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Volume Nro. 104, Sonnabend, den 25. May 1805

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue1805 (Public Domain)

durch die Bosheit seiner Feinde, die alle Schonung 
gegen ihn und die übrigen Mitarbeiter an der Ency 
clopädie au« den Augen setzten, schrieb er diesen lan 
gen, sehr langen Dialog, zwischen einem rechtlichen 
Gelehrten und einem literarischen — Lumpenhunde, — 
zarter weiß ich ihn nicht zu nennen, — einem jener 
Menschen, die ihre unvollkommne Anlagen für Talente, 
für einen Beruf zur Wissenschaft und zu den Kün 
ste» ansehn, die aber, weil es denn doch keine Ta 
lente sind, nichts daraus machen können, uud nun 
ins Elend und durch dieses in Verworfenheit und 
Ehrlosigkeit herabsinken: kurz, einem Menschen der 
zur literarischen Canaille gehört, von der Voltaire 
mit Recht sagte, daß sie sehr viel verwor/ener sey, 
als die der Hallen, des FifchmarktS. Diesen Men 
schen laßt Diderot sich selbst als eine der scheußlich 
sten Carikaturen von Niedrigkeit und halbem »Wahn 
sinn bekennen, stellt, wo sich nur eine Gelegenheit 
findet, seine eignen Feinde dem Scheusal als Lama- 
raden zur Seite, und — läßt ihn ein Neffe des be 
rühmten Ccmponisten Rameau seyn, ui» dabei über 
Musik zu rasonniren. Will man dies Buch für eine 
Sitten- und Charakter-Schilderung erkennen, so ist 
eü da« Gemälde eines in der ekelhaftesten Faulniß 
ze, stieße,iden Leichnams; will man es als eine Streit 
schrift betrachten, so ist es eine so boshaft-gemeinte, 
daß man sich mit Widerwillen wegwendet; — und 
was die Kunst-Räsonnement- betrifft, — was von 
diesen nicht zu spät kommt, ist wenigstens in diesem 
Werke sehr am unrechten Ort. 
llebrigenS hat das Buch auch die Vorzüge der 
Ditervkschen Werke: kräftige Zeichnung und lebhaf 
tes Colorit der Schilderungen, philosofhische Unbe 
fangenheit der Ansichten, einen großen Reichthum 
von blendenden und treffenden Restexionen, dir so 
energisch ausgedrückt sind, daß sie ganz eigentlich 
Schlagreden genannt zu werden verdienen. Die 
Uebrrsehung ist so schön, wie man es von ihrem Ver 
fasser erwarten durfte, und Göthe hat einen likerär- 
historifchen Anhang beigefügt, der manche sehr be 
lehrende, interessante Bemerkung erhält. Dor;üglich 
ist das sehr wahr, was 'S. 470 und 471 über die 
Versuche gesagt wird, Schriftsteller, über deren Ta 
lente allein, dem Publikum zu richten gebührt, durch 
Herabsetzung ihres moralischen Charakters zu ve> klei 
nern. — Aber dieses von Göthe gepriesene lind 
übersetzte Buch, ist ja selbst ein solcher Ver'uch? Di« 
Reflexionen und Kunst»Räsonnements sind nur di« 
vergoldete Befiederung des begifteten Pfeiles. den 
Diderot seinen Feknden — Nein, er hak ihn n cht 
abgeschossen. Geschrieben ward das Werk, nach Gö 
thens Berechnung, 1764, gedruckt noch nie. G. M. 
Etwas über den Reim. 
i) ^er Reim ist unstreitig nicht für'S Auge, son 
dern für das Ohr. Denn der Reim besteht im 
Klang«, und das Auge kennt keinen Klang. Der 
Rhythmus geht nicht aus dem einzelnen Buchstaben, 
sondern aus der harnionischen Verbindung und Asso 
nanz einer oder mehrerer Sylben hervor, über di« 
nur das Ohr richten kann und darf. Warum tadelt 
man also die Reime: schweigen und reichen, steigen, 
erbleichen, sagen, sprachen, siechen, liegen — und 
ähnliche? 
Für das Ohr ist hier nur ein geringer Unter 
schieb de« Tons und des Tonfalls. Das Auge dage 
gen fühlt sich beleidigt,'-weil nicht gleiche Buchstaben 
wiederkehren. Das entscheidet hier aber nichts. 
Ueberdies giebt es Wörter, die für's Auge reinien 
und dem Ohr zuwider sind: z. B. Fuß, Gruß — 
ab, Trab — um, Heiligkhum, Troß, groß u. a. 
2) Hat man Grund, Reinie zu tadeln, wo nur 
eine kleine, — fast unmerkliche Verschiedenheit des 
Ton« hörbar wird, wie.z. B- in Seiten Lind meiden? 
Soll man, um 'solche Reime zu vernieiden, einen 
ganzen Gedanken aufopfern? .Der Grundsatz: e« 
muß bei» Dichter nicht schwer werden> seinen Ge 
danken tausendmal umzuformen und zu verändern, 
ist recht gut. Der Dichter muß das auch können. 
Aber nicht immer läßt sich der Gedanke so um- 
schinelzen, daß er nichts dabei an seiner Einfachheit 
und.Natürlichkeit vertiert, «voran dem Dichter, der 
nicht alles Ungewöhnliche auch ungewöhnlich sagen 
will, — doch am »leisten gelegen iss Zn „Tag und 
Dank" macht die Aussprache des d und t allerdings 
einen Unterschied, weniger aber und fast ganz unmerk- 
Iich, wenn unbetviite Endsylben damit endigen. Und 
ist die Forderung nicht übertrieben, einer solchen Klei 
nigkeit wegen — ganze Strophen umzuschnieizen? — 
Zn diese Rubrik gchdren alle, folgende» Reime und 
noch viel mehrere, die hier nicht angeführt werden 
können: Zeiten, weiden, — Leid, Ewigkeit — Rede, 
Drommete, — Rvihe — Lied, errieth — 
Hirte, schwirrte — verbannt, Vaterland — Strande.,, 
verwandte — Gebieter, Lieder — und andere mehr. 
3) Töne, (Vokale) die bei aller Aehnlichkei't 
der Sylben und Buchstaben — eine auffallende Ver 
schiede, ibeik für da« Ohr haben, sind freilich zum 
Reim untauglich, — doch gebrauchen sie unsere größ 
ten Dichter. — Zst die» bloß eine poetische Lizenz, 
oder ist unsere Sprache an ganz richtigen Reimen zu 
arm? Zch glaube dak letztere, denn bei allen Dich 
tern, aus allen Seiten stoßt man auf Reime, welche
	        
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