Path:
Volume Nr. 95, (Donnerstags, den 16ten Junius.)

Full text: Der Freimüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser (Public Domain) Ausgabe 1.1803 (Public Domain)

Sorge für unfern Leib möget ihr besser uns selbst über- 
lösten! — So steht die Sache. Die Leute verfahien mit 
einer so- großen Bescheidenheit und Besonnenheit, daß 
man ste auch nicht auf dar entfernteste der Widcrseglich- 
feit beschuldigen kann. Vermuthlich wird also die Sache 
durch einen Bericht bis an den Monarchen kommen — 
und wohl der Menschheit, daß dieser Monarch Alexander ist! 
Zweites Schreibe« aus Miete«. 
In diesen Tagen ereignete sich hier ein Vorfall, der 
der Seltenheit wegen der Aufbehalten» und der Bekannt 
machung wohl werth scheint. Die vom Kaiser kllerandcr 
der Kurlandischen Ritterschaft geschenkten Güter Trendzin 
und Jrmclau sollten derselben durch eine Kommission 
förmlich übergeben werden. Als nun an dem zur Ueber- 
gäbe bestimmte» Tage die au« 250 Gesindewirthen beste 
hende Banerschafk versammelt war, um erst solenn be 
wirthet und durch Speis' und Trank erquickt — hernach 
aber eben so solenn verzeichnet, und der neuen Herrschaft 
übergeben zu werden, war e» schon auffallend, daß kein ein 
ziger unter dieser großen Anzahl etwas genießen wollte, 
sondern Alle sich die Bcwirlhung verbaten, indem sie äu 
ßerten: „daß sie zu Hause »och Dr>,t hatten," - auf 
fallender aber noch, als sie hernach, in Absicht der Haupt 
sache, mit großer Ruhe und Bescheidenheit erklärten: 
„daß sie immerfort Kronbauern zu bleiben, 
und nach wie vor nur dem Monarchen zu ge 
horchen wünschten," wobei sie aller Ermahnungen 
und Vorstellungen ungeachtet bis an« Ende verharrten, 
und sich unter andern de« im Protokoll befindlichen Aus 
drucke« bedienten: „sic wollten wie Kletten an 
dem Kaiser hangen!" Als man sie nachher auffoder- 
te, einem bei dieser Gelegenheit besonders veranstalteten 
Gottesdienste beizuwohnen, schickten sic ihre Weiber und 
Kinder in die Kirche, und äußerten, indem sie selbst zu- 
rückbticben: „der Prediger könne zwar für ihre Seele, 
nicht aber für ihren Leib sorgen." — Wie glücklich 
fühlt sich der geringste Unterthan Alexander'«, daß er sich 
sogar fürchtet, aufhören zu mästen, e« ,u seyn! 
S —. 
Aus Schlesien. 
Ich habe die Berichtigung in der Zeitung für die 
elegante Welt, da« gesellige Leben in Breslau betreffend, 
gelesen, und finde, daß der Einsender weiter keine Ant 
wort verdient; denn alle« wa« er vorbringt, wimmelt 
von neuen Unwahrheiten. Ein Bürgerlicher z. B. in 
den höher» Aemtern müffe sich nothwendig adeln lassen. 
Man darf ja nar den Adreßkalender durchblättern, so 
wird man Geheime- Finanz-, Justiz- und Tribunalsräihe, 
auch Kammerdirckroren genug finden, die nicht von Adel 
sind, und auch gar keine Nothwendigkeit verspüren, den 
Adel nachzusuchen. Also — mag der elegante und 
wahrhafte Herr Correspondenr in Gokle« Nahmen da« 
letzte Mort behalten. Erlauben Sie mir dagegen über 
die, auch in der oben genannten Zeitung, vorkommende 
Behauptung: der Adel verdränge die Bürgerli 
chen aus den ersten Stellen in denLandes- 
Collegien, und lasse ihnen blos diejenigen 
Posten, welche mir vieler Arbeit verknüpft 
seyn, ein recht freimüthiges Mort zu sagen. Es mag 
vielleicht in Deutschland »och Provinzen geben, in wel 
chen der Adel aus diese Weise dominirk; in unserm Lande 
aber — ich wage eine auffallende, doch darum nicht min 
der wahre Behauptung — in unserm Lande ist cs fast 
umgekehrt. Die Stande eine«'Staates können, ohne 
eine vorhergegangene zerstörende Revolution, ihren Ge, 
rechtsamen nicht entsagen; folglich hat der Bürger eben 
so wenig Anspruch auf die ersten Slaakrbedienungcn zu 
machen, al« der Edelmann auf bürgerliche Nahrung und 
Gewerbe. Daß ausgezeichnete Talente eine Ausnahme 
machen, versteht sich von selbst; dem verdien,tvol- 
l e n Bürger muß der v e rdienstb a a r e Edelmann freilich 
nachstehen. — Die Sucht, ihre Kinder studieren zu lassen, 
ist in alle Dauern und Handwerker gefahren, die etwa« 
wohlhabend sind. Ursprünglich aber ist es die Bestim 
mung de» Edelmanns, als Ssldat oder Staatsmann, 
durch Ehr« belohnt, von innen und außen den Staat 
zu schätzen; der Bauer soll die Produkte de« Lande« er 
ziehen, der Bürger sie veredeln und ausführen. Jetzt sind 
alle Stände durcheinander geworfen, welche« zu mangel 
hafter Erreichung aller Zwecke führt. — Dem studieren 
den Sohne des Bauer« oder Bürgers, werde er auch 
noch so geschickt, wird e« doch immer an Erziehung feh 
len, um einem Stande oder Amte die gehörige Wür 
de zu verleihen, die nicht immer allein auf Kennt 
nissen beruht. Har er vollends nicht, studiert, sondern sich 
etwa vom Bedienten oder Schreiber bi« zu bedeutenden 
Stufen hinaufgeschwungen (wie das oft genug der Falk 
ist), so verbindet er mit dem Mangel an Erziehung auch 
den an soliden Kenntnissen. Seltene Ausnahmen gelten 
auch hier. — Wozu soll denn aber am Ende der unbe< 
gülerke Edelmann seine Zuflucht nehmen, wenn er au« 
irgend einer Ursache abgehalten wird, im Militair sein 
Fortkommen zu finden? Bürgerliche Nahrung darf er 
nicht treiben, da« verbieten die Gesetze; nur die Bürger, 
lichrn haben die Erlaubniß, ihn zu verdrängen, nicht um.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.