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möglich wiedergeben können, was auf mich den tief
sten Eindruck gemacht hat, nehmlich den kindlichen
Ton ihrer Stimm«, der mit ihrer äußern Einfachheit so
schön harmonirte, die unzerstörbare Heiterkeit ihre« Ge
sichts, die wiederum so wenig zu den Gedanken und Em
pfindungen stimmte, welche sie ausdrückte. — Auch darf
man ja nicht versuchen, einen deutlichen Begriff von der
Wirkung geben zu wollen, den sie auf die Geschwornen,
die Richter und das zahllose Volk hervorbrachte, welches
den Saal füllte: Alke sahen aus, als ob sic dieses Mäd
chen selbst für einen strengcnRichtcr hielten, der sie sämmt
lich vor seinen Richtcrsiuhl berufen habe. Mit Eiuein
Worte: dieser moralische Theil des Verhörs verhält sich zu
dem Prozesse selbst wie ihre Physiognomie zu ihrer Ge
stalt; c» fühlt sich wohl, aber c« sagt sich nicht. —
Ich begnüge mich also, wörtlich und ohne Glossen die
vornehmsten Fragen, welche an sie gethan wurden, sammt
ihren Antworten zu wiederholen. Nachdem sie von dem
Vorhaben, welches sie zwei Monate lang mit sich herum
getragen, Maral wo möglich mitten im National-Convent
zu erinorden, Rechenschaft abgelegt halte, fügte sie hin
zu: „Auf dem Gipfel de» Berger') hätte ich
ihn opfern mögen! Zwar würde die Wuth de«
Volk« mich augenblicklich zerrissen haben;
aber da« war es eben, was ich wünschte: man
glaubt« mich in London, sogar mein Nahme
wäre unbekannt geblieben. — Dann erklärteste,
warum sie vorgezogen, in MaratS Haus zu gehen, und
auf welche Weise sie den Zutritt erlangt, indem sic ihm
zwei Briefe geschrieben, worin sie vorgegeben, sie habe im
Nahmen seiner Freunde mit ihm zu sprechen. Man mach
te ihr hierauf die Bemerkung: sie habe sich hinterlistig
benommen. — Es ist wahr, sagte sie, das Mittel
war meiner unwürdig; aber um das Vater
land zu retten, sind alle Mittel gut. Ich muß
te scheinen, ihn zu achten, um bi« zu ihm zu
gelangen; ein solcher Mensch ist ja argwöh
nt Ich. — Frage. Wer hatte Ihnen solchen Haß gegen
Marat eingeflößt? — Antwort. Ich bedurfte keines
fremden Haffe«; ich hatte an dem meinigen genug. —
Frage: Aber ist der Gedanke, ihn zu ermorden.
Ihnen nicht von Jemand eingehaucht worden? — Ant
wort. Man pflegt übel auszuführen, was man nicht
selbst beschlossen hat. — Frage. Was haßten Sie ei-
gentlich a» ihm? — Antwort. Seine Verbrechen.—
Frage. Was nennen Sie seine Verbrechen? — Ant,
*) D-r Berg wurde dekanntttch die linke Seite im Consent
genannt, wo die enragirten Pösewichter saßen.
wort. Die Zertrümmerung Frankreichs, die ich als >eüt
Werk betrachte. — Frage. Was Sie so nennen, ist aber
nicht allein sein Werk- — Antwort. Das mag seyn;
aber er hat alle« angewendet, um Frankreich ganz zu ver
nichten. — Frage. Was hoffen Eie durch feinen Tod
zu erlangen? — Antwort. Meinem Vatcrlande den
Frieden wieder zu geben. — Frage. Glauben Sie denn
alle Maral« umgebracht zu habe»? — Antwort. Ist
dieser einmal todt, so werden die ander» sich vielleicht
fürchten. - Ein Scrichtsdrener trat setzt hinzu, hielt ihr
den Dolch vor die Augen, deffen sie sich bedient hatte,
und fragte: ob sic ihn für denselben erkenne ? — In die,
sem einzigen Augenblick veränderten sich ihre Züge; sie
ward bewegt, wendete den Blick ab, stieß den Dolch mit
der Hand von sich, und sagte stammelnd: ja, ich er
kenne ihn, ich erkenne ihn. — Bekanntlich fand sie
Marat im Bade, und senkte ihm da« Messer perpendi
kulär in die Kehle. Der öffentliche Ankläger hcmerkle,
daß sie vermuthlich den Stoß bloß deshalb gerade so ge
führt habe, um ihrer Sache ganz gewiß zu seyn, und
aus Furcht, eine Rippe zu treffen, wenn sie horizon
tal gestoßen hätte. „Sie müssen sich," fügte er hinzu,
„auf dieses Verbrechen sehr fleißig geübt haben." —
O über das Ungeheuer! rief sie; er hält mich
für einen Meuchelmörder! — Gleich, al« harte der
Blitz unter die Versammlung geschlagen, machte diese
Antwort der Sitzung ein Ende. Nach den gewöhnli,
chen Forme» sagte der Präsident: der Vertheidiger
har nun da« Wort. — Als ich aufstand, um zu re
den, erhob sich Anfangs ein dumpfes Summen in der
Derfaminlung, dem eine Todtenstille folgte, die mich bi»
in's Innerste durchschauderlc. Während der Rede de«
Ankläger« hatten mir die Geschworne» sagen lassen: i ch
möchte ganz schweigen; und der Präsident: ich
möchte mich begnügen, zu sag cn, dir Angeklag
te sey wahnwitzig. Alle wünschten, daß ich sie de
müthigen möchte. Ihr Gesicht allein blieb immer
dasselbe; nur schien der Blick, mit dem sie mich ansah, zu
verrathen, daß sie nicht gerechtfertigt seyn wolle. Dar
an konnte ich, nach dem Verhör, ohnehin nicht zweifeln;
auch war eine Rechtfertigung ganz unmöglich, da, außer
ihrem Geständniß, die gcserlichen Beweise de« vorsetzli-
chen Morde« vorhanden waren. — Indessen blieb ich ent,
schloffen, meine Pflicht zu erfüllen, und nicht« zu sagen,
wa« mein Gewissen, oder die Angeklagte mißbilligen
könnte. Plötzlich ergriff mich der Gedanke, mich nur
einer einzigen Bemerkung zu bedienen, die in einer Volks
versammlung, oder vor Gesetzgebern wohl den Grund zu