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Volume No. 176, (Freitags, den 4ten November.)

Full text: Der Freimüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser (Public Domain) Ausgabe 1.1803 (Public Domain)

täglich mit religiöser Pünktlichkeit, und ließ sich aus 
dem Journal Je Francfort die schrecklich en Nieder 
lagen der republikanischen Heere vorlesen, und die baldi 
ge Wiedereinsetzung der Bourbon« beweisen. — In 
dieser Stimmung besuchte sie auch den biedern, kranken 
Abbe St.Julien. Diese Besuche erinnerten an bessere — 
oder doch glänzendere Zeiten.— Ob Abbe St. Julien seine 
Freundin genau kannte, weiß ich nicht. Von seinem Her, 
,en laßt sich vermuthen, daß er sie für besser hielt, als 
sie war. Sie hatte die Kunst gelernt, auch dis Frommen 
zu gewinnen. Der imposante Ton wurde mit einem ein, 
schmeichelnden Wesen, die äußerste Sittenverderbthcit mit 
Frömmelei, Koketterie mit Ehrbarkeit verschleiert. Auch 
bedurfte es in der That eben nicht der Künste einer de la 
Digne, um den ehrlichen St. Julien zu überlisten. 
Ob sie mehr als Andere vo» der Geschichte des Wa, 
gens erfahren hat, laßt sich zwar nicht mit Gewißheit 
angeben. Indessen ist es zuverlässig, daß sie gleich nach 
dem Tode des Abbe folgende Zeilen an ihren ehemali 
gen Gönner Calonne nach London schrieb: 
„Iülicn ist — todt. Die Geschichte Ihres Wa 
gens ist die wahrscheinliche Ursache seines Tode«. Ca, 
tonne und der Wagen, waren die legten Worte 
unsers sterbenden Freundes. Ich habe die traurige 
Pflicht über mich genommen, Ihnen diesen Todesfall, 
einen Verlust anzuzeigen, den ich mit Ihnen theile." 
„ Ist der Wagen noch zu retten, so kennen Sie 
meine Bereitwilligkeit, meinen Eifer und meine An, 
hänglichkcit," tc. 
Dieser Brief, der den Exminister durch und durch er, 
schütterte, hatte die gewünschte Wirkung. Kurze Zeit 
nachher erhielt Madame de la Digne ein Schreiben aus 
London, worin Calonne seiner vertrauten Freundin — 
in der Voraussetzung, daß sie alles wisse — alles und 
mehr noch sagte, als sie je zu erfahren hoffen konnte. Er 
hatte einige Worte fallen lasse», die einen kostbaren Inhalt 
de» Wagens errathen ließen. . . Er äußerte den Wunsch, 
die verunglückte Expedition des ehrlichen Abbe St. Iülien 
von neuem zu beginnen, und bat Madame de la Digne, ihm 
zu dieser wichtigen aber kitzlichen Unternehmung ein tüchti, 
gcs Subjekt unter sehr annehmlichen Bedingungen vorzu, 
schlagen. Wollte aber sie selbst diese- Unternehmen wa, 
gen, wollte sie selbst eine Reise nach Lille machen, und 
den geliebten Wagen den Republikanern au« den Han, 
den wi.iden; so war der Antrag, den er seiner Freundin 
machte — vermuthlich weil der Minister aus Erfahrung 
wußt«, was er von ihrer Gewandtheit, von ihrem savoir 
faire erwarten sonnte, — freilich von einer ganz andern, 
glänzender» Art; und die Aussichten, die hier eröffnet 
wurden, konnten selbst da, wo die Freundschaft keine 
Stimme hatte, zu außerordentüchen Anstrengungen er, 
muntern. 
Die Begeisterung, womit Madame de la Digne die, 
se« Schreiben las und wieder las, laßt sich eher denken, 
als beschreiben. Welch eine Entdeckung! Welche Aussich, 
ten für eine Person von ihrer Eitelkeit, von ihrem Hange 
zur Verschwendung! Welch ein Sprung von der drük, 
kendsten Dürftigkeit zu dem bezauberndsten Glanz und 
Uebcrfluß! Unzählige Ideen und Plane kreuzten sich, ent, 
standen in einem Augenblick, und verschwanden in dem 
nächsten. 
Als nun der erste Rausch vorüber war, kam die Pe, 
riode der Uebcrlegung. Cs giebt Menschen, die, wenn 
sie hier da» Gute, dort das Schlechte liegen sehen, und 
dar Gute eben so leicht und mit fast eben so großem Ge, 
winn als da» Schlechte thun können, aus Gewohnheit, 
au» Liebe zum Bösen — so tief finkt da« Laster! — da« 
Gute verlassen und da« Schlechte wählen. — Armer 
Calonne, wa« stand dir und deinem Wagen bevor, da du 
eine Vertraute vo» solcher Verderbtheit, vo» solcher Sit, 
tenlosigkeit hattest! . . . 
( Wird fortgesetzt. ) 
Europa. Eine Zeitschrift, herausgegeben von Friedrich 
Schlegel. 2ten Bandes erstes Stück. 
Daß vis Herren Schlegel, und Genossen in der gan, 
zen Welt nur flch und ihre eigene Vortrefflichkeit sehen, 
ist bekannt: es darf also nicht befremden, wenn sie un 
ter dem Namen unsers Wellthcils bloß sich und ihre 
Meinungen u. f. w. feil bieten. Die Artikel dieses. Ban, 
des sind: 
i. Einige Vorlesungen, die Herr A. W. Schle, 
gel vor einem Jahre in Verlüi gehauen hat. Sie sind 
in der That gut geschrieben, und das macht es begreif, 
lich, wie die wunderlichen Dinge, die sie enthalten, 
wirklich hier und dort nicht bloß belacht wurden. E» 
scheint mir indeß undankbar, daß Hr. Schlegel durch ihre 
Bekanntmachung auf seine Zuhörer ein lächerliche« Licht 
wirst. 
2. Nachtrag Italiänischer Gemählde, — da« 
heißt Beschreibungen von dergleichen, die wahrscheinlich 
Hr. Fr.Schleg el zu Pari» sah. Aufsätze der Art können 
wenig Interesse haben, und da» beigefügte Raisonncment 
enthalt in gesuchten Phrasen eine Menge von Alltäglich, 
ketten und Nonsens. 
Eine metrische Uebersetzung de- ersten Akt« von
	        
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