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Volume No. 196, (Freitags, den 9ten December.)

Full text: Der Freimüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser (Public Domain) Ausgabe 1.1803 (Public Domain)

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<..^cr machte, daß e« seine Tugenden forterben konnte, 
.fci» auf unsere Zeiten. Hier also ist das Bächlein ent 
sprungen, das, jetzt ein mächtiger Fluß, ss herrlich »wi 
schen gesegneten Ufern ström«! In stille, mannichfalti« 
ge Betrachtungen versunken, sah ich lange mit unver 
wandtem Blick hinauf; dcrMondschein kam meiner Phan, 
taste zu Hülse, und ich glaubte endlich, den behelmten 
Kopf des alten Thassilo zu sehen, der über die grauen 
Mauern herabschauke. — Ja- wenn er das könnte, die 
Freude möchte ich ihm gömien! — 
Zkiri'L. 
Sie sehen, ich bin in der Schweiz. Erwarten Sie 
aber ja keine mahlerische Beschreibung der großen Natur- 
schönheiten, die ich hier gesehen habe. Der Reisen in die 
Schweiz giebt e» bei Dutzenden, gute, mittelmäßige und 
schlechte, und es laßt sich über die Naturwunder dieses 
Lande» nicht allein nicht« Neues mehr sage», sondern es 
wäre auch von Anbeginn besser gewesen, man hatte gar 
nicht« darüber gesagt. Denn — aufrichtig gestanden — 
hat noch je die Beschreibung einer schönen Gegend, 
wäre sie auch von Meisterhand, Ihnen ei» deutliche« Bild 
vor die Seele geschoben? — Mir nie. Man kann mir frei 
lich einen See, dessen Ufer mit lieblichen Landhäusern be 
säet ist, zur Rechten hinmahlen, man kann mir die Kette 
des Iura-Gebirge« zur Linken zeigen, den Montblanc in 
den Hintergrund stellen, u.s. w.; man kann sich derpoe- 
tischen Bildersprache dabei bedienen: in meiner Phantasie 
wird man doch immer nur ein konfuses Bild von allen 
diesen Gegenständen wecken; konfus und nichr emmaloyr,- 
lich schwimmt e« vor mir herum, und ich suche vergebens 
es festzuhalten. Darum war ich von jeher einFeind von 
allen solchen Beschreibungen. Die Schweiz muß man 
selbst sehen, so wie man ein Concert selbst hören muß. 
Wer mir mit Worten Gegenden mahlt, der thut noch we, 
Niger, al» der, der mir eine Symphonie vortrallert. Ich 
kann und will also weiter nicht» von der Schweiz sagen, 
als daß ich hier und da auf Stellen gestanden habe, auf 
denen vermuthlich der liebe Gott stand, als er »ach dcr 
Schöpfung die Well ansah und sagte: sie ist gut.-Der 
Rhcuisall hat meine Bewunderung nicht überrroffen, aber 
in einem hohen Grade befriedigt. Manche Reisende hat 
ten mir die Wirkung seine« Anblicks geringer schildern 
wollen, al« ich sie wirklich fand. E« ist ein imponiren, 
des Schauspiel, an dessen Beschreibung sich keine Feder 
wagen darf. — Die Gegend um Zürich hat mir sehr gefal 
len, vielleicht doch nur mehr als alle übrigen, weil der 
Aufenthalt durch gute Menschen mir interessant wurde. 
Die Aussicht vom Därgeli über den S:e „ach den Schnee- 
koppen ist sehr reißend. Fast noch reitz-nder, wenigsten« 
noch mannichfalriger, ist die au« den Zimmern de» Gast- 
Hofer (zumSchwert), welche ich bewohnte. Man hat 
dieser Aussicht im Vorbeigehen schon oft erwähnt; ich 
will Ihnen etwa« umständlicher — nichr beschreiben 
( davor behüte mich Gort!) sondern nur aufzahlen, wa» 
Sie alle» sehe». Das Zimmer ist ein Eckzimmer. Oeff- 
ne» Sie ein Fenster linker Hand, so sehen Sie un 
ter sich den Fluß, die Limmat, und eine sehr breite 
Brücke darüber, welche zu beiden Seiten mir dichten bun 
ten Reihe» von Gemüse- und Obstv-rkauferinnen besetzt 
ist; zwischen denselben spazieren die Französischen Chas 
seur» herum, deren Wachthau« Sie jenseit» der Brücke 
gewahr werden. Sie glauben nicht, welch ein Leben und 
Gewimmel auf dieser Drücke herrscht. Links hinunter er, 
blicke» Sie längs dem Flusse zwei lange Straßen, und 
«inen Theil der Stadt. Ocffnen Sie »as Fenster rech 
ter Hand, so haben Sie unter ihren Füßen einen freien 
sehr lebhaften Platz, und gerade vor sich den Züricher 
See, von lachenden Landhäujcrn eingefaßt, die wiederum 
von den Alpen begränzt sind, über denen sich wiederum 
die Schneekoppe» erheben. Dies Amphitheater, au« sanf 
ter und rauher Natur zusammengesetzt, mit dem Men 
schengewimmel gerade unter sich, ist einzig — Die herr 
lichen Spaziergänge um Zürich würden selbst einen Poda 
gristen zum Spazierengehen verleuen. Geßner« Denkmahl 
ist so einfach schön erfunden, daß man einer Thräne sanf 
ter Wehmuth sich kaum erwehren kann. Schade nur, daß 
vie Französischen Chasseur», die eben j-tzt keine andere 
Gelegenhell haben, ihren Nahmen zu verewigen, sich be, 
mühen, e» auf diesem Marmor zu thun. An vielen Stel 
len fand ich bas drerzehnle R gnnenl »er Chasseur» an- 
gekritzctt, was sich denn freilich zu dieser Jdyllenwelt 
paßt, wie eine Flinte zu einem Rosenstrauch. Auf dcr 
Biblivthck — nun, da stehen viele Bücher. Mehr kan» 
ein gewöhnlicher Reisender wohl selten von einer Biblio 
thek sagen. Ern Paar eigenhändige Briefe von der be 
rühmten und unglücklichen Johanna Gray haben mich 
inreressirt. Sie sind in Religion«anqel?genheiten, in sehr 
gutem Latein, und so schön geschrieben, al» habe sie jede» 
Zug dem Schreibmeister nachgemahlt. 
K. 
( Wird fortgesetzt.) 
(Hierbei da« -oste Viatt de« Iller. und artig. ltn«eig«rS.)
	        
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