Geschlecht, möchte aber auf der Bühne wenig
wirken.
„Eulenspiegel, ein dramatischer Schwank." Der
Eulenspiegel der hier auftritt, ist freilich nur wenig
von den einfältigen Hausknechten in den Pagenstrei
chen, in den Schwestern au« Prag u. s. w. verschie
den, aber das kleine Stück ist voll belustigender
Laune. Beiläufig gefagi: Eulenspiegel, nicht wie er
in diesem Stück erscheint, sondern wie ihn der be
kannte Vvlksroman schildert, ein Schalk voll Witz
und List, bei dessen vorsätzlichen Tölpeleien fast immer
bald rin witziger, bald ein sebr verständiger Gedanke
zum Grunde liegt, verdiente eine bleibende Marke
in unsern Possen zu werden. Richtig aufgefaßt, und
mit Geist gebraucht, müßt« er alles was Arlekin auf
den Ztal. Bühnen geleistet hat, übertreffen.
„Die Brandschatzung, ein Lustspiel," hat nichte
Auszeichnendes, aber es ist eine angenehme Baga
telle, und eben dgs gilt von dem letzten: „Das ver
lorne Kind, ein Schauspiel."
Kotzebue, dessen Genie au« jeder Kleinigkeit ein
dramatisches Bijou zu schaffen vermag, — wenn er
nehmlich ein wenig Aufmerksamkeit und veredelnde
Feile auf seine leicht hingeworfenen Produkte wen
det, — erwirbt sich durch diesen Almanach ein sehr
großes Verdienst um die feineren Gesellschaftszirkel,
besonder« wenn er auch in den künftigen Jahrgän
gen dem ediern Charakter treu bleibt, den er der
diesjährigen Lieferung gegeben hat. —
Auch die illuminirten Kupferstiche sind diesmal
vorzüglich gut ausgefallen. R. L.
Fragment eines Briefes von einem Reisenden.
Tine Bauerfamilie im Dauphin» —
oder Delphin« t. —
l Fortsetzung.)
Also: Dreihundert, sieben und neunzig, und eine
halbe Meile von hier, — sagte ich.
Cb ich das so genau wußte? — Gar nicht,
-her mir lag daran, meinen Wirthinnen interessant
zu werden, und dazu trügt es nicht wenig bei, wenn
man recht — weit her kommt. Frage nur unsre
Landsleute in den Gegenden, wo Französische Trup-
xen — durchzogen. — Nun scheint aber Weibern,
welche vielleicht in Praxi nie über hundert zu zah
len Gelegenheit hatten, eine jede Zahl die darüber
hinausgeht, desto größer, je länger sie auszusprcchen
ist. Hätte ich z. D. rundweg gesagt: Tausend
Meilen, so wäre da« Ieannetten nicht halb so
«eit vorgekommen, als: Dreihundert sieben
und neunzig und eine halbe. Auch rief sie
verwundert aus:
„Ah! moun pairo, que c’est beng plu«
Ion in que Grenoble! Ach, Vater das ist doch
viel weiter, als Grenoble. — Die Fragen der Mut
ter haschten nun meine Antworten: „Lebt Ihre Mut-
„ter noch? Ist sie alt? Die ist wohl recht um Sie
„in Sorgen? — Haben Sie Geschwister? — Giebt
„es noch Cidevants bei Ihnen? — Ist die Re-
„publik bis zu Ihnen gekommen? — Liesst man
„denn noch Messe?" — Bei uns liesst man keine
Messen; sagte ich — „War! Sie sind doch wohl
katholisch?" — Al« curious traveller wollte ich
doch sehen, wa« hier die Wahrheit auf meine Wir-
thiunen für «ine Wirkung thun würde, und antwor.
fett: Ich bin, wie alle meine Landleute, ein Ketzer.
„Ein Ketzer!!" wiederholte die Mutter er
schrocken, stand auf und that, als wenn sie etwas
suchte, um mir ihre unhöfliche Bestürzung zu ver
bergen. Ich sah deutlich, daß nur die Schüssel mit
dem Kehlkopf, die sie in der rechten Hand hielt, sie
hinderte, sich unbemerkt zu kreuzen.
„Ein Ketzer!!" wiederholte bettoffen Ieannette,
die, pencksns narrantis ab ore, mir bei jeder vor
hergehenden Antwort auf die Fragen der Mutter
um einen Zoll näher gerückt war, — sprang auf
und stellte sich mir in gehöriger Eutfernuiiz gegen
über. Auf ihrem Gesichte kämpften mit wechseindem
Siege, Abscheu, Mitleid und Neugier. Sie mu
sterte mich mit einem sonderbar-ängstlichen Blicke,
den ich erst nicht verstand, endlich fiel nür's ein:
ihre Augen suchten an mir — den Kuhschwanz
und den Pferde-oder Docksfuß. Als sie aber
nichts dergleichen gewahrte, behielt das Mitleid in
ihren Zügen di« Oberhand. Auf ihrem schönen Ge
sicht stand deutlich geschrieben: „Schade, daß der
arme Mensch de« Teufel« ist! " —
Meine Aufmerksamkeit auf die Tochter hatt«
mich verhindert, zu bemerken, daß ihr Vater bei
meiner magischen Antwort seine Arbeit verlassen,
und sich zutraulich neben mir auf Ieannettens
Schemel gesetzt hatte.
„Die Protestanten sind gwe Leute, sagte er zu
„mir; sie bezahlen mich immer besser, als dieKakho-
„liken, mmn ich sie oder ihre Sachen, über den
„Berg trage. Eie haben oft recht schöne Damen
„bei sich," fügte er hinzu, indem er sich nach feiner
Frau umwandte. Diese ließ sich aber weder durch
unser« bessere Bezahlung, noch durch unsere schöne
Damen in ihrer Meinung über uns irre machen,
woraus ich schloß, daß sie nicht sehr eigennützig seyn
müsse. Ieannette hatte sich indessen etwas genähert.