1805-
Nro. 75.
Montag»
oder
z.
Die Brieflisten vor dem Posthause in Neapel.
cnn man von dem Platze Largo del Castells nach
dem Molo zugeht, so muß man an einem Winkel
(cul de Sac) vorbei, wo am Posttage auf mehreren
hölzernen Tafeln die Listen der angekommenen
Briefe ausgestellt sind. Da findet man jederzeit
ein großes Menschengewimmel, und kann einige Son
derbarkeiten bemerken, die, so viel ich weiß, nur Nea
pel eigen find. Die Briefe sind numerirt, und dir
Namen derer, an welche sie gerichtet sind, nach dem
Alphabet verzeichnet, aber — seltsam genug, — nicht
die Zunamen, sondern die Vornamen. Auch das
gilt nicht einmal von Allen, denn wenn man zum
Beispiel das Glück hat, ein Fürst zu seyn, st) muß
man seine Briefe unter P. (principe) suchen. Nun
kommen eine Menge Leure hieher, die nicht lesen kön
nen, und doch gern wissen möchten, ob Briefe an sie
angekommen sind. Auf diese Unkunde des Lesens
hat ein pfiffiger Kerl die glückliche Spekulation ge
gründet, sich gemächlich zu ernähren. Da steht er
mit einem ganzen Pack weißer Zektclchen in der Hand ;
der Hülfsbedürstige nähert sich ihm, drückt ihm ein
Paar Pfennige zwischen dicFinger, und nennt seinen
Namen. Sogleich durchläuft des Lesers Blick die
Liste: findet er den Namen, so thut er weiter nichts,
als die dabei stehende Nummer auf das Blättchen
schreiben; das giebt er dem Fragenden, der damit in
das Posthaus eilt und seinen Brief ohne Umstände
empfangt. Ob der Empfänger wirklich der rechte
sey? darnach wird nicht gefragt, wenn er nur bas
Postgeld bezahlt. Die Briefe der Fremden wer
den nicht einmal auf die Liste gefetzt, sondern in der
Poststub« alle auf einen Haufen geworfen. Kommt
nun ein Fremder und fragt nach Briefen, so zeigt
man ihm den Haufen, und läßt ihn selbst darin her
umwühlen. Er kaun sich aussuchen, wa« ihm beliebt;
man fodert von ihm keinen andern Beweis, daß er
zum Enipfang berechtigt sey, als die Bezahlung des
Postgeldes. Man kann denken, welche Unordnungen
da vorfallen müssen. Zeder Fremde wird daher wohl
thun, wenn er feine Briefe an einen hiesigen Ban
quier adrefsiren läßt.
Doch geschwind wieder hinaus in den Winkel,
denn der Kerl, der dort die Nunmiern aufzeichnet, ist
nicht der Einzige, der in diesem Winkel eine Silber
grube gefunden hat, nur fördert er die Ausbeute mit
mehr Bequemlichkeit zu Tage, als die übrigen. Es
stehen nämlich hier noch ein halbes Dutzend kleiner
Tische auf der Straße, vor den kleinen Tischen sitze»
ein halber Dutzend Menschen, deren Röcke eben s»
abgetragen sind, als ihrePhysiognomieen. Sie halten
Federn in den Händen, und ejn gefalzter Briefbogen
liegt vor ihnen; sie dürfen die Federn nur in die be-
reitstehenden Dintenfässer tauchen, so sind sie fertig,
nach allen vier Weitenden alle nur erdenklichen Briese
zu schreiben. Ein zweiter Stuhl, dem ihrigen gegen
über, ladet den ihrer Kunst Bedürftigen ein, sich nie
derzulassen, und seine Gedanken, zur fernern Verar
beitung, von sich zu geben. Da kommt denn auch