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Volume Nro. 217, Donnerstag den 31. Oktober

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue1805 (Public Domain)

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ich in diesem Augenblick wohl hätte ein Dudelsack 
seyn mögen. Ach ging schnell durch den Raum hin, 
um dar Gesicht der schönen Spielerin zu sehen, — 
machte aber doch im Lerbeigehn die wichtige Be 
merkung, daß das Vieh dort musikalisches Geher 
haben muß, denn der ganze S5tali war niäuechcn- 
siille. Nun denke Dir den Kopf des Instruments, 
der wie ein schwarzer Satyr aussah, mit fratzen 
mäßig aufgerissenem Munde und weißen heraustre 
tenden Augen — neben Ieannettens Posaunenengel- 
Gesicht:— mußt' ich nicht laut auflachen'? Sie wollte 
gleich aufhören, wie sie mich erblickte; aber Du 
kennst die Dudelsäcke: sie schweigen nicht, bis sie 
allen Wind herausgeblafen haben. Dieser hing schon 
neben des Niädchens Kette, als erst sein letzter Ton 
verschnarrte. Ich wollte nun der Spielerin mem 
Compliment machen, aber da kam ich schön an. 
Mein Lachen hatte sie beleidigt, und sie sagte mir 
empfindlich errathend: „ich möchte nur über andere 
„spotten ; sie wisse selbst recht gut, daß sie noch An- 
,,fängerin sey. Sie habe aber auch nicht so viel Zeit 
„darauf zu wenden und bekäme keinen so guten Un 
„terrichk, wie die vornehmen Damen in 
„großen Städten, die ich vielleicht gehört 
„hatte." Ich sagte ihr, ich hätte in meinem Leben 
keinen Dudelsack gehört noch gesehen, und hätte blos 
über den drolligen Anblick des häßlichen Bocksgesichts 
gelacht, das zu dem reizenden Gesichte der Musikan 
tin so komisch abstäche u. s. w. Endlich fand sich 
denn doch, obwohl ziemlich spät, die alte Vertraulich 
keit wieder ein. 
Unterdessen hatten wir zu Abend gegessen, und 
Klaude Thiercy, der sich erboten hakte, mich morgen 
früh bis an die große Straße zu begleiten, sing an 
zu gähnen. Ieannetke wickelte ihren Flachs und 
ihre Spindel zusammen, ging in ihren Winkel, zog 
eine lange silberne Nadel aus ihrem kastanienbraunen 
Haar, das in zwei Flechten fast bis auf die Erde 
herunter fiel, löste diese Fiechten auf, rollte sie als 
dann Chignonmaßig bis auf den Wirbel in die Höhe 
und band sich ein himmelblaues Tuch um den Kopf, 
das ihr wie ein kleiner Turban stand. Nun kam 
sie wieder und stellte sich an den Tisch, als wenn 
sie auf etwas wartete. Ich war in Verlegenheit, 
denn ich sah nicht dir geringste Anstalt zu meinem 
Lager. „Ist Ihnen denn nicht gefällig, sich zu le 
gen?" fragte endlich mein Wirth. Ja, sagte ich, 
«der wo schlaf' ich denn? „Ei, da!" erwiederte Jean- 
nette und zeigte auf die Krippe vor den Kühen. 
Ihr: „Ei, da!" klang, als wenn es sich von selbst 
verstände, und ich fürchtete mich lächerlich zu machen, 
wenn ich meine Kescrgniß, daß die Kühe mich wohl 
in der Nacht für einen Kürbis halten könnten, 
äußerte. Juden« hatten sie sich ja gelagert, und 
schienen, ruhig wiederkäuend, sobald nicht ausstehen 
zu wollen. Ich näherte mich also der Krippe und 
sah. daß Ieannette schon mein Kette gemacht hakte; 
«S bestand in euiem doppelt gelegten, gewesenen 
Mantel ihres Vaters. Wie ich ging und stand, legte 
ich mich darauf. Ieannette fragte: „Sie sind viel 
