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sich zugeeignet hatten. Nie haben jene Heuchler ein
Wort von dem gedacht, was sie sagten, und nie ein
Wort von dem gesagt, was sie dachten. — Voltaire
trank entsetzlich viel Caffee, und wurde dennoch 8+ Jahr
att. Man kennt die artige Antwort, die er einem Freun,
de gab, der ihm demonstrirte, der Caffee sey ein längs»,
mes Gift. Langsam muß es allerdings seyn, ver,
setzte Voltaire; denn ich schlürfe es nun schon seit
75 Jahren. — In Flandern und im ganzen nördlichen
Frankreich trinkt man täglich wohl bis zehn Taffen
Caffee, nur schwächer als wir. — Ein Arzt in Mont,
pellier behauptet, (und die Erfahrung lehrt, daß er Recht
hat:) man muffe den Caffee nicht zu vielbrcnnen,
wenn er gesund seyn solle. Wer ihn nur lichtbraun
brennt, dem bekommt er gewiß.
( Die Fortsetzung künftig. )
Kinder-Theater der Madame Ruth.
( Eingesandt ohne Anzeige deS Orts. )
In den hiesigen und benachbarten Provinzialfiadten
halt sich abwechselnd seit einiger Zeit eine Gesellschaft
kleiner Schauspieler, unter der Dircction des Herrn und
der Madame Nulh, auf.
Sie werden gewöhnlich als Kinder von acht oder
mehr Jahren von armen Eltern cngagirt. Ihre Lehr,
zeit ist auf zehn Jahre festgesetzt; bis so lange sie
unentgeldlich ernährt und gekleidet werden. Beiläufig ist
das Erstere sehr zu rühmen; denn die kleine Truppe
sieht gesund und fröhlich aus. Nachher hört der Dienst,
zwang auf, und jeder kann nach Belieben bei der Gesell,
schafr für eine bestimmte Gage bleiben, oder ein anderes
Unterkommen suchen; welches gewöhnlich der Falk ist,
da jene nur mäßig seyn kann, und ohnehin eine strenge
Disciplin herrscht. Jetzt sind drei solcher männliche» Ge
sellen, Namens Stengel, Müller und Längere, bei der
Gesellschaft, welche nicht ohne Talent für die Kunst mit
mehr Ausbildung durch beffere Muster bei einem gro
ßen Theater etwas leisten könnten.
Unter mancherlei lobenswerthe Einrichtungen dieser
Schule junger Schauspieler gehört auch, daß jeder, wenn
er sich zum ersten Male von der Truppe mit Zufrieden
heit der Direktion trennt, von derselben eine Art Aus,
fiattung erhält.
Beide Geschlechter werden sehr entfernt von einander
gehalten, und sind nie ohne Aufsicht der Madame Nuth.
Diese führt die Mädchen jedes Mal zum Schauspielhause,
und »ach der Vorstellung auch wieder zurück, wobei sie
zwischen der gaffenden Menge sehr ehrbar vor sich nie-
dersehcn müssen. Bei Spaziergängen ebenfalls, von denen
jedoch zu wünschen wäre, daß sie öfter gemacht würden,
weil die Kinder zu sehr eingekerkert sind. Sonst bürgt
ihre wirklich herzliche Anhänglichkeit für gute Behandlung
der Pflegecltcrn, nehmlich Herrn und Madame Nuth, die
Papa und Mama von ihnen genannt werden.
Daß sie mit der Peitsche p»r force zum Tanzen dres-
sirl werden, mag wohl nicht anders seyn können, weil
diese dann ersetzen muß, was die Natur versagt hat.
Ihre Ballets sind zuweilen komisch, und manche Mcnuet,
ten, als: a la Cosaque und ä la Spaniola ziemlich gut,
obgleich mehr gesprungen, als getanzt wird, und man
mehr Verdrehungen als sanfte Biegungen des Körper«
wahrnimmt.
Alles Küssen bei vorkommenden Gelegenheiten auf
der Bühne ist streng untersagt.
Es wird kein Fremder auf« Theater gelassen, um die
Sittlichkeit und Aufmerksamkeit nicht zu stören, welcher
letzter» die Kinder sehr bedürfen, indem kein Souffleur
geduldet wird. (Dies wäre bei manchem großen Theater
zu empfehlen.) Madame Nuih, welche während der
ganzen Vorstellung mit dem Strickzcuge hinter den Cou,
liffc» sitzt, hilft wohl zuweilen ein, ahndet aber einen sol,
chen Gedächtnißfehler gewöhnlich sehr geschwind, so daß
man nach dem Herunrcrrauschen des Vorhangs öfter»
noch das Klatschen einer Ohrfeige deutlich hört.
Manche Stücke, wie die Advokaten von Jffland,
geben sie in der That recht gut, wobei vorzüglich Herr
Stengel, als Advokat Wellenbergcr, gerühmt werde»
muß. Aber zuweilen wagen sie sich an Schauspiele, zu
denen Garderobe und Dccoralionen, welche ohnehin er
bärmlich sind, durchaus nicht paffen; wie z. B. an den
GrafenvonBurgund, der unter aller Kritik aufgeführt
wurde. So fiel die Mutter des Grafen Heinrich, anstatt
ihm in die Arme zu sinken, und riß diesen im Fallen mit
zu Boden. Den Schirmvoigt von Arles personificirte
ein Mädchen von dreizehn Jahren.
Die Illusion leidet zu sehr, wofern man auch von al-
lcm abstrahircn wollte, wenn ein graubariiger Ritter
oder alter General, von einem Knaben von zehn Jahren,
oder Mädchen, welches gleichviel ist, vorgestellt wird, und
die schönsten Stellen ohne Julerpuncrion singend hersagt.
Die Direktion ist vielleicht selbst von dem schlechte» Effekt
dieses großen Schauspiels überzeugt; aber sie denkt cs so
lange zu verhunzen, bis es endlich einmal gelingt, und
wählt deshalb gewöhnlich die letzte Vorstellung in jedem
Orte dazu, damit dergleichen mißlungene Versuche kurz