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Volume Nro. 25, Dienstag den 4. Februar 1806

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue4.1806 (Public Domain)

Briefe über die Moldau. 
tS»rrse,ong.) 
Vaffi, den zten Januar. 
Eeit meiner Ankunft hier, kann ich noch nicht den 
Wahn verlieren, als befinde ich mich auf einer 
großen, immer fortwährenden Redoute, und Du 
weißt, daß ich doch schon im -weiten Jahre hier 
bin. Don allen Seiten umringen mich wunderselt 
same Gestalten, dir mit einander in fremden Zungen 
reden und deren Sitten und Gebräuche himmelweit 
von den unsrigen verschieden sind. Niemand trägt 
freilich auf dem Gesichte eine wirkliche Maske von 
der Art, wie wir sie auf unsern Maskeraden tra 
gen; man bedarf derselben aber auch nicht, weit 
man die große Kunst versteht, ohne Maske doch 
hinlänglich maskirt zu seyn. 
Wenn man in den nördlichern Ländern Euro« 
po's Verstelluogskunst, und Sittenlvsigkeit im Allge 
meinen in desto höherm Grade antrifft, als in den 
selben Ackerbau, Manufakturen und Handel blühen 
der sind; wenn man zugleich den feinsten, rafsinirte- 
sten Betrug gewöhnlich nur dort findet, wo, wie in 
den großen Hauptstädten Europa'«, eine ungeheure 
Menschenmaffe auf einem Punkte zusammengedrängt 
bebt, so sollt« man sich nicht einbilden auf ähnliche 
Erscheinungen in einem beinahe menschenleeren Lande 
stoßen zu können, wo man keinen oder doch nur 
äußerst unbedeutenden Ackerbau treibt, und Künste, 
Manufakturen und Fabriken kaum den Namen nach 
bekannt sind. Wenn man hier Tagereisen zurück 
legt, ohne auf ein Dorf zu treffen, in den fruchtba 
ren Thälern und auf den lieblichen Anhöhen bloß 
fette Heerden blöken hört, die nur hin und wieder 
ei» singender Hirte hütet; wenn man von der 
Spitze eines Hügels ringsum «inen überschwenglichen 
Reichthum von Naturgeschenken ausgebreitet liegen 
sieht, an deren Hervorbringung die menschliche 
Kunst nicht den entferntesten Antheil hat: so wird 
man unwillkübrlich zu dem Wahn verleitet, daß 
man sich in einem Arkadischen Lande befinde, ncr 
man freilich nicht-auf hohe Geisterculkur, aber desto 
gewisser auf die wohlthätigere Erscheinung liebens 
würdiger und unverderbter Sitten rechnen darf. 
Wie schrecklich aber wird man au« seinem Wahne 
gestört, wenn man in die größer« schmutzigen Dör 
fer dieses Landes tritt, welche man hier Städte 
nenntl Man nimmt Dich freilich auf die gastfreund 
schaftlichste Art auf; man ist zuvorkommend und 
dienstfertig im höchsten Grade, und eben diese iw 
unsern schon übervölkerten Gegenden verscheuchten, 
«der vielleicht unmöglich gewordenen Tugenden, be 
stechen Dich im Anfange noch so mächtig, daß Du 
mit Unwillen an die kalte Aufnahme zurück denkst, 
die der Reisende im Allgemeinen bei uns findet. 
Leider nur zu bald wirst Du indessen eines Andern 
inne. Du erblickst ein Gemälde, dessen Scheuslich- 
keil vielleicht Alle« übertrifft, was sich in dieser Ar« 
unter dem Monde finden läßt. Denke Dir zuerst 
ein Volk, welches unter den glücklichsten Zeitumstän 
den, in seiner blühendsten Periode schon einen ent 
schiedenen Hang zum Wankelmuth und zur Treulo 
sigkeit blicken ließ, und nun seit vielen Jahrhunder 
ten durch den unabwehrbaren Druck unwissender, 
roher Tyrannen in die schreckliche Nothwendigkeit ge 
setzt ist, alle seine großen Geistesanlagen einzig auf die 
Verfeinerung heimlicher Arglist zu concentriren. 
Denke Dir diese Ratio« herabgesunken in die schau 
derhafteste Tieft moralischer Verderbtheit und Ge 
fühllosigkeit, die nur immer vom krassesten Aberglau 
ben und dem fürchterlichsten Despotismus erzeugt 
werden können; denk« sie Dir fähig und bereit mit 
kaltem Blute ihr eigenes Geschlecht zu morden, wenn 
der Tyrann ihnen nur die Ehrenstellen und das 
rechtliche Eigenthum der Erwürgten verspricht. Außer 
diesem tief gefallenen Volke stelle Dir ein zweites 
vor, das abwechselnd einer oder der andern Parthei 
des ersteren zum Eigenthum überlassen wird, um es 
nach Willkühr ouszusauge», aber vorzüglich in der 
Absicht, um eben diese Partheien ihrerseits wiederum 
gehörig saugefähig zu machen. Dies arme, in der 
zweiten Potenz unterdrückte Volk, der rechtmäßige 
Besitzer feines paradiesischen Landes, ist von Natur 
ein gutmüthiger Menschenschlag, aber durch die Der- 
veichlheit seiner ihm an natürlichen Talenten weit 
überlegenen Herren dahin gelangt, daß wenigstens 
die Reichen und Vornehmen unter demselben, oft 
mit naiver Offenherzigkeit beklagen, daß sie leider so 
wenig Gelegenheit hätten sich in der echten Lebene- 
klugheit und Politik auszubilden, worin sie ihre be 
glückten, wenn gleich verhaßten, Beherrscher so sehr 
bewundern müßten. Wenn Du Dir nun noch eine 
dritte Nation ') hinzu denkst, die freilich nicht mehr 
sehr zahlreich ist, aber von der zweiten nach dem 
würdigen Muster der ersten unumschränkt beherrscht 
wird, und zur vollständigen Brutalität heradgesuw- 
ken ist, so hast Du ungefähr die Hauptzüge des Ge 
mäldes, wovon ich Dir gelegentlich einzelne Partien 
auszumalen gedenke. 
(Die Fortsetzung folgt.) 
•) Der Bersesser verlieht hier unter den »rei «»«esührke» 
Nationen wahrstbeinlich die Neugriechen, die Molduanir, «u» 
die diese» letzter» »U etlMtn dienenden Zigeuner.
	        
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