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Volume Nro. 84., Freitag den 27. April

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue2.1804 (Public Domain)

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gekwelbe. e) SXefmslr von Zweschin. 
d) Wolfram von Eschilbach, (drck erbare 
Ritter und sehr vernünftig.) o) Bitte 
rolf, (Peter Olp) und k) Heinrich von Of- 
kerdingen; (zwei Bürger von Eisenach, und — 
aller Schönheit wackere Antreiber!) 
Der vornehmste unter diesen Dichtern, die sich durch 
edle Wettkämpfe zum Gesänge ermunterten, war,— 
hei dieser Begebenheit, — unstreitig Heinrich von 
Ofterdingen, der an dem Hofe des Herzogs von 
Oesterreich, Leopolds des Siebenten, eine Leitlang 
sich aufgehalten, auf feinen Reisen viele Kenntnisse 
sich erworben hatte, und das Lob dieses berühmten 
Fürsten überall, wo er nur konnte, in feine Gesänge 
einmischte. Dies war auch der Grund' zu dem 
Kriege auf Wartburg. Denn Walter und Bitterolf, 
und vorzüglich Heinrich Schreiber, eifersüchtig auf 
das Lob, das Osterdingen einem fremden Fürsten er 
theilte, vielleicht auch ein wenig neidisch auf die Vor 
züge und die Begeisterung dieses Sängers, — fetz-, 
ten sich ihm mit vereinten Kräften entgegen, rühm- 
len Herrmanns Milde und Herrmanns Tapferkeit, 
und so entstand ein ernstlicher Wettstreit, der erst 
»ach einigen Zähren durch den Ausspruch des ange 
sehensten Dichters seiner Zeit geendigt werden konnte. 
Ehe wir uns über diese Begebenheit weiter ein 
lassen, sei es mir vergönnt, über das Wesen der 
eigentlichen Minnesängerei überhaupt, so wie über 
das in der Folg« entstehende Unwesen, nur ei 
sige Worte zu sagen. Der einfache, zauberschöne, 
romantische Geist, oder — aber ich mochte weht 
sagen, wenn ich nicht misverstanden würde, — in 
einem neuen Bilde: das Gemüth dieser Poesie — 
ward vorher weder von Griechen noch Römern, noch 
von irgend einem Volke der alten Welt gekannt. 
Bei Griechen und Römern war die Poesie hohe, 
schöne, ästhetische Kunst, — bei andern minder kul- 
tivirten Völkern reine Natur, — bei den Sän 
gern dieses Zeitalters feinst von beiden. 
Sie war vielmehr eine aus empfindsamer 
Liebe, (die der Platonischen ähnlich, — aber im 
Ganzen sehr verschieden von ihr war,) aus sonder 
baren Begriffen von Ritterthum, mystischer 
Religion, aus zarter Empfindung für Ehre, und 
für das Heilige im. Menschen, und in der Na 
tur, — so wie aus Orientalischen Bildern und 
Zdeen — zusammengesetzte G efü h lsp oesie. Sie 
hatte keine Mythologie, als die der Liebe und des 
Glaubens; (daher die Venus und die heil. Zonq- 
ln- in bcn ältesten Chroniken nie von Deldek ober ber 
Schreiber genannt wirb, unb seine Lieber auch von bene» beö 
Heinrich von Leibet sehr verschieben stnb. 
frau oft wunderbar in diesen Dichtungen verflochten 
sind,) sie wollte nichts, als die Regungen des mensch 
lichen Gemüths, in so fern sie Liebe, Genuß oder 
Sehnsucht betrafen, andeuten, und in süßen Tönen 
gleichsam auögirren; sie band sich an kein Syl- 
bcnmaaß, sondern suchte nur den Reim, als die 
iinmer wiederkehrende Ruhe der Empfindung. 
Es weht in diesen Liedern (von denen uns nur 
einzelne Laute, und leise Nachklänge später Dichter 
übrig geblieben sind,) kein wilder kriegerischer Geist, 
kein Helden - Enthusiasmus, wle in den Gesängen 
der alten Barden, keine Philosophie des Lebens und 
ber Natur, wie bei dem unsterblichen Venusiner, 
kein lyrischer Schwung, wie bei diesem und Pin- 
dar, — sondern daü Reich dieser Gesänge ist das 
Reich schöner Empfindsamkeit,— von der 
freilich nur ein Schritt zur Empfinde! ei ist. Auch 
Katull sang Liebe, — auch Ovid klagt Elegieen, die 
ihm der Schmerz der Trennung eingab, aber wie 
so ganz verschieden sind diese — oft sinnlichen 
Ergüffe einer schwelgenden Phantasie, von der zärt 
lichen Leidenschaft, von der rührenden frommen 
Sehnsucht, die in diesen Gemüthern wohnt, in die 
sen Liedern sich ausspricht? Aber auch den Sinn 
für diese Poesie brachte jeder Hörer danials mit, und 
in dieser Hinsicht lebte mau ein poetisches Leben, 
und genoß einer dichterischen Wirksamkeit. 
Wenn die zarte Pflanze der Poesie erst auf 
keimen soll, so muß man sic nicht in ein kritisches, 
ausgebildetes Zeitalter versetzen. Deswegen ist die 
Kritik an sich nicht tadelnswerth; sie ist vielmehr 
höchst nothwendig, sobald das Zeitalter zur höchsten 
Aufklärung, zur Kunst und zum Geschniack sich er 
hebt. Dann aber muß auch die Poesie eine Kunst 
seyn, die den Ausspruch der Kritik nicht fürchten 
darf-. 
Man muß daher nie die Zeit, (oder, wenn sie 
vorüber ist, den Begriff der Zeit,) von der Sache 
trennen, die wir hören und beurtheilen. Zene 
Gedichte entzücken uns zum Theil, wenn wir uns 
in die alte wunderbare Zeit zurücksehen, wo alles 
das im Herzen so war, wie es in diesen Liedern 
geschildert wird, eben so religiös, so mystisch, und 
für den Glauben an das Unsichtbare, an Liebe und 
Zauberei — empfänglich. Wer aber jetzt, — und 
wäre es auch ganz in dem Sinne, jener Verfasser— 
»och solche Lieder dichten wollte, würde seinen End 
zweck schwerlich erreichen, da jene Zeit vorüber ist. 
und nur ihr wirklicher Nachiaut unser Mitgefühl 
erwecken kann. 
Alle Herzen belebte damals ein Interesse, ein 
gleiches Gefühl für das Wunderbare der Liebe
	        
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