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Volume Nro. 176, Dienstag den 3. September

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue1805 (Public Domain)

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ideal, und nur in allem, was die Form betrifft, 
den (besetzen der Natur Unterthan seyn. Denn die 
Grenze der sinnlichen Formen hat die Natur be 
stimmt. Der Künstler kann sie verschönern, aber 
nicht darüber hinausgehen. Ter grbßeste Maler 
wird keine schönere Blume schaffen, als die Rose ist, 
oder keinen schöneren Untergang der Sonne, als der 
in der Wirklichkeit vorgeht. Aber eine schönere 
Landschaft im Ganzen kann er bilden, als sie in 
der Wirklichkeit ist. Denn die Natur hat nicht alle 
ihre Werke vollendet. Sic zerstreute die einzelnen 
Schönheiten der Form. Sie wahrzunehmen und 
harmonisch aneinander zu reihen, har sie dem Geist 
des Künstlers überlassen. Die Andeutung liegt 
in der Natur, die Vollendung in der Idee. 
So ward der Vatikanische Apoll, so das Wunderbild, 
das Rapbael von der Madonna schuf. — Um auf 
die Poesie zurück zu kommen, so wissen Sie Th. 
Fr, daß es nicht genug ist, das in Prosa sich um 
zusetzen, was der Dichter in Versen sagt, — wie sich 
nicht wenige bas Verstehen poetischer Werke denken. 
Fast möchte ich behaupten, baß dann der poetische 
Ausdruck ganz so ist, wie er seyn soll, wenn man 
ihn in Prosa kaum oder gar nicht wiedergeben kann. 
Das ist noch keine Poesie, einen Gedanken in Bil 
der zu hüllen, der sich vielleicht richtiger und ver 
ständlicher ohne Bild aussprechen läßt. Ich möchte 
folgende Verse von Seume (aus dessen trefflichem 
Gedicht: die Gesänge,) 
Wo man sing«, wird man nlchi beraubt, 
Pösewichter haben keine Lieder! 
in keiner Rücksicht poetischer ausgedrückt sehen, ob. 
schon sie wie reine Pro>a klingen. Der natür 
lichste Ausdruck (des Schönen) muß immer der seyn, 
den der Dichter vorzieht. Nur muß er dafür sorgen, 
daß die Natur nicht gar zu natürlich werde. Die 
Sprache hak der Poet mit allen gemein, aber die sei- 
nige unterscheidet sich dadurch, daß sie ungemeine, höhere, 
originelle Ideen ausspricht und harmonich ausspricht. 
Ferner: Die nackte Wirklichkeit will der Zuhö 
rer durchaus nicht im Gedicht, entweder, weil sie 
sich ewig widerspricht, oder weil er das dunkle Ge 
fühl eines Höheren in sich hat, aus dem ihn die 
Wirklichkeit herabzieht. Daraus folgt schon beinahe, 
daß der wahre Dichter, der im Gesänge über das 
Gewöhnliche hinausgeht, auch überhaupt ein unge 
wöhnlicher Mensch fern muß. Aller großer Hand 
lungen und Thaten, die er uns darstellt und schildert, 
muß er selbst fähig seyn. (?) f Die Keime aller Leiden 
schaften und Tugenden müssen in seinem Innern 
verborgen liegen, doch nur das Göttliche in ihm 
muß herrschen. Die Menschheit muß sich spiegeln 
in seinen, Geiste, er muß, ohne vielgeprüfte Erfah 
rung, sich hinein denken können in den Charakter 
des Bösewichts, wie in den des erhabensten Man 
nes. Das alles muß ursprünglich in ihm seyn, 
dann wird er sich selten oder nie eines Fehlgriffs in 
der Charaklerzeichnung schuldig machen. Er beobach 
tet auch, aber ganze Zustände der Menschheit. Das 
Leben tragt er überall in seine Weit, so wie umge 
kehrt der Phantast seine Welt in das Leben tragt. 
