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Volume Nro. 225., Sonnabend den 10. November

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue2.1804 (Public Domain)

— 38o — 
Nicht-politische Zeitung. Nro. F2. 
Winter-Zeitvertrcsb in St. Petersburg. 
c Fortsetzung von Nr. 
Range der «»eite und im Atter vielleicht tcr erste, ist der 
Englische Klubb, so genannt, weit vorzüglich die Englische 
Faccorei daran Theil nimmt. Er hat bereit» seil bieten Jah 
ren sein eigene« Hau« und zeichnet sich durch eine gewisse Wahl 
seiner Mitglieder aus. Die« ist eigentlich der Klnbb siir die 
vornehmer» Kaufleute aller Nationen, doch enthalt er auch 
viele Personen vom hohen Adel, die hier ihre Sptelparticen 
machen, und zwar zu sehr hohen Preise». Der verstorbcne be- 
riihmte Fürst Be«borodto, die Galovine, die G »l » v- 
kine u. s. w. brachten und bringen zum Theil noch, ihre 
Abende dort zu. Dieser Klubb erlitt auch in den bedenklichste» 
Zeiten nie eine Anscchtung. Zeitungen, Spiel und die Freuden 
der Tafel füllen hier die müßige» Stunden au«. — Die Zahl 
der Mitglieder betaust sich stet« aus mehrere Hunderte. 
Ein ähnlicher Klubb siir hie Mittelklasse der Kaufleute, 
vorzüglich siir die Conimi«, und dann auch sür Künstler, lim 
terbeamt« in den Evllegien.und Gerichien, Schausviclcr, seigere 
Handwerker, ist der Bürgerkiubb, »er in dem schönste» Stadt- 
theile die mittlere Etage eine« sehr weitlausttgen Eckhausc« ein- 
nimmt. Hier ist die GeseUschast täglich am zahlreichsten, denn 
Verheirathtte und Unverl,«rathete au« Len benannten Klassen 
dringen hier gewöhnlich ihre Abende zu. Die Lage in dem 
Mittelvunkte der Stadt, die Gewißheit hier seiye Bekannten 
anzutreffen, die Freiheit, ganz nach seiner Laune den Abend 
hinzubringen, ei» im Ganzen ziemlich guter und wohlfeiler 
Tisch gute« Getränk, haben siir d,e meisten Mitglieder so viel 
Anziehende«, dag sie ungern einen Abend vorbei gehen lassen, 
»hne ihr GIa«chcn Punsch in diesem Klubb zu trinken. Auch 
zieht manchen die Dcaucmlichkeit, seine politische Neugier zu be 
friedigen dahin, denn hier trifft man in einem eigenen dazu be- 
stimmten Zimmer fast alle Deutsche politischen Blakttr, Vom 
Reich» - Anzeiger bi« aus da« politische Journal, und auch Eng 
lische Zeitungen an; außerdem noch verschiedene nMit - politische. 
Was sur Eine» oder de» Andern ein besondere« Interesse hat, 
rvird denn auch wohl »uegerisse» au« dem hölzernen Leserah 
men, worin sie unter Schloff liegen, und eingesteckt. — Bor- 
,»glich behauptet man, daff Deutsche Schauspieler oft den 
Freimüthigen so lieb gewonnen haben. Der Haupt-Zeitvertreib 
ist aber auch hier da« Boston, und die Mitglieder diese« 
Klubb« sind so berühmt als Virtuosen in diesem Spiele, daff 
man in andern Gesellschaften sich nur mtt einer heiligc» Scheu 
mit ihnen »um Spiele setzt. L'Hombre-Partien sind selten, 
»her stiidet man Piket und Schach, in welchem letzter» Spiele 
e« inehrcre Meister giebt, so wie auf dem Billard, deren hier 
zwei fast stet« besetzt sind. Billard, Karten und Getränke ge 
hören zur Einnahme der Gesellschaft und tragen beträchtliche 
Suiiimen ein, da« Essen besorgt der Sckonom, dem auch der 
Punsch überlassen ist; dagegen gebort Tischzeug und Silberzeug 
nebst alle»! übrigen Gerarhe dem Klubb, Um ir ubr wird 
der Klubb geschlossen, den Tag über ist er selren ganz »ecr. 
Die »leisten der unv-rbeiralhe.cn Mitglieder, vorzüglich an« 
dem Kausmannsstande, nehmen an dem Mttrag«l,s»e Theil, 
der sehr mäßig im Preise und immer sehr besetzt ist. uebri- 
gcn« steht e» einem leben frei zu verzehren «a» vnd wieviel ex 
will. auch gar nicht«, wenn e« ihm nicht beliebt, unttr rer 
vorigen Regierung wurde dieser Kiubb geschlossen; gleich im 
erste,, Jahre der ictzigon aber wieder eröffnet, und diese Unter 
brechung halte sür die «esellschast den Vortheil, daß sie dadurch 
sich selbst rcknizke. — Die Ursache, »aß ste geschlossen wurde, 
lag wo bi mit darin, daß bei dem Znsammenstnffe so vieler 
Mrnichen an« alle» Standen, worunter sich natürlich auch viel« 
geschäftige Müffigganger und Ncnigkntskramer fanden, dieser 
