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Volume Nr. 112, (Freitags, den 15ten Julius.)

Full text: Der Freimüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser (Public Domain) Ausgabe 1.1803 (Public Domain)

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Soldat. Fliehen? Elender Kerl! wie sannst du ei 
nen Russischen Soldaten so fragen! Zwanzig Jahr habe ich 
gedient, und kein anderes Kommandowort gehört, als: 
Vorwärts! — Durchstreiche die ganze Welt, über 
all wird man dich den Russischen Soldaten und sei» 
Dajonet kennen lehren. 
Bedienter. Ei, ich spreche nicht von den Bajonet 
ten; aber die Kugeln — 
Soldat. Gleich viel! Ein Russischer Soldat ist stark 
und fest; der Feind, der ihn verwunden will, muß wenig 
stens sechs Kugeln auf ihn abschießen, aber eine ein 
zige Russische Kugel tödtet drei Feinde. Doch 
geh nur, über dich kann ich mich nicht ärgern; je schivä- 
cher der Feind, je großmüthiger der Russische Soldat. 
Herr von Buchareky, bekannt durch sein Trauer 
spiel Antigone und durch mehrere zerstreute Schrif« 
tcn, har Möllere'« depit amoureux trefflich für die 
Russische Bühne bearbeitet; und das Publikum empfing 
die« neue Geschenk mit lautem Dank. — Der Ballett 
meister Wallberg, ein Schüler des berühmten Canciani, 
gab an demselben Abend die erste Vorstellung seiner 
Ines de Castro, nach dem allgemein bekannten Sujet 
sehr glücklich bearbeitet. Herr Wallberg selbst und die 
Dcmoisclle- Derilvff und Colo so ff zeichnen sich be 
sonder« darin aus, und jede neue Vorstellung der Ines 
lockt ein zahlreiche« Publikum herbei. 
Dagegen ist der Versuch der Russischen Schauspieler» 
den General Schien «heim auf ihre Bühne zu brin 
gen, gänzlich verunglückt; denn er hat die zweite Vorstel 
lung nicht erlebt. — Warinkowitsch lieferte kürzlich ein 
Stück in zwei Akten, die eitle Probe der Weiber 
treue, der Angabe nach au« dem Englischen übersetzt; 
»a« Sujet ist, glaub' ich, in allen Sprachen so ziemlich 
bekannt. Ein Officier kehrt au« dem Kriege zurück, uud 
giebt vor, ein Auge und einen Fuß verloren zu haben, 
«m die Liebe seine» Mädchens zu prüfen. Der Beifall 
war gering. Desto lebhafter wurde er einem neuen, dem 
Farnzöflschen nachgeahmten Drama mit Chören und Bal- 
trtten zu.Theil, betitelt: da« Urtheil de« Salomon. 
Der Verfasser ist der Hosrath von Äluschin. Den mit 
Einsicht und Geschmack bearbeiteten Stoff hat die bekann 
te Geschichte der beiden Mütter geliefert, die um ein 
Kind streiten. E« widerfuhr dem Stücke eine Ehre, wel, 
che hier ganz ungewöhnlich ist: e« mußte nehmlich gleich 
am folgenden Tage wiederholt werden. 
Polnisches Theater in Warschau. 
Frankreich und Deutschland waren dir ersten Ernäh 
rer de» Polnischen Theaters; nie England, dessen Sitten 
und Gebräuche zu sehr gegen die Polnischen abstechen. 
Das erste Original-Trauerspiel, unter Sigismund I. ge 
druckt, war eigentlich ein Zauber spiel. Ein andere« 
mittelmäßiges Original hieß: Die Abfertigung der 
Griechischen Gesandten. Nun folgten mehrere, zum 
Theil au« der Nationalgcschichte, z. B. der Tod de« 
Zolkiewski, Wladislau« bei Warna, Sigis» 
mund August, Doleslaw, u. f. w. Auch das erste 
Originallustspiel erschien: die Zudringliche». Was 
aber ganz Warschau in freudige Bewegung setzte, war 
ein Stück von Niemcewicz, die Rückkehr de« Ge 
sandten. Die besseren Stücke brachten auch die besseren 
Schauspieler hervor, und jetzt geht, unter Herrn von 
Voguslawsky, da« Polnische Theater seiner Vollkommen 
heit entgegen. Dieser Mann ist von gutem Adel, Theil« 
auf der Krakauer Akademie, Theil« bei den Plansten in 
Warschau (der besten Lehranstalt für adelige Söhne, die 
je in Pohlen eristirt hat) wohl erzogen, spricht fünf 
Sprachen so fertig al« seine Muttersprache, liebt und ver 
steht Musik, und ist einer der besten jeyc lebenden Polni 
schen Dichter. Einige Zeit diente er als Officier unter 
der Garde, war reich, und durfte einst Anspruch auf Eh- 
renstellen machen; reiner Enthusiasmus für die Kunst 
trieb ihn zum Theater, wo er als Dichter und Schauspie 
ler seit zwanzig Jahren (gleich Jffland) täglich neue Lor- 
bern sammelt. Eine schöne Gestalt, ein herrliche« Sprach« 
organ, und Welt- und Menschenkenntniß in den höheren 
Ständen gesammelt, machen ihn zum vollendeten Künst 
ler. Die Polen nennen ihn mit Recht ihren Möllere, 
ihren Garrick. Außer vielen trefflichen Uebersetzungen 
au« dem Französischen, Deutschen, Italiänischen und Eng 
lischen, hat er auch folgende Originale geschrieben: I«< 
kahar, König von Guaxara; Sidncy und Z»m- 
ma; die Amazone» (sämmtlich von Joseph Elsner 
komponirt); die Krakauer und Goralen (von Stef« 
fani komponirt); Heinrich IV. auf der Jagd; die 
Modekrampfe; Beweis der Dankbarkeit der 
Nation. — Dar Repertorium des Polnischen Theater« 
enthält in mehr als vierzig Bänden ungefähr zweihundert 
Originalstücke. Der Uebersetzungen sind weit mehr. 
Ich führe hier nur die Deutschen der Zahl nach an: 
von Schröder vier, von Jffland zwei, von Babo 
zwei, von Soden ein«, von Ziegler drei, von Schil 
ler ein« (die Räuber), von Plümicke ein«, von Les, 
sing ein« (Emilia Galokti), von Zschocke drei, von 
Kotzebue dreißig, von Kratter zwei, von Dyk ein« 
(Esser), von Spieß zwei, von Jünger eins. — Von
	        
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