Der Schein ist ihm verhaßt, das Affektiere seiner 
Natur zuwider. — Sie fragen mich, ob der Dich 
ter auch immer ein Schwärmer seyn müste? Ge 
wissermaßen, ja! Mil der kahlen Wirklichkeit wird 
und darf der poetische Geist nie zufrieden seyn, und 
eben, indem er sich Genüsse schafft, welche die Wirk 
lichkeit nicht realisiren kann, ist er ein Schwärmer. 
Aber diese Schwärmerei ist lieblich, und da, wo sie 
sich gerne versagt, was ihr das Leben nicht gewäh 
ren will oder kann, edel. Begeistern muß den 
Dichter alles Wahrhafkschöne und Erhabene. Er 
darf nicht befangen, kein System, keine Religion 
ihn» zuwider seyn. Ihm muß alles Symbol werden 
eines schonen harmonischen Ganzen, einer innigen 
Vereinigung der Menschen - und Geisterwelt. — 
Gehen Sie von dem Dichter zurück auf seine Kunst, 
so ist es begreiflich, wir sehr er sie liebt, wie innig 
er sich gleichsam mit ihr verbindet. Sie ist nicht ein 
Talent seines Geistes, sondern vielmehr sein Geist 
selbst. Die drückendsten Umstände des Lebens wer 
den nicht seinen Kunsttrieb hemmen, kein Schicksal 
ganz die Freiheit, die ihm über alles theuer ist, 
fesseln oder zerstören. 
Doch ich komme von meinem Gegenstand ab, 
den ich freilich kaum begonnen hatte. Lassen Sie 
u. s. w. Schreiber. 
(Die Fortsetzung folgt.) 
Nicht-politische Zeitung. Nro. 176. 
Aus Gera, von einem Reisenden. 
!^ie Th-urung dieser Sommers war allgemein: auch in Gera, 
tum freundlichen Städtchen im Reußischc» Voigtland«, zeigte sie 
sich aus eine sehr diUere Weise. Die Armen jammerten laut, 
und die Thräne de« Kummer« so rach den wohlhadendern Mit 
bürger um Hülfe an. Sie traf die Herzen sehr edler Menschen. 
Am Heinrichetage feiert die unter dem Namen Erholung, 
seit einigen Jahre» bestehende Gesellschaft, da« Fest ihrer Stift 
tung gewöhnlich mit ein«» S°u»er und Ball. Der Secretär 
dieser Gesellschaft, der Steuer-Einnehmer Gladitzsch, that den 
Vorschlag, statt dessen, diesmal eine Collecte für die Armen zu 
machen. Man suhlte allgemein, da«, wenn der Arme weint, 
die Freude im theiinehmendcn Herren de« guten Menschen kei 
nen Eingang sinder. Man gab Ball und Fete ans, und be 
reitete sich dafür ei» sehr schöne«, herzruhrende« Fest, da« Fest 
der Wohlthätigkeit. Irre ich nicht, so kamen durch die kollect-^ 
die ein braver alter Mann, der Ehirurgu« Rode, oersönlich ein 
sammelte, über 260 Rthi. zusammen. Die Kunst zu geben, 
ward hier verstanden. Man vertheilte nun nicht da« Geld baar, 
sondern erricht«« zwei Sveisung« - Anstalten, eine im Locale »er 
Erholung selbst, die andere lm Wirkhshause zum Roß. Die 
erstere besorgte der Apotheker Kirchhof, die letztere der Gastwirth 
Weser. Die Armen erhielten Billet«, aus deren Vorzeigung sie 
in der E r h 0 l u n g, eine Portion Essen, bestehend in einem 
Quarr Gemüse uub einem halben Pfund Brodl, in dem Robe 
aber, ein halb Quart Gemüse und ein halb Pfund Fleisch zu 
getheilt erhielten. Dabei wurde der Caleul so getro-en, daß in 
der Erholung die Portion 10 Pfennige, in dem Roße aber^ 
l Groschen der Anstalt zu gehen kam. Auch konntcn Arme, 
die zu keinkm Freibillet hakten gelangen können, für diese We 
nigkeit, Portionen käuflich bekommen. Bei der Austheilun»
	        
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