiden ist daher
nicht hinreichend unsere Aufmerksamkeit zu fesseln,
und deshalb erwirbt oft der Gefchichtschreiber, der
diese undankbare Arbeit übernahm, durch alle seine
Anstrengung, statt des gesuchten Beifalls, nur die
Gleichgültigkeit der Zeitgenossen. Zurückschreckend
ist dies freilich, aber wenn es einer der herrlichsten
Zwecke der Geschichte bleibt, aus der Vergangen,
heit Lehren für die Gegenwart und Zukunft zu ent,
wickeln; so wird auch dieser Zweck mehr durch die Ge
schichte eines sinkenden, als eines aufblühenden Staa
tes erreicht. Denn die Natur führt den Menschen
auf einem und dem nehmstchen Wege zur Reife,
alle Aeußerungen von Kraft, wenn gleich die Ur
sachen davon wie bei den Bürgern Roms oder den
Jüngern Mohammeds himmelweit verschieden sind,
bleiben sich in gewisser Rücksicht immer gleich und
sind gewöhnlich mit dem Nachtheil oder wohl gar
dem Verderben anderer Menschen verknüpft. Be
geisterung für den vorgesetzten Zweck, Anstrengun
gen jeder Art und Aufopferung ihn zu erreichen,
gewaltsames Niedertreten eines jeden im Wege ste
henden Gegenstandes, Selbstgefühl und Selbstver
trauen, die mit jedem glücklichen Erfolge höher
steigen, immer schwächerer Widerstand von Seiten
der Gegner und zuletzt ihr völliges Ermatten.
Diese Gegenstände in höherm oder geringerm
Grade mit einander vermischt, geben uns das Ge
mälde emporgestiegener Völker, worin folglich des
halb immer ein gleichförmiges Colorit herrscht.
Nicht so bei der Geschichte des sinkenden
Volks: denn tausendfach ist der Weg zum Grabe,
sehr mannigfaltig sind die Abweichungen von dem ge
wöhnlichsten Pfade, die Hülfsmittel das Verderben
aufzuhalten, oder ihm zu entgehn, das mannigfache
Spiel der Leidenschaften, die gewaltsamen Anstren
gungen zum Widerstände, das muthlose Hingeben
in die Hand des eisernen Schicksals: alles dieses
erzeugt eine größere Mannigfaltigkeit, und aus je
der Begebenheit erwächst beinahe zugleich die
Schlußfolge, daß sie bei ähnlicher Veranlassung
entweder zu vermeiden oder nachzuahmen sey.
Anziehend wird ans diesem Gesichtspunkte dis
Geschichte Pohlens, des weiten Staats, der in
unsern Tagen durch innere Uebel und durch unter
lassene ThAlnehmuug an Fortschritten seiner Nach-
barcn, ungeachtet seines Flächeninhalts, seines
Ueber,lusses an den nothwendigsten Lebensbedürf
nissen, und ungeachtet seiner zahlreichen und streit
baren Bewohner, nach verhältnißmäßig höchst gerin
gem. Widerstände völlig aufgelöst, die Beute seiner
Nachbaren wurde. Die Uebel, welche dies veran
laßten und den Staat völlig zu Grunde richteten,
waren lange vorbereitet, und hatten zum Theil in
den angezeigten Verhältnissen Pohlens zu seinen
Nachbaren, mehr aber noch in der hierdurch ver
anlagten Denkungsart und den innern Verhält
nissen der ganzen Nation ihren Grund. Denn
Pohlens Einwohner bestanden, wie bei allen Sla
vische» Völkern, nur aus dem freien - Adel, den
Herrschern, die ungeachtet des verschiedenen Na
mens der Uojkwen, Gzupanen oder Sziacticicen,
ihre Leibeigenen überall despotisch beherrschten. Zn
allen Staaten Europens sank die Macht der Aristo-
craten, und das Schicksal der Leibeigenen wurde
nach dem Verhältniß gemildert, wie ein dritter
Stand, der freie Bürger, sein Haupt emporhob
und dem Monarchen ein Gegengewicht gegen den
Feudal -Aristoerarismus verschaffte; in Pöhlen aber
konnte der dritte Stand sich aus mancherlei Grün
den nicht gehörig ausbilden. Denn der Leibeigene
blieb, ohne daß wie in vielen andern Staaten,
günstige Umstände seine Freilassung häufig besör-
derceu, durch den Zwang seines Herrschers, und
hätte auch in seiner Seele der Keim zu den größ
ten Anlagen und Eigenschaften gelegen, als
Sklave an den Boden gefesselt, und nichts von
den ihn umgebenden Gegenständen konnte den
schlummernden Funken erwecken. Der Adel blieb
ganz ln seinem alten Zustande. Seitdem sich Poh
lens Fürsten von Deutschlands Oberhcrrlchaft los
gerissen hatten, und Deutschland an Pohlens An,
gelegenheiten weniger Theil nahm, kam er durch
seine Kriege in Süden und Osten nur mit Völkern
die ihm an Cultur gleich waren, oder »ocb nach
standen, in Verbindtmg, und nicht durch Umgang
und Gieichhcit der Sprache für die herrschenden
Zdeen des übrigen Europas erwärmt, nahm Poh
len, das ohnehin jchvtt Ungläubige in feiner Nach
barschaft zu bekämpfen harte, an den Kreuzzügen,
die Europas ganze Gestalt in so hohem Grade
umwandelten, beinahe gar keinen Antheil. Die
Provinzialgesetze, die so sehr den Aristoceatismus
und andere herrfthende Uebel begünstigten, und die
bald das Deutjche Recht, welches in Pohlen Ein
gang fand, so wichtig veränderten, waren zugleich
dem Eingang und den Wirkungen des Römischen
Rechts entgegen. Daher kam es, daß man Gesetz-
kunde,^ nicht aber systematische Kenntnisse, richtige
Begriffe, und mit philosophischem Geiste gemachte