täglich mit religiöser Pünktlichkeit, und ließ sich aus
dem Journal Je Francfort die schrecklich en Nieder
lagen der republikanischen Heere vorlesen, und die baldi
ge Wiedereinsetzung der Bourbon« beweisen. — In
dieser Stimmung besuchte sie auch den biedern, kranken
Abbe St.Julien. Diese Besuche erinnerten an bessere —
oder doch glänzendere Zeiten.— Ob Abbe St. Julien seine
Freundin genau kannte, weiß ich nicht. Von seinem Her,
,en laßt sich vermuthen, daß er sie für besser hielt, als
sie war. Sie hatte die Kunst gelernt, auch dis Frommen
zu gewinnen. Der imposante Ton wurde mit einem ein,
schmeichelnden Wesen, die äußerste Sittenverderbthcit mit
Frömmelei, Koketterie mit Ehrbarkeit verschleiert. Auch
bedurfte es in der That eben nicht der Künste einer de la
Digne, um den ehrlichen St. Julien zu überlisten.
Ob sie mehr als Andere vo» der Geschichte des Wa,
gens erfahren hat, laßt sich zwar nicht mit Gewißheit
angeben. Indessen ist es zuverlässig, daß sie gleich nach
dem Tode des Abbe folgende Zeilen an ihren ehemali
gen Gönner Calonne nach London schrieb:
„Iülicn ist — todt. Die Geschichte Ihres Wa
gens ist die wahrscheinliche Ursache seines Tode«. Ca,
tonne und der Wagen, waren die legten Worte
unsers sterbenden Freundes. Ich habe die traurige
Pflicht über mich genommen, Ihnen diesen Todesfall,
einen Verlust anzuzeigen, den ich mit Ihnen theile."
„ Ist der Wagen noch zu retten, so kennen Sie
meine Bereitwilligkeit, meinen Eifer und meine An,
hänglichkcit," tc.
Dieser Brief, der den Exminister durch und durch er,
schütterte, hatte die gewünschte Wirkung. Kurze Zeit
nachher erhielt Madame de la Digne ein Schreiben aus
London, worin Calonne seiner vertrauten Freundin —
in der Voraussetzung, daß sie alles wisse — alles und
mehr noch sagte, als sie je zu erfahren hoffen konnte. Er
hatte einige Worte fallen lasse», die einen kostbaren Inhalt
de» Wagens errathen ließen. . . Er äußerte den Wunsch,
die verunglückte Expedition des ehrlichen Abbe St. Iülien
von neuem zu beginnen, und bat Madame de la Digne, ihm
zu dieser wichtigen aber kitzlichen Unternehmung ein tüchti,
gcs Subjekt unter sehr annehmlichen Bedingungen vorzu,
schlagen. Wollte aber sie selbst diese- Unternehmen wa,
gen, wollte sie selbst eine Reise nach Lille machen, und
den geliebten Wagen den Republikanern au« den Han,
den wi.iden; so war der Antrag, den er seiner Freundin
machte — vermuthlich weil der Minister aus Erfahrung
wußt«, was er von ihrer Gewandtheit, von ihrem savoir
faire erwarten sonnte, — freilich von einer ganz andern,
glänzender» Art; und die Aussichten, die hier eröffnet
wurden, konnten selbst da, wo die Freundschaft keine
Stimme hatte, zu außerordentüchen Anstrengungen er,
muntern.
Die Begeisterung, womit Madame de la Digne die,
se« Schreiben las und wieder las, laßt sich eher denken,
als beschreiben. Welch eine Entdeckung! Welche Aussich,
ten für eine Person von ihrer Eitelkeit, von ihrem Hange
zur Verschwendung! Welch ein Sprung von der drük,
kendsten Dürftigkeit zu dem bezauberndsten Glanz und
Uebcrfluß! Unzählige Ideen und Plane kreuzten sich, ent,
standen in einem Augenblick, und verschwanden in dem
nächsten.
Als nun der erste Rausch vorüber war, kam die Pe,
riode der Uebcrlegung. Cs giebt Menschen, die, wenn
sie hier da» Gute, dort das Schlechte liegen sehen, und
dar Gute eben so leicht und mit fast eben so großem Ge,
winn als da» Schlechte thun können, aus Gewohnheit,
au» Liebe zum Bösen — so tief finkt da« Laster! — da«
Gute verlassen und da« Schlechte wählen. — Armer
Calonne, wa« stand dir und deinem Wagen bevor, da du
eine Vertraute vo» solcher Verderbtheit, vo» solcher Sit,
tenlosigkeit hattest! . . .
( Wird fortgesetzt. )
Europa. Eine Zeitschrift, herausgegeben von Friedrich
Schlegel. 2ten Bandes erstes Stück.
Daß vis Herren Schlegel, und Genossen in der gan,
zen Welt nur flch und ihre eigene Vortrefflichkeit sehen,
ist bekannt: es darf also nicht befremden, wenn sie un
ter dem Namen unsers Wellthcils bloß sich und ihre
Meinungen u. f. w. feil bieten. Die Artikel dieses. Ban,
des sind:
i. Einige Vorlesungen, die Herr A. W. Schle,
gel vor einem Jahre in Verlüi gehauen hat. Sie sind
in der That gut geschrieben, und das macht es begreif,
lich, wie die wunderlichen Dinge, die sie enthalten,
wirklich hier und dort nicht bloß belacht wurden. E»
scheint mir indeß undankbar, daß Hr. Schlegel durch ihre
Bekanntmachung auf seine Zuhörer ein lächerliche« Licht
wirst.
2. Nachtrag Italiänischer Gemählde, — da«
heißt Beschreibungen von dergleichen, die wahrscheinlich
Hr. Fr.Schleg el zu Pari» sah. Aufsätze der Art können
wenig Interesse haben, und da» beigefügte Raisonncment
enthalt in gesuchten Phrasen eine Menge von Alltäglich,
ketten und Nonsens.
Eine metrische Uebersetzung de- ersten Akt« von