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Volume Nr. 124, (Freitags, den 5ten August.)

Full text: Der Freimüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser (Public Domain) Ausgabe 1.1803 (Public Domain)

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allein er kümmert sich nur mehr um die ausländische, al« 
einheimische Litteratur, und am wenigsten sucht er eine 
Ehre darin, selbst etwa« für die letztere zu leisten. Man 
studiert in Deutschland, um Brot zu verdienen: au« glei 
chem Zw-cke schreibt man auch Bücher. Darum wurde 
keine Nation mehr, al« die Deutsche, mit elenden Produk 
ten überschwemmt, denen man die Erbärmlichkeit de« 
Mokiv», da» den Autor zu schreiben nöthigte, sogleich 
anst hi. Die« hatte zwei sehr schädliche Folgen : die eine, 
daß die Litteratur in Deutschland nie zu einem bedeuten 
den Grade von Achtung gelangte; die zweite, daß c« für 
die Unmündigen am Geiste, die nur guter Muster bedurft 
hakten, sich zu bilden, sehr leicht war, fehlzugreifen und 
den rohesten plattesten Unsinn für schön zu hallen, die 
wirklich vorhandenen trefflichen Werke aber unter der 
großen Menge zu übersehn. Da e« unmöglich war, al 
les, was erschien, selbst zu lesen, so begnügte man'sich, 
nur au« Relationen der Journalisten die Werke der Deut, 
schen Schriftsteller kennen zu lernen, und gewöhnte sich, 
diesen immer und immer nach zu urtheilen. Die Journali 
sten waren aber selten partheilv», und e» hat in Deutsch 
land nur Einen Leffing gegeben. 
Nach Friedrichs und Joseph-Tode ward auch der po 
litische Einfluß, der Litteratur sehr ungünstig. Die Fürsten, 
die nach ihnen regierten, fürchteten selbst, die Fortschritte 
de« menschlichen Geiste« möchten den Throne» gefährlich 
werden. Die Anklage de« Abbe Barruel, daß Deutsche 
Gelehrte dieselben Gesinnungen und Grundsätze verbrcile- 
etn, die in Frankreich den Thron umgestürzt und unsäg 
liche« Elend über ganz Europa gebracht hatten, fand 
Glauben, und man suchte in Rückschritten Heil für künf 
tige Uebel. — So viel ist gewiß, daß die Französische Re 
volution in Frankreich selbst im Anfange nur darum die 
edelsten Männer der Nation zur Theilnahme weckte, und 
im Auslande nur darum eine Parthei für sich erregte, weil 
sie die Sache der Freiheit und der Vernunft zu seyn und 
die Rechte de« Menschen zum Grundpfeiler der politischen 
Verfassung machen zu wollen schien. Allein wem ist e« 
unbekannt, daß alle jene herrlichen Grundsätze bloß dienen 
sollten, las Verbrechen der Parlhcihckupier zu bedecken 
und die vcrräkheri-chen Anschläge der ehrgeiyigen Mör 
der, die alle« an sich zu reißen trachteten, dem Volke zu 
empfehlen? E« giebt jetzt Niemand mehr, den jene Spra 
che noch tauschen sollte; im In- und Auslande ist die 
Französische Revolution nur die gefährlichste Feindin der 
schrecklich gen ißdrauchien Geiste-srciheit gewesen, weit 
entfernt, daß man sie noch einen Augenblick als ihre Fol 
ge »nichen joilee. 
Doch ist die« eine Weile geschehen, und daß diese 
Meinung nicht dazu beitrug, den Deutschen Fürsten und 
dem Adel die Litteratur zu empfehlen, ist wohl ganz be 
greiflich. Indeß hat die Aeil jene Glauben schon wider 
legt, und auch die Deutsche Litteratur würde wieder zu 
Ansehen und Einfluß gelangt seyn, wenn sie e» verdient 
hätte. 
Allein gerade in jener ungünstigen Periode verrückte 
ein Schwindelgeist, der unter dem Nahmen Kautische 
Philosophie au» der Jenaischen Afterschule de» großen Wei 
sen ausging, jungen und alten Schriftstellern die Köpfe. 
Der philosophische Synkretismus, der im Begriff war, 
durch Garve und andre treffliche Männer auf die Der- 
standesbildung der ganzen Nation dauernd und kräftig ein 
zuwirken, ward von den Jenaischen Sophisten selbst ver 
schrieen, und au« den Rüstkammern der Scholastik der zer 
trümmerte Götze der unfehlbaren System-Weisheit wie, 
der hervorgeholt, nokhdürftig ausgebefferl, mit modernen 
Kantlschen Lappen umhängt, und der Nation zur Ver 
ehrung hingestelll. Der vernünftige Theil wußte kaum, 
ob ein solche» Beginnen mehr die Indignation oder da» 
Lachen reißen sollte; aber die Achtung für Deutsche Litte 
ratur sank immer tiefer, zumal da die Jenaischen Sophi 
sten alle Augenblicke ihr Götzenbild von unfehlbarer Weis, 
heit wieder zerstörten und umschufen, bis endlich die Her 
ren Fichte und Schelling den kransre-.dentalen Jdealismu« 
in den Vernunft- und Erfahrungswiffenschaflen fertig 
gebracht haben, gegen welchen allerdings das Delirium 
eine« Fieberkranken Vernunft ist. 
Dieser philosophische Spuk, den der arme wackre 
Kant sehr ohne Schuld und Willen veranlaßt hat, drück 
te alle ernsteren Wissenschaften, und halte auch auf die 
redenden Künste großen Einfluß. Unglücklicher Weise leb 
te gerade in der Nahe von Jena, dem Brennpunkte der 
philosophischen Tollheit, ein Mann von vielem, zum 
Theil verdienten Kredit, der sich für den ersten aller 
Deutscher Dichter hält, und gern allgemein dafür gellen 
möchte, dem also jene allgemeingültige Jenaische Sprache 
gar nicht übel gefiel, und der sich den Spaß bereiten 
wollte, au» dem Deutschen Parnaß eben so ein Bedlam 
zu machen, al» die Deut,che Philosophie geworden war. 
Gölhe ha- in einigen seiner frühern Schriften, in 
der Jphigema, dem Taffo und in mehreren kleinen Ge 
dichten gezeigt, daß er wtiklich Geschmack besitzt, was man 
jetzt kaum glauben jollie. Auch an Lebha-ligkeir u„v Er 
findungskraft fehlt cs ihm nicht. — Was fehlt ihm also, 
der erste Deutsche Schrittst.Uer zu seyn? Bescheidenheit 
und Achtung für das Publikum und seinen eignen Ruhm.
	        
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