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Fügsamkeit und die Regulierung des Subjekts

Full text: Leben nach Migration (Rights reserved) Issue2010, Special Fügsamkeit und die Regulierung des Subjekts (Rights reserved)

Dezember 2010 SPECIAL: Homopho- Leben nach Migration bie und Rassismus Inhalt: ⇒ Seite 1: „Fügsamkeit und die Regulierung des Subjekts“. Ein Gespräch mit Jasbir Puar über Homonationalismus und wie Newsletter des Migrationsrats Berlin-Brandenburg e.V. Fügsamkeit und die Regulierung des Subjekts Jasbir K. Puar über Homonationalismus und wie Minderheiten gegeneinander ausgespielt werden Minderheiten gegeneinander ausgespielt werden. ⇒ Seite 3 – 4: Das Zusammenspiel von Rassismus, Homophobie und Transphobie im Leben von Queers of Color ⇒ Schwarze Körper, Homophobie und Rassismus ⇒ Sie werden es hassen, wenn wir an einem Strang ziehen ⇒ Weiße Verbündete ⇒ Die Deutungsmacht über Geschlecht und Race ⇒ Transmenschen und Queers of Color im Raster ⇒ Seite 5: Ganz normal: Die Geschichte des Homonationalismus in Deutschland ⇒ Seite 7 – 8: Es sollte nicht nur um Homopolitik gehen, sondern um soziale Gerechtigkeit. Interview zwischen Suspect und einem Aktivist of Color. Was haben wir unter „Homonationalismus“ zu verstehen? Für mich geht es beim Homonationalismus nicht allein um rassistische oder privilegierte Queers. Auch, wenn der Begriff oft so verwendet wurde. Wichtig ist die Spannung zwischen der Vorstellung einer zunehmenden Visibilität und einer zunehmenden sozialen Anerkennung von Schwulen und Lesben – sowohl in Konsumräumen als auch in juristischen Räumen. Mir geht es vor allem darum, wie diese Anerkennung auf Kosten bestimmter Subjekten gewonnen wird, die nicht in das Bild des erwünschten homosexuellen Subjekts passen – rassifizierte Subjekte, verarmte Subjekte, und sogar Subjekte, die gar nicht homosexuell sind, aber deren Sexualität als pervers wahrgenommen wird. Nehmen wir eine allein erziehende, afroamerikanische Frau, die drei Kinder hat und auf Fürsorge angewiesen ist. Obwohl wir es hier mit normativer Heterosexualität zu tun haben, ist ihre Sexualität weniger erwünscht als die eines „anständigen“ homosexuellen Subjekts, das einen guten Partner, einen guten Job hat und einen kosmopolitischen Lifestyle. Wir sehen also, dass sogar die Unterscheidung von Homosexualität und Heterosexualität vor dem Hintergrund des „Homonationalismus“ zusammenbricht. Du hast einmal in einem Artikel erwähnt, dass dieser „Homonationalismus“ die Fügsamkeit in Diesen Artikel hatte ich mit meinem CoAutor Amit S. Rai in der Zeit nach 9/11 geschrieben: „The Monster, Terrorist, Fag – the production of docile patriots“. Wir haben uns angeschaut, wie Subjekte, die als sexuell pervers und „rassisch“ anders verstanden werden dazu dienen, die Produktion von ungewollten, unerwünschten Subjekten zu regulieren. Wer ist gemeint? Nehmen wir das Beispiel des Sikh Amerikaners mit Turban. Nach 9/11 und immer noch herrscht eine große Angst vor dem Turbanträger. Und der Sikh läuft Gefahr für einen Terroristen gehalten zu werden. Die Konstruktion des Moslems als Terrorist und als „rassischer“ Andere und als sexueller Anderer reguliert die Fügsamkeit des Subjekts, das beweisen möchte, dass es kein Terrorist ist. Was macht das gute Subjekt aus? Ich denke, hier gehen Neoliberalismus und Multikulturalismus Hand in Hand und produzieren verschiedene Arten von nationalen guten Subjekten. Einst war es der Weiße, heterosexuelle Mann, der das gute Subjekt darstellte, jetzt ist es auch der Weiße homosexuelle Mann. Dann haben wir z.B. den amerikanischen Sikh mit Turban, der sich von dem Konstrukt des Terroristen abgrenzen möchte. Er produziert sich selbst als guten Bürger. Kannst Du ein Beispiel geben? Nach 9/11 gab es viele amerikanische Sikhs, die attackiert wurden. Ich kenne einige Sikhs, die Mitgliedern ihrer Community halfen – solchen, deren Häuser bspw. verwüstet wurden. Als es aber der Gesellschaft verstärkt. Wie muss man sich das vorstellen? Kein Wir ohne Uns Leben nach Migration wird gefördert