Path:
Volume Nro. 200, Montag den 7. Oktober

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue1805 (Public Domain)

— 28r — 
gen, bomlt er so schwer wiegen mögte als fein Gold. 
Mir dein schweren Golde kaufte er schöne Güter, die 
er eine Herrschaft nannte, denn herrschen ist 
aller Menschen Ziel und Streben, wie Helvetius be- 
weijet. Er herrschte auch über seine gute, sanfte 
Frau, jetzt seine Gemahlin und gnädige Frau, 
die ober das adeliche Wappen nur zum Schmuck 
ihres Sarges empfangen zu haben schien. Sie hin 
terließ ihr Ebenbild, einen liebenswürdigen Knaben, 
Ferdinand, aus dem ein wackerer Jüngling wurde. 
Bor dem Eintritt seines reichen Erbe«, sollte er, 
nach löblicher Sitte, auf Reisen gehen, um die 
neuen Wunder in Frankreich , und sonst noch aller 
lei zu schauen. Ein Bierbrauer, dem ich einst gra. 
tis ein Hochzeit- Carmen verferkigt hatte, empfahl 
mich einem dicken Freunde des alten Herrn von 
Eberstein, der gerne Bier trank, und folglich wurde 
ich Ferdinands Hofmeister. Die Reise-Anstalten 
waren schnell gemacht, man gab uns Reichards 
Guide des voyageurs, blanke Dursten und 
ein Taschenbuch voll Wechsel mit auf den Weg. 
Wir durchkreuzten Europa, verzehrten Alles und 
noch etwas darüber, lernten die Landstraßen 
kennen und verfluchten die Sächsischen. Auf der 
Heimreise erfuhren wir, daß der alte Herr gestorben 
sey, und beschleunigten die Rückkehr, um die Herr 
schaft in Besitz zu nehmen. 
Als wir noch zwei Tagereisen von der Heimath 
entfernt waren, überfiel uns eines Abends ein hef 
tiges Gewitter. Wir ließen vor einer Dorffchcnke 
halten, und giengen hinein, um den Sturni vorü 
ber ziehen zu lassen. Zn der Stube saß ein Mann 
mit einer rechtlichen Physiognomie, aber seine Klei 
der schienen durch Zeit und Mangel, sein Gemüth 
durch Leiden zerrissen. Da« graue Haar halte nur 
der Kummer dem Greise abgeborgt. Er aß mit gro 
ßem Appetit ein Stück schwarzes Brod, welches er. 
wie Hungrige zu thun pflegen, von allen S eiten be 
trachtete. Neben ihm stand ein kleine« Mädchen, 
eben so armselig bekleidet, da« mir gleicher Eßlust 
rin Stück Brod bearbeitete, und früher damit fer 
tig wurde als der sparende Mann. „Baier, sprach 
da« Kind, ich bin noch hungrig gieb mir mehr 
Q^rcb." — Da gab der Barer ihm sein eignes Stück 
Brod vom Munde weg, und iah recht freundlich 
dabei aus. Aber da« kleine Mädchen rischrack und 
sah den Vater ängstlich an. Als der sich abwandte, 
betrachtete das Kind das angebissene Stück Brod 
mit sichtbarer Wehmuth, und seine großen bleuen 
Augen wurden feucht. Doch es verschleuderte seine 
Thränen, versuchte gleichsam einigemal hinter des 
Vaters Rücken zu lächeln, und als cs meinen wog 
te, da» sei ihm gelungen, schmiegte es sich spielend 
an den Vater und sagte: „es ist mir doch zu viel, 
„ich bin satt," — iß du selber. „Ich bin auch ,akt, 
„erwiederte der Monn, iß du mein Kmd." — 
„grein, ich mag nicht mehr" rief das kleine Mäd 
chen, legte das Brod den, Vater auf den Schooß 
und hüpfte hinaus. Ein Zug wehmüthiger Bitter 
keit fuhr wie ein kalter Wind über das blasse Ge 
sicht des Mannes, er steckte das Brod in seine 
Tasche, und mit dem Stabe, auf den er die lrek- 
kenen Lippen heftete, schien er einen Seufzer zurück 
zu drängen, 
Ferdinand, dem von dieser stillen Scene nicht« 
entgangen war, trat bewegt vor ben Fremden. 