Kiubb gleichsam bie Niederlage und »ft anch »er Gerichtshof 
der Begebenheiten de« Tage« war. Hter wurde dann und wann 
ein wenig getannegicffcrt, der Punsch schloff dann oft da« Herz 
aus und e« traten Urchetle hervor, die man sonst eben nicht 
laut werde» ließ, auch fand woist zuweilen ein kleiner vorwitzi 
ger Widerspruch gegen die Dictakur der Polizei -osstciere Stall, 
und was der Grunde in jenen Zetten noch mehrere se»n moch 
ten. — Jetzt laßt man die allen friedlichen Bürger bei ihrem 
Psetsche» Liihig »otirisireii, und da« Deutsche Theater ist siir 
viele dort eine reiche Fundgrube an Unterhaltung. — Bor der 
Periode ilwcr Regen« atton wurde der Ealharineiitag mit ei 
nem Balle gefeiert. Jede« Mitglied erhielt gegen eine» sehr 
mäßige» Beitrag, sür pen die Erleuchtung und Muht bestrit 
ten wurde, zwei Damenbiilettc und e« wurden auch niehrerc 
Gastbillettr «»«getheilt. Daß an diesem Abende keine der ehr 
baren Handwerk»-Frauen und Töchter, deren Männer, Daker 
oder Bruder Mitglieder waren — »nd deren gab c« damal« 
eine grob« Zahl, — von dem Balle wegblieb, »ersteht sich von 
selbst. Doch drängten sich auch wohl Damen höherer Stande 
hiuzu, die sonst vielleicht mit Naserümpfen auf den Bürgerktubb 
herabsahen. Freilich gingen sie auch diekmal in inner affvern 
Absicht hi», a» um an Orr und Stelle selbst da« Naschen zu 
rümpfen und Stoss zur Thee - Unterhaltung sür cmige Wochen 
,u gewinnen; denn als Ball krönte diese Eesellschast wobt we- 
ulg Reizende« haben. In einem Lokal, welches eben groß ge 
nug ist einige bunbert Mttgliedcr mit Beanemiichtett zu fasse«, 
preßten sich setz« Tausende zusammen. In den Sälen wo ge 
ranzt wurde, waren erhöhte Banke an den Wanden umher, wo 
da« schone Geschlecht ln bnnlcr Mischung von alle» Standen, 
alle» Nationen, alle« Familien, allen Anzügen und Aussätze» 
Platz nahm. Die Instwandelndeu Hrrreu füllien den großien 
Theil de« übrigen Raum« an« und sür die Tanzenden blieb 
äußerst wenig Platz. Da« Gedränge, die Ansdimstungen der 
Menschen, die einer Wolke gleich sich an der ober» Decke la- 
gcrieu, der Dampf und die Glut der Wachkkcrzcu, in de» 
Nebenzimmern der Tabacksrauch, da« beraubende Getose der 
Instrumente da« hin und her Wogen der ganzen Masse, wahr 
lich die« erforderte eine» überwiegende« Genuß, wenn e< nicht 
unerträglich werden sollte. Auch schwur ein Jeder, wenn er 
den Ball verließ, die« solle das Letztem»! sinn, daß er für seine 
Person Narr genug gewesen wäre, daran Theil zu nehmen, 
und i« künftige» Jahr war er doch gewiß wieder da. Aber 
iM Grunde gewahrte ein solcher Abend auch reichllcheu Ersatz 
für alle diese unkequemlichketten, denn die droUigstcn Erschei-' 
nnnaeu die settsaiusten Abcniheucr die kelustigendste» Jnttigucn 
iu unerschöpflicher Mannigfaltigkeit sesseiicn die einen; Reich 
thum , Luru« Moden, Schönheit die andern z fremdartige 
Mischung der Sitten, »er Belker, »er Stande die »ritten; und 
die gutmüthigen Geschöpfe, die cigenUich um de« Batte« willen 
selbst da waren und da« ganze Schauspiel in unschuldiger Un 
wissenheit aufführten, hatten ja auch ihren Genuß. Daß hier 
tw»i die Rede von denen Frauen und Töchtern lener Stande 
iß, welche durch Reichthum und Derbiudtingcn sich an den 
Kausmannkstand anschließen, an den öffenilichc» Tanzgesell- 
schasten mit dem mittlern Adel, ja wohl selbst mtt Fürstinnen 
Antheil nelmicn, verstellt sich ungesagt, denn diese sind von den 
»prnehmern Standen weder in Politur noch Kul or im gertna- 
ften zu unterscheide«. An diesen, Abende holte aber auch die 
Frau, die keine Ansrrüche auf Theilnahme an den Freuden der 
höher» Stande macht, ihre stoffene gedlümte Roberonde »der 
«hri-nue, die seit dem Hochzeitstage ihrer vuserstehung in dem 
K.nicu unter dem r-ettc ruhig entgegen gesehen hatte, hervor, 
setzte da« Holle Kopszeug mtt de«, feurige« Bande oder »er künst 
liche» Rosenguiriandc auf, und schmück« da« Töchkcrchea «>i 
allen Landern und Kränzen, die nur aufzutreibca waren. 
— N — 
(Di« Fortsetzung folgt.)
	        
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