vom Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration Leben nach Migration Jasbir K. Puar Jasbir K. Puar promovierte 1999 an der University of California, Berkeley, im Department of Ethnic Studies mit dem Schwerpunkt Women, Gender, and Sexuality. Thema ihrer Dissertation war: "Transnational Sexualities and Trinidad: Modern Bodies, National Queers." Seit 2000 ist sie Professorin am Department für Women’s and Gender Studies an der Rutgers Universität. Sie ist Autorin von Terrorist Assemblages: HomonationaKarrikatur: Hayati lism in Queer Times (Duke University Press 2007). Seite 2 darum ging einem Sikh zu helfen, der festgenommen wurde, weil mit seinen Papieren etwas nicht stimmte, zogen sich all die guten Subjekte zurück. Sie wollten nichts mit der Situation zu tun haben. Sie zogen also eine scharfe Grenze, wenn es um nationale Zugehörigkeit ging – sie wollten mit niemandem in Verbindung gebracht werden, der ihrem Anspruch guter Staatsbürgerschaft nicht genügte. Anderen des Anderen“. Meine Eltern können als „Andere“ wahrgenommen werden, weil sie nicht dem normativen Bild eines Weißen Amerikaners entsprechen. Doch auch aus der Sicht meiner Eltern gibt es „Andere“, das sind „die Anderen des Anderen“. Die hat es immer gegeben, seit 9/11 haben wir nur eine sehr partikuläre Situation. D.h. das Beispiel ist speziell, doch der Mechanismus ist weitverbreitet und historisch alt. Und durch diese Abgrenzung reproduzieren sie Wie entsteht dieser Mechanismus? sich als gute Subjekte? Durch eine Ansammlung von Staatsdiskursen über Gesetze, Recht und Regulation, durch Mediendiskurse, Visibilität und Repräsentationspolitiken. Auch die konsumbasierten Diskurse – wie bewegst du dich in der Welt als Konsumbürger, etc. Genau. Das gute Subjekt muss sich permanent als solches reproduzieren. Und dafür muss es sich permanent von den schlechten Subjekten abgrenzen. Auf diese Weise produzieren sich die guten und schlechten Subjekte in gewisser Weise gegenseitig. Man darf sich das also nicht so vorstellen, dass Der Sikh muss ständig unter Beweis stellen, Goerge W. Bush einen Berater hatte, der mein- dass er kein Moslem ist. te, dass einige zusätzlichen Regulierungsme- Und dass er mit niemandem etwas zu tun hat, der auch nur in irgendeiner Art und Weise ein Terrorist sein könnte. Jemand in Gewahrsam. Selbst, wenn es sich dabei um einen Sikh aus seiner eigenen Community handelt. Man wollte partout nicht helfen, weil die entsprechende Person keine Papiere hatte. Das Argument, dass es juristische Schwierigkeiten gibt und er Hilfe braucht, dass es sich bei der Festnahme um eine Ungerechtigkeit handelt, zählte nicht. Das war ihre Art ihren Mittelstand-, Vorzeigeminderheiten-Status aufrecht zu erhalten. Sie waren besorgt um all die Sikhs, die den post-9/11 Rassismus erfuhren, aber sie würden unter keinen Umständen ihren eigenen Anspruch an einen guten US-Bürger unterlaufen. chanismen nötig wären? Die Konstruktion der guten und desr schlechten Bürgerin hilft die Bürger/innen zu regulieren. Wo kommt dieses Konstrukt her? Ist sie einfach entstanden oder wurde sie gar als ein Tool im Krieg gegen den Terror produziert? Nein, das ist etwas, das permanent passiert. Solche binären Oppositionen hat es immer gegeben. Es gibt immer auch „die Das nicht, aber der Staat ist in vielerlei Hinsicht verantwortlich. Auf der einen Seite reproduziert sich der Staat als wohlwollenden, liberalen Schützer all seiner Bürger. Auf der anderen Seite geht es darum nationale Körper zu zerteilen und fragmentieren, sodass er über mehr Kontrolle verfügt. Einerseits schmeißt Bush Dinner-Parties, wo Mitglieder aus allen Religionen eingeladen sind und ähnliches, auf der anderen Seite beschatten Agenten des Secret Service und des FBI Moscheen in New York City. Das ist eine „good Cop, bad Cop“Technik. Es wird ein Gefühl von Schutz und Sicherheit erzeugt und Bewusstsein über Diversität und Toleranz behauptet und gleichzeitig kommt es zu zunehmender Überwachung und größeren Polizeieinsetzen in bestimmten Nachbarschaften und all diese Dinge, zu