Briefe über die Moldau.
tS»rrse,ong.)
Vaffi, den zten Januar.
Eeit meiner Ankunft hier, kann ich noch nicht den
Wahn verlieren, als befinde ich mich auf einer
großen, immer fortwährenden Redoute, und Du
weißt, daß ich doch schon im -weiten Jahre hier
bin. Don allen Seiten umringen mich wunderselt
same Gestalten, dir mit einander in fremden Zungen
reden und deren Sitten und Gebräuche himmelweit
von den unsrigen verschieden sind. Niemand trägt
freilich auf dem Gesichte eine wirkliche Maske von
der Art, wie wir sie auf unsern Maskeraden tra
gen; man bedarf derselben aber auch nicht, weit
man die große Kunst versteht, ohne Maske doch
hinlänglich maskirt zu seyn.
Wenn man in den nördlichern Ländern Euro«
po's Verstelluogskunst, und Sittenlvsigkeit im Allge
meinen in desto höherm Grade antrifft, als in den
selben Ackerbau, Manufakturen und Handel blühen
der sind; wenn man zugleich den feinsten, rafsinirte-
sten Betrug gewöhnlich nur dort findet, wo, wie in
den großen Hauptstädten Europa'«, eine ungeheure
Menschenmaffe auf einem Punkte zusammengedrängt
bebt, so sollt« man sich nicht einbilden auf ähnliche
Erscheinungen in einem beinahe menschenleeren Lande
stoßen zu können, wo man keinen oder doch nur
äußerst unbedeutenden Ackerbau treibt, und Künste,
Manufakturen und Fabriken kaum den Namen nach
bekannt sind. Wenn man hier Tagereisen zurück
legt, ohne auf ein Dorf zu treffen, in den fruchtba
ren Thälern und auf den lieblichen Anhöhen bloß
fette Heerden blöken hört, die nur hin und wieder
ei» singender Hirte hütet; wenn man von der
Spitze eines Hügels ringsum «inen überschwenglichen
Reichthum von Naturgeschenken ausgebreitet liegen
sieht, an deren Hervorbringung die menschliche
Kunst nicht den entferntesten Antheil hat: so wird
man unwillkübrlich zu dem Wahn verleitet, daß
man sich in einem Arkadischen Lande befinde, ncr
man freilich nicht-auf hohe Geisterculkur, aber desto
gewisser auf die wohlthätigere Erscheinung liebens
würdiger und unverderbter Sitten rechnen darf.
Wie schrecklich aber wird man au« seinem Wahne
gestört, wenn man in die größer« schmutzigen Dör
fer dieses Landes tritt, welche man hier Städte
nenntl Man nimmt Dich freilich auf die gastfreund
schaftlichste Art auf; man ist zuvorkommend und
dienstfertig im höchsten Grade, und eben diese iw
unsern schon übervölkerten Gegenden verscheuchten,
«der vielleicht unmöglich gewordenen Tugenden, be
stechen Dich im Anfange noch so mächtig, daß Du
mit Unwillen an die kalte Aufnahme zurück denkst,
die der Reisende im Allgemeinen bei uns findet.
Leider nur zu bald wirst Du indessen eines Andern
inne. Du erblickst ein Gemälde, dessen Scheuslich-
keil vielleicht Alle« übertrifft, was sich in dieser Ar«
unter dem Monde finden läßt. Denke Dir zuerst
ein Volk, welches unter den glücklichsten Zeitumstän
den, in seiner blühendsten Periode schon einen ent
schiedenen Hang zum Wankelmuth und zur Treulo
sigkeit blicken ließ, und nun seit vielen Jahrhunder
ten durch den unabwehrbaren Druck unwissender,
roher Tyrannen in die schreckliche Nothwendigkeit ge
setzt ist, alle seine großen Geistesanlagen einzig auf die
Verfeinerung heimlicher Arglist zu concentriren.
Denke Dir diese Ratio« herabgesunken in die schau
derhafteste Tieft moralischer Verderbtheit und Ge
fühllosigkeit, die nur immer vom krassesten Aberglau
ben und dem fürchterlichsten Despotismus erzeugt
werden können; denk« sie Dir fähig und bereit mit
kaltem Blute ihr eigenes Geschlecht zu morden, wenn
der Tyrann ihnen nur die Ehrenstellen und das
rechtliche Eigenthum der Erwürgten verspricht. Außer
diesem tief gefallenen Volke stelle Dir ein zweites
vor, das abwechselnd einer oder der andern Parthei
des ersteren zum Eigenthum überlassen wird, um es
nach Willkühr ouszusauge», aber vorzüglich in der
Absicht, um eben diese Partheien ihrerseits wiederum
gehörig saugefähig zu machen. Dies arme, in der
zweiten Potenz unterdrückte Volk, der rechtmäßige
Besitzer feines paradiesischen Landes, ist von Natur
ein gutmüthiger Menschenschlag, aber durch die Der-
veichlheit seiner ihm an natürlichen Talenten weit
überlegenen Herren dahin gelangt, daß wenigstens
die Reichen und Vornehmen unter demselben, oft
mit naiver Offenherzigkeit beklagen, daß sie leider so
wenig Gelegenheit hätten sich in der echten Lebene-
klugheit und Politik auszubilden, worin sie ihre be
glückten, wenn gleich verhaßten, Beherrscher so sehr
bewundern müßten. Wenn Du Dir nun noch eine
dritte Nation ') hinzu denkst, die freilich nicht mehr
sehr zahlreich ist, aber von der zweiten nach dem
würdigen Muster der ersten unumschränkt beherrscht
wird, und zur vollständigen Brutalität heradgesuw-
ken ist, so hast Du ungefähr die Hauptzüge des Ge
mäldes, wovon ich Dir gelegentlich einzelne Partien
auszumalen gedenke.
(Die Fortsetzung folgt.)
•) Der Bersesser verlieht hier unter den »rei «»«esührke»
Nationen wahrstbeinlich die Neugriechen, die Molduanir, «u»
die diese» letzter» »U etlMtn dienenden Zigeuner.