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Volume Nro. 216, Dienstag den 29. Oktober

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue1805 (Public Domain)

Geschlecht, möchte aber auf der Bühne wenig 
wirken. 
„Eulenspiegel, ein dramatischer Schwank." Der 
Eulenspiegel der hier auftritt, ist freilich nur wenig 
von den einfältigen Hausknechten in den Pagenstrei 
chen, in den Schwestern au« Prag u. s. w. verschie 
den, aber das kleine Stück ist voll belustigender 
Laune. Beiläufig gefagi: Eulenspiegel, nicht wie er 
in diesem Stück erscheint, sondern wie ihn der be 
kannte Vvlksroman schildert, ein Schalk voll Witz 
und List, bei dessen vorsätzlichen Tölpeleien fast immer 
bald rin witziger, bald ein sebr verständiger Gedanke 
zum Grunde liegt, verdiente eine bleibende Marke 
in unsern Possen zu werden. Richtig aufgefaßt, und 
mit Geist gebraucht, müßt« er alles was Arlekin auf 
den Ztal. Bühnen geleistet hat, übertreffen. 
„Die Brandschatzung, ein Lustspiel," hat nichte 
Auszeichnendes, aber es ist eine angenehme Baga 
telle, und eben dgs gilt von dem letzten: „Das ver 
lorne Kind, ein Schauspiel." 
Kotzebue, dessen Genie au« jeder Kleinigkeit ein 
dramatisches Bijou zu schaffen vermag, — wenn er 
nehmlich ein wenig Aufmerksamkeit und veredelnde 
Feile auf seine leicht hingeworfenen Produkte wen 
det, — erwirbt sich durch diesen Almanach ein sehr 
großes Verdienst um die feineren Gesellschaftszirkel, 
besonder« wenn er auch in den künftigen Jahrgän 
gen dem ediern Charakter treu bleibt, den er der 
diesjährigen Lieferung gegeben hat. — 
Auch die illuminirten Kupferstiche sind diesmal 
vorzüglich gut ausgefallen. R. L. 
Fragment eines Briefes von einem Reisenden. 
Tine Bauerfamilie im Dauphin» — 
oder Delphin« t. — 
l Fortsetzung.) 
Also: Dreihundert, sieben und neunzig, und eine 
halbe Meile von hier, — sagte ich. 
Cb ich das so genau wußte? — Gar nicht, 
-her mir lag daran, meinen Wirthinnen interessant 
zu werden, und dazu trügt es nicht wenig bei, wenn 
man recht — weit her kommt. Frage nur unsre 
Landsleute in den Gegenden, wo Französische Trup- 
xen — durchzogen. — Nun scheint aber Weibern, 
welche vielleicht in Praxi nie über hundert zu zah 
len Gelegenheit hatten, eine jede Zahl die darüber 
hinausgeht, desto größer, je länger sie auszusprcchen 
ist. Hätte ich z. D. rundweg gesagt: Tausend 
Meilen, so wäre da« Ieannetten nicht halb so 
«eit vorgekommen, als: Dreihundert sieben 
und neunzig und eine halbe. Auch rief sie 
verwundert aus: 
„Ah! moun pairo, que c’est beng plu« 
Ion in que Grenoble! Ach, Vater das ist doch 
viel weiter, als Grenoble. — Die Fragen der Mut 
ter haschten nun meine Antworten: „Lebt Ihre Mut- 
„ter noch? Ist sie alt? Die ist wohl recht um Sie 
„in Sorgen? — Haben Sie Geschwister? — Giebt 
„es noch Cidevants bei Ihnen? — Ist die Re- 
„publik bis zu Ihnen gekommen? — Liesst man 
„denn noch Messe?" — Bei uns liesst man keine 
Messen; sagte ich — „War! Sie sind doch wohl 
katholisch?" — Al« curious traveller wollte ich 
doch sehen, wa« hier die Wahrheit auf meine Wir- 
thiunen für «ine Wirkung thun würde, und antwor. 
fett: Ich bin, wie alle meine Landleute, ein Ketzer. 
„Ein Ketzer!!" wiederholte die Mutter er 
schrocken, stand auf und that, als wenn sie etwas 
suchte, um mir ihre unhöfliche Bestürzung zu ver 
bergen. Ich sah deutlich, daß nur die Schüssel mit 
dem Kehlkopf, die sie in der rechten Hand hielt, sie 
hinderte, sich unbemerkt zu kreuzen. 
„Ein Ketzer!!" wiederholte bettoffen Ieannette, 
die, pencksns narrantis ab ore, mir bei jeder vor 
hergehenden Antwort auf die Fragen der Mutter 
um einen Zoll näher gerückt war, — sprang auf 
und stellte sich mir in gehöriger Eutfernuiiz gegen 
über. Auf ihrem Gesichte kämpften mit wechseindem 
Siege, Abscheu, Mitleid und Neugier. Sie mu 
sterte mich mit einem sonderbar-ängstlichen Blicke, 
den ich erst nicht verstand, endlich fiel nür's ein: 
ihre Augen suchten an mir — den Kuhschwanz 
und den Pferde-oder Docksfuß. Als sie aber 
nichts dergleichen gewahrte, behielt das Mitleid in 
ihren Zügen di« Oberhand. Auf ihrem schönen Ge 
sicht stand deutlich geschrieben: „Schade, daß der 
arme Mensch de« Teufel« ist! " — 
Meine Aufmerksamkeit auf die Tochter hatt« 
mich verhindert, zu bemerken, daß ihr Vater bei 
meiner magischen Antwort seine Arbeit verlassen, 
und sich zutraulich neben mir auf Ieannettens 
Schemel gesetzt hatte. 
„Die Protestanten sind gwe Leute, sagte er zu 
„mir; sie bezahlen mich immer besser, als dieKakho- 
„liken, mmn ich sie oder ihre Sachen, über den 
„Berg trage. Eie haben oft recht schöne Damen 
„bei sich," fügte er hinzu, indem er sich nach feiner 
Frau umwandte. Diese ließ sich aber weder durch 
unser« bessere Bezahlung, noch durch unsere schöne 
Damen in ihrer Meinung über uns irre machen, 
woraus ich schloß, daß sie nicht sehr eigennützig seyn 
müsse. Ieannette hatte sich indessen etwas genähert.
	        
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