denen es nach 9/11 kam – Strategien, die Bevölkerung zu regulieren. Vielen Dank fürs Gespräch. Das Gespräch führte Deniz Utlu Das Leben nach Migration Jahresspecial zu Homophobie und Rassismus ist in Kooperation mit SUSPECT entstanden. SUSPECT ist eine kleine Gruppe von Queers, die eine AntiGewaltbewegung aufgebaut haben und die dafür einstehen, dass es nicht möglich ist, gegen Homophobie zu kämpfen ohne auch gegen Rassismus zu kämpfen. Kontakt: usualsuspects@hotmail.de Zum Weiterlesen: http://nohomonationalism.blogspot.com/2010/06/ac tivist-writings-for-organic.html aKFN Ganz normal: Die Geschichte des Homonationalismus in Deutschland SUSPECT über das letzte Jahrzehnt einer Sexualpolitik als Versuch, die Assimilierung Weißer Schwuler und Lesben durch Ausschluss von und Konkurrenz mit anderen ‚Minderheiten‘ durchzusetzen. Während Aussprüche wie ‚Die Migranten haben es besser‘ schon länger zu hören waren, finden seit Ende der 90er Jahre gezieltere Versuche statt, sich in rassistische Debatten zu Integration, Kernwerte, Sicherheit und Gewalt einzuschreiben und die Grenzen von Deutschsein aktiv mitzubestimmen. In der dominanten schwullesbischen Geschichtsschreibung erfolgt die Wendung hin zu Themen, für die man sich bislang wenig interessierte, auf die Erringung einer Gleichstellung, die durch die Durchsetzung formeller Rechte wie Entkriminalisierung von Homosexualität und gleichgeschlechtliche Partnerschaft symbolisiert wird, und deren einzige Gefährdung nunmehr bei ‚den Migranten‘ zu suchen ist. Dabei war Sexualpolitik nicht immer so: zu anderen Orten und Zeiten gab es radikalere Ziele und Mitgliedschaften. So beschreibt Silvia Rivera, eine Drag Queen of Color, wie sie sich im New York der 70er Jahre neben der Gay Liberation Front auch in anti-rassistischen Gruppen wie den Black Panthers und für Transgender Street Kids und Sexarbeiter/innen engagierte. Auch in Deutschland waren Queers of Color Mitbegründer/innen unterschiedlichster Bewegungen. Leider ist diese Geschichte bislang undokumentiert. Jasbir Puar benutzt den Begriff ,Homonationalismus‘, um den Versuch dieser (nicht immer erfolgreichen) Assimilierung, und die damit einhergehende Erfindung einer ‚schwulenfreundlichen‘ Nation, zu beschreiben. Dies geht auf Kosten derer, deren Zugehörigkeit im Kontext des Krieges, der Grenzverschärfung und der wachsenden Kriminalisierung immer prekärer wird: alte und neue Migrant/innen sowie ihre Kinder und En- kelkinder - vor allem die, die als muslimisch identifiziert werden - Roma und Sinti, sowie andere People of Color. Es sind auch die, deren reale oder fantasierte sexuelle und Geschlechtsidentitäten (zu viele Kinder, zu wenig Geld, nicht monogam, zu früh verheiratet, zu patriarchal, zu unterdrückt) immer weniger in den nationalen Maßstab zu passen scheinen. Auf der Strecke bleiben auch queer-, trans-, homo- oder bisexuell identifizierte Menschen, die nicht aufgrund ihrer Schichtzugehörigkeit, ihres Weißseins oder ihrer konformen Maskulinität oder Femininität als anständige (Ehren-)Bürger/innen durchgehen können. Wir illustrieren Homonationalismus in Deutschland durch drei Beispiele, die drei rassistischen Moralpaniken in der Mehrheitsgesellschaft direkt entsprechen. Integration: Hatun Sürücü Fast jeder kennt den Namen Hatun Sürücüs, die 2005 ums Leben kam. Laut Zeitungsberichten war sie Opfer eines ‚Ehrenmordes‘ durch ihren Bruder, der sie gnadenlos in den Kopf schoss. Die Geschichte erhielt massive Aufmerksamkeit, vielleicht auch weil sie die Voraussetzungen eines klassischen ‚türkischen‘ Dramas erfüllte: eine schöne Frau, die sich entschleierte und ihrer strengen Familie entlief, und dann anfing sich zu schminken und ein selbstbestimmtes Leben als Single-Frau zu führen. Dennoch war es nicht etwa eine Frauenrechtsorganisation, die eine Woche nach ihrem Tod zu einer Mahnwache für sie aufrief, sondern eine schwullesbische Organisation, welche bislang herzlich wenig für Frauen, geschweige denn Frauen of Color, getan hatte. In der Presseerklärung war die Rede von ‚ein[em] archaische[n] Verständnis