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Volume Nro. 27., Dienstag den 7. Februar

Full text: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz (Public Domain) Issue2.1804 (Public Domain)

108 — 
In Dsutschland klagt man über die zu große 
Fruchtbarkeit der schönen Literatur, und gleichwohl 
herrscht z. B. auf den Bühnen ein großer Mangel 
an erträglichen neuen Stücken. Zn Frankreich be 
trauert man die außerordentliche Dürftigkeit der Li 
teratur, und wöchentlich fast erscheinen bemerkens- 
tverthe Werke und neue Trauer- oder Lustspiele auf 
den Pariser Bühnen. Woher dieser Contrast wohl 
kommen mag? Die Antwort ist so leicht zu finden, 
daß ich sie nicht hersetzen will. — Die Polyxene, 
deren Verfasser Aignan heißt, ist trotz ihrem ersten 
Falle, schon zweimal wiederholt worden. Die ersten 
beiden Akte wurden mit lautem Befall aufgenom 
men, obgleich sie es waren, die man das erste Mal 
auspfiff. Der dritte allein, der bei der ersten Vor 
stellung gar nicht gehört wurde, hat mißfallen. —- 
Unter den neuesten Pariser Lustspielen, scheint vor 
züglich eines in Einem Akt: L^'Assaut äs vslets, 
artig und der Uebersetzung werth zu seyn. Es ist eine 
lebhafte, amüsante Bagatelle, wie das „Scherz und 
Ernst ", das man in diesem Winter auf der Berliner 
Bühne mit Vergnügen sah. 
Zu Amiens hat man im Souterrain einer abge 
brochenen Klosterkirche, einen Leichnam mit abgeson 
dertem Kopfe gefunden. Man glaubte einen fremden 
Kaufmann in ihm zu entdecken, der vor einigen Mo 
naten in einem verdächtigen Wirthshause verschwun 
den war, und nahm die Eigenthümer jenes Hauses in 
Verhaft. Bei genauerer Untersuchung zeigte es sich, 
daß die Leiche ein angesehener Mann gewesen, den 
man 164g. zuAmiens enthauptet und dann einbal- 
famirt hatte. Entweder verstand man im 17. Jahr 
hundert zu Amiens das Einbalsamiren besser als die al 
ten Egyptier, oder die dortigen Aerzte verstehen sich 
schlecht auf Leichen. „Sonderbar, ruft ein Spötter aus; 
der ungelehrteste Schuster oder Schneider würde bei 
der Beurtheilung der Produkte feines Metiers, nie 
alt für neu ansehn: aber die Gelehrten — Es ist 
doch wenigstens gebräuchlich, die Aerzte auch dafür 
zu nehmen." 
Die Leser werden sich vielleicht noch derNachrkcht 
erinnern, die in einem vorigen Blatte über die Auf 
nahme Parny's in das Institut National gegeben 
wurde, und der weitläuftigen, doppelten Charakte 
ristik, die man bei dieser Aufnahme, von Parny's 
ziemlich unberühmten Vorgänger Devaines aufge 
stellt hatte. Sie bestand fast aus lauter Lobsprüchen. 
Zn einer sehr berühmten Deutschen Akademie der 
Wissenschaften erlebte man kürzlich leider das Ge 
gentheil. Zn einer öffentlichen, feierlichen Sitzung 
wurde vom Sekretär ein Eloge auf ein verstorbe 
nes Mitglied gelesen, einen Mann, der sich um den 
Staat sehr verdient gemacht hat, und-auch als Ge 
lehrter berühmt ist. Der Verfasser des Eloge aber 
gab sich, nach Aufzählung einer Menge von Gering 
fügigkeiten, Mühe, den Verstorbenen gegen Anschul 
digungen des — Geizes zu rechtfertigen. Diese 
Rechtfertigung'indignirte allgemein, denn — nie 
mand erinnert sich solcher Anschuldigungen, und gab' 
es dergleichen: wodurch gehören sie in eine Akademi 
sche Denkrede? — 
Der Streit zwischen den aufgeklärten und mild 
gesinnten Gelehrten, und dem wüthenden Geoffroi, 
in den Pariser Zeitungen, wird immer heftiger. 
Um einen Maaßstab zur nähern Würdigung der 
niedrigen Znvectiven zu geben, die der Er - Abbe 
täglich gegen Rousseau, Voltaire, Diderot, kurz, ge 
gen alle große Schriftsteller des vei-fiostenen Jahr 
hunderte ausspeit, führte das Journal de i’iiris 
kürzlich eine Stelle aus einer Rede von Robespierre 
an, in welcher dieses Scheusal wider jene Großen 
grade in dem Tone spricht, und dieselben Dinge 
jagt, die Geoffroi'S ewig wiederkehrender Refrain 
sind. Der streich scheint tödlich getroffen zu haben, 
denn Geoffroi verwickelt sich in die lächerlichsten Wi 
dersprüche um ihn ^abzulenken. Er sagt: Robespierre 
sei selbst in der Schule der Philosophen gebildet 
worden, und will dadurch die Greuel, die der Tyran 
verübte, auf Rechnung der Philosophie bringen; — 
zugleich aber behauptet er, er, Geoffroi, habe jenem 
nicht nachgesprochen, sondern lange vor der Revolu 
tion in der Annee Hteiaiie grade eben so über die 
Philosophen geschrieben. Der Geiferer bemerkt in 
feiner Wuth nicht, welchen Unsinn er da spricht. 
Wenn Robespierre zu der Zeit seiner verabscheuungö- 
würbigen Greueithaken dem Herrn Geoffroi nachsprach, 
so mußte er damals doch wohl zu der Sekte destel- 
ben übergegangen seyn, und der Geist dcü Fanatis 
mus wütheie durch ihn, nicht der Geist der Philoso 
phie, die er schmahete. Ein einziger Umstand wirst 
alle Anklagen des Wüthenden über den Haufen: man 
schlage die Werke der Philosophen auf, wo nian 
wolle, überall wird man Mäßigung, Toleranz, und 
Menschenliebe empfohlen finden: aus Robespierre 
aber sprach, und au« Geoffroi spricht Fanatismus. 
Sehr belehrend ist es, von diese» Abentheuern 
der Französischen Literatur, einen Blick auf die der 
Deutschen zu werfen. In Paris verfolgt erheuchelte 
Bigotterie die Hingeschiedenen Vertheidiger der Ver 
nunft, die Wohlthäter ihres Jahrhunderts, un 
ter dem Namen der Philosophen. In Deutschland 
hingegen schmücken sich sehr häufig fanatische My 
stiker, (die Geoffroi brüderlich umarmen würde, wenn 
er sie kennete,) mit diesen» ehrwürdigen Namen, und 
möchten gern die Bekenner der hellen Vernunft, als 
Verfolger der Philosophie ansehen lassen. Doch — »venn 
es ihnen auch gelungen ist, den erborgten Mantel 
der Weisheit um zu hangen, wird es ihnen wenig 
stens nicht gelingen, den Gegnern die Furienmaske 
ihres eignen Fanatismus aufzudringen.
	        
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