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Volume Nr. 112, (Freitags, den 15ten Julius.)

Full text: Der Freimüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser (Public Domain) Ausgabe 1.1803 (Public Domain)

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Shakespeare besitzen wir nur Hamlet/ Othello und Ro< 
mco und Julie/ und nur das letztere gefällt. Aber She- 
ridans Lasierschule ist mit vielem Erfolg nakionalisirt wor, 
dem — Fast all« jetzt in Deutschland beliebte Opern ha, 
ben wir auch. — Ach! wäre nur nicht die allerilliberalste 
Censur für unser Theater so drückend/ wir würden 
längst größere Fortschritte gemacht haben. Alle« seufzt 
hier darüber/ und wendet seine Blicke um gerechte Ab, 
hülfe zu dem guten König. — Warschau besitzt eigentlich 
vier Theater; jetzt wird aber nur, abwechselnd mit den 
Jtalianern, auf dem großen Theater gespielt, welche« vor 
mehr al« zwanzig Jahren der Baumeister Solary auf 
Kosten des Skarosten Ryx erbaute. Das Aeußcre ist sehr 
barvk; der Weg dahin eng, für Kutscher ein Probierstein, 
für Fußgänger unsicher; Parierrlogen und Gallerte haben 
nur einen einzigen Haupteingang; zwei hölzerne Trep, 
pen (deren eine kürzlich, mit Menschen beschwert, zusam« 
men stürzte) führen hinauf; kurz, es ist nichts verab, 
säumt, um zu zeigen, wie ein Theater — nicht gebaut 
seyn muffe. Es hat in allem achtzig Logen, und faßt 
überhaupt zwölfhundert Menschen. Die Dekorationen sind 
vortrefflich (von Plesch und Sz muglewicz); denn der 
Direktor spart kein Geld. — Uebrigenö giebt cs auch Re» 
douten und Cvncertsäle in diesem Hause, welches Gott 
vor Feuer bewahren wolle; denn was würde, bei diesem 
einzigen Eingang, au« zwölfhundert Menschen werden! 
Zwei Seitenthürcn sind zwar noch da, werden aber nie 
geöffnet. Zwei kürzlich engagirtc, vortreffliche Sange» 
rinnen, Stephani und Petrasch, (die letztere singt 
bi« in da« dreigestrichcne g) haben da« Publikum so be» 
zaubert, daß ihnen nach der zweiten Vorstellung 160 Du 
katen auf da« Theater geschickt wurden. (So elivas ge 
schieht in Deutschland nicht. Anm. d. H.) — Da« erste 
Stück von Kvyebue, welche« hier gegeben wurde, war 
Menschcnhaß und Reue. Man kam zwanzig, dreißig bi« 
fünfzig Meilen weit au« den Provinzen, um c« spielen zu 
sehen. Denjowsky erregte, bevor das Stück verboten 
wurde, au« leicht begreiflichen Ursachen, den allerhöchsten 
Enthusiasmus. Jffland« alte und neue Welt hat 
sehr gefallen, weniger die Jäger, weil Charaktere und 
Sitten uns zu fremd waren. Babo'S Otto von Wittel«, 
bach wurde mit großer Warme aufgenommen, aber auch 
gleich verboten (!I) Den Rittergeist lieben die Polen 
sehr, vorzüglich aber alle Stücke, in welchen die Schwä 
cher» sich gegen Unterdrückung der Mächtigern aufleh, 
nen. Schiller« Räuber sind, »ach vielem fruchtlosen Bit 
ten, endlich diese» Jahr zu spielen erlaubt worden. Die 
Deutsch en hatten es schon längst hier auffüh» 
ren dürfen (!) Den Polen mißfiel e« sehr, und esist nicht 
wieder gegeben worden. Da der National »Charakter der 
Polen bekanntlich zu dem Französischen hinneigt, so ist nicht 
zu verwundern, daß die Französische Muse »och unumschränk 
ter auf unserer Bühne herrscht, al» die Deutsche. Opern 
zieht aber doch der Pole allen andern Schauspielen vor, 
besonder« seitdem wir alle die neuern großen Opern von 
Mozart, Winter u. s. w. kennen gelernt haben. Die 
Casperliaden alle sind zwar versucht, aber verschmäht 
worden. Die Original,Oper, die Krakauer und Go- 
ralen (ein poetisches Meisterwerk von Boguslaweky) 
bleibt der Liebling des Publikums. Sie wurde zum er 
sten Mal kurz vor der Revolution gegeben, und falsche 
Patrioten waren so dumm, sie als die Ursache dieser Ka 
tastrophe zu verschreien. Eine Beobachtung lassen Sie 
mich, als Arzt, bei Gelegenheit der Opern, hinzufügen. 
Man findet hier sehr viele Vaßsiiinmcn, aber äußerst we 
nige Tenoristen. I» Italien ist c« umgekehrt. Vermuth 
lich eine Wirkung de« Klima. Im vorigen Winter ver 
loren fast alle Jtaliäner ihre Stimmen, und mußten ihre 
Opern aussetzen, bi« die größte Kalke vorüber war. — 
Die Männcr-Rollen auf unsern Bühnen sind größten Theil« 
trefflich besetzt (die Nahme» der vorzüglichsten Künst 
ler können da« Deutsche Publikum wchl nicht iiilcressiren); 
von den Weibern laßt sich weniger Gute« sagen. — Die 
Italiänische Opera buffa, unter Direktion eines gewissen 
Herrn Chiavacci, wird wenig besucht. Außer Signora 
Dclicat» und Signor Santi, ist auch keiner dabei, der ge 
rühmt zu werden verdient. Der Buffo ist ein Bajazzo, 
bei dessen Spiel die Damen ihre Fächer vorhalten müssen. 
— Noch ein Wort von unserm Publikum! E« ist zum 
Theil sehr gebildet, und besitzt durchgehend« ein sehr re 
ge« Gefühl, besonders für die Vaterlandsliebe. Da« 
einzige Wort Vaterland setzt oft, wie durch einen elek 
trischen Schlag, da« ganze Publikuin in Bewegung; in 
jede« Weibe» Auge rollt eine Thräne, und jedem Mann 
schlägt da« Herz höher. Eine Tiradr, die von Vater 
landsliebe glüht, wird nicht allein enthusiastisch beklatscht, 
sondern muß sogar oft zwei- und dreimal wiederholt wer 
den. (Hierin liegt viellelchl ein Grund der überstrcngen 
Censur.) Uebcrhaupt ist bei jeder edlen Handlung die 
Freude, bei jedem Schurkenstreich der Unwille in den be 
weglichen Gcslchlsmuekeln de« Polen zu lesen; den» 
seine Nation ist brav und großmüthig. Gern gewährt sie 
auch den Künsten Unterstützung; die Schauspieler, welch« 
Benefiz-Vorstellungen geben, haben oft glänzende Pro, 
ben davon erhalten. — Auch Theaterkritiken haben 
wir in den Zeitungen, die meistens sehr gerecht sind, da-
	        
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