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In Dsutschland klagt man über die zu große
Fruchtbarkeit der schönen Literatur, und gleichwohl
herrscht z. B. auf den Bühnen ein großer Mangel
an erträglichen neuen Stücken. Zn Frankreich be
trauert man die außerordentliche Dürftigkeit der Li
teratur, und wöchentlich fast erscheinen bemerkens-
tverthe Werke und neue Trauer- oder Lustspiele auf
den Pariser Bühnen. Woher dieser Contrast wohl
kommen mag? Die Antwort ist so leicht zu finden,
daß ich sie nicht hersetzen will. — Die Polyxene,
deren Verfasser Aignan heißt, ist trotz ihrem ersten
Falle, schon zweimal wiederholt worden. Die ersten
beiden Akte wurden mit lautem Befall aufgenom
men, obgleich sie es waren, die man das erste Mal
auspfiff. Der dritte allein, der bei der ersten Vor
stellung gar nicht gehört wurde, hat mißfallen. —-
Unter den neuesten Pariser Lustspielen, scheint vor
züglich eines in Einem Akt: L^'Assaut äs vslets,
artig und der Uebersetzung werth zu seyn. Es ist eine
lebhafte, amüsante Bagatelle, wie das „Scherz und
Ernst ", das man in diesem Winter auf der Berliner
Bühne mit Vergnügen sah.
Zu Amiens hat man im Souterrain einer abge
brochenen Klosterkirche, einen Leichnam mit abgeson
dertem Kopfe gefunden. Man glaubte einen fremden
Kaufmann in ihm zu entdecken, der vor einigen Mo
naten in einem verdächtigen Wirthshause verschwun
den war, und nahm die Eigenthümer jenes Hauses in
Verhaft. Bei genauerer Untersuchung zeigte es sich,
daß die Leiche ein angesehener Mann gewesen, den
man 164g. zuAmiens enthauptet und dann einbal-
famirt hatte. Entweder verstand man im 17. Jahr
hundert zu Amiens das Einbalsamiren besser als die al
ten Egyptier, oder die dortigen Aerzte verstehen sich
schlecht auf Leichen. „Sonderbar, ruft ein Spötter aus;
der ungelehrteste Schuster oder Schneider würde bei
der Beurtheilung der Produkte feines Metiers, nie
alt für neu ansehn: aber die Gelehrten — Es ist
doch wenigstens gebräuchlich, die Aerzte auch dafür
zu nehmen."
Die Leser werden sich vielleicht noch derNachrkcht
erinnern, die in einem vorigen Blatte über die Auf
nahme Parny's in das Institut National gegeben
wurde, und der weitläuftigen, doppelten Charakte
ristik, die man bei dieser Aufnahme, von Parny's
ziemlich unberühmten Vorgänger Devaines aufge
stellt hatte. Sie bestand fast aus lauter Lobsprüchen.
Zn einer sehr berühmten Deutschen Akademie der
Wissenschaften erlebte man kürzlich leider das Ge
gentheil. Zn einer öffentlichen, feierlichen Sitzung
wurde vom Sekretär ein Eloge auf ein verstorbe
nes Mitglied gelesen, einen Mann, der sich um den
Staat sehr verdient gemacht hat, und-auch als Ge
lehrter berühmt ist. Der Verfasser des Eloge aber
gab sich, nach Aufzählung einer Menge von Gering
fügigkeiten, Mühe, den Verstorbenen gegen Anschul
digungen des — Geizes zu rechtfertigen. Diese
Rechtfertigung'indignirte allgemein, denn — nie
mand erinnert sich solcher Anschuldigungen, und gab'
es dergleichen: wodurch gehören sie in eine Akademi
sche Denkrede? —
Der Streit zwischen den aufgeklärten und mild
gesinnten Gelehrten, und dem wüthenden Geoffroi,
in den Pariser Zeitungen, wird immer heftiger.
Um einen Maaßstab zur nähern Würdigung der
niedrigen Znvectiven zu geben, die der Er - Abbe
täglich gegen Rousseau, Voltaire, Diderot, kurz, ge
gen alle große Schriftsteller des vei-fiostenen Jahr
hunderte ausspeit, führte das Journal de i’iiris
kürzlich eine Stelle aus einer Rede von Robespierre
an, in welcher dieses Scheusal wider jene Großen
grade in dem Tone spricht, und dieselben Dinge
jagt, die Geoffroi'S ewig wiederkehrender Refrain
sind. Der streich scheint tödlich getroffen zu haben,
denn Geoffroi verwickelt sich in die lächerlichsten Wi
dersprüche um ihn ^abzulenken. Er sagt: Robespierre
sei selbst in der Schule der Philosophen gebildet
worden, und will dadurch die Greuel, die der Tyran
verübte, auf Rechnung der Philosophie bringen; —
zugleich aber behauptet er, er, Geoffroi, habe jenem
nicht nachgesprochen, sondern lange vor der Revolu
tion in der Annee Hteiaiie grade eben so über die
Philosophen geschrieben. Der Geiferer bemerkt in
feiner Wuth nicht, welchen Unsinn er da spricht.
Wenn Robespierre zu der Zeit seiner verabscheuungö-
würbigen Greueithaken dem Herrn Geoffroi nachsprach,
so mußte er damals doch wohl zu der Sekte destel-
ben übergegangen seyn, und der Geist dcü Fanatis
mus wütheie durch ihn, nicht der Geist der Philoso
phie, die er schmahete. Ein einziger Umstand wirst
alle Anklagen des Wüthenden über den Haufen: man
schlage die Werke der Philosophen auf, wo nian
wolle, überall wird man Mäßigung, Toleranz, und
Menschenliebe empfohlen finden: aus Robespierre
aber sprach, und au« Geoffroi spricht Fanatismus.
Sehr belehrend ist es, von diese» Abentheuern
der Französischen Literatur, einen Blick auf die der
Deutschen zu werfen. In Paris verfolgt erheuchelte
Bigotterie die Hingeschiedenen Vertheidiger der Ver
nunft, die Wohlthäter ihres Jahrhunderts, un
ter dem Namen der Philosophen. In Deutschland
hingegen schmücken sich sehr häufig fanatische My
stiker, (die Geoffroi brüderlich umarmen würde, wenn
er sie kennete,) mit diesen» ehrwürdigen Namen, und
möchten gern die Bekenner der hellen Vernunft, als
Verfolger der Philosophie ansehen lassen. Doch — »venn
es ihnen auch gelungen ist, den erborgten Mantel
der Weisheit um zu hangen, wird es ihnen wenig
stens nicht gelingen, den Gegnern die Furienmaske
ihres eignen Fanatismus aufzudringen.