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Volume Nro. 210, Montag den 21. Oktober

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue1805 (Public Domain)

Z12. — 
das ästhetische Auge findet hier Schöneres, als die 
Gegenwart anbietet. Die Menschheit stand damals 
alterkhümlich in großen Massen da; die Charaktere 
waren offener und freier, der Gang des Lebens, wenn 
auch öfters wild, doch grader; das Kunstgefühl aber, 
das feilen die Gesinnung unveredelt laßt, so allge- 
niein verbreitet, daß der Provenzaldichrer Peter von 
Chateauneuf, als er einst von Räubern geplündert 
und bis aufs Hemd ausgezogen war, nur um die 
Erlaubniß bat, ein Lied zur Leier zu singen, und 
glücklicher als Arien, durch den Zauber der Dicht 
kunst feine ganze Habe wieder erhielt. 
Zn gleicher Rücksicht heftet sich unsere Aufmerk 
samkeit auf jenes Weltalter, weil es die Wiege der 
Romantik war. „Der Rittergeist," bemerkt Hurd 
(U>etters on lübcvalrg- sncl Itzumsnce, lett. i.) 
„war ein bald erlofchnes Feuer; aber der Geist des 
„Romantischen, der sich an ihm entflammte, leuchtet 
und brennt bis in die verfeinerten Zeiten fort." — t 
So viel zur Einführung der folgenden Auszüge 
aus Zean de Nostradamus Leben der berühnttestea 
Provenzaldichter. Diese freimüthige» und zartsinni- 
gen Geister verdienen wohl Zutritt in einen Zirkel, 
der, gleicht Eigenschaften zu verbreiten, bestimmet 
und bemühet ist. Unser Gewährsmann aber (ein 
Bruder Michaels de Nostradamus, Doktors der Me 
dizin und Astrologie!! zu Salon de Craup) unser 
Zean also hat nicht nur eine Menge brauchbarer 
Geschickrsquellen benutzt, er ist auch so unschuldig, 
wie die meistern seiner Ehronikenschr-tder. und zwei 
felt z. B. mit einigen versessen in vollem Ernst, ob 
des Provenzalen Pons de Brueil, Beiname ^z>eri 
oculos (die Augen aufgemacht!) der Geschl chtSnaiue 
einer französischen oder italienischen Familie sei. 
Kaiser und Könige, z. B. Friedrich der Roth 
bart und Richard Lswe>,herz, übten die edle Sän 
gerkunst. vornehme Damen beschäftigten ihre Muße 
am liebsten damit: was Wunder, daß der Proven 
zaldichter, wie sein Zögling, der Minnesänger, überf 
all gern'gesehn und ausgezeichnet ward? Gesang, 
Mimik (besonders im Komischen), und das Spiel 
der Znstruniente, versammelte Zung und Alt um 
ihn her, und die Glücklichen der Erde überhäuf 
ten den Glücklichen des Himmels mir ihren Gaben. 
Peyre (Pierre) Herr von «Lernegue, ums Zahr 
1170, eine Weile der Liebling des Dauphin von 
Auvergne, sahe sich einst ohne Waffen Pferde und 
Geld. Was that er? — Er griff zur Leier, zog 
als Konilkec an den großen Höfen herum, und kehr 
te ba d reich in sein Vaterland, die schöne Provence, 
zurück. Dertrand von Pezar». ums Zahr 1340, rin 
feiner Mann, „qui cbantoit et trouvoit fort 
bien,“ begab sich mit seiner üblichen Gattin, die 
eben diese Künste übte, unter andern an den Hof 
der Königin Zohanna von Neapel, als sie, im letz 
ten Schimmer des Glücks, mit ihrem zweiten Ge- 
mal, Louis de Tharante, in Avignon lebte. Schöne 
und reiche Geschenke (de beaux et ricbes pre- 
sents; ein heutiger Chronist ivürde ricbes voran- 
fctzen) waren der Lehn des Dichterpaars, und eines 
Tags erhielt Pezars von Louis einen seiner schim 
mernden Seidenmäntel, und die Dichterin von Zo 
hanna eines ihrer Kleider von karmefinrothem Sammt. 
Zuweilen vereinigten sich verschiedene Talente. Guy 
d'Uzez konnte mit seinen Brüdern Edles und Peyre 
von dem Ertrage eines kleinen Ritterguts nicht leben. 
Da schlug Edles vor, die ssröhliche Kunst in den 
Hoflagern zu üben. Man nahm den Rath an, und 
so dichtete Guy Lieder, Ebieö Sirventcn (satirische 
Stücke), und Peyre, ein guter Musiker, sang beide 
ab: ein Gewcrb, das diese drei Unzerrrekinlichen in 
Kurzem reich machte. 
Auch gab es oft schönern Lohn. Peter von 
Auvergne, Sohn eines Bürgers in Clermont, aber 
schön, von seinen Eilten, gelehrt, ein freier Spre 
cher und «in angenehmer Sänger, führte zuerst die 
provenzalische Dichtkunst in sein Darerland ein, und 
ward dadurch so beliebt, daß er, zum Loh» seiner 
Lieder, in jeder Gesellschaft, von welchtr schönen 
Dame er wünschte, eine» Kuß «rhE. Ja zuweilen 
ging die Liebe zur Dichtkunst »och vff.nbarer auf 
de» Dichter über: eine verzeihliche Schwachheit des 
schönen GelchlechtS, die indeß einst folgende höchst 
brutal« Rache der Eisersucht v«ramaßte. 
Der neue Thyest. 
uillem de Cabcstaing oder Cabestan, aus der al 
ten Ritterfamilie Servierer in Provence, hatte sich 
in di« Frau von Roussillon verliebt, und sandte ihr 
«inst (denn er war Dichter) ein Lied, zwar, nach 
der Sitte der Provenzalen, an ihren Genial, Rai- 
mond de Selchow, gerichiet, aber von seinen Ge 
fühlen so durchglüht, daß Triclina'S Herz auch Feuer 
sing. Man verständigte sich näher. Der eisersäch- 
rlge Raimond erfuhr es, und schnob Rache. Einst 
im Waide begegnete er Guiuem allein, stach ihn 
nieder, hssb des Unglücklichen Kopf ah. riß ihm das 
Herz alle den, Leibe, ließ dies zu Hause ven dem 
Koche .uiichlen, und letzte eo Triclinen vor. Sie 
ahnte nichts. — Wie schmeckt dir dies Frisch? 
gunzre er sie an. — „O bessir, als mir je enoas 
lcr-meckik." — Ar ch ist es das Eingeweid deines 
Buhlen — Und er sselr ihr GuilleniS Kcpf vor 
die Augen. Sie erkar.ntr ihn, sie sank bewustlos
	        
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