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pfangen soll, gern überhoben wäre, aber sich ihr
gleichwohl unterwirft, weil es weiß, daß Papa und
Mama es lieb haben, und daß es — die Tafte nicht
hätte zerbrechen sollen. Umsonst wendet der Dichter
alle Kraft seines wirklich sehr großen Talente auf,
die einzelnen Momente, die einzelnen Regungen
schön auszudrücken: nichts erhebt seine Charaktere
über die Winzigkeit, zu der sie das Schicksal herab-
Lrückt. Sobald der Knecht Ruprecht aufgetreten ist,
so ist alles, was vor ihm zu Winkel kriecht, Kind,
sollt' es auch einen Bart haben.
Doch genug des Tadels. Ich fühle, daß ich,
bloß aus Verdruß darüber, Herrn Collin fein Ta
lent so mißbrauchen zu sehen, bitter werde. Kein
Wort also mehr über die Fehler des Stücks: jetzt
von seinen Vorzügen,, deren cs in Rücksicht auf das
Detail sehr viel hat.
Es hat mehrere Momente, die vortrefflich, bald
erschütternd, bald sehr rührend, sind. Dahin gehört
zum Beispiel jener, in weichem Kalchas seinen Traum
erzählt, und sich dieser vor den Augen der Hören
den realisirt; dahin die Scene, in welcher Polyxena
dem vor Liebe glühenden Neoptolem erklärt, sie
liebe nur seinen Vater; er werde, selbst wenn er sie
zwinge, seine Gattin zu werden, noch im Elysium
sie nur jenen allein lieben sehn, ihr in weiter Ent
fernung ■ durch die Lustgefilde folgen; dahin gehört
ferner die Scene, in welcher Kaftandra sie zum Tode
bereitet.
Auch ist die Wallung der Gefühle vorzüglich
im Gemüthe Polyxena's und Kassandra's, hinreißend
zart und schön ausgedrückt. In dieser Rücksicht steht
Collin keinem andern unsrer Dichter nach, — nur
Schade, daß durchaus im Stücke nur Wallun
gen, nicht wirksame Ausbrüche und Stürme der Lei
denschaft Statt finden konnten.
Die Diktion ist durchaus rein, edel, nicht sel
ten erhaben; — das Fortströmen der Verse, vorzüg
lich in den lvrischen Reden Kaftandra'S, voll bezau
bernden Wohlklanges, und der Gang der Gedanken
echt lyrisch. Doch alle diese Schönheiten eignen das
Werk mehr zum Lesen, als zum Aufführen. Zu dem
ersten empfeh!' ich es mit Warme; — auf der
Dü hne kann es kein Glück machen, denn es hat
nur' für die Phantasie Leben, nicht für die Dar
stellung.
Die Form des Ganzen ist Schiller'« Nachah
mung der Alken nachgeahnit. Auch Collin laßt in
den meisten Scenen die Rede' aus dem jambischen
Maaße in lyrische Versmaaße übergehen. Auch be
st!, ließt er jeden Akt (die Benennung: Abtheilung,
ist eine Spielerei,) nnt Chören, *) die, ohne daß
der Vorhang sinkt, am Schiulfe jedes Aktes gesun
gen werden sollen. Diese Idee (sie wurde auch
schon im Freimüthigen, wo ich nicht irre, von Hrn.
Schreibern, aufgestellt,) scheint mir glücklich für
Stücke dieser Art, in denen im Grunde keine Hand
lung ist, und die für uns ins Reich der Wundermähr-
chen gehören: sonst aber möcht'es wohl befter seyn, s«
oft ein Ruhepunkt in der Handlung eintritt, die idea-
tische Welt, die wir vor unö in Handlung sehn, durch
das Niedersinken des Vorhanges ganz verschwinden,
als in derselben etwas vorgehen zu lassen, daß mit
dem Uebrigen beinah eben so wenig zusammenhängt,
als diese Welt selbst mit der unsrigen.
G.M.
Der moralische Krämer.
Eine wahre Geschichte.
err Falsing ein ehemals sehr berühmter Kauf
mann und Spekulant in Z, war durch verschiedene
Unglücksfällc ganz heruntergekommen. Indeß, es
leben die guten Köpfe! — Sie bahnen sich allenthal
ben, und unter allen Umständen neue Wege! Herr
Falsing hatte in seinem Laden nur noch einen unbe
trächtlichen Uebei'rest öfter,,lahmer Schecren, verrostete
Degen, und Biegeleisen, Haarnadeln, Schachteln,
Dosen, u. s. w. Einst, als er trübselig zwischen al
len diesen Raritäten stand, fuhr er auf einmal wie
begeistert auf. „Ha! rief der philosophische Handels-
mann: — ist nicht die Welt ein große» Puppen spiel?
Lauter Possen, zehnmal unbedeutender wie diese um
mich her, werden geiucht, geschätzt, — angebetet; —
alles dreht sich zur Posse, und selbst die ernsthafteste
Sache von der Welt wird dazu gemacht. Wohlan, —
ich will diesen Possen - Geist des Zeitalters beuutzeo, —
ich will ein geschmackvoller Moralist werden, und in
kurzer Zeit die ganze elegante Welt vor meinen La
den zaubern!" —
Gesagt, gethan! Bald ward Herr Falsing unter
dem Namen des moralischen Krämers das Gerede
der ganzen Stadt. Ein Fremder, der nicht in Fal-
sings Bude gewesen war, wurde dem gleich gehalten,
der nicht in Rom dem Pabst die Sohlenspitze geküßt
• ) Schill» rilgt tu seiner Vorrede >nr Braut von Meß
stna bin», daß man bei der Tragödie »o, Chöre» spreche,
ii. s. w. Jemand har im Freimüthigen aufmerksam gemacht,
daß Schiller s,ch selbst diese« Ausdruck« bedient habe. Da«
war eigentlich «berstuM. Schiller« Rüge bewies nur, daß —
Aerger in sein» Seele sey, daher schwieg derjenige, ge
gen den ste eigentlich gerichtet war. Der Chor lg die tdeal»-
sche Person dcr alten Tragödie, der Todte, den Schiller oer-
gcbcn« persuchre wandeln zu machen. „ Die Chöre, " ist die
kürzeste und ».»sciidste Benennung der Reden, welche die äit»--
th ilungen de« Chor« wechseln.