von Familienehre‘, ‚unterdrückenden Eheund Familienstrukturen‘, sowie einem ‚falsch verstandenen Ehrbegriff‘. Dies war nur der erste Versuch, die eigene Assimilierung durch Beanspruchung einer neuen Expertise in der Assimilierung Kein Wir ohne Uns Leben nach Migration wird gefördert vom Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration Leben nach Migration von ‚Migranten‘ voranzutreiben. Grenzen: Muslim-Test Gstaltet vom Künstler Andil Gosine Karrikatur: Hayati Rückständig, archaisch, vormodern oder unterdrückt sind nur einige der Begriffe, die wir in der sehr neuen Sparte von Medienberichten zu Sexualität und Migration oft lesen. Im Vergleich zu denen, die im Zuge des Krieges und der europäischen Integration von ‚Ausländern‘ zu ‚Muslimen‘ werden, wird die deutsche Gesellschaft (mit einem Löffelchen voll Amnesie) als Paradies sexueller Freiheit vorstellbar. In der Debatte um den sogenannten Muslim-Test in BadenWürttemberg 2006 wird Frauen- und Schwulenfreundlichkeit gar zum deutschen Kernwert. Rund die Hälfte der 30 Fragen beschäftigen sich mit dem Sicherheitsrisiko und Terrorpotenzial sogenannter ‚muslimischer‘ Bewerber/innen für die deutsche Staatsangehörigkeit (‚Was denken Sie über die Übergriffe am 11. September?‘). Die andere Hälfte dreht sich um Geschlecht und Sexualität (‚Was würden Sie tun, wenn Ihr Sohn sich als Homosexuell outen würde?‘). Nicht nur die CDU steht hinter dem Test – unterstützt wird er auch von dem Berliner Lesben- und Schwulen Verband Deutschland (LSVD). Somit wird aus einem Staat, der bis vor kurzem kaum ein Hehl aus seiner Abneigung gegen Homosexuelle machte, einer, der diese vor Homophobie schützen soll. Deutschlands größte Schwulenorganisation schlägt sich nunmehr eindeutig auf die Seite eines Systems, das die Civil Rights von People of Color immer unverhohlener unterwandert. Kriminalität: Hassgewalt In den letzten Jahren der Dekade spielt das Drama um ‚homophobe Migranten‘ vermehrt in den gentrifizierenden Innen- Seite 4 städten von Hamburg und Berlin, aber auch anderen westeuropäischen Großstädten wie Oslo, Kopenhagen, Amsterdam und London, die zum Tatort der neuesten Moralpanik über ‚Hasskriminalität‘ werden. In Berlin finden 2008 allein mehrere Aufmärsche statt. Es wird zu Boykotts gegen ‚südländische‘ Läden (zuweilen gleich gegen ‚Muslime‘) aufgerufen. Gewaltsame Vorfälle werden zum Kapitel, aus dem sich Medienaufmerksamkeit und staatliche Förderung schlagen lässt. Dies ist selbst dann der Fall, wenn der Wahrheitsgehalt stark umstritten ist. Auch dem schwulen Überfalltelefon, das sich als weitere Expertin zum Thema ‚homophobe Migranten‘ stilisiert hat, wird szene-intern vorgeworfen, ethnisierte Täterstatistiken gefälscht zu haben. Rassismus-Skandal auf dem CSD Mit Judith Butlers Verweigerung des Zivilcourage-Preises wurde die rassistische Wende Weißer deutscher Sexualpolitiken erstmals skandalisiert. Während die schwullesbischen Vereine sich bislang nicht zu dieser Kritik positionieren, hat die Debatte um den Skandal zu einer weiteren Stärkung von Koalitionen zwischen heterosexuellen Migrant/innen und Queers of Color geführt, die auch in diesem gemeinsam herausgegebenen Newsletter zum Ausdruck kommen. Als Queer- und Trans Leute of Color fühlen wir uns durch diese Koalitionen ermutigt und gestärkt. Wir werden sie brauchen, um Rassismus, Homophobie, Transphobie, Militarisierung und Kriminalisierung ein Ende zu bereiten. Seite 5 Das Zusammenspiel von Rassismus, Homophobie und Transphobie im Leben von Queers of Color Als Schwarze Menschen und People of Color sind wir auf unterschiedliche Weise mit den Ausdrucksformen von Rassismus konfrontiert. Er durchzieht als Macht- und Unterdrückungssystem alle gesellschaftlichen und sozialen Bereiche. Geschlecht, Gender und Sexualität bilden hierbei keine Ausnahmen. Die hiesig gesellschaftlich akzeptierten Genderrollen sind durch rassistische Muster festgelegt, ebenso die Vorstellung über Sexualität oder einem geschlechtseindeutigen Körper. Als queers of Color bekommen wir Formen von