„Darf ich fragen wer Sie sind?" — Ein Rei 
sender sagte der Mann, indem er meinen Zögling 
zwar bescheiden, doch befremdet, ansah. 
„Zch frage nicht aus Neubegier, fuhr Ferdinand 
fort, „Sie scheinen Hülse zu bedürfen, und zu ver 
dienen." 
Der Fremde. Zch sehe freilich aus wie ein 
Bettler, aber ich bin keiner. 
Ferdinand. Auch habe ich Zhnen kein Al 
mosen angeboten, ich sprach nur von Hülfe. 
Ter Fremde. Hülfe? Za freilich, Hülse thäte 
mir Noth, oder vielmehr meinem Kinde. — 
Bei den lezten Worten zitterte seine Stimme. 
»Fassen Sie Vertrauen zu mir" sprach Ferdi 
nand mit einem Tone, der ein Erbtheil von seiner 
guten Mutter war. Zhm widerstand der Fremde 
nicht. 
»Ich? bin ein Tyroler" sagte er nach einer Pau- 
„se, „im lezien Kriege wurde ich dreimal geplündert, 
„der Schrecken^ tödkete mein Weib, und in einer 
„brennenden Scheune verlchr ich niein jüngste« 
„Kind. Zch konnre mich nich^ wieder aufraffen. 
„Ein kinderloser Verwandter in Schwaben lud mich 
„ein, zu ihm zu kommen, er wolle meine kleine 
»Therese zur Erbin einsetzen, und ich solle Verwalter 
»auf seinem Gute werden. Das hob mich wieder, 
»denn ich verstehe die Landwirthschast. Zch machte 
„mich zu Fuße auf den Weg, oder mit dem zarten 
„Kinde gieng es langsam. Es währte einen M»- 
»nate, ehe wir zum Vetter kamen, der war todt, 
„hatte kein Testament hinterlassen, und nähere Er- 
.,ben wiesen mich zurück. So bin ich denn nun 
„wieder aus dem Heimwege begriffen, und Heise mir 
„durch so gut es gehn will. Der Weg ist freilich 
„noch sehr weit, doch bin ich nur erst wieder in 
„meinen lieben Bergen, bort kennen mich die Leute, 
„dort werde ich Arbeit finden, wenn auch nur aiü 
„Knecht bei einem braven Bauer." 
„Da Sie ihr Vaterland ohnehin verlassen wcll- 
„terz," sagte Ferdinands „so biete ich Zhnen eine 
„Zuflucht auf meinen Gütern an; di« sind groß, an 
„'Arbeit soll» nicht fehlen." 
Plötzlich verklärten sich des Mannes Züge; er 
wollte itden, er stammelte, mit beiden Handen ei>- 
griff er Ferdinande Hand, sah ihm andächtig ins 
Gesicht, und Thränen stürzten ihm aus den Augen. 
Das kleine Maschen war indessen wieder herein ge 
schlichen, hatte mit scheuer Neubegier zugehorcht, und 
als er den Vater weinen ah, fieng es an zu schluch 
zen. Ferdinand war sehr gerührt, wollte sich weg 
wenden, konnte aber die Hand nicht losreißen. 
„Therese! rief endlich rer Fremde," wa« sagt' ich 
„heute als wir das Blid am Wege fanden, auf dem 
„ein Wanderer, gleichsam durch einen Engel, au« 
„großer Gefahr gerettet wurde?" 
„Go» wird auch un« helfen!" stammelte das 
Kiad. 
„Gott hat geholfen!" erwiederte der Alte siier- 
lich, ließ Ferdinand los und faltete beide Hände.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.