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gen, bomlt er so schwer wiegen mögte als fein Gold.
Mir dein schweren Golde kaufte er schöne Güter, die
er eine Herrschaft nannte, denn herrschen ist
aller Menschen Ziel und Streben, wie Helvetius be-
weijet. Er herrschte auch über seine gute, sanfte
Frau, jetzt seine Gemahlin und gnädige Frau,
die ober das adeliche Wappen nur zum Schmuck
ihres Sarges empfangen zu haben schien. Sie hin
terließ ihr Ebenbild, einen liebenswürdigen Knaben,
Ferdinand, aus dem ein wackerer Jüngling wurde.
Bor dem Eintritt seines reichen Erbe«, sollte er,
nach löblicher Sitte, auf Reisen gehen, um die
neuen Wunder in Frankreich , und sonst noch aller
lei zu schauen. Ein Bierbrauer, dem ich einst gra.
tis ein Hochzeit- Carmen verferkigt hatte, empfahl
mich einem dicken Freunde des alten Herrn von
Eberstein, der gerne Bier trank, und folglich wurde
ich Ferdinands Hofmeister. Die Reise-Anstalten
waren schnell gemacht, man gab uns Reichards
Guide des voyageurs, blanke Dursten und
ein Taschenbuch voll Wechsel mit auf den Weg.
Wir durchkreuzten Europa, verzehrten Alles und
noch etwas darüber, lernten die Landstraßen
kennen und verfluchten die Sächsischen. Auf der
Heimreise erfuhren wir, daß der alte Herr gestorben
sey, und beschleunigten die Rückkehr, um die Herr
schaft in Besitz zu nehmen.
Als wir noch zwei Tagereisen von der Heimath
entfernt waren, überfiel uns eines Abends ein hef
tiges Gewitter. Wir ließen vor einer Dorffchcnke
halten, und giengen hinein, um den Sturni vorü
ber ziehen zu lassen. Zn der Stube saß ein Mann
mit einer rechtlichen Physiognomie, aber seine Klei
der schienen durch Zeit und Mangel, sein Gemüth
durch Leiden zerrissen. Da« graue Haar halte nur
der Kummer dem Greise abgeborgt. Er aß mit gro
ßem Appetit ein Stück schwarzes Brod, welches er.
wie Hungrige zu thun pflegen, von allen S eiten be
trachtete. Neben ihm stand ein kleine« Mädchen,
eben so armselig bekleidet, da« mir gleicher Eßlust
rin Stück Brod bearbeitete, und früher damit fer
tig wurde als der sparende Mann. „Baier, sprach
da« Kind, ich bin noch hungrig gieb mir mehr
Q^rcb." — Da gab der Barer ihm sein eignes Stück
Brod vom Munde weg, und iah recht freundlich
dabei aus. Aber da« kleine Mädchen rischrack und
sah den Vater ängstlich an. Als der sich abwandte,
betrachtete das Kind das angebissene Stück Brod
mit sichtbarer Wehmuth, und seine großen bleuen
Augen wurden feucht. Doch es verschleuderte seine
Thränen, versuchte gleichsam einigemal hinter des
Vaters Rücken zu lächeln, und als cs meinen wog
te, da» sei ihm gelungen, schmiegte es sich spielend
an den Vater und sagte: „es ist mir doch zu viel,
„ich bin satt," — iß du selber. „Ich bin auch ,akt,
„erwiederte der Monn, iß du mein Kmd." —
„grein, ich mag nicht mehr" rief das kleine Mäd
chen, legte das Brod den, Vater auf den Schooß
und hüpfte hinaus. Ein Zug wehmüthiger Bitter
keit fuhr wie ein kalter Wind über das blasse Ge
sicht des Mannes, er steckte das Brod in seine
Tasche, und mit dem Stabe, auf den er die lrek-
kenen Lippen heftete, schien er einen Seufzer zurück
zu drängen,
Ferdinand, dem von dieser stillen Scene nicht«
entgangen war, trat bewegt vor ben Fremden.
„Darf ich fragen wer Sie sind?" — Ein Rei
sender sagte der Mann, indem er meinen Zögling
zwar bescheiden, doch befremdet, ansah.
„Zch frage nicht aus Neubegier, fuhr Ferdinand
fort, „Sie scheinen Hülse zu bedürfen, und zu ver
dienen."
Der Fremde. Zch sehe freilich aus wie ein
Bettler, aber ich bin keiner.
Ferdinand. Auch habe ich Zhnen kein Al
mosen angeboten, ich sprach nur von Hülfe.
Ter Fremde. Hülfe? Za freilich, Hülse thäte
mir Noth, oder vielmehr meinem Kinde. —
Bei den lezten Worten zitterte seine Stimme.
»Fassen Sie Vertrauen zu mir" sprach Ferdi
nand mit einem Tone, der ein Erbtheil von seiner
guten Mutter war. Zhm widerstand der Fremde
nicht.
»Ich? bin ein Tyroler" sagte er nach einer Pau-
„se, „im lezien Kriege wurde ich dreimal geplündert,
„der Schrecken^ tödkete mein Weib, und in einer
„brennenden Scheune verlchr ich niein jüngste«
„Kind. Zch konnre mich nich^ wieder aufraffen.
„Ein kinderloser Verwandter in Schwaben lud mich
„ein, zu ihm zu kommen, er wolle meine kleine
»Therese zur Erbin einsetzen, und ich solle Verwalter
»auf seinem Gute werden. Das hob mich wieder,
»denn ich verstehe die Landwirthschast. Zch machte
„mich zu Fuße auf den Weg, oder mit dem zarten
„Kinde gieng es langsam. Es währte einen M»-
»nate, ehe wir zum Vetter kamen, der war todt,
„hatte kein Testament hinterlassen, und nähere Er-
.,ben wiesen mich zurück. So bin ich denn nun
„wieder aus dem Heimwege begriffen, und Heise mir
„durch so gut es gehn will. Der Weg ist freilich
„noch sehr weit, doch bin ich nur erst wieder in
„meinen lieben Bergen, bort kennen mich die Leute,
„dort werde ich Arbeit finden, wenn auch nur aiü
„Knecht bei einem braven Bauer."
„Da Sie ihr Vaterland ohnehin verlassen wcll-
„terz," sagte Ferdinands „so biete ich Zhnen eine
„Zuflucht auf meinen Gütern an; di« sind groß, an
„'Arbeit soll» nicht fehlen."
Plötzlich verklärten sich des Mannes Züge; er
wollte itden, er stammelte, mit beiden Handen ei>-
griff er Ferdinande Hand, sah ihm andächtig ins
Gesicht, und Thränen stürzten ihm aus den Augen.
Das kleine Maschen war indessen wieder herein ge
schlichen, hatte mit scheuer Neubegier zugehorcht, und
als er den Vater weinen ah, fieng es an zu schluch
zen. Ferdinand war sehr gerührt, wollte sich weg
wenden, konnte aber die Hand nicht losreißen.
„Therese! rief endlich rer Fremde," wa« sagt' ich
„heute als wir das Blid am Wege fanden, auf dem
„ein Wanderer, gleichsam durch einen Engel, au«
„großer Gefahr gerettet wurde?"
„Go» wird auch un« helfen!" stammelte das
Kiad.
„Gott hat geholfen!" erwiederte der Alte siier-
lich, ließ Ferdinand los und faltete beide Hände.