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Volume Nr. 64, (Freitags, den 22sten April.)

Full text: Der Freimüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser (Public Domain) Ausgabe 1.1803 (Public Domain)

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fijge Bildung die gehörige Rücksicht zu nehme». Außer 
einem Privathandels - Institute zu Hagen in der Graf 
schaft Mark, und außer den vortresslichen Schuleinrich- 
tungen, welche der einsichtsvolle und echtpatriotifche Frei, 
Herr von der Reck auf seinen Gütern eingeführt hat, exi, 
flirt weder eine große noch eine kleine König!. Erzie- 
hungsanstalt (wie etwa das Klostcrbcrgische, oder das 
Hallische Pädagogium); ja, es ist, meine« Wissens, noch 
keine einzige Industrieschule im Preuß. Westphalen. Dies 
letztere ist um so auffallender, da sich hier so viele Zwei 
ge des Kunflfieisses befinden, und da gemeinnützige, be 
sonders mathematische und mechanische Kenntnisse und 
Fertigkeiten, durch Unterricht mitgetheilt, offenbar für 
die Verbesserung und Vervollkommnung der Fabriken und 
Manufakturen hier gewiß eben so nothwendig und un 
streitig nach Verhältniß auch so folgenreich seyn würden, 
als sie es bekanntlich schon lange in England sind. Die 
ser Mangel ist ein Grundübel, dem man, wie c« schon 
jetzt in Fiankreich geschieht, auch bei un« baldmöglichst« 
Abhülfe wünschen muß. 
Doch es scheint der Regierung unsers jetzigen Monarchen 
vorbehalten zu seyn, auch auf die bessere geistige Bildung der 
Westphalen zweckmäßige Rücksicht zu »ehnien, und dem 
ganzen Schulwesen die so nöthigen Verbesserungen wi 
derfahren zu lassen, zumal, da sich jetzt Fond« eröffiicn, 
deren Mangel allen noch so gutgemeinten Vorschlagen 
im Wege stand. Unsre Hoffnung ist auch um so größer 
und gegründeter, da unser gütige Monarch schon so man 
che Beweise seiner Neigung, da« Schulwesen zu verbes 
sern, an den Tag gelegt hat, und da die oberste Aufsicht 
über daffelbe einem Massow anvertrauet ist. 
Ein ganz neues Beispiel dazu liefert uns der edelge 
sinnte Chef des Infanterie- Regiments zu Bielefeld, der 
Herr Generalmajor von Besser, welcher dort, in Ver 
bindung mit den würdigen Compagnicchef« seine« Regi 
ment« , ein geschmackvolle« Garnisonschulhaus erbauen 
lassen, und es am roten März d. I-, «m Geburtstage un, 
screr allgemein geliebten Königin, feierlich eingeweiht hat. 
Recht viele, ja allgemeine Nachfolge, wird jeder 
Menschenfreund einem solchen Muster wünschen, dem da 
durch vollends die Krone aufgesetzt werde» wird, daß in 
diesem Hause künftig, statt des einen, der jetzt schon da 
rin wohnt, zwei guibesoldeie Lehrer und eine Lehrerin in 
weiblichen Arbeiten wohnen und lehren sollen. 
R - Pf. 
Portefeuille-Bemerkungen eines Fremden über Mita« 
in Kurland. 
So wenig bekannt der unbedeutende Punkt auf der 
Landkarte im Auslande ist; so sehr müßte er e«, nach 
den hohen Begriffen seiner Einwohner zu schließen, seyn. 
Es gehört zum Nationalcharakcer mancher Nationen, außer 
und neben sich nichts größeres zu dulden; und so erklärt 
fich denn der Glaube derjenigen, die sich nur da gefallen 
wo sie zu Hause sind, daß e« keinen vorzüglicheren Ort 
in der Welt gebe und keiner so berühmt sey als — Mi tau. 
Bekanntlich hat Kurland überhaupt keine Städte. Al 
les, was sich hier mit einem solchen Titel brüstet, würde 
in Deutschland, zu den Dörfern gezählt zu werden, sich 
glücklich schätzen müssen *). Ob nuu gleich Mitau in keiner 
Rücksicht hiervon auszunehmen wäre, so macht e« doch, als 
ehemalige Residenz der Herzoge von Kurland und jetzige 
Gouvernementsstadt, alle nur erflnnliche Ansprüche auf 
städtische Vorzüge und ist auch seil der Russischen Herr 
schaft durch die größere Konkurrenz und dergleichen Po, 
lizeianordnungen, welchen es seine gepflasterten Straßen 
rc. verdankt, dem Aeußeren nach einer Sradt so ziemlich 
ähnlich geworden. Aber, kein ungeselligeres Leben auf der 
Welt, als in einem solchen Mitteldinge von Stadt und 
Dorf, dessen ohnehin weilläuflig gesäelen Einwohner durch 
politische Spaltungen und ständische Absonderungen noch 
mehr getrennt werden! Stadt- und Landadel, geadelte 
Bürger, Juden, Litteraten, Officianten, Kaufleute, Hand 
werker und Tagelöhner, al» so viele einzelne Kasten, zer 
theilen da» Band, welches die geringe Zahl von achttau 
send Einwohnern zu einem geselligen Leben verknüpfen 
sollte. UebrigenS ist hier die Armuth zu Hause "), wel, 
ches die reisenden Virtuosen und Künstler am meisten zu 
erfahren Gelegenheit haben. Der Landhandel nährt den 
Bürger nur spärlich, jeder Bierbrauer heißt ein Kaufmann, 
und wer einige tausend Thaler im Vermögen hat, ein 
reicher Mann. Hauptsächlich wird aber noch jeder Er 
werb durch die Juden geschmälert, die hier in alle Fä 
cher pfuschen, und deren Manche im Betriegen Meister 
sind, wovon ich selbst wahrend meine» Aufenthalte» in 
Kurland einige Beispiele erlebt habe, die einem Cartouche 
und Käsebicr Ehre machen würden. — Der herrschende 
kleinstädtische Ton muß diesen Ort vollends jedem Gebil 
deten zu einem Eril machen. Hat jemand ein Huhn ge 
schlachtet, so bittet er die halbe Stadt darauf zu Gaste, 
und die ganze Stadt spricht -4 Stunden zuvor, und acht 
Tage nachher davon. 
Alles lebt hier, nur um sich zu erhalten. Für den 
*) Dicke Behauptung ist lehr gewagt. Ich kenne nur Mitau „nd 
Liebau in Kurland; oder ich weiß wahrhaftig kein Dorf in 
Deutschland, weiches ich mit einer von diesen Städten verglei 
chen konnte. Anmerkung des Herausgebers. 
**; Bei dem Adel doch gewiß nicht. ?inm. des Herausg.
	        
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