Rassismus zu spüren die untrennbar mit unserer Sexualität, unserer Genderidentität und Geschlecht verbunden sind. Vielmehr als bei einer Schnittstelle an der sich Rassismus, Homophobie, Transphobie und Sexismus wie verschiedene Formen der Diskriminierung überschneiden, bedingen sie einander, schaffen sich gegenseitig. Leben nach Migration Sie werden es hassen wenn wir an einem Strang ziehen Geschlecht, Geschlechtereindeutigkeit, sexuelle Identität/Orientierung haben eine Farbe. Im Zuge der Kulturalisierung von Homophobie, Transphobie und Sexismus, wird die individuelle Gestaltung von Geschlecht und Sexualität ohne innere Widersprüche als ein weißes Privileg gedacht und People of Color zu Hauptverdächtigen im Kampf gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt erklärt. Eine Positionierung zu unseren Brüdern und Schwestern Of Color ist daher für uns von großer Wichtigkeit. Hier müssen wir uns gemeinsam mit Heteronormativität, Transphobie und Homophobie als gesamtgesellschaftliches Problem auseinandersetzen. In meiner Arbeit (und der von vielen anderen Queers of Color) in einer anti-rassistischen Queers of Color-Organisation kommt es meistens dazu, dass ich wegen dem "Oh, "die" "Migrant_innen" sind viel, viel homophober als WIR" Argument vergesse, dass ich eine Trans/Queer of Color-Person bin, weil ich die ganze Zeit damit beschäftigt bin "of Color" zu sein. Meine queere Identität wird in den meisten Fällen sowohl von Weißen nicht- Schwarze Körper, Homophobie und Rassismus Europäische heteronormative Vorstellungen von Männlichkeiten und Weiblichkeiten sind zutiefst rassistisch. Die Geschlechterlinien die hier gezogen werden, dienen nicht nur dazu ein binäres Geschlechtersystem zu erschaffen, sondern auch um Weißsein als weiteres Merkmal in der Geschlechterkonstruktion zu verankern. Natürlich steht beim Wettkampfsport der Körper im Vordergrund. Wie viel Zeit man damit verbringt Bewegungsabläufe zu trainieren, Muskelkraft aufzubauen oder Fett zu verlieren. Und dann steht man vor dieser weißen Meute und muss sich anhören wie sie das ganze Wissen, das sie vorgeben längst vergessen zu haben, über Schwarze Muskeln, Ausdauer und Reflexe- Rassentheorien, von sich geben. Und natürlich sind deine Sexualität und dein nicht heteronormatives Erscheinungsbild zuviel für die Nerven deiner blonden Gegnerin im modernen Sportröckchen. Als Schwarze queere/lesbische Frau habe ich mich bewusst gegen eine Karriere im Sport entschieden. Leben nach Migration Jahresspecial zu Homophobie und Rassismus Eine Kooperation des MRBB mit SUSPECT (siehe Infobox auf S. 6) Die Texte auf den Seiten 3 bis 8 stammen aus der Feder von SUSPECT Mitgliedern unter der Redaktion von Leben nach Migration. Am 09.06.2010 lehnte Judith Butler den Zivilcouragepreis des CSD e.V. in Berlin ab. In der 6. Ausgabe von Leben nach Migration dieses Jahr haben wir die Ablehnungsrede abgedruckt und mit Judith Butler gesprochen. Gleichzeitig entstand die Idee für ein Jahresspecial in Form einer Kooperation vom MRBB und von SUSPECT. trans/heterosexuellen Menschen, als auch von Weißen Queers ausgelöscht. Weiße Verbündete Weiße LSBT*-Organisationen haben sich in den letzten Jahren darauf spezialisiert queers of Color vor ihren „superhomophoben“ Familien of Color „retten“ zu wollen. Voller Unverständnis blicken sie auf ebenjene, die auf den Rassismus in weißen LSBT Zusammenhängen verweisen. Weiße Verbündete die sich ihrer Privilegien in Bezug auf ihr Weißsein bewusst sind, sind im Hinblick auf das gemeinsame Interesse eine Nichthomophobe, Nichttransfeindliche, Nichtheteronormative Gesellschaft zu kreieren unabdinglich. Als eine weiße Verbündete ist es meine Verantwortung die Verbindungen zwischen Rassismus, Homophobie, Transphobie und Sexismus zu suchen/verstehen und sie in verschiedenen Kontexten sichtbar machen. Weiße Menschen sind im Gegensatz zu sogenannten Migrant_innen und People of Color nicht betroffen. Wenn wir von einem Weißen Privileg sprechen, meinen wir das Privileg rassistische Gewalt nicht jeden Tag selber zu