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Volume Nro. 154., Freitag den 3. August

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue2.1804 (Public Domain)

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Erinnerungen aus dem verflossenen Kriege. 
(Fortsetzung.) 
Sechster Brief. Nov. 1795. 
onntags den 1. Nov. 1795. Schon in der 
Nacht hatte ich den Bauern die erhaltene Requkfi- 
tion verdeutscht; am Morgen schreibe ich für sie 
eine Vorstellung, zeige darin die Unmöglichkeit an, 
gleich Brod zu liefern: — auf den Mühlen kann 
nicht geniahlen werden, die Müller sind durch Miß 
handlungen zum Fortlaufen gezwungen; das Mehl 
ist theils geraubt, theils verschüttet, und was übrig 
ist, kann nicht gebacken werden, weil die Plünderer 
es halbgebacken aus dem Ofen holen, — ich bitte 
deswegen um Sauvegarde. — 
Schon mit Tagesanbruch fing das Plündern 
wieder an, auch in unserm Hause, und dauerte fast 
den ganzen Vormittag ohne Unterlaß fort. Du fragst, 
was konnte man denn nun noch plündern? Ze nun, 
viele suchten auch bei aller Anstrengung vergebens, 
andere begnügten sich mit dem, was die vorigen nicht 
gemocht, oder nicht gefunden hatten. *) 
Der vermaledeite Jude, der Freund meines Hem 
des, hatte sich wieder eingefunden, und einen alten 
Ueberrock aufgepackt und gleich angezogen. Da sah 
ich erst ganz, wie schlecht der Flausch war. Er paßte 
zu dem Menschen. — Auch mein Hemd nahm er 
wieder in Anspruch, und die liebe Hallische Zacke, 
welche noch ganz staubig war, von den Vorlesungen 
über das Naturrechl und dergleichen. Den Hals 
durft ich dem Burschen nicht brechen, wegen seiner 
Kameradschaft, dabei ging er mir mit dem Bajonet 
zu Leibe; ich fing also schon an, mich zu entkleiden, 
als die andern, welche ich indesten haranguirte, den 
Teufelskerl wegtrieben, der seitdem auch nicht wieder 
erschien. — Auch unter Räubern giebt es Grada 
tionen. 
Zn einem Moment, wo kein Besuch (der Haupt- 
sinn liegt in der letzten Silbe,) da war, versteckte 
ich meinen so hoch beneideten Staat und hüllte mich 
in einige Lumpen des l’astoris loci, welche auch der 
schuftigste Plünderer nicht gewollt hatte: Z. B. ein 
Paar sammrue Beinkleider, welche ein Volontär schon 
dis vor das Dorf geschleppt und da, als völlig un 
nütz, wieder weggeworfen hatte, und alles so nach 
«ävsnant. wie der Riese Goliath — Mehreren 
Leuten und auch uns, wird nun das kaum das halb 
gebackene Brod aus de,: Backöfen gestohlen. Ein 
Detachement Reute, kommt, um der Requisition Nach 
druck zu geben; wir erzählen ihnen das Schicksal un 
serer Bäckerei, und bitten Sie al« tzfauvegarde da zu 
bleiben, und die Backöfen zu bewachen. Liner bleibt, 
und die übrigen ziehen weiter, er kann aber die Vo 
lontärs nicht zurück halten; er sprengt fort, — sie 
lachen ihm nach, — er kommt mir einem Detache 
ment zurück, welches sie endlich zur Ordnung zwingt. 
* j Indem mein Bruder des Morgens den ersten die Thüre 
»statte, rissen sie ihm gleich feiu: daumwoirtrik Mutze von dem 
verwundeten Loose. 
Endlich sind 66 Laib gebacken; ein anderes Dorf lie 
