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ideal, und nur in allem, was die Form betrifft,
den (besetzen der Natur Unterthan seyn. Denn die
Grenze der sinnlichen Formen hat die Natur be
stimmt. Der Künstler kann sie verschönern, aber
nicht darüber hinausgehen. Ter grbßeste Maler
wird keine schönere Blume schaffen, als die Rose ist,
oder keinen schöneren Untergang der Sonne, als der
in der Wirklichkeit vorgeht. Aber eine schönere
Landschaft im Ganzen kann er bilden, als sie in
der Wirklichkeit ist. Denn die Natur hat nicht alle
ihre Werke vollendet. Sic zerstreute die einzelnen
Schönheiten der Form. Sie wahrzunehmen und
harmonisch aneinander zu reihen, har sie dem Geist
des Künstlers überlassen. Die Andeutung liegt
in der Natur, die Vollendung in der Idee.
So ward der Vatikanische Apoll, so das Wunderbild,
das Rapbael von der Madonna schuf. — Um auf
die Poesie zurück zu kommen, so wissen Sie Th.
Fr, daß es nicht genug ist, das in Prosa sich um
zusetzen, was der Dichter in Versen sagt, — wie sich
nicht wenige bas Verstehen poetischer Werke denken.
Fast möchte ich behaupten, baß dann der poetische
Ausdruck ganz so ist, wie er seyn soll, wenn man
ihn in Prosa kaum oder gar nicht wiedergeben kann.
Das ist noch keine Poesie, einen Gedanken in Bil
der zu hüllen, der sich vielleicht richtiger und ver
ständlicher ohne Bild aussprechen läßt. Ich möchte
folgende Verse von Seume (aus dessen trefflichem
Gedicht: die Gesänge,)
Wo man sing«, wird man nlchi beraubt,
Pösewichter haben keine Lieder!
in keiner Rücksicht poetischer ausgedrückt sehen, ob.
schon sie wie reine Pro>a klingen. Der natür
lichste Ausdruck (des Schönen) muß immer der seyn,
den der Dichter vorzieht. Nur muß er dafür sorgen,
daß die Natur nicht gar zu natürlich werde. Die
Sprache hak der Poet mit allen gemein, aber die sei-
nige unterscheidet sich dadurch, daß sie ungemeine, höhere,
originelle Ideen ausspricht und harmonich ausspricht.
Ferner: Die nackte Wirklichkeit will der Zuhö
rer durchaus nicht im Gedicht, entweder, weil sie
sich ewig widerspricht, oder weil er das dunkle Ge
fühl eines Höheren in sich hat, aus dem ihn die
Wirklichkeit herabzieht. Daraus folgt schon beinahe,
daß der wahre Dichter, der im Gesänge über das
Gewöhnliche hinausgeht, auch überhaupt ein unge
wöhnlicher Mensch fern muß. Aller großer Hand
lungen und Thaten, die er uns darstellt und schildert,
muß er selbst fähig seyn. (?) f Die Keime aller Leiden
schaften und Tugenden müssen in seinem Innern
verborgen liegen, doch nur das Göttliche in ihm
muß herrschen. Die Menschheit muß sich spiegeln
in seinen, Geiste, er muß, ohne vielgeprüfte Erfah
rung, sich hinein denken können in den Charakter
des Bösewichts, wie in den des erhabensten Man
nes. Das alles muß ursprünglich in ihm seyn,
dann wird er sich selten oder nie eines Fehlgriffs in
der Charaklerzeichnung schuldig machen. Er beobach
tet auch, aber ganze Zustände der Menschheit. Das
Leben tragt er überall in seine Weit, so wie umge
kehrt der Phantast seine Welt in das Leben tragt.
Der Schein ist ihm verhaßt, das Affektiere seiner
Natur zuwider. — Sie fragen mich, ob der Dich
ter auch immer ein Schwärmer seyn müste? Ge
wissermaßen, ja! Mil der kahlen Wirklichkeit wird
und darf der poetische Geist nie zufrieden seyn, und
eben, indem er sich Genüsse schafft, welche die Wirk
lichkeit nicht realisiren kann, ist er ein Schwärmer.
Aber diese Schwärmerei ist lieblich, und da, wo sie
sich gerne versagt, was ihr das Leben nicht gewäh
ren will oder kann, edel. Begeistern muß den
Dichter alles Wahrhafkschöne und Erhabene. Er
darf nicht befangen, kein System, keine Religion
ihn» zuwider seyn. Ihm muß alles Symbol werden
eines schonen harmonischen Ganzen, einer innigen
Vereinigung der Menschen - und Geisterwelt. —
Gehen Sie von dem Dichter zurück auf seine Kunst,
so ist es begreiflich, wir sehr er sie liebt, wie innig
er sich gleichsam mit ihr verbindet. Sie ist nicht ein
Talent seines Geistes, sondern vielmehr sein Geist
selbst. Die drückendsten Umstände des Lebens wer
den nicht seinen Kunsttrieb hemmen, kein Schicksal
ganz die Freiheit, die ihm über alles theuer ist,
fesseln oder zerstören.
Doch ich komme von meinem Gegenstand ab,
den ich freilich kaum begonnen hatte. Lassen Sie
u. s. w. Schreiber.
(Die Fortsetzung folgt.)
Nicht-politische Zeitung. Nro. 176.
Aus Gera, von einem Reisenden.
!^ie Th-urung dieser Sommers war allgemein: auch in Gera,
tum freundlichen Städtchen im Reußischc» Voigtland«, zeigte sie
sich aus eine sehr diUere Weise. Die Armen jammerten laut,
und die Thräne de« Kummer« so rach den wohlhadendern Mit
bürger um Hülfe an. Sie traf die Herzen sehr edler Menschen.
Am Heinrichetage feiert die unter dem Namen Erholung,
seit einigen Jahre» bestehende Gesellschaft, da« Fest ihrer Stift
tung gewöhnlich mit ein«» S°u»er und Ball. Der Secretär
dieser Gesellschaft, der Steuer-Einnehmer Gladitzsch, that den
Vorschlag, statt dessen, diesmal eine Collecte für die Armen zu
machen. Man suhlte allgemein, da«, wenn der Arme weint,
die Freude im theiinehmendcn Herren de« guten Menschen kei
nen Eingang sinder. Man gab Ball und Fete ans, und be
reitete sich dafür ei» sehr schöne«, herzruhrende« Fest, da« Fest
der Wohlthätigkeit. Irre ich nicht, so kamen durch die kollect-^
die ein braver alter Mann, der Ehirurgu« Rode, oersönlich ein
sammelte, über 260 Rthi. zusammen. Die Kunst zu geben,
ward hier verstanden. Man vertheilte nun nicht da« Geld baar,
sondern erricht«« zwei Sveisung« - Anstalten, eine im Locale »er
Erholung selbst, die andere lm Wirkhshause zum Roß. Die
erstere besorgte der Apotheker Kirchhof, die letztere der Gastwirth
Weser. Die Armen erhielten Billet«, aus deren Vorzeigung sie
in der E r h 0 l u n g, eine Portion Essen, bestehend in einem
Quarr Gemüse uub einem halben Pfund Brodl, in dem Robe
aber, ein halb Quart Gemüse und ein halb Pfund Fleisch zu
getheilt erhielten. Dabei wurde der Caleul so getro-en, daß in
der Erholung die Portion 10 Pfennige, in dem Roße aber^
l Groschen der Anstalt zu gehen kam. Auch konntcn Arme,
die zu keinkm Freibillet hakten gelangen können, für diese We
nigkeit, Portionen käuflich bekommen. Bei der Austheilun»