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das ästhetische Auge findet hier Schöneres, als die
Gegenwart anbietet. Die Menschheit stand damals
alterkhümlich in großen Massen da; die Charaktere
waren offener und freier, der Gang des Lebens, wenn
auch öfters wild, doch grader; das Kunstgefühl aber,
das feilen die Gesinnung unveredelt laßt, so allge-
niein verbreitet, daß der Provenzaldichrer Peter von
Chateauneuf, als er einst von Räubern geplündert
und bis aufs Hemd ausgezogen war, nur um die
Erlaubniß bat, ein Lied zur Leier zu singen, und
glücklicher als Arien, durch den Zauber der Dicht
kunst feine ganze Habe wieder erhielt.
Zn gleicher Rücksicht heftet sich unsere Aufmerk
samkeit auf jenes Weltalter, weil es die Wiege der
Romantik war. „Der Rittergeist," bemerkt Hurd
(U>etters on lübcvalrg- sncl Itzumsnce, lett. i.)
„war ein bald erlofchnes Feuer; aber der Geist des
„Romantischen, der sich an ihm entflammte, leuchtet
und brennt bis in die verfeinerten Zeiten fort." — t
So viel zur Einführung der folgenden Auszüge
aus Zean de Nostradamus Leben der berühnttestea
Provenzaldichter. Diese freimüthige» und zartsinni-
gen Geister verdienen wohl Zutritt in einen Zirkel,
der, gleicht Eigenschaften zu verbreiten, bestimmet
und bemühet ist. Unser Gewährsmann aber (ein
Bruder Michaels de Nostradamus, Doktors der Me
dizin und Astrologie!! zu Salon de Craup) unser
Zean also hat nicht nur eine Menge brauchbarer
Geschickrsquellen benutzt, er ist auch so unschuldig,
wie die meistern seiner Ehronikenschr-tder. und zwei
felt z. B. mit einigen versessen in vollem Ernst, ob
des Provenzalen Pons de Brueil, Beiname ^z>eri
oculos (die Augen aufgemacht!) der Geschl chtSnaiue
einer französischen oder italienischen Familie sei.
Kaiser und Könige, z. B. Friedrich der Roth
bart und Richard Lswe>,herz, übten die edle Sän
gerkunst. vornehme Damen beschäftigten ihre Muße
am liebsten damit: was Wunder, daß der Proven
zaldichter, wie sein Zögling, der Minnesänger, überf
all gern'gesehn und ausgezeichnet ward? Gesang,
Mimik (besonders im Komischen), und das Spiel
der Znstruniente, versammelte Zung und Alt um
ihn her, und die Glücklichen der Erde überhäuf
ten den Glücklichen des Himmels mir ihren Gaben.
Peyre (Pierre) Herr von «Lernegue, ums Zahr
1170, eine Weile der Liebling des Dauphin von
Auvergne, sahe sich einst ohne Waffen Pferde und
Geld. Was that er? — Er griff zur Leier, zog
als Konilkec an den großen Höfen herum, und kehr
te ba d reich in sein Vaterland, die schöne Provence,
zurück. Dertrand von Pezar». ums Zahr 1340, rin
feiner Mann, „qui cbantoit et trouvoit fort
bien,“ begab sich mit seiner üblichen Gattin, die
eben diese Künste übte, unter andern an den Hof
der Königin Zohanna von Neapel, als sie, im letz
ten Schimmer des Glücks, mit ihrem zweiten Ge-
mal, Louis de Tharante, in Avignon lebte. Schöne
und reiche Geschenke (de beaux et ricbes pre-
sents; ein heutiger Chronist ivürde ricbes voran-
fctzen) waren der Lehn des Dichterpaars, und eines
Tags erhielt Pezars von Louis einen seiner schim
mernden Seidenmäntel, und die Dichterin von Zo
hanna eines ihrer Kleider von karmefinrothem Sammt.
Zuweilen vereinigten sich verschiedene Talente. Guy
d'Uzez konnte mit seinen Brüdern Edles und Peyre
von dem Ertrage eines kleinen Ritterguts nicht leben.
Da schlug Edles vor, die ssröhliche Kunst in den
Hoflagern zu üben. Man nahm den Rath an, und
so dichtete Guy Lieder, Ebieö Sirventcn (satirische
Stücke), und Peyre, ein guter Musiker, sang beide
ab: ein Gewcrb, das diese drei Unzerrrekinlichen in
Kurzem reich machte.
Auch gab es oft schönern Lohn. Peter von
Auvergne, Sohn eines Bürgers in Clermont, aber
schön, von seinen Eilten, gelehrt, ein freier Spre
cher und «in angenehmer Sänger, führte zuerst die
provenzalische Dichtkunst in sein Darerland ein, und
ward dadurch so beliebt, daß er, zum Loh» seiner
Lieder, in jeder Gesellschaft, von welchtr schönen
Dame er wünschte, eine» Kuß «rhE. Ja zuweilen
ging die Liebe zur Dichtkunst »och vff.nbarer auf
de» Dichter über: eine verzeihliche Schwachheit des
schönen GelchlechtS, die indeß einst folgende höchst
brutal« Rache der Eisersucht v«ramaßte.
Der neue Thyest.
uillem de Cabcstaing oder Cabestan, aus der al
ten Ritterfamilie Servierer in Provence, hatte sich
in di« Frau von Roussillon verliebt, und sandte ihr
«inst (denn er war Dichter) ein Lied, zwar, nach
der Sitte der Provenzalen, an ihren Genial, Rai-
mond de Selchow, gerichiet, aber von seinen Ge
fühlen so durchglüht, daß Triclina'S Herz auch Feuer
sing. Man verständigte sich näher. Der eisersäch-
rlge Raimond erfuhr es, und schnob Rache. Einst
im Waide begegnete er Guiuem allein, stach ihn
nieder, hssb des Unglücklichen Kopf ah. riß ihm das
Herz alle den, Leibe, ließ dies zu Hause ven dem
Koche .uiichlen, und letzte eo Triclinen vor. Sie
ahnte nichts. — Wie schmeckt dir dies Frisch?
gunzre er sie an. — „O bessir, als mir je enoas
lcr-meckik." — Ar ch ist es das Eingeweid deines
Buhlen — Und er sselr ihr GuilleniS Kcpf vor
die Augen. Sie erkar.ntr ihn, sie sank bewustlos