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Volume Nro. 43., Donnerstag den 1. März

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue2.1804 (Public Domain)

v 
1804. 
D e r 
Donnerstag, 
E r n st 
ARISTIDES. 
Freimüt 
Kant, in seiner letzten Lebenszeit. 
Königsberg, den 15- Februar iso4. 
«n i2ten um li Uhr Mittags starb Immanuel 
Kant; künftigen 22. April! wäre er achtzig Jahre 
gewesen. Voriges Jahr feierte er diesen Tag 
noch in Gesellschaft von >8 bis 2® Freunden mit 
einem fröhlichen und liberalen Mittagsmahl. Wie 
schwach er damals schon war, zeigt der Umstand, 
daß, als er einen darunter mit einer etwas scharfen 
und dünnen Stimme reden hörte, er diesen, der 
freilich nicht zu seinen wöchentlichen Tischgästen ge 
hörte, nicht mehr unterscheiden konnte, weil er den 
nächst bei ihm Sitzenden fragte: ob ein Frauenzimmer 
am Tisch wäre? Scherz, zu dem er sonst wohl auf 
gelegt war, konnte die« nicht seyn; der wäre hier 
zu unverträglich mit seiner sonstigen Delikatesse ge 
wesen. Indessen war es doch zu viel, als ihm eine 
Nachricht im Intelligenz - Blatt der Jenaer Litera 
tur-Zeitung in der letzten Zeit alles Bewußtseyn ab 
sprach. Das Gedächtniß war ihm fast völlig ge 
schwunden, woraus natürlich ähnliche Erscheinungen, 
wie beim Mangel des Bewußsseyns entstehen; allein 
darum bleibt beides noch immer zweierlei. Wie 
wollte man sich sonst Folgendes erklären, Ungefähr 
drei Wochen vor seinem Ende, wurde an seinem Ti 
sche erzählt: ein bekannter Criminalverbrecher, der 
auf einem Dorfe bei der Stadt, seinen Kameraden 
durch einen Schlag mit der Sense getödtet hatte, 
habe endlich, als des Vorsatzes unüberwiesen, sein 
Urtheil auf acht Jahre nach der Festung erhalten, 
und sey darüber bei der Publikation vor Freude 
so außer sich gewesen, daß er die Richter gebeten, 
ihn doch nur gleich dahin zu schicken, damit es nicht 
wieder geändert würde, aus welchem Grunde er denn 
auch von der zur Milderung dieser Strafe ihm noch 
frei gelassenen Appellation, nichts wissen noch hören 
wollen. „Erzählen Sie mir doch das noch einmal," 
sagte Kant; und als er das Erzählte recht gefaßt 
hatte, bemerkte er nach seiner trocknen Art: „der 
Mensch ist ein Poltron." Ueberhaupt konnte er Muth- 
losigkeit am wenigsten leiden, daher ihm denn auch 
der Selbstmord so zuwider war, den er meistens als 
eine Folge'davon ansah. Einem Selbstmörder meinte 
er, dürfe man nur dreist ins Gesicht speien; verächt 
licher und nichkswürdiger sei so leicht nicht jemand. 
Sein Gefühl innerer Stärke verführte ihn zu »zehr 
solchen Urtheilen, und auch dazu, mit unter von sich 
selbst zu rühmen, daß er „Kurage" habe, wenn dag 
zunehmend? Unvermögen des Alters ihn an sein Ende 
erinnerte. Doch hat man ihn bei dem schweren 
Druck im Kopf, womit er einige Jahre vorher ge 
plagt war, zuweilen sagen hören: daß er keine Nacht 
zu Bette ginge, ohne zu wünschen, es möge mit ihm 
enden, und daß er die Vorboten davon mit einem 
Gottlob! empfangen werde. Indessen waren der 
gleichen Aeußerungen sehr vorübergehend, und er aß 
dazwischen mit gutem Appetit, ließ sich auch sein 
Glas Wein darauf schmecken, wie er denn über 
haupt, wenn er ja ins Klagen kam, gleich wieder
	        
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