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Volume Nro. 80, Dienstag den 22. April 1806

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue4.1806 (Public Domain)

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i8o6. 
Nro. So- 
9 
D c r 
Dienstag, 
Ernst 
i g e 
den 22. April. 
und S ch^e r 
z 
Gedanken über die Apotheose, in Bezie 
hung auf die Denkmaale Friedrich deS 
Zweiten und Dr. Martin Luthers. 
^^as Gemüth befindet fich in einem herrlichen Zu 
stande, wenn es verehrt, wenn es anbetet. Denn 
verehren, anbeten — was ist es anders, als be 
schauen, was uns vollkommen. dünkt, — als zur 
Bewunderung hingerissen seyn über das, was fich 
unserm Geist als groß, unermeßlich, unendlich dar 
stellt. — Jedes harmonische Ganze zieht uns an; 
jedes Schöne in Form, in Farbe, in Tönen belebt 
und erfreut unfern Sinn; jedes Werk, worin Ord 
nung und Cbenmaaß herrscht, schärft in uns das 
Gefühl für Ebenmaaß und Ordnung. Zn der Be 
schauung des Edeln fühlen wir uns veredelt; da« 
Erhabene erhebt uns; und indem wir uns in der 
Betrachtung des Unendlichen und Göttlichen verlie 
ren, erhellt nicht ein Skraal des Göttlichen selbst 
unser Gemüth? —- Freilich ist Ordnung, Ebenmaaß 
und Schönheit, das Edle, Große und Göttliche nur 
für den da, der es fühlt. Für den Tauben giebt 
es keine Harmonie, für den Blinden keine schöne 
Natur, für den Blödsinnigen keine Phantasie de« 
Dichter«, kein Zauberwerk de« Malers. Der Feige 
erfaßt nie den Plan de« Tapfern, der Kleinherzige 
nie die That de« Hochgesinnten. Der Wollüstling 
ersieht in der Venus nur ein Weib; der Schwäch 
ling in Cäsar nur einen Herr,chstchligen; der Frömm 
ler in Leibnitz nur einen Ungläubigen; — dem 
Spötter ist Christus ein Schwärmer, und dem an 
Natur -- und Kunstsinn verwahrlofeten ist Homer nur 
ein Derfemacher und Raphael ein Wandanstreicher. 
Zum Glück der Menschheit giebt es aber im 
Verhältniß zur Masse immer nur wenige, die von 
der Natur, oder durch Erziehung so ganz vernach- 
läßigt sind. Zwar hat Blödsinn, Frömmelei und 
unmännliche Schwäche von jeher trüben Einfluß 
verbreitet. Allein der Feind, den unser Zeitalter zu 
bekämpfen hat, ist kein gewöhnlicher: er ist das Re 
sultat einer Art von Ueberverfeinerung in Religion, 
Philosophie und Slaakswirthschast. Dieser Feind 
besteht in einer Vcrnunftkälte, die jeden Enthusias 
mus für Vaterland, für Gott und für die Kunst 
lähmt, verbunden mit dem ängstlichen Sparsamkeits 
sinn, der unter dem Vorwand des Nützlichfeyns je 
des Prvzentchen sorgsam berechnet, und jede Aus 
gabe für ein höheres Srelenbedürfniß, als Ver 
schwendung und Schwärmerei betrachtet. 
Statt wahrer Daterlandsfreunde giebt es zwei 
Classen von Wesen. Die erste nennt sich -Weltbür 
ger; sie sieht in allem Grausenhaften, was um uns 
vorgeht, nichts als eine nothwendige Vorbereitung 
zum allgemeinen Wohl der Menschheit, denn sie hat 
in ihrem Wahn schon alle künftige große Resultate 
berechnet. Die zweite ist so erzpakriotisch, daß sie 
jede Anstrengung für Freund und Nachbar, für alte 
Ordnung und Sicherheit der uns theils durch 
Sprache, gleiche Gesetz« und Sitten, theils durch
	        
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