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Erinnerungen aus dem verflossenen Kriege.
(Fortsetzung.)
Sechster Brief. Nov. 1795.
onntags den 1. Nov. 1795. Schon in der
Nacht hatte ich den Bauern die erhaltene Requkfi-
tion verdeutscht; am Morgen schreibe ich für sie
eine Vorstellung, zeige darin die Unmöglichkeit an,
gleich Brod zu liefern: — auf den Mühlen kann
nicht geniahlen werden, die Müller sind durch Miß
handlungen zum Fortlaufen gezwungen; das Mehl
ist theils geraubt, theils verschüttet, und was übrig
ist, kann nicht gebacken werden, weil die Plünderer
es halbgebacken aus dem Ofen holen, — ich bitte
deswegen um Sauvegarde. —
Schon mit Tagesanbruch fing das Plündern
wieder an, auch in unserm Hause, und dauerte fast
den ganzen Vormittag ohne Unterlaß fort. Du fragst,
was konnte man denn nun noch plündern? Ze nun,
viele suchten auch bei aller Anstrengung vergebens,
andere begnügten sich mit dem, was die vorigen nicht
gemocht, oder nicht gefunden hatten. *)
Der vermaledeite Jude, der Freund meines Hem
des, hatte sich wieder eingefunden, und einen alten
Ueberrock aufgepackt und gleich angezogen. Da sah
ich erst ganz, wie schlecht der Flausch war. Er paßte
zu dem Menschen. — Auch mein Hemd nahm er
wieder in Anspruch, und die liebe Hallische Zacke,
welche noch ganz staubig war, von den Vorlesungen
über das Naturrechl und dergleichen. Den Hals
durft ich dem Burschen nicht brechen, wegen seiner
Kameradschaft, dabei ging er mir mit dem Bajonet
zu Leibe; ich fing also schon an, mich zu entkleiden,
als die andern, welche ich indesten haranguirte, den
Teufelskerl wegtrieben, der seitdem auch nicht wieder
erschien. — Auch unter Räubern giebt es Grada
tionen.
Zn einem Moment, wo kein Besuch (der Haupt-
sinn liegt in der letzten Silbe,) da war, versteckte
ich meinen so hoch beneideten Staat und hüllte mich
in einige Lumpen des l’astoris loci, welche auch der
schuftigste Plünderer nicht gewollt hatte: Z. B. ein
Paar sammrue Beinkleider, welche ein Volontär schon
dis vor das Dorf geschleppt und da, als völlig un
nütz, wieder weggeworfen hatte, und alles so nach
«ävsnant. wie der Riese Goliath — Mehreren
Leuten und auch uns, wird nun das kaum das halb
gebackene Brod aus de,: Backöfen gestohlen. Ein
Detachement Reute, kommt, um der Requisition Nach
druck zu geben; wir erzählen ihnen das Schicksal un
serer Bäckerei, und bitten Sie al« tzfauvegarde da zu
bleiben, und die Backöfen zu bewachen. Liner bleibt,
und die übrigen ziehen weiter, er kann aber die Vo
lontärs nicht zurück halten; er sprengt fort, — sie
lachen ihm nach, — er kommt mir einem Detache
ment zurück, welches sie endlich zur Ordnung zwingt.
* j Indem mein Bruder des Morgens den ersten die Thüre
»statte, rissen sie ihm gleich feiu: daumwoirtrik Mutze von dem
verwundeten Loose.
Endlich sind 66 Laib gebacken; ein anderes Dorf lie
fert 200 ta|u; es will sich die Mühe erlparen, sie
eine halbe Stunde weiter ins Hauptquartier zu tra
gen, und dies uns überlasten. Wir bestrafen sie für
den Egoismus, wie sichs gebührt.
Es ist indesten Mittag und ich habe noch nichts
gegessen. Mehr aus Neugier, wie sich der Mensch
benehmen würde, als aus Hunger, estuche ich einen
Volontär, der an einer Portion halbgebackenenBrod-
leigs nagt, mir einen Theil zu überlasten; gumiü-
thig reicht er mir die beste Hälfte dar, und wir hal
ten zusammen ein Mahl auf offener Straße, eu
freres et Compagnons. Doch ich konnte nur we
nig vcn dem ab'icheulichen Fraß hinunter bringen.
Gutmüthig sich entschuldigend sagte er: was kön-
nen wir anders thun? Unsere Commistare sind Spitz
buben, sie sorgen nicht für uns, nur tür sich. Sie
geben uns kein Brod, indesten sie schwelgen. Wir
müssen uns also selbst welches zu verschaffen suchen.
Daß dabei Unordnungen vorfallen, ist natürlich;
das Elend der Einwohner ist groß, aber das der
Soldaten ist noch viel größer! — Ich fühlte, daß
er Recht hatte. Diese Kriegskommiffäre sind dieHaupt-
quellen unserer Uebel. Wenn tausend von ihnen ge
hängt würden, würde noch nicht zehn Unrecht ge
schehen. — Doch waren dadurch nicht alle enrschul-
digr; viele ließen Eßwaaren unberührt, und plünder
ten nur Geld und Geldeswerth.
Zudem ich mich noch mit dem Manne unter
hielt, trat ein Naiionalgarde zu mir, dessen Miene,
Gutmüthigkeit und tieses Elend verrieth. Freund
lich nahm er mich bei der Hand, und fragte mit ei
ner geyeiMnißvollen Mine: V OUS etes le rninislre? —•
üui, t.itoyen! — Vous etes Calvinistc ? — Oui,
]e suis Protestant. — Ah vous ttes Calviniste,
je l’ai deja entendu. Moi, je suis aussi Calvi*
niste. *) Und nun konnte er seine rechtgläubige,
aber dabei äußerst gutmüthige Freude nicht genug zu
erkeiiueii geben. Er erkundigte sich eitrig, oö iueh-
rere Caioinssche im Doste wären; ob sie eine Kirche
im Dorfe hätten, und dergleichen. Der Gedanke, sich
unter so vielen Brüdern in Calvin, zu befinden, schien
ihn recht innig zu ergötzen. Anfangs ekelte nur vor
dem enksetzitchen Beinamen Calvinisch. AderdaS
Ohr gewöhnt sich an alles; besonders, wenn ein
Beiname mit soviel inniger Freude und Liebe ausge
sprochen wird, und wenn man ganz andere Denen-
nungen, die ich nicht wiederholen mag, von dem
rohen Hausen hören muß.
Zch führte den Bruder Calvin ist ins Haus, es
jammerte ihn herzlich, als er den Gräuel der Ver
wüstung seh: 9a i'ait pitic! — Ah, ejue 9a fait
pitid rief er einmal über das andere. Alle Kleinig
keiten, die noch in den Zimmern umherlagen, sam
melte er, rieih uns sie zu verstecken, und gab gute
Anschläge dazu.
Gleichgültig bat ich ihn, zu nehmen was ihm
dienen könne; er behielt aber nicht das Geringste für
sich. Er ruhte nicht eher, als bis ich ein altes zer-
•) Sind Sie der Predig»? — Ja, Bürg». — Sie find
ein Caldinist? — Ja, ich ist» ei» Protestant. — «ich, ste
find c>U»lNistbj ich habe es schon gehört; ich din auch ein Lat-
»iutfcher.