fert 200 ta|u; es will sich die Mühe erlparen, sie 
eine halbe Stunde weiter ins Hauptquartier zu tra 
gen, und dies uns überlasten. Wir bestrafen sie für 
den Egoismus, wie sichs gebührt. 
Es ist indesten Mittag und ich habe noch nichts 
gegessen. Mehr aus Neugier, wie sich der Mensch 
benehmen würde, als aus Hunger, estuche ich einen 
Volontär, der an einer Portion halbgebackenenBrod- 
leigs nagt, mir einen Theil zu überlasten; gumiü- 
thig reicht er mir die beste Hälfte dar, und wir hal 
ten zusammen ein Mahl auf offener Straße, eu 
freres et Compagnons. Doch ich konnte nur we 
nig vcn dem ab'icheulichen Fraß hinunter bringen. 
Gutmüthig sich entschuldigend sagte er: was kön- 
nen wir anders thun? Unsere Commistare sind Spitz 
buben, sie sorgen nicht für uns, nur tür sich. Sie 
geben uns kein Brod, indesten sie schwelgen. Wir 
müssen uns also selbst welches zu verschaffen suchen. 
Daß dabei Unordnungen vorfallen, ist natürlich; 
das Elend der Einwohner ist groß, aber das der 
Soldaten ist noch viel größer! — Ich fühlte, daß 
er Recht hatte. Diese Kriegskommiffäre sind dieHaupt- 
quellen unserer Uebel. Wenn tausend von ihnen ge 
hängt würden, würde noch nicht zehn Unrecht ge 
schehen. — Doch waren dadurch nicht alle enrschul- 
digr; viele ließen Eßwaaren unberührt, und plünder 
ten nur Geld und Geldeswerth. 
Zudem ich mich noch mit dem Manne unter 
hielt, trat ein Naiionalgarde zu mir, dessen Miene, 
Gutmüthigkeit und tieses Elend verrieth. Freund 
lich nahm er mich bei der Hand, und fragte mit ei 
ner geyeiMnißvollen Mine: V OUS etes le rninislre? —• 
üui, t.itoyen! — Vous etes Calvinistc ? — Oui, 
]e suis Protestant. — Ah vous ttes Calviniste, 
je l’ai deja entendu. Moi, je suis aussi Calvi* 
niste. *) Und nun konnte er seine rechtgläubige, 
aber dabei äußerst gutmüthige Freude nicht genug zu 
erkeiiueii geben. Er erkundigte sich eitrig, oö iueh- 
rere Caioinssche im Doste wären; ob sie eine Kirche 
im Dorfe hätten, und dergleichen. Der Gedanke, sich 
unter so vielen Brüdern in Calvin, zu befinden, schien 
ihn recht innig zu ergötzen. Anfangs ekelte nur vor 
dem enksetzitchen Beinamen Calvinisch. AderdaS 
Ohr gewöhnt sich an alles; besonders, wenn ein 
Beiname mit soviel inniger Freude und Liebe ausge 
sprochen wird, und wenn man ganz andere Denen- 
nungen, die ich nicht wiederholen mag, von dem 
rohen Hausen hören muß. 
Zch führte den Bruder Calvin ist ins Haus, es 
jammerte ihn herzlich, als er den Gräuel der Ver 
wüstung seh: 9a i'ait pitic! — Ah, ejue 9a fait 
pitid rief er einmal über das andere. Alle Kleinig 
keiten, die noch in den Zimmern umherlagen, sam 
melte er, rieih uns sie zu verstecken, und gab gute 
Anschläge dazu. 
Gleichgültig bat ich ihn, zu nehmen was ihm 
dienen könne; er behielt aber nicht das Geringste für 
sich. Er ruhte nicht eher, als bis ich ein altes zer- 
•) Sind Sie der Predig»? — Ja, Bürg». — Sie find 
ein Caldinist? — Ja, ich ist» ei» Protestant. — «ich, ste 
find c>U»lNistbj ich habe es schon gehört; ich din auch ein Lat- 
»iutfcher.
	        
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