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Volume Nr. 65, (Montags, den 25sten April.)

Full text: Der Freimüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser (Public Domain) Ausgabe 1.1803 (Public Domain)

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liehen Begebenheiten zu Stande zu bringen. Dagegen sind 
aber auch einige Nebenpersonen mit vieler Menschenkennt 
niß und Kunst gezeichnet. (A. B. die Schilderung, welche 
Mad. de Lobensai von ihrem Manne mache.) Die weib 
lichen Charaktere sind beinahe alle vortrefflich ausgedacht. 
Die unglückliche Nachgiebigkeit der verblendeten Delphi 
ne gegen den Mann, der sich einmal ihrer Empfindungen 
bemächtigt hat; die Aufopferung, mit der sic sich allem un 
terwirft, was ihre Liebe und der Gedanke an ihn fodern, 
selbst nachdem sie sich von seiner Person losgerissen hat: 
dies alles ist aus der Natur. Die liebenswürdige mißge 
staltete Schwiegerinn, ihr fester Sinn, bei ihrer Schüch 
ternheit ; die harten selbstsüchtigen Charaktere der Mutter 
und Tante des Helden, der eingeschränkte Geist der Ma- 
tilde, der versteckte Charakter ihrer Mutter: dies alles ist 
so dargestellt, daß der Leser es der Vcrfasscrinn mehren- 
theils glauben muß, Menschen können so denken, und so 
handeln; oftmals auch da, wo er sie nicht recht begreift. 
Die Geschichte ist ebenfalls gut angelegt. Es fehlt 
nicht an großen und kleinen Begebenheiten, wodurch die 
Handlungen motivirt werden, und welche zu interessanten 
Scenen Veranlaffung geben. Die Charaktere der Welt 
leute, und die Auftritte des gesellschaftlichen Lebens, sind 
großcntheils vortrefflich ausgeführt. Der Duc de Men- 
boce, der Ball im ersten Theile, die Soirsss von Paris in 
den folgenden, sind mit dem Besten zu vergleichen, was in 
andern Romanen gefunden wird. Auch in einigen ernsten 
Auftritten ist viel Imagination. Dennoch ist in der Wir 
kung des Ganzen durchaus etwas Verfehltes. Die schreck 
liche» Katastrophen sind, mit Ausnahme der letzten, die mit 
der rhetorischen Geschwätzigkeit einer durch die vorhergehen 
den Scenen erschöpften Einbildungskraft ausgeführt wird, 
sehr gut dargestellt. Aber cs fehlt etwas, welches dem 
Trauerspiele ganz wesentlich ist. Solche Abscheulichkeiten, 
als dies« Menschen aus verblendeter Leidenschaft begehen, 
solches Unglück, als sie über sich und andre bringe», ist 
nicht zu ertragen, wenn das Herz des Lesers nicht durch 
da» Gefühl des Erhabnen besänftigt wird. Nur dadurch 
werden Sophokles und Shakespear anziehend. Die schreck 
lichen Handlungen und Begebenheiten, womit diese das 
Herz zerreißen, sind so gedacht, und so dargestellt, daß 
große sittliche Gedanken und Empfindungen die Oberhand 
behalten. Indem der Leser .oder Zuschauer im Innersten 
erschüttert wird, fühlt sich sein Herz wieder durch jene 
geheilt. Aehnliches empfindet man nicht bei dewKatastro, 
phcn der Delphine, eine einzige Stelle im dritten Theile 
ausgenommen, welcher hiernächst besonders gedacht wer, 
den wird. Die vorzüglichste umcr allen, die am meisten 
Gelegenheit gab, die unüberwindliche Gewalt der Moraki- 
tät darzustellen, der Tod der Mad. de Verno» im zweiten 
Theile, ist verfehlt; weil das wahre Gefühl des dichte 
risch Erhabenen der Verfasserin versagte. Der Ansang 
dieses Auftritts ist vortrefflich ausgeführt: das Betragen 
der eingeschränkten devo.'en Matilde, des Priesters, der 
Delphine, desLeonce, alles wahr und gut geschildert; bis 
auf den Augenblick, da die Sterbende sich wieder aufrich 
tet, um mit einer Declamation alles zu verderben. Die 
sen rednerischen Aufwand mußte die Verfasserin ersparen, 
und den rasenden Leonce durch einen einfachen sinnlichen 
Eindruck zum Bewußtseyn bringen. Milten in seinen Vor 
würfen und Verwünschungen, wodurch er die Hinschei 
dende mit ctnpörenderHärte in einen verzwciflungsvollen 
Tod zu stürzen bemüht ist, mußte er den Vorhang aufrei 
ßen, um die Wirkung seiner Strafrede wenigstens in dem 
Gesichte der Verstummenden zu lesen; und nun mit Ent 
setzen entdecken, daß der Tod aus ihren erstarrten Zügen 
schon den Ausdruck des gequälten Gewissens verwischt 
hatte, den sie den Umstehenden zu verberge» gesucht. Da 
brauchte ee wenig Worte, um dem Leser begreiflich zu 
machen, was Leonce empfinden muß, sobald er erkennt, daß 
er sich nicht mehr versöhnen kann. 
Die Leidenschaften, deren Darstellung den Inhalt der 
Delphine ausmacht, sind natürlich. Aber wer kann sich für 
die rasende Liebe eines übermüthigen Menschen iniereffi« 
reu? und wer soll sich für die unsinnige Neigung der 
Heldin zu einem Manne inkcreffiren, dem sie nicht wagen 
darf zu gestehen, daß sie aus unschuldiger Menschenliebe 
und Großmukh seinen verzweifelnden Nebenbuhler zu ret 
ten gesucht har? Die Geschichte der erst:» Entstehung die 
ser Liebe ist nichts besser, als die lappischen Erfindungen 
in den Romanen der Madam Aiccoboni, die durch ihre 
laxe Moral, weichliche Empfindsamkeit und schöne Schreib 
art vor einiger Zeit so beliebt geworden waren. Oer Cha 
rakter der Delphine ist liebenswürdig: aber es ist in der gan 
zen Geschichte nur ein einziger Augenblick, da er wirklich 
das Gefühl der Achtung erregt, ohne welches kein Roma, 
nenhcld Anspruch machen darf, den Leser ernstlich zu in- 
lcressiren. Dieses ist die Katastrophe im dritten Theile, 
da sie den Entschluß faßt sich aus den unauflöslichenDer- 
wickclungeu ihres strafbaren Verhältnisses, mit der Flucht 
zu retten. Etwa drei Briefe, die sie hierüber schreibt, 
sind vortrefflich: aber es sind auch nur diese wenigen 
Briefe, wodurch man für ihr Schicksal ein Interesse faßt, 
das tiefer gehr, als dasjenige, welches jede Beschäftigung 
der Einbildungskraft aus einige Augenblicke erregt. 
Auf die nehinliche Art al» die Erfindung, ist auch der
	        
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