leicht gewohnt, Nut dem Kopf hoch zu liegen?" 
Wenigstens liege ich nicht gern niedrig. — „ Lege 
dem Bürger deinen weißen Reck unter," sagte dir 
Mutter. Sie brachte ihn. Daß er mir immernoch 
nicht recht lag, kannst Du dir vorstellen: ober eine 
Kuh stand auf, und Ieannette mußte forteilen, dc- 
mir nicht die andere auch munter würde. Sie nahm, 
da die Eltern auch schon lagen, die Lampe von der 
Kette und ging damit in ihren Winkel, wo sie sie 
in ein kleines viereckigtes Loch in der Mauer neben 
ihrem Bette hinstellte. Zwei Tochke hatte sie unter 
wegs ausgeblasen; einen ließ sie brennen. Was! 
dachte ich; sollte sie wirklich in ihrer Unschuld mir 
zutrauen, daß ich die Augen schließen werde, wenn 
sie sich auskleidet? — und mein Kopf erhob sich um 
einige Zoll von ihrem Unrerrock, um recht — da« 
Licht zu sehn. Sie kehrte mir den Rücken zu; jetzt 
zog sie die Nadel au« ihrem Busentuch, mein Kopf 
hob sich noch etwas höher; jetzt faßte sie »inen Zipfel 
des Tuchs, um es abzunehmen, und meine Augen 
waren wenigstens eben so weit geöffnet, als die Au 
gen de« Dudelsacks; endlich riß sie mit derselben 
Bewegung das Tuch vom Halse — und — blies 
das Licht aus. Ich hatte weiter nichts gesehen, als 
daß^ sie es abnahm — und sank auf mein Kopfkissen 
zuruck. 
Die Kuh, welche aufgestanden war, roch im 
mer auf mir herum und leckte mir mit ihrer schar 
fen Zunge die Hand, wenn sie sie bloß fand. 
Mamsell Ieannette! rief ich leise. — „Plait-il, 
citoyen? — Was ist gefällig?" — Die Kuh leckt 
mir immer die Hand! — „Aha! c’est la pie; eile 
est toujours gentille comme 9a. — Aha! da 
ist die Elster; die hat sich immer so artig" — sagte 
Ieannette. „Aber sie thut Ihnen nichte," fügte die 
Mutter hinzu. — Ich schlief erst spat rin und 
Klaude weckte mich den folgenden Morgen um sechs 
Uhr. Ieannette hatte schon Wiichsuppe gemacht, die 
rauchend auf dem Tisch stand. 
Als wir gefrühstückt hatten, wickelte Ieannette 
drei — wie sie sagte — hart gekochte Eier in ein 
weißes Leinen, legte ein Stück Brodt dazu, und die 
Mutter sagte mir, e» sey weil bis zum ersten Dorfe 
und ich müßte das für den Iähhunger einstecken. 
Sie bestand so sehr darauf, daß ich ee nehmen 
mußte. Nun wollte ich bezahlen; da kam ich aber 
schön an. Sie wären mir noch schuldig, hieß e» 
denn der Wein sey theuer, und e« thäte ihnen nur 
leid, daß sie mich nicht besser hätten aufnehmen kön 
nen. Wie sic das sagten, war es kein fchaales Ccm- 
pliment. Klaude suchte seinen Knotenstock, und ich 
nahm von den Damen Abschied — wirklich mit 
schwerem Herzen, obgleich unsere Bekanntschaft noch 
nicht 24 Stunden alt war. 
Schon waren wir einen Büchsenschuß weit vom 
Dorfe entfernt, als es hinter uns rief: Mon Paire-J 
mon Faire! — Es war Ieannette, die in vollen» 
Laufe hinter unsrer gerannt kam, und als sie sah, 
daß wir sie gehört hatten, etwas Weißes zwischen 
den Fingerspitzen in die Höhe hielt. Ich besann mich, 
was ich mochte vergessen haben und fand nichts. 
Ais sie nahe genug war. sagte sie ganz außer A'örm 
zu mir: „Verzeihen Sie mir, Bürger! Ich dummes 
Ding hatte vergessen. Ihnen Sülz zu den Eiern zu 
geben!" 
K...d.».chs..n.
	        
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