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vor ihrer Abreise für die Kaffe nicht mehr nachthcilig
werde» können.
Am meisten aber ist der geschmacklose unreinliche An-
z„g beim Tanzen zu tadeln. Es giebt in der Garderobe
verschiedene Röcke, deren Aermel lose Aufschläge haben,
die nach Verhältniß der Größe des jedesmaligen Inha
ber«, eines kleinen Mädchens, oder eines erwichsenen
Mannes, herauf und herunter geschlagen werden können.
Den Ehrgeitz der Schauspieler anzufeuern, bekommt
ein jeder, der applaudirt wird, von der Direktion 6 Pfen
nige ausgezahlt. Ls wird daher öfter aus Mitleid als
aus Ueberzeugung geklatscht, um die Kaffe jener zu be
reichern, und dieser zu vermindern. Der Zufall kann
also die einen in ihrer Arroganz bestärken, indeß das Ver
dienst anderer unbelvhnt bleibt.
Die Mädchen muffen, wenn sie ihre Rolle» einstudiert
haben, sich mit weiblichen Arbeiten beschäftigen. Alle
Kinder erhalten Unterricht im Schreiben u. dergl. m.
Zwei Rasttage sind überhaupt nur in der Woche, wo
nicht tine sonst täglich für 8 Gr. Lntreegcld wenigstens
drei Vorstellungen gegeben werden. Ein großes Stück
und zwei Tänze, oder zwei kleinere und ein Tanz. Man
sieht, daß von Freistunden eben nicht die Rede ist.
Herr Nuth macht im Komödien-Zettel, worauf alle
Stücke für den ganzen Monat stehen, zugleich bekannt:
daß man auf seinen Namen nichts borgen soll, weil er
alles gleich baar bezahlt; welches bei herumziehenden Ge
sellschaften nicht immer geschieht.
In Osterburg, Seehauscn und Perlcberg war das Pu
blikum sehr zahlreich. Die Landleuke aus der benachbar
ten Gegend, die Wische genannt, fanden großes Vergnü
gen an dem Spiel dieser lebendigen Puppen, wie sie es
zum Unterschiede von Marionetten nannten, welche sie
ehemals vielleicht nur gesehen haben mochten, und boten,
da sie zum Theil sehr wohlhabend find, mehrmals einen
Fnedrichsd'or für den Platz, wenn das Haus stark besetzt
war.
Einer von ihnen, Nahmens Nachtigall, der sehr auf
geklart für seinen Stand ist, war vorher schon einmal
nach Berlin gereiset, um Ifflands vortreffliche« Spiel zu
sehen. — I —
Ein Vorschlag, der Beherzigung verdient.
Wie wär'«, wenn wir mit unsern alten ehrlichen
Vorfahren sür Sonett wieder Klinggedicht sagten?
Ich bin sonst eben kein Freund vom Purismus. Ist ein
Wort wohlklingend, significaciv und dem Publikum, zu
welchem man spricht, verständlich; so kommt meines Er
achtens wenig darauf an, ob es auf fremdem oder hei
mischem Boden wuchs. Das Schöne ist ein Gemeingut.
Der wahre Patriot nimmt, wo er es auch findet, im Nah
men und zum Besten seiner Nation Besitz davon. Er
hält es keineswegs für Patriotismus, sondern für Thor
heit, den Sprachokganen Mißlaute bloß darum abquälen
zu wollen, weil sie den Vorzug haben, von den rauhen
Kehlen seiner in Bärenfelle gehüllten Urahnen heraus
gewürgt worden zu seyn. Aber eben, weil das Wort
Klinggedicht nicht übel klingt, und so ungemein charak
teristisch ist, wünschte ich, wir führten es wieder ein.
Unsere Sonettendichter würden dann Kling- oder Klingel
dichter heißen. Dabei müßten uns nothwendig die Klin
gelvater einfallen, zumal, da zwischen beiden eine auf
fallende Aehnlichkeit obwaltet; denn beide sammeln milde
Gaben ein, mit dem Unterschiede jedoch, daß diese um
ein Almosen an Scheidemünze — jene um ein dürfti
ges Almosen an Lorberen klingelnd ansuchen. Ein
größerer Unterschied ist noch dieser: der Klingelvater
weckt mit der Klingel die Schlafenden auf — der Klin,
geldichrer hingegen schläfert eben dadurch die Wachen
den ein.
Eine poetische Merkwürdigkeit.
Das älteste Klinggedicht, welches ich habe auftrciben
können, ist vom Jahre 15*9- Es steht vor Christoph
Wirsungs Verdeutschung der Apologen Bernhardt Ochini,
und ist eine wahre Quintessenz von Ungcschmack, Unsinn
und Rusticitat. Wahrlich! dieses Klinggcdichk muß schon
damals von der ganzen Gattung Hoffnungen erregt ha
ben, die jetzt im Kynosarges, im Apollon und anderwärts
so ganz und schön erfüllt werden. Dabei scheint Herr
Christoph Wirsung einen prophetischen Geist und die Ab,
sicht gehabt zu haben, nicht sein, sondern unser Zeit,
alter zu schildern. Man höre:
,,S Zeit für andre torecht toll,
S Welt ohn Witz, blind, viehisch und
Die gan; und gar im finstern Schlund
versenkt, verstrickt und Mangels voll."
„Du liegest »e vergrabe» wol
Im Chaos, da kein End, noch Grund
Der Irrthum, Gstank, Kot, ungesund
Da all Gottlosigkeit sei» soll."
„So gschicht dem, der den Bronnen klar
Der Wahrheit last und sucht crstert
kisternen, die ohn Säst und leer.
Liebt tunkten Nebel, schwarjen Gfahr,
De»' lugt, das er das hell Liecht werdt,
Der Wahrheit nit kann dulden mehr."
— dt.