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Volume Nr. 94, (Dienstags, den 14ten Junius.)

Full text: Der Freimüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser (Public Domain) Ausgabe 1.1803 (Public Domain)

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möglich wiedergeben können, was auf mich den tief 
sten Eindruck gemacht hat, nehmlich den kindlichen 
Ton ihrer Stimm«, der mit ihrer äußern Einfachheit so 
schön harmonirte, die unzerstörbare Heiterkeit ihre« Ge 
sichts, die wiederum so wenig zu den Gedanken und Em 
pfindungen stimmte, welche sie ausdrückte. — Auch darf 
man ja nicht versuchen, einen deutlichen Begriff von der 
Wirkung geben zu wollen, den sie auf die Geschwornen, 
die Richter und das zahllose Volk hervorbrachte, welches 
den Saal füllte: Alke sahen aus, als ob sic dieses Mäd 
chen selbst für einen strengcnRichtcr hielten, der sie sämmt 
lich vor seinen Richtcrsiuhl berufen habe. Mit Eiuein 
Worte: dieser moralische Theil des Verhörs verhält sich zu 
dem Prozesse selbst wie ihre Physiognomie zu ihrer Ge 
stalt; c» fühlt sich wohl, aber c« sagt sich nicht. — 
Ich begnüge mich also, wörtlich und ohne Glossen die 
vornehmsten Fragen, welche an sie gethan wurden, sammt 
ihren Antworten zu wiederholen. Nachdem sie von dem 
Vorhaben, welches sie zwei Monate lang mit sich herum 
getragen, Maral wo möglich mitten im National-Convent 
zu erinorden, Rechenschaft abgelegt halte, fügte sie hin 
zu: „Auf dem Gipfel de» Berger') hätte ich 
ihn opfern mögen! Zwar würde die Wuth de« 
Volk« mich augenblicklich zerrissen haben; 
aber da« war es eben, was ich wünschte: man 
glaubt« mich in London, sogar mein Nahme 
wäre unbekannt geblieben. — Dann erklärteste, 
warum sie vorgezogen, in MaratS Haus zu gehen, und 
auf welche Weise sie den Zutritt erlangt, indem sic ihm 
zwei Briefe geschrieben, worin sie vorgegeben, sie habe im 
Nahmen seiner Freunde mit ihm zu sprechen. Man mach 
te ihr hierauf die Bemerkung: sie habe sich hinterlistig 
benommen. — Es ist wahr, sagte sie, das Mittel 
war meiner unwürdig; aber um das Vater 
land zu retten, sind alle Mittel gut. Ich muß 
te scheinen, ihn zu achten, um bi« zu ihm zu 
gelangen; ein solcher Mensch ist ja argwöh 
nt Ich. — Frage. Wer hatte Ihnen solchen Haß gegen 
Marat eingeflößt? — Antwort. Ich bedurfte keines 
fremden Haffe«; ich hatte an dem meinigen genug. — 
Frage: Aber ist der Gedanke, ihn zu ermorden. 
Ihnen nicht von Jemand eingehaucht worden? — Ant 
wort. Man pflegt übel auszuführen, was man nicht 
selbst beschlossen hat. — Frage. Was haßten Sie ei- 
gentlich a» ihm? — Antwort. Seine Verbrechen.— 
Frage. Was nennen Sie seine Verbrechen? — Ant, 
*) D-r Berg wurde dekanntttch die linke Seite im Consent 
genannt, wo die enragirten Pösewichter saßen. 
wort. Die Zertrümmerung Frankreichs, die ich als >eüt 
Werk betrachte. — Frage. Was Sie so nennen, ist aber 
nicht allein sein Werk- — Antwort. Das mag seyn; 
aber er hat alle« angewendet, um Frankreich ganz zu ver 
nichten. — Frage. Was hoffen Eie durch feinen Tod 
zu erlangen? — Antwort. Meinem Vatcrlande den 
Frieden wieder zu geben. — Frage. Glauben Sie denn 
alle Maral« umgebracht zu habe»? — Antwort. Ist 
dieser einmal todt, so werden die ander» sich vielleicht 
fürchten. - Ein Scrichtsdrener trat setzt hinzu, hielt ihr 
den Dolch vor die Augen, deffen sie sich bedient hatte, 
und fragte: ob sic ihn für denselben erkenne ? — In die, 
sem einzigen Augenblick veränderten sich ihre Züge; sie 
ward bewegt, wendete den Blick ab, stieß den Dolch mit 
der Hand von sich, und sagte stammelnd: ja, ich er 
kenne ihn, ich erkenne ihn. — Bekanntlich fand sie 
Marat im Bade, und senkte ihm da« Messer perpendi 
kulär in die Kehle. Der öffentliche Ankläger hcmerkle, 
daß sie vermuthlich den Stoß bloß deshalb gerade so ge 
führt habe, um ihrer Sache ganz gewiß zu seyn, und 
aus Furcht, eine Rippe zu treffen, wenn sie horizon 
tal gestoßen hätte. „Sie müssen sich," fügte er hinzu, 
„auf dieses Verbrechen sehr fleißig geübt haben." — 
O über das Ungeheuer! rief sie; er hält mich 
für einen Meuchelmörder! — Gleich, al« harte der 
Blitz unter die Versammlung geschlagen, machte diese 
Antwort der Sitzung ein Ende. Nach den gewöhnli, 
chen Forme» sagte der Präsident: der Vertheidiger 
har nun da« Wort. — Als ich aufstand, um zu re 
den, erhob sich Anfangs ein dumpfes Summen in der 
Derfaminlung, dem eine Todtenstille folgte, die mich bi» 
in's Innerste durchschauderlc. Während der Rede de« 
Ankläger« hatten mir die Geschworne» sagen lassen: i ch 
möchte ganz schweigen; und der Präsident: ich 
möchte mich begnügen, zu sag cn, dir Angeklag 
te sey wahnwitzig. Alle wünschten, daß ich sie de 
müthigen möchte. Ihr Gesicht allein blieb immer 
dasselbe; nur schien der Blick, mit dem sie mich ansah, zu 
verrathen, daß sie nicht gerechtfertigt seyn wolle. Dar 
an konnte ich, nach dem Verhör, ohnehin nicht zweifeln; 
auch war eine Rechtfertigung ganz unmöglich, da, außer 
ihrem Geständniß, die gcserlichen Beweise de« vorsetzli- 
chen Morde« vorhanden waren. — Indessen blieb ich ent, 
schloffen, meine Pflicht zu erfüllen, und nicht« zu sagen, 
wa« mein Gewissen, oder die Angeklagte mißbilligen 
könnte. Plötzlich ergriff mich der Gedanke, mich nur 
einer einzigen Bemerkung zu bedienen, die in einer Volks 
versammlung, oder vor Gesetzgebern wohl den Grund zu
	        
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