erleben, *Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transmenschen Leben nach Migration Seite 6 xistisch zu sein scheint, waren viele Dozenten sich einig, dass so eine künstlerische Intervention wie meine in Deutschland kaum funktionieren würde, weil man sich in hier mit Gender seit Jahren auseinandergesetzt habe. Im Nachhinein erfuhr ich, dass der Institutsleiter, der jederzeit über die starke Präsenz der „ausländischen“ Studierenden am Institut stolz zu sein scheint, auf meine Fotoarbeit verweisend, die anderen gefragt haben soll, was für Typen sie zukünftig am Institut zulassen wollen. Queer and trans people of colour and allies crashing the alternative Pride event in Berlin, June 2010. sondern auszuüben. Diese rassistische Gewalt ist Personen of Color, die eine queere Intervention an einem vornehmlich Weißen genderkonformen/heterosexuellem Ort vorzunehmen versuchen, werden sich schnell in der Situation sehen, dass ihnen symbolisch oder tatsächlich das Existenzrecht verweigert wird. Durch das Aufzeigen der vorherrschenden Heteronormativität, Transphobie und Homophobie an diesen Orten wird der Weiße europäische Stolz verletzt. Mit einem Mal wird hier die vermeintliche moralische Überlegenheit gegenüber dem rassifizierten Anderen eingebüßt, denn schließlich ist Homofreundlichkeit zum neuen europäischen Grundwert erklärt worden, den es gegen die „rückständigen“ Menschen of Color besonders Muslimen, zu verteidigen gilt. immer mit Gender (soziales Geschlecht), Genderunkonformität, soziale Schicht, etc, verwoben. Es ist sehr wichtig genau das in Weiß-dominierte, queere Gruppen und Räume zu tragen, weil sie Transmenschen und Queers of Color im Raster Ich kann mich immer noch an die Gesichter der Über eine symbolische Bedrohung oder einen Ausschluss hinaus, kann dort wo sich Rassismus und Transphobie treffen, eine lebensbedrohliche Situation entstehen. Das Racial Profiling von Behörden und Justiz sowie die gesetzliche und gesellschaftliche Pathologisierung von Transleuten schaffen den Rahmen für diese Realität. Gremiumsmitglieder der Kunsthochschule erinnern, Für Transleute of Color lässt sich Transphobie oft sich anscheinend (und oft) nicht zu der Gruppe zählen, die Rassismus anwendet. Aber sie liegen falsch. Die Deutungsmacht über Geschlecht und Race als ich die Jpeg-Datei öffnete. Auf dem Foto konnte man meinen Arsch in dem gleichen Setting wie die Vagina in Gustave Courbet’s Gemälde „ Ursprung der Welt“ sehen. Ich betitelte mein Foto mit “Ende der Welt”. Das war eine queer Intervention von mir, die ich im Nachhinein immer noch für wichtig halte, weil ich weiterhin den Heterosexismus in der Kunstszene erfahre. Bevor ich die Fragen beantworten konnte, kam die furchtbare Reaktion des Institutsleiters. Er war entsetzt und nicht mal bereit zu versuchen meine Herangehensweise zu verstehen. Trotz meines Einsatz aufzuklären, dass die Kunstszene überall gleichgültig heterose- nicht von Rassismus trennen. Hält dieser Polizist mich an, weil ich braune Haut und schwarze Haare habe, oder weil mein Geschlecht suspekt wirkt? Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen werden Transmenschen und Queers of Color nicht aufhören gesellschaftliche Missstände aufzudecken und zu kritisieren. Wir möchten Bewegung initiieren und starke widerständige Verbündetennetzwerke unter People Of Color schaffen! Seite 7 Leben nach Migration Es sollte nicht nur um Homo-Politik gehen, sondern um soziale Gerechtigkeit Interview zwischen SUSPECT und einem Aktivist of Color Wann hast du gemerkt, dass du Heterosexuell bist? Heterosexuelle Erlebnisse kamen mit der Sozialisation. Aber zu sagen, dass ich heterosexuell bin, hat in meinem Fall etwas länger gedauert, da ich als 10 Jähriger schon homosexuelle Erfahrung hatte. Im Übrigen bin ich mit einigen Freunden, die ähnliche Erfahrungen hatten, der Meinung, dass nicht wenige türkische/kurdische Jungen unserer Generation eine ähnliche homosexuelle Erfahrung hinter sich haben, aber worüber natürlich nicht gesprochen wird. In meiner Jugend war ich viel mit Gays