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Volume No. 197, (Montags, den 12ten December.)

Full text: Der Freimüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser (Public Domain) Ausgabe 1.1803 (Public Domain)

Der 
(Montags) 
F r e i m ü 
oder ■ 
t b » g e, 
(den iLten December.) 
Berlinisch« Jeitunz für 
gebildete, unbefangen« Leser. 
Geschmack und Präcision contra Purismus. 
(Ara-ment aus einer größer» Abhandlung, vom Professor bangc.l 
Unser Zeitalter, da« reich an Sonderbarkeiten ist, hat auch 
eine eigene Sekte von Schriftstellern erzeugt, die sich 
zu Reinigern der Demschen Sprache aufiverfen. Doch 
nicht nnr reinigen wolle» fle unsere Sprache, sie wol, 
len sie auch bereichern. 
Sprachbereicherung! Welch ein Wort für den Den 
ker, für den Philosophen! Wen» ich die Bedeutung diese« 
Wort« — womit jetzt so häufig gespielt wird, — recht 
begreife, so ist die Erweiterung oder Bereicherung einer 
Sprache, der stärkste Dewei« von der fortschreitenden 
Gcisterkultur eine« Volke«. Vernunflfähigkeit und Sprach, 
fahigkeil gehen immer zusammen. Wo also die wahre 
Bereicherung einer Sprache Slan findet, oder, mich richti 
ger auszudrücken, nothwendig wird, da laßt flch mit 
Grund schließen, daß der Geist de» Volk» flch erhöht, ver 
edelt, verfeinert hat. Denn, wenn keine neue Ideen, 
woher da» Bedürfniß neuer Zeichen? E« folgt al, 
so, daß «ine bloße Verwandlung deutlicher, kräftiger Zei 
chen bereit» bekannter Ideen, izz, possierliche, fa, 
de, unverständliche Umichreibungen, sich de» »telbedcutcn- 
dcn Nahmen» Sprachbereicherung nicht anmaßen darf. 
Wer mrr den Schriften «ine» Leffing, Göihe, Herder, 
Wieland u. a. bekannt ist, wird sich leicht erklären kön 
nen, wa» eigentlich Sprachbereicherung heißt. 
Männer, die durch die Erhabenheit ihre« Geiste«, 
durch di» Tiefe ihre« Denken«, durch die Ausdehnung ih 
rer Seelenkräfle, die Sprache zu enge und zu schwach 
finden, geben ihr neuen Raum und neue Stärke. 
Da« heißt: sie erfinde« neue Zeichen für ihre neuen 
Ideen. Sie lehren die Nation nicht nur neue Worte, 
sondern auch neuen Sinn. Und da« ist, wa« man im 
eigentlichen Verstände Sprachbereicherung nennen 
.kann. — 
Wenn aber Jahre lang gepredigt wird, um un« zu 
bewegen, daß wir ein Rcndezvou« ein Stell, dich, ein, 
daß wir Vapeur« Dämpfe, und ein Boudoir ein 
Schmollkämmerchen nennen sollen'); so läßt flch 
doch nicht leicht begreifen, — gesetzt auch, wir ließen 
un» bereden, diese» und mehr dergleichen alberne» Ge 
präge in Umlauf zu bringen, - wa« die Aufklärung da 
bei gewinnen, oder wie die Summe der Ideen sich da 
durch vermehr«» oder verfeinern könne? Denn, 
wenn z. B. der keusche Schulmann sage: „meine Ehe 
gattin hat flch, der Dämpfe wegen,-in ihr Schmoll 
kämmerchen begeben müssen," — so weiß man doch 
nicht« mehr und nicht» weniger, al« daß die gute Frau 
Vapeur« hat, und sich in ihrem Boudoir befindet. — 
Und dennoch giebt e» jetzt so viele große und kleine, be 
rühmte und unberühinl«, scynwollende Sprachforscher, 
So übersetzt der bcrr EdukaNons Rach Campe diese Wörter, 
in innen Proven Deuiichcr Svrachdereichcrun». 
I 197 3
	        
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