unterwegs und das ist auch so geblieben, und mir wurde sehr regelmäßig auch Homosexualität oder zu mindestens Bisexualität unterstellt. Ich würde sagen, bis dato bin ich heterosexuell mit homosexueller Erfahrung in der Kindheit gewesen, aber ob das ganz mein Leben so bleiben wird, halte ich explizit offen. Wie würdest du dich definieren? Ich glaube schon, dass es eher zutrifft, mich selbst als nicht-heteronormativer Man of Color zu bezeichnen. Ich habe eine sehr starke anti-rassistische und weniger eine ethnische Identität. Was nicht heißt, dass ich mich nicht situativ als Muslim positioniere oder auch als Türke oder Kurde, wenn es darauf ankommt. In der Vergangenheit wurde ich aber ein oder zwei Mal als Queer bezeichnet, aber bisher konnte ich das für mich nicht beanspruchen. Ich werde schon eher als heterosexueller Mann gelesen und weiß nicht, ob es eine Vereinnahmung oder ein inflationärer Umgang mit einer queeren Identität wäre, wenn ich mich als Queer bezeichnen würde. Deswegen bin ich damit sehr vorsichtig. Gibt es queere Leute in deiner Familie oder Freundeskreis? Es gibt einen entfernten Cousin aus Holland. Mein Bruder hat mir erzählt, dass er mittlerweile sein Outing gehabt hat. Als ich das gehört habe, habe ich mich so sehr gefreut, dass sich wenigstens eine Person aus der Familie geoutet hat. Ich habe auch immer wieder vorgehabt ihn zu suchen, um ihm meine Solidarität zu zeigen. Allerdings haben wir uns 15 Jahre nicht gesehen und auch er weiß gar nicht, wie ich denke und lebe. Falls er in der Familie Verbündete braucht, würde ich mich offensichtlich ins Feuer legen. Wann hast du bemerkt, dass etwas mit Machtverhältnissen zwischen Queers und nicht-trans Heteros nicht stimmt? Ich glaube, es hat angefangen, als ich regelmäßig mit schwulen Männern weggegangen bin. Es gab aber auch in unserem Viertel einen Markt, wo ich jedes Wochenende einige schwule Männer getroffen habe. Ich habe mich ungezwungen zu denen verhalten und gemerkt, wie besonders Jungen in meinem Alter darauf reagierten. Für mich war es da schon Realität und ich glaube auch für meinen jüngeren Bruder. Er hat mein Verhältnis zu schwulen Männern mitbekommen und ist damit aufgewachsen. Wirklich gespürt habe ich das dann auch, als ich in der Position war, Menschen zu verteidigen. Zu merken, dass es Unterdrückungsmechanismen gibt, etc. Später an der Uni gab es dann die Asta-Strukturen, wo einige queere Menschen aktiv waren, mit denen wir situativ zusammengearbeitet haben. Die Gesellschaft ist voll mit Rassismus, Sexismus, Homophobie, Transphobie. Wann hast du dich entschlossen dagegen zu kämpfen? Verschiedene Faktoren haben dazu geführt, dass ich verstanden habe, dass diese Phänomene nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Vor allem aber in meiner Studentenzeit und durch meinen Kontakt zur Postkolonialen Theorie, u.a. mit dem Buch Spricht die Subalterne Deutsch, das mir die Augen geöffnet hat. Ab diesem Moment waren in meinem Leben immer Materialien von postkolonialem Feminismus und Schwarzem Feminismus prägend. Was sind deine politischen Aktivitäten, auch als Verbündeter? Ich denke, dass ich meine politischen Aktivitäten nicht eingrenzen könnte und darin akademischen Aktivismus einschließe, aber auch die eigentliche politi- Migrationsrat Berlin-Brandenburg Oranienstr. 34 10999 Berlin TELEFON: 030 / 61658755 FAX: 030 / 61658756 E-MAIL: presse@mrbb.de Herausgeber: MRBB Redaktion: Deniz Utlu (du), Elena Brandalise (eb) Nuran Yiğit, das Kollektiv Suspect Texte können verwendet und vervielfältigt werden, sofern die Quelle angegeben ist. www.mrbb.de Über den MRBB Der Migrationsrat BerlinBrandenburg (MRBB), ein Dachverband mit 76 Mitgliedsorganisationen, versteht sich als Interessenvertretung von „Migrant/innen“ und ihren Angehörigen und setzt sich für ihre rechtliche, soziale und politische Gleichstellung ein. Themen des MRBB sind u.a. Partizipation, Bildung, Medien und Empowerment. Der Newsletter erscheint monatlich und ist als Informationsmedium an alle direkten oder indirekten Mitglieder und darüber hinaus an Multiplikator/innen und Interessierte gerichtet. Für Mitglieder gibt es monatlich einen Redaktionstag, an dem sie ihre Anliegen für den Newsletter thematisieren können. Artikel können unverbindlich an presse@mrbb.de gesandt werden. Leben nach Migration Seite 8 sche Arbeit auf der Straße. Auch mein Alltag ist sehr, sehr politisiert und ich versuche, wenn es mir möglich ist, keine Gelegenheit auszulassen, meine Kritik zu äußern und auch unbequeme Positionen zu vertreten. Was allerdings dann immer meine Energie und Kraft einfordert, in einigen Fällen auch aufrechten Mut. historischen Tradition der antirassistischen Bewegungen angeknüpft, die übrigens in ihrer Arbeit schon immer diverser geprägt war als Weißer Feminismus, Homobewegung, und jüngstens auch Queere Bewegung. Aber es freut mich natürlich sehr, dass sich Heteros/Queers/Trans Leute of Color in einer antirassistischen Arbeit verbünden. Du bist Vater, wie erziehst Du Deine Kinder im Siehst du Parallelen in der sogenannten mehrheit- Bezug auf Machtverhältnisse, Diskrimierungsfor- lich Weißen queeren Szene und der Weißen men und auch Mehrfachdiskriminierung? Mainstream schwulen Szene? Das ist eine sehr essenzielle Frage in meinem Alltag. Meine Herangehensweise bisher war, dass ich versuche ein Umfeld zu kreieren, wo die Anwesenheit von People of Color und jegliche sogenannte „Abweichung“ von dem Weißen, heterosexuellen, geschlechtskonformen Mann, auch als Normalität gesehen wird. Die Kinder werden zweisprachig, türkisch und deutsch, erzogen und wir versuchen, sie „frei“ von Ethnizität zu erziehen. Sprich, nur weil sie türkisch sprechen, müssen sie sich nicht als türkisch definieren. Ich versuche den Kindern ganz klar meine Identität nachvollziehbar aufzuzeigen und erkläre, wo ich mitmache und warum ich politisch aktiv bin. Schließlich erkläre ich den Kindern immer wieder – und oft anhand von Beispielen – die diverse Identitäten. Es gibt Parallelen, aber auch Unterschiede. Die eine Seite produziert tendenziell offene rassistische Ausschlüsse, während die Andere (sich selbst als ausdrücklich antifaschistisch und antirassistisch bezeichnend) dies tendenziell in einer scheinheiligen und kodierten Form tut, oft sogar als Teil einer so genannten antirassistischen Politik. Dies wird sehr deutlich mit Bezug zu antimuslimischem Rassismus, was in Berlin auch einen mittelbaren, sogar unmittelbaren Zusammenhang mit Prozessen der Gentrifizierung aufzeigt. Mittlerweile ist es mir viel lieber in Charlottenburg oder Dahlem zu wohnen, wo die Verhältnisse klar sind. Wo ich weiß, wo bürgerliche Weißen stehen und ich als Man of Color. Und keine Scheinheiligkeit. Die können dann sogar manchmal besser mit einem umgehen, als die “supercoolen“ Queers, die hier her kommen, sich unsere Kieze aneignen und dann ins Prinzenbad gehen und sich über die Jugendlichen dort lustig machen oder vor ihnen Angst haben. Eine andere Parallele ist die Schichtzugehörigkeit. (lacht) Die Meisten kommen höchstwahrscheinlich aus der Mittelschicht. Abschließend noch eine Sache, die mir aufgefallen ist: Die meisten Queers sind jung und die Leute im Mainstream eher älter. Da ist meine Frage: Warum sind Queers – und dies gilt unter anderem auch für viele AntifaAktivist_innen – meistens jung? Wo landen die dann, wenn sie älter werden? Komischerweise verschwinden sie, wenn sie älter werden. (lacht) Teilst du die Beobachtung, dass es Queers of Color manchmal leichter fällt, Allianzen mit nicht-trans Heteros of Color zu schließen, statt mit Weißen Queer/Trans-Organisationen? Auf jeden Fall teile ich diese Beobachtung.(lacht) Aus einer rassismuskritischen Perspektive ist es interessant zu fragen: Warum ist das so? Was ist an Rassismus doch so spezifisch? Es scheint so zu sein, dass Rassismuserfahrung im heutigen Kontext in Deutschland Leute viel mehr verbindet, als die Gemeinsamkeiten wegen der sexuellen Identität. Eine endgültige Ursachenanalyse kann ich auch nicht wiedergeben. Möglicherweise